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Neue Magie eines alten Werkstoffs
Perspektiven und Tendenzen des Schweizer Holzbaues
Holz steht gegenwärtig hoch im Kurs. Innerhalb weniger Jahre wurde aus einem verpönten Werkstoff ein Material, mit dem die Avantgarde der Architektur und des Bauingenieurwesens Zeitgeist auszudrücken weiss. Poetische Kraft, sinnliche Ausstrahlung und eine besondere Tektonik faszinieren sowohl Bauherren wie auch Architekten.
6. August 1999 - Christoph Affentranger
Der anhaltende Aufwärtstrend von Holz als Werkstoff im Schweizer Bauwesen lässt sich auf gesellschaftspolitische, technische und gestalterische Ursachen zurückführen. Überlegungen zur Landschaftspflege, zur Ökologie, zur lokalen Verfügbarkeit von Holz und zum Kreislauf der (Bau-) Stoffe sind die wichtigsten gesellschaftspolitischen Argumente, die von Bauherren häufig angeführt werden. Diese Anliegen kamen jüngst in drei mit Mitteln des Bundes lancierten Programmen («Nationales Forschungsprogramm Holz NFP 12», «Impulsprogramm Holz» und «Förderprogramm Holz 2000») zum Ausdruck. Der Bund erhoffte sich dabei auch die Förderung und den Erhalt von Arbeitsplätzen gerade in den waldreichen Regionen des Landes. Immerhin ist die Wald- und Holzindustrie mit rund 90 000 Arbeitsplätzen einer der wichtigsten Arbeitgeber in den ländlichen Teilen der Schweiz.
Die Imageprobleme von Holz
An der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Technik vermochte die 1997 in überarbeiteter Form erschienene Dokumentation «Brandschutz im Holzbau», herausgegeben von der Lignum und der SIA, einen Meilenstein zu setzen. Neu bildet nun nicht mehr die Brennbarkeit eines Baustoffes an sich das ausschlaggebende Kriterium bei dessen Beurteilung, sondern die sogenannte Abbrandgeschwindigkeit, mit der sich ein Feuer in das Material hineinbewegt und dieses statisch schwächt. Damit wurden mehrgeschossige Wohn- und Geschäftshäuser sowie öffentliche Bauten wie Schulen aus Holz von der Gesetzgebung her möglich. Die Auswirkungen auf die Holzwirtschaft dürften beträchtlich sein. Zwischen 1991 und 1996, im Vorfeld der Revision, legte der Anteil an verbautem Holz im Bereich Hochbau um insgesamt 8 Prozent zu, trotz der durch die Rezession bedingten Abnahme des Bauvolumens in der Schweiz um rund 4 Prozent. Das grösste Wachstumspotential für Holz im Hochbau liegt in dessen Verwendung als Konstruktionsmaterial. Die neuen Brandschutzvorschriften dürften hier einiges bewirken.
Ein besonderes Glück für den Holzbau in der Schweiz ist es, dass Holz zurzeit nicht nur bei Bauherren und Technikern beliebt ist, sondern dass sich in den letzten zwei Dezennien auch die besten Architekten und Ingenieure des Landes mit Holz und seinem Gestaltungspotential intensiv auseinandersetzten. Einige dieser Werke fanden weit über die Landesgrenzen hinaus grosse Beachtung - selbst in den traditionellen Hochburgen des Holzbaues wie Vorarlberg oder Skandinavien. Diese Wiederentdeckung mag überraschen, wenn man bedenkt, dass Holz noch immer als veraltetes Baumaterial mit unangenehmen bauphysikalischen Begleiterscheinungen wie Ringhörigkeit im Inneren und der Tendenz zur Überhitzung im Sommer gilt.
