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Soll man Sechzigerjahre-Gebäude überhaupt noch renovieren?
Lieber günstiger neu bauen oder doch das bestehende Gebäude sanieren? Für die renovierungsbedürftige Mittelschule im steirischen Weiz gibt es zwei Optionen – noch ist nichts entschieden.
8. Juni 2023 - Christian Kühn
Die Bau-Scham geht um. Von der Architekturbiennale in Venedig bis zu den Einführungsseminaren an den Architekturschulen der Welt wird über die Frage diskutiert, ob man in fortgeschrittenen Industriegesellschaften noch neue Gebäude errichten darf. Vor ein paar Jahren wäre die Antwort der Mehrheit der Architekturszene ein klares Ja gewesen. Gerade wegen der drohenden Klimakatastrophe müsse man die neuesten Technologien nutzen und Häuser bauen, die praktisch keine Energie mehr verbrauchen oder sogar als Plus-Energie-Häuser einen Überschuss produzieren.
Inzwischen hat sich der Horizont dieser Debatte erweitert. Berücksichtigt man die graue Energie, die in die Produktion von Baumaterialien, in deren Transport auf die Baustelle und schließlich in die Kosten für Abbruch, Recycling und Endlagerung fließt, sieht die Bilanz düster aus. Klimaneutrales Bauen mit den Technologien der Industriegesellschaft ist langfristig so gut wie unmöglich. Allein die Zementherstellung erzeugt zwischen fünf und sieben Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Im besten Fall lässt sich der Zementeinsatz effizienter gestalten, durch intelligente Konstruktionen, etwa Schalentragwerke im mehrgeschoßigen Bauen, oder durch Wiederverwendung von Bauteilen. Die geringsten CO2-Emissionen erzeugt allerdings, wer nichts Neues baut, sondern einen Bestand adaptiert.
Angesichts beachtlicher Leerstände quer über alle Sektoren des Immobilienwesens liegt hier beachtliches Potenzial. Doch kann es sein, dass eine Sanierung höhere Kosten verursacht als Abbruch und Neubau. Eine konsequente und drastisch höhere CO2-Bepreisung für Baumaterialien könnte das ändern und die für den „Naturverbrauch“ ausgelagerten Kosten wieder in die Kalkulation hereinholen. Zumindest für die nächsten Jahre ist eine solche Entwicklung angesichts hoher Inflationsraten politisch nur schwer zu vermitteln, selbst wenn die CO2-Bepreisung aufkommensneutral angelegt ist. Umso wichtiger ist die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand im Umgang mit ihrer Bausubstanz, gerade in schwierigen Fällen, bei denen eine rein ökonomische Betrachtung eher gegen Erhaltung spricht.
Ein Beispiel dafür ist das Schulzentrum in Weiz in der Steiermark, ein Komplex aus Realgymnasium und Neuer Mittelschule mit gemeinsamem Turnsaaltrakt, der 1964 vom Architekten Viktor Hufnagl entworfen und in Etappen bis Anfang der 1970er-Jahre realisiert wurde. Für das Projekt erhielt die Gemeinde Weiz 1968 den Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten, 1969 wurde Hufnagl dafür mit dem Staatspreis für Architektur ausgezeichnet. In der Broschüre, die anlässlich der Eröffnung des ersten Bauabschnitts erschien, wurde die gute Zusammenarbeit mit dem Architekten hervorgehoben. Der Bauausschuss der Gemeinde hätte eine Reise zu innovativen Beispielen in ganz Österreich unternommen und sei dabei auf Viktor Hufnagls Schule in Strobl am Wolfgangsee gestoßen, eine Hallenschule, bei der mehrere Klassenräume um einen gemeinsamen mehrgeschoßigen Raum angeordnet sind.
Die Halle ist dabei nicht einfach ein weiterer Raum, sondern ein die ganze Schule verbindendes Element; die Trennung in Klassenzimmer und Gänge löst sich auf. „Die ganze Bodenfläche“, so Hufnagl, „kann als ein Kontinuum miteinander in Beziehung stehender Räume aufgefasst werden.“ Das Schulzentrum in Weiz markiert einen ersten Höhepunkt in Hufnagls Werk, gemeinsam mit der Schule in Wörgl in Tirol, die er ab 1970 mit Fritz G. Mayr entwarf. Die Schule in Wörgl, ein lichtdurchfluteter Bau, der trotz seiner Konstruktion aus Sichtbeton leicht und fast schwebend wirkt, wurde 1998 bis 2003 vom Schweizer Peter Märkli vorbildlich saniert und steht heute unter Denkmalschutz. Sie gilt zu Recht als ein Meilenstein des österreichischen Schulbaus.
