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Dieser Ort war mein Alterlaa
Der Standard

Harry Glücks Wohnpark Alterlaa macht auch heute noch viele Menschen glücklich. Die Regisseurin Bianca Gleissinger, selbst Kind dieses Hauses, geht in ihrem Film „27 Storeys“ der Frage nach, woran das liegt.

3. Juni 2023 - Wojciech Czaja
Tschuldigung! Wir drehen einen Film. „Dort wo die Blumen blühn, dort wo die Täler grün, dort war ich einmal zu Hause“, singt Freddy Quinn aus der Konserve, 33. Minute, während Edi und Gitti in ihrem Freddy-Quinn-Museum gerade ein paar Freddy-Quinn-Pappaufsteller durch die Tür bugsieren. „Wo ich die Liebste fand, da liegt mein Heimatland, wie lang bin ich noch allein?“

Wow! Wie viele sind denn das? Eine CD-Sammlung mit mehr als 300 CDs, hunderte VHS-Videobänder mit dem österreichischen Schlagersänger in allen erdenklichen Rollen und Bühnenauftritten, dazu tausende Plakate und Schellacks, mit denen das kleine Museum im Block A, Stiege 8, Etage 2, ausgekleidet und bis unter den Plafond komplett zutapeziert ist. „So schön, schön war die Zeit, so schön, schön war die Zeit…“

Edi und Gitti suchen noch jemanden, der die Nachfolge fürs Museum übernimmt, wenn sie einmal in Rente gehen. Ihre Kinder waren mit mir in der Schule und hörten damals am liebsten die Nu-Metal-Band Limp Bizkit. Freddy Quinn. Stationen einer Karriere 1949–2006. Und mittendrin die Filmregisseurin Bianca Gleissinger, die sich immer wieder ins Bild hineinschleicht, die Szenen mit ihrer frechen, „goscherten“ (Kleine Zeitung) , irgendwie immer noch pinken Stimme aus dem Off kommentiert und sich mit ihrer Soziodokumentation auf die Spuren ihrer eigenen Kindheit begibt, auf die Suche nach Fragen und Antworten ihres damals so ungetrübt rosaroten Lebens. Licht aus, Tür zu, und Schnitt.

Architekt Harry Glück hatte 1960 einen revolutionären Traum – den Wohnpark Alterlaa. Denn er forderte das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl. Drei Wohnblocks, 250.000 Quadratmeter, 27 Stockwerke, Swimmingpools und Tennisplätze. „Ich bin hier aufgewachsen“, sagt Gleissinger, Absolventin der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), die mit ihrem Film 27 Storeys – Alterlaa Forever ihr Abschlussprojekt und zugleich ihr 82-minütiges Filmdebüt vorlegt, im Gespräch mit dem ΔTANDARD. „Für mich war das Wohnen in Alterlaa mit all seinen Annehmlichkeiten damals ganz normal. Erst später habe ich begriffen, was für ein besonderer Ort das hier ist.“

Ein riesiger Pool nahm hart arbeitenden Vätern den Druck des wirtschaftlichen Aufstiegs. Die Hausfrau konnte nun auch am Leben teilnehmen, da die Küche erstmals an den Wohnraum angebunden war. Wohnen wie die Reichen für alle war das Motto. Oder wie Kritiker das damals formulierten: Pools für die Proleten! „Ob hier wirklich so viele Proleten wohnen? Natürlich! Wenn man 3200 Wohnungen für 9000 Menschen baut“, sagt Gleissinger, „dann ist in gewisser Weise alles wahr und unwahr zugleich, denn wo viele Menschen wohnen, da hat das Leben auch viele verschiedene Farben.“

Proleten wie wir! Wir hatten dank Alterlaa alles, was es für ein glückliches Leben brauchte. Wir waren Harry Glücks Glücksutopie. Und als wir ausziehen mussten, habe ich mich weinend an die Dunstabzugshaube geklammert. Bis heute zählt Harry Glücks Wohnpark Alterlaa – der nicht nur für seine Swimmingpools auf dem Dach berühmt ist, sondern auch für seine vielen Vereine und exotischen Clubräume wie etwa Bridge-Salon, Schießhalle, und Modellbauwerkstatt – zu den beliebtesten Wohnbauten Österreichs. Die Fluktuation ist extrem gering, die Wohnzufriedenheit mit 98 Prozent unschlagbar hoch, der Wohnbau immer wieder Motiv für Studien und Forschungsarbeiten.