Die siebziger und frühen achtziger Jahre waren die grosse Zeit der Kunststoffe. In den künstlichen Welten von damals durfte das Holz bestenfalls geschroppt, sandgestrahlt und mit dem Bunsenbrenner angesengt als Wandverkleidung in der guten Stube dienen. Mit der Bevorzugung anderer Baustoffe gerieten die Zimmereien in die Defensive. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wurden sie in der Schweiz aber nicht völlig marginalisiert, da Holz hierzulande das bevorzugte Material für die Tragstruktur von Dächern blieb. Ab Mitte der achtziger Jahre taten sich zunehmend mehr Betriebe mit neuen Ideen hervor. Der aus den USA importierte Holzrahmenbau verdrängte in kürzester Zeit die traditionelle Skelettbauweise. Der Vorfertigungsgrad stieg laufend, so dass heute im Normalfall ein Haus aus Holz in wenigen Tagen erstellt werden kann - dies unabhängig davon, ob es individuell geplant oder als Fertighaus bestellt wurde. Die Breite der angebotenen Bausysteme - von vorfabrizierten Hohlkästen bis zur herkömmlichen Blockbauweise - ist kaum mehr überschaubar.
Renaissance des Holzbaus
Auftakt zur Renaissance des Schweizer Holzbaus machten zwei Bauten in Basel, die in ihrer architektonischen Haltung zwei diametrale Positionen vertraten: Zum einen ist dies ein 1987 von Michael Alder umgebautes Wohnhaus im St.- Alban-Tal. Der schlichte, mit Holz verkleidete, präzis entworfene und in der Gestalt als klassisch zu bezeichnende Bau fügt sich ganz selbstverständlich in die Umgebung ein. Alder führte mit diesem Gebäude die Tradition einfacher, unprätentiöser Wohnbauten fort, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Ganz anders dagegen das von Jacques Herzog und Pierre de Meuron 1988 an der Hebelstrasse errichtete, zweigeschossige Wohnhaus, das sich, mit dem Rücken an eine Brandmauer gelehnt, zum Hof öffnet. Die sich gegen oben und unten verjüngenden Stützen der vorgelagerten Loggien und das Abheben des Volumens auf einen Sockel machen aus dem Bau ein Möbel im Hof. In der geistigen Annäherung an das Thema unterscheiden sich die beiden Objekte: Auf der einen Seite finden wir den pragmatischen Baumeister, auf der anderen Seite den Künstlerarchitekten. In beiden Fällen kommt eine radikale Schlichtheit zum Ausdruck, wenn auch auf ganz unterschiedlicher Ebene.
Die Form aus der Konstruktion abzuleiten, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, führt zu einer einfachen architektonischen Grundhaltung. Dabei erweist sich Holz als ideales Material, denn es erfordert Disziplin im Entwurf und Besinnung auf die konstruktiven Grenzen. Besonders für junge Architekten bietet es attraktives «Neuland», das so neu natürlich nicht ist. Gerade in der Region Basel entstanden mit den Wohnhäusern von Paul Artaria und Hans Schmidt schon in den zwanziger Jahren Bauten, die dem Credo des Schlichten verpflichtet waren. Zusammen mit den Werken von Hans Fischli (Haus Schlehstud, 1933) und Alfred Roth (Sommerhaus in Mammern, 1936) beeinflussten diese die heutigen Architekten, fand doch die Rückbesinnung auf diese Bauten in den achtziger Jahren statt. Damals setzten sich vor allem Marianne Burkhalter und Christian Sumi intensiv mit dem traditionellen Holzbau und mit der Arbeit von Konrad Wachsmann auseinander. Die farbigen Werke der beiden Architekten, darunter das Einfamilienhaus mit Atelier in Langnau am Albis (1986), bei dem sie sich formal auf den Holzbau des Neuen Bauens besannen, die Forstwerkhöfe in Turbenthal (1991-93) und Rheinau (1992-94), das Schulhaus in Laufenburg (1991-92) und die Erweiterung eines Hotels am Zürichberg (1993-95) gaben der Schweizer Gegenwartsarchitektur neue Impulse.