Unter Denkmalschutz steht – seit 2021 – auch die Schule in Weiz. Ihre Zukunft ist aber alles andere als sicher. Der Bundesschulteil wurde zwar saniert, nicht aber der Hauptschulteil, für dessen Finanzierung die Gemeinde verantwortlich ist: Ein Neubau auf dem Sportplatz nebenan wäre um 15 Prozent günstiger als eine Sanierung. Kosten sind ein zulässiges Argument, vor allem bei einem Bau, in den man sich nicht auf den ersten Blick verlieben würde: sehr viel verwitterter Stahlbeton mit ornamentartigen Vertiefungen, durchlaufende Bandfenster. Erst eine genauere Analyse zeigt, dass dieser Bau noch radikaler ist als sein jüngerer Bruder in Wörgl. Er versucht nämlich, die Anzahl der tragenden Stützen auf zwölf zu minimieren, an jeder Ecke der zentralen Halle als Dreiergruppe positioniert, ergänzt um einige Pendelstützen in der Fassade. Das ist keine selbstgefällige konstruktive Akrobatik: Ziel ist ein möglichst flexibles Raumangebot, das abgeschlossene Bereiche für den Frontalunterricht ebenso zulässt wie offene Lernlandschaften. Die archaisch-expressive Konstruktion, die für die Wiener Moderne der 1960er-Jahre typisch ist, bildet einen festen Rahmen für diese Nutzungsvielfalt.
Seit vorigem Jahr liegt ein vom Land Steiermark beauftragtes, von den Architekten Gangoly & Kristiner in Abstimmung mit dem Denkmalamt erstelltes Gutachten vor, das nachweist, dass hier im Bestand eine absolut zeitgemäße Schule mit einzigartigen räumlichen Qualitäten entstehen kann. Ein nachträglich angebautes Stiegenhaus kann dabei entfernt werden, die Fassade erhält eine zweite innere Schicht nach dem Prinzip des Kastenfensters. Hier könnte ein Leuchtturmprojekt für die intelligente Sanierung von schwierigen Bauten aus den 1960er-Jahren entstehen. Eine ähnliche Situation findet sich in Wien mit der Schule am Kinkplatz von Helmut Richter, die nach Einsprüchen der Stadt Wien noch auf ihre definitive Unterschutzstellung wartet. Als Produkt der 1990er-Jahre wäre sie ein Leuchtturmprojekt für eine andere Epoche.
Die angekündigte Novellierung des Denkmalschutzgesetzes könnte in solchen Fällen mit einem „Erhaltungsgebot“ dafür sorgen, dass Eigentümer ihrem Denkmal nicht beim Sterben zusehen dürfen, sondern die nötigen Schritte für dessen Erhaltung setzen müssen. Kombiniert mit der schon lange geforderten steuerlichen Absetzbarkeit von Erhaltungsmaßnahmen könnte diese Novelle die Rahmenbedingungen für die Denkmalpflege spürbar verbessern.
Inzwischen hat sich der Horizont dieser Debatte erweitert. Berücksichtigt man die graue Energie, die in die Produktion von Baumaterialien, in deren Transport auf die Baustelle und schließlich in die Kosten für Abbruch, Recycling und Endlagerung fließt, sieht die Bilanz düster aus. Klimaneutrales Bauen mit den Technologien der Industriegesellschaft ist langfristig so gut wie unmöglich. Allein die Zementherstellung erzeugt zwischen fünf und sieben Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Im besten Fall lässt sich der Zementeinsatz effizienter gestalten, durch intelligente Konstruktionen, etwa Schalentragwerke im mehrgeschoßigen Bauen, oder durch Wiederverwendung von Bauteilen. Die geringsten CO2-Emissionen erzeugt allerdings, wer nichts Neues baut, sondern einen Bestand adaptiert.
Angesichts beachtlicher Leerstände quer über alle Sektoren des Immobilienwesens liegt hier beachtliches Potenzial. Doch kann es sein, dass eine Sanierung höhere Kosten verursacht als Abbruch und Neubau. Eine konsequente und drastisch höhere CO2-Bepreisung für Baumaterialien könnte das ändern und die für den „Naturverbrauch“ ausgelagerten Kosten wieder in die Kalkulation hereinholen. Zumindest für die nächsten Jahre ist eine solche Entwicklung angesichts hoher Inflationsraten politisch nur schwer zu vermitteln, selbst wenn die CO2-Bepreisung aufkommensneutral angelegt ist. Umso wichtiger ist die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand im Umgang mit ihrer Bausubstanz, gerade in schwierigen Fällen, bei denen eine rein ökonomische Betrachtung eher gegen Erhaltung spricht.