Das Alterlaa der Gegenwart ist ein Paradies für analoge Menschen. Doch dieser Film dreht sich nicht nur um das Objekt, wie es schon so oft untersucht und dokumentiert wurde, sondern vor allem um die hierin lebenden Subjekte. Zu Wort kommen Urgesteine, die hier seit dem allerersten Tag eingemietet sind, Fertigstellung 1976, aber auch Jugendliche und neu Zugezogene, die mit Alterlaa in ein neues Leben durchstarten wollen. Kinder fahren mit dem Scooter durchs Bild, Teenager verabreden sich über die hausinterne Sprechanlage auf ein Bier, in den Küchen werden Schnitzel geklopft. Und dann, in der 76. Minute, wird Hanna nachdenklich.

Das Alterlaa der Gegenwart ist das größte Altenheim Österreichs, sagen Kritikerinnen. „Alterlaa ist für mich ein schönes beginnendes Ende meines Lebens, ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt die kürzlich pensionierte Hanna, während sie ihre Reiseführer ausmistet, weil sie wahrscheinlich nie wieder nach Florida reisen wird. „Hier kannst du alt werden. Bis der Tod Alterlaa und mich scheidet.“ Auch das passiert. Peter, einer der Protagonisten im Film, verstirbt während der Dreharbeiten. Seine Wohnung wird geräumt, ausgemalt, für die nächsten Mieterinnen instand gesetzt.

Mein Alterlaa war kein Ort, es war eine Zeit, die ich nicht loslassen wollte. Eine Zeit, in der ich noch gar keine Vorstellung davon hatte, dass alle Dinge vergänglich sind. „Natürlich ist 27 Storeys auch ein Film über Alterlaa“, sagt die 33-jährige Regisseurin, „denn Harry Glück hatte die große Gabe, die damalige Zeit mit einem sehr wachen Auge zu lesen und in eine ansprechende, sozial adäquate Architekturform zu übersetzen. Aber es ist auch ein Film über Kindheit, über kindliches Glück, über erfüllte und geplatzte Kindheitsträume.“

Ich wollte Prinzessin werden, aber ich wollte auch Kriegerin sein, hier in unserem Wohnzimmer. Im Gymnasium wollte ich Britney Spears sein, und mit 19 wollte ich Playmate werden. In meinem Zimmer war alles pink, pink, pink. Vielleicht muss das Mädchen mit den pinken Wänden nur eines tun – eine Dunstabzugshaube loslassen. „Dieser Film ist aber auch ein Werkzeug, um von alten sozialen Utopien loszulassen, denn die Zeiten von der Stadt in der Stadt – von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Einkaufen unter einem Dach – sind vorbei. Das interessiert heute niemanden mehr.“

Wir hatten 10.000 Nachbarn und Nachbarinnen, darunter weltberühmte Stars und Fußball-Legenden. Wer in Alterlaa gewohnt hat, der war wer! Alle anderen fanden das komisch. Und wir fanden alle anderen komisch. Bei aller Sentimentalität, Menschlichkeit und Freddy-Quinn-Skurrilität schafft es der Film, nicht nur in die Geschichte zurückzublicken und die Gegenwart darzustellen, sondern auch die Frage zu stellen, wie wir es schaffen, unsere Wohnutopien zu transformieren und innovative Lebensmodelle für die Zukunft zu entwickeln. Ein dringlicher Auftrag an alle Politiker, Bauträger und Architektinnen: Über welche zeitgenössischen Wohnprojekte wird man in 50 Jahren einen Film drehen wollen?

„27 Storeys – Alterlaa Forever“, ab sofort im Kino.

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