Neben Basel konnte bald auch Graubünden mit aussergewöhnlichen Holzbauten aufwarten. Im Zentrum des Interesses standen dabei die Arbeiten von Peter Zumthor, etwa die Schutzbauten über römischen Funden in Chur, sein Atelier in Haldenstein (beide 1985/86), die Kapelle Sogn Benedetg oberhalb Sumvitg (1985-88) sowie das Wohnhaus Gugalun in Versam (1990-94). Jeder dieser Bauten ist anders, widmet sich anderen Aspekten und Techniken des Bauens mit Holz. Und doch ist allen eines gemeinsam: der unspektakuläre, aber virtuose und sehr sinnliche Umgang mit dem Holz. In Graubünden finden sich aber noch andere Bauten aus und mit Holz, beispielsweise die Häuser von Gion A. Caminada in Vrin, einem kleinen Dorf zuhinterst im Lugnez. Unbeirrt von Trends und Moden übernimmt Caminada bestehende Gebäudetypologien und Bautechniken, meist die Blockbauweise, und geht subtil auf die sozialen Bedürfnisse des Dorfes ein. Das Betriebsgebäude der Genossenschaft Mazlaria und die zugehörigen Viehställe wurden soeben mit dem Prix Lignum ausgezeichnet. Weitere bemerkenswerte Arbeiten von Valentin Bearth und Andrea Deplazes, Anette Gigon und Mike Guyer, von Rolf Gerstlauer und Inger Molne und anderen, allesamt in den letzten zehn Jahren entstanden und international publiziert, zeugen von der Aufmerksamkeit, die das Bauen mit Holz im Kanton Graubünden zurzeit geniesst.
Aber auch in anderen Landesteilen entstanden Projekte mit Holz, die Vorbildcharakter besitzen, darunter die von Marcel Meili und Markus Peter mit Zeno Vogel realisierten und ebenfalls mit dem Lignum-Preis geehrten Gebäude der Hochschule für die Holzwirtschaft SH-Holz in Biel, die in den nächsten Tagen eingeweiht werden können, oder die Försterschule von Itten & Brechbühl in Lyss. Beide Gebäude zeigen, dass mehrgeschossiges Bauen mit Holz, auch im peripheren und städtischen Kontext, gestalterisch zu bewältigen und technisch überzeugend lösbar ist.
Tragstrukturen aus Holz
Holz als Material für Tragstrukturen formvollendet einzusetzen ist besonders schwierig. Zwei frühe Werke von Santiago Calatrava - der 1988 ausgeführte Umbau des Theaters «Tabourettli» in Basel sowie das Gewölbe über der Aula und die «Holzblume» über der Eingangshalle der Kantonsschule in Wohlen aus demselben Jahr - beweisen aber das hohe konstruktiv-gestalterische Potential, das dem Holz innewohnt. Bereits etwas früher, zu Beginn der achtziger Jahre, wurde in der Schweiz und im süddeutschen Raum das Holz für eine Bauaufgabe wiederentdeckt, die schon längst passé zu sein schien: der Bau von Brücken. Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts hatten Beton und Stahl das Holz aus dem Brückenbau verdrängt. Gleichwohl gibt es in der Schweiz noch knapp 230 gedeckte Holzbrücken. Trotz guten Langzeiterfahrungen wurden hierzulande lange kaum mehr neue Strassenbrücken aus Holz gebaut. In den letzten 15 Jahren entstanden aber mehrere Brücken, die sowohl bezüglich der technischen Entwicklungen als auch ihrer Ästhetik weit über die Schweiz hinaus Beachtung fanden.