Ein Beispiel dafür ist das Schulzentrum in Weiz in der Steiermark, ein Komplex aus Realgymnasium und Neuer Mittelschule mit gemeinsamem Turnsaaltrakt, der 1964 vom Architekten Viktor Hufnagl entworfen und in Etappen bis Anfang der 1970er-Jahre realisiert wurde. Für das Projekt erhielt die Gemeinde Weiz 1968 den Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten, 1969 wurde Hufnagl dafür mit dem Staatspreis für Architektur ausgezeichnet. In der Broschüre, die anlässlich der Eröffnung des ersten Bauabschnitts erschien, wurde die gute Zusammenarbeit mit dem Architekten hervorgehoben. Der Bauausschuss der Gemeinde hätte eine Reise zu innovativen Beispielen in ganz Österreich unternommen und sei dabei auf Viktor Hufnagls Schule in Strobl am Wolfgangsee gestoßen, eine Hallenschule, bei der mehrere Klassenräume um einen gemeinsamen mehrgeschoßigen Raum angeordnet sind.
Die Halle ist dabei nicht einfach ein weiterer Raum, sondern ein die ganze Schule verbindendes Element; die Trennung in Klassenzimmer und Gänge löst sich auf. „Die ganze Bodenfläche“, so Hufnagl, „kann als ein Kontinuum miteinander in Beziehung stehender Räume aufgefasst werden.“ Das Schulzentrum in Weiz markiert einen ersten Höhepunkt in Hufnagls Werk, gemeinsam mit der Schule in Wörgl in Tirol, die er ab 1970 mit Fritz G. Mayr entwarf. Die Schule in Wörgl, ein lichtdurchfluteter Bau, der trotz seiner Konstruktion aus Sichtbeton leicht und fast schwebend wirkt, wurde 1998 bis 2003 vom Schweizer Peter Märkli vorbildlich saniert und steht heute unter Denkmalschutz. Sie gilt zu Recht als ein Meilenstein des österreichischen Schulbaus.
Unter Denkmalschutz steht – seit 2021 – auch die Schule in Weiz. Ihre Zukunft ist aber alles andere als sicher. Der Bundesschulteil wurde zwar saniert, nicht aber der Hauptschulteil, für dessen Finanzierung die Gemeinde verantwortlich ist: Ein Neubau auf dem Sportplatz nebenan wäre um 15 Prozent günstiger als eine Sanierung. Kosten sind ein zulässiges Argument, vor allem bei einem Bau, in den man sich nicht auf den ersten Blick verlieben würde: sehr viel verwitterter Stahlbeton mit ornamentartigen Vertiefungen, durchlaufende Bandfenster. Erst eine genauere Analyse zeigt, dass dieser Bau noch radikaler ist als sein jüngerer Bruder in Wörgl. Er versucht nämlich, die Anzahl der tragenden Stützen auf zwölf zu minimieren, an jeder Ecke der zentralen Halle als Dreiergruppe positioniert, ergänzt um einige Pendelstützen in der Fassade. Das ist keine selbstgefällige konstruktive Akrobatik: Ziel ist ein möglichst flexibles Raumangebot, das abgeschlossene Bereiche für den Frontalunterricht ebenso zulässt wie offene Lernlandschaften. Die archaisch-expressive Konstruktion, die für die Wiener Moderne der 1960er-Jahre typisch ist, bildet einen festen Rahmen für diese Nutzungsvielfalt.
Seit vorigem Jahr liegt ein vom Land Steiermark beauftragtes, von den Architekten Gangoly & Kristiner in Abstimmung mit dem Denkmalamt erstelltes Gutachten vor, das nachweist, dass hier im Bestand eine absolut zeitgemäße Schule mit einzigartigen räumlichen Qualitäten entstehen kann. Ein nachträglich angebautes Stiegenhaus kann dabei entfernt werden, die Fassade erhält eine zweite innere Schicht nach dem Prinzip des Kastenfensters. Hier könnte ein Leuchtturmprojekt für die intelligente Sanierung von schwierigen Bauten aus den 1960er-Jahren entstehen. Eine ähnliche Situation findet sich in Wien mit der Schule am Kinkplatz von Helmut Richter, die nach Einsprüchen der Stadt Wien noch auf ihre definitive Unterschutzstellung wartet. Als Produkt der 1990er-Jahre wäre sie ein Leuchtturmprojekt für eine andere Epoche.
Die angekündigte Novellierung des Denkmalschutzgesetzes könnte in solchen Fällen mit einem „Erhaltungsgebot“ dafür sorgen, dass Eigentümer ihrem Denkmal nicht beim Sterben zusehen dürfen, sondern die nötigen Schritte für dessen Erhaltung setzen müssen. Kombiniert mit der schon lange geforderten steuerlichen Absetzbarkeit von Erhaltungsmaßnahmen könnte diese Novelle die Rahmenbedingungen für die Denkmalpflege spürbar verbessern.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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