Die Fuss- und Radbrücke über die Simme bei Reutigen/Wimmis, 1989 nach Plänen von Karl Gärtl und Julius Natterer gebaut, wurde nicht zuletzt deshalb viel beachtet, weil sich hier erstmals in der Schweiz eine neue Ästhetik im Holzbrückenbau manifestierte. Der Durchbruch in eine neue Formenwelt für Holzbrücken ohne Lastbeschränkung gelang dem Bündner Ingenieur Walter Bieler in Zusammenarbeit mit dem Architekten Reto Zindel unter anderem mit der Sagastäg- Brücke bei Schiers, der Laaderbrücke bei Nesslau und mit der Brücke Val Tgiplat. Die neuen Tragstrukturen bilden zusammen mit Neuentwicklungen, verbesserten Detaillösungen und neuen Kriterien im Brandschutz ein solides Fundament für die gegenwärtige Renaissance des Holzbaus. Bauen mit Holz ist am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr rückständig «heimelig», sondern fortschrittlich innovativ und mithin so aktuell wie schon lange nicht mehr.
Christoph Affentranger
Die Imageprobleme von Holz
An der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Technik vermochte die 1997 in überarbeiteter Form erschienene Dokumentation «Brandschutz im Holzbau», herausgegeben von der Lignum und der SIA, einen Meilenstein zu setzen. Neu bildet nun nicht mehr die Brennbarkeit eines Baustoffes an sich das ausschlaggebende Kriterium bei dessen Beurteilung, sondern die sogenannte Abbrandgeschwindigkeit, mit der sich ein Feuer in das Material hineinbewegt und dieses statisch schwächt. Damit wurden mehrgeschossige Wohn- und Geschäftshäuser sowie öffentliche Bauten wie Schulen aus Holz von der Gesetzgebung her möglich. Die Auswirkungen auf die Holzwirtschaft dürften beträchtlich sein. Zwischen 1991 und 1996, im Vorfeld der Revision, legte der Anteil an verbautem Holz im Bereich Hochbau um insgesamt 8 Prozent zu, trotz der durch die Rezession bedingten Abnahme des Bauvolumens in der Schweiz um rund 4 Prozent. Das grösste Wachstumspotential für Holz im Hochbau liegt in dessen Verwendung als Konstruktionsmaterial. Die neuen Brandschutzvorschriften dürften hier einiges bewirken.
Ein besonderes Glück für den Holzbau in der Schweiz ist es, dass Holz zurzeit nicht nur bei Bauherren und Technikern beliebt ist, sondern dass sich in den letzten zwei Dezennien auch die besten Architekten und Ingenieure des Landes mit Holz und seinem Gestaltungspotential intensiv auseinandersetzten. Einige dieser Werke fanden weit über die Landesgrenzen hinaus grosse Beachtung - selbst in den traditionellen Hochburgen des Holzbaues wie Vorarlberg oder Skandinavien. Diese Wiederentdeckung mag überraschen, wenn man bedenkt, dass Holz noch immer als veraltetes Baumaterial mit unangenehmen bauphysikalischen Begleiterscheinungen wie Ringhörigkeit im Inneren und der Tendenz zur Überhitzung im Sommer gilt.
Die siebziger und frühen achtziger Jahre waren die grosse Zeit der Kunststoffe. In den künstlichen Welten von damals durfte das Holz bestenfalls geschroppt, sandgestrahlt und mit dem Bunsenbrenner angesengt als Wandverkleidung in der guten Stube dienen. Mit der Bevorzugung anderer Baustoffe gerieten die Zimmereien in die Defensive. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wurden sie in der Schweiz aber nicht völlig marginalisiert, da Holz hierzulande das bevorzugte Material für die Tragstruktur von Dächern blieb. Ab Mitte der achtziger Jahre taten sich zunehmend mehr Betriebe mit neuen Ideen hervor. Der aus den USA importierte Holzrahmenbau verdrängte in kürzester Zeit die traditionelle Skelettbauweise. Der Vorfertigungsgrad stieg laufend, so dass heute im Normalfall ein Haus aus Holz in wenigen Tagen erstellt werden kann - dies unabhängig davon, ob es individuell geplant oder als Fertighaus bestellt wurde. Die Breite der angebotenen Bausysteme - von vorfabrizierten Hohlkästen bis zur herkömmlichen Blockbauweise - ist kaum mehr überschaubar.
Renaissance des Holzbaus
Auftakt zur Renaissance des Schweizer Holzbaus machten zwei Bauten in Basel, die in ihrer architektonischen Haltung zwei diametrale Positionen vertraten: Zum einen ist dies ein 1987 von Michael Alder umgebautes Wohnhaus im St.- Alban-Tal. Der schlichte, mit Holz verkleidete, präzis entworfene und in der Gestalt als klassisch zu bezeichnende Bau fügt sich ganz selbstverständlich in die Umgebung ein. Alder führte mit diesem Gebäude die Tradition einfacher, unprätentiöser Wohnbauten fort, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Ganz anders dagegen das von Jacques Herzog und Pierre de Meuron 1988 an der Hebelstrasse errichtete, zweigeschossige Wohnhaus, das sich, mit dem Rücken an eine Brandmauer gelehnt, zum Hof öffnet. Die sich gegen oben und unten verjüngenden Stützen der vorgelagerten Loggien und das Abheben des Volumens auf einen Sockel machen aus dem Bau ein Möbel im Hof. In der geistigen Annäherung an das Thema unterscheiden sich die beiden Objekte: Auf der einen Seite finden wir den pragmatischen Baumeister, auf der anderen Seite den Künstlerarchitekten. In beiden Fällen kommt eine radikale Schlichtheit zum Ausdruck, wenn auch auf ganz unterschiedlicher Ebene.
Die Form aus der Konstruktion abzuleiten, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, führt zu einer einfachen architektonischen Grundhaltung. Dabei erweist sich Holz als ideales Material, denn es erfordert Disziplin im Entwurf und Besinnung auf die konstruktiven Grenzen. Besonders für junge Architekten bietet es attraktives «Neuland», das so neu natürlich nicht ist. Gerade in der Region Basel entstanden mit den Wohnhäusern von Paul Artaria und Hans Schmidt schon in den zwanziger Jahren Bauten, die dem Credo des Schlichten verpflichtet waren. Zusammen mit den Werken von Hans Fischli (Haus Schlehstud, 1933) und Alfred Roth (Sommerhaus in Mammern, 1936) beeinflussten diese die heutigen Architekten, fand doch die Rückbesinnung auf diese Bauten in den achtziger Jahren statt. Damals setzten sich vor allem Marianne Burkhalter und Christian Sumi intensiv mit dem traditionellen Holzbau und mit der Arbeit von Konrad Wachsmann auseinander. Die farbigen Werke der beiden Architekten, darunter das Einfamilienhaus mit Atelier in Langnau am Albis (1986), bei dem sie sich formal auf den Holzbau des Neuen Bauens besannen, die Forstwerkhöfe in Turbenthal (1991-93) und Rheinau (1992-94), das Schulhaus in Laufenburg (1991-92) und die Erweiterung eines Hotels am Zürichberg (1993-95) gaben der Schweizer Gegenwartsarchitektur neue Impulse.
Neben Basel konnte bald auch Graubünden mit aussergewöhnlichen Holzbauten aufwarten. Im Zentrum des Interesses standen dabei die Arbeiten von Peter Zumthor, etwa die Schutzbauten über römischen Funden in Chur, sein Atelier in Haldenstein (beide 1985/86), die Kapelle Sogn Benedetg oberhalb Sumvitg (1985-88) sowie das Wohnhaus Gugalun in Versam (1990-94). Jeder dieser Bauten ist anders, widmet sich anderen Aspekten und Techniken des Bauens mit Holz. Und doch ist allen eines gemeinsam: der unspektakuläre, aber virtuose und sehr sinnliche Umgang mit dem Holz. In Graubünden finden sich aber noch andere Bauten aus und mit Holz, beispielsweise die Häuser von Gion A. Caminada in Vrin, einem kleinen Dorf zuhinterst im Lugnez. Unbeirrt von Trends und Moden übernimmt Caminada bestehende Gebäudetypologien und Bautechniken, meist die Blockbauweise, und geht subtil auf die sozialen Bedürfnisse des Dorfes ein. Das Betriebsgebäude der Genossenschaft Mazlaria und die zugehörigen Viehställe wurden soeben mit dem Prix Lignum ausgezeichnet. Weitere bemerkenswerte Arbeiten von Valentin Bearth und Andrea Deplazes, Anette Gigon und Mike Guyer, von Rolf Gerstlauer und Inger Molne und anderen, allesamt in den letzten zehn Jahren entstanden und international publiziert, zeugen von der Aufmerksamkeit, die das Bauen mit Holz im Kanton Graubünden zurzeit geniesst.
Aber auch in anderen Landesteilen entstanden Projekte mit Holz, die Vorbildcharakter besitzen, darunter die von Marcel Meili und Markus Peter mit Zeno Vogel realisierten und ebenfalls mit dem Lignum-Preis geehrten Gebäude der Hochschule für die Holzwirtschaft SH-Holz in Biel, die in den nächsten Tagen eingeweiht werden können, oder die Försterschule von Itten & Brechbühl in Lyss. Beide Gebäude zeigen, dass mehrgeschossiges Bauen mit Holz, auch im peripheren und städtischen Kontext, gestalterisch zu bewältigen und technisch überzeugend lösbar ist.
Tragstrukturen aus Holz
Holz als Material für Tragstrukturen formvollendet einzusetzen ist besonders schwierig. Zwei frühe Werke von Santiago Calatrava - der 1988 ausgeführte Umbau des Theaters «Tabourettli» in Basel sowie das Gewölbe über der Aula und die «Holzblume» über der Eingangshalle der Kantonsschule in Wohlen aus demselben Jahr - beweisen aber das hohe konstruktiv-gestalterische Potential, das dem Holz innewohnt. Bereits etwas früher, zu Beginn der achtziger Jahre, wurde in der Schweiz und im süddeutschen Raum das Holz für eine Bauaufgabe wiederentdeckt, die schon längst passé zu sein schien: der Bau von Brücken. Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts hatten Beton und Stahl das Holz aus dem Brückenbau verdrängt. Gleichwohl gibt es in der Schweiz noch knapp 230 gedeckte Holzbrücken. Trotz guten Langzeiterfahrungen wurden hierzulande lange kaum mehr neue Strassenbrücken aus Holz gebaut. In den letzten 15 Jahren entstanden aber mehrere Brücken, die sowohl bezüglich der technischen Entwicklungen als auch ihrer Ästhetik weit über die Schweiz hinaus Beachtung fanden.
Die Fuss- und Radbrücke über die Simme bei Reutigen/Wimmis, 1989 nach Plänen von Karl Gärtl und Julius Natterer gebaut, wurde nicht zuletzt deshalb viel beachtet, weil sich hier erstmals in der Schweiz eine neue Ästhetik im Holzbrückenbau manifestierte. Der Durchbruch in eine neue Formenwelt für Holzbrücken ohne Lastbeschränkung gelang dem Bündner Ingenieur Walter Bieler in Zusammenarbeit mit dem Architekten Reto Zindel unter anderem mit der Sagastäg- Brücke bei Schiers, der Laaderbrücke bei Nesslau und mit der Brücke Val Tgiplat. Die neuen Tragstrukturen bilden zusammen mit Neuentwicklungen, verbesserten Detaillösungen und neuen Kriterien im Brandschutz ein solides Fundament für die gegenwärtige Renaissance des Holzbaus. Bauen mit Holz ist am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr rückständig «heimelig», sondern fortschrittlich innovativ und mithin so aktuell wie schon lange nicht mehr.
Christoph Affentranger
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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