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Hereinspaziert!
Der Wiener Prater war immer schon ein Ort geheimnisvoller Kuriositäten. Heute ist er ein Hort kurioser Geheimniskrämerei. Zwei Projekte werfen viele, viele Fragen auf.
24. Juni 2023 - Wojciech Czaja
Da steht sie also, 72 Meter lang, 42 Meter breit, 13 Meter hoch, vor wenigen Tagen wurde das umstrittene Projekt offiziell übergeben. Von den einen (Stadt Wien, Bezirksvorstehung, SPÖ) wurde die sogenannte Sport-&-Fun-Halle in der Venediger Au sehnlichst erwartet und in großen Worten herbeigelobt. Die anderen hingegen (Bürgerinitiative, Volksanwaltschaft, Grüne) kritisierten das intransparente Verfahren und die vermeintlich so illegale Vorgehensweise, dass einem jeder Fun vergeht. Was ist hier passiert?
„Nachdem klar war, dass die alte Sporthalle neben dem Ferry-Dusika-Stadion abgerissen wird, um Platz für den neuen Fernbusbahnhof zu machen“, sagt Architekt Michael Schluder, während er die Tür in die soeben fertiggestellte Sporthalle aufsperrt, „hatte die Stadt Wien die Verpflichtung, rasch eine Ersatzhalle zu errichten. Es gab eine Standortanalyse, und wir wurden eingeladen, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen und ein Anbot vorzulegen. Basierend darauf haben wir einen Entwurf und eine mit der Auftraggeberin und den Behörden abgestimmte Einreichung nach § 71 der Wiener Bauordnung erstellt.“
Und jetzt wird’s kompliziert. Denn der Flächenwidmungsplan für das besagte Grundstück in der Venediger Au, in der von 1895 bis 1901 singende Gondolieri die Besucher auf eine venezianische Kanalreise entführt hatten, sieht für die Parzelle zwar eine sogenannte „Esp Erholungsfläche Sport“ vor, die die Errichtung sportnaher Bauten ermöglicht – allerdings mit einem nicht unwesentlichen Passus namens „BB1 Besondere Bestimmungen“, die im Wiener Gemeinderat im Mai 2003 beschlossen wurden: „Auf der mit BB1 bezeichneten und als Grünland (…) gewidmeten Grundfläche dürfen keine Gebäude errichtet werden.“
Zumindest temporär
Stadt Wien und Architekt haben darauf mit besagtem § 71 reagiert. Dieser ermöglicht, selbst auf einem Grundstück mit noch nicht projektkonformer Flächenwidmung und Bebauungsbestimmung ein zumindest temporäres Bauwerk zu errichten. In diesem Fall ist die Sport-&-Fun-Halle für die Dauer von fünf Jahren bewilligt, in dieser Zeit kann die Stadt Wien das Grundstück entsprechend nachwidmen. „Bei Projekten mit engem Zeitplan“, sagt Andreas Machold, Geschäftsführer der WIP Wiener Infrastruktur Projekt GmbH, auf Anfrage des ΔTANDARD, „ist das ein durchaus übliches Vorgehen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden an das dann bereits bestehende Gebäude nachträglich angepasst.“
Die Stimmung in der zwölf Millionen Euro teuren Halle ist sehr angenehm. Ein Holzleichtbau mit Leimbinderstützen, luftig leichtem Holzfachwerk und duftenden Wänden aus Brettsperrholz. Darüber ein Lichtband aus Polycarbonat-Stegplatten, die ein mattes, diffuses Licht ins Innere bringen. Sportflächen für Streetsoccer, Street-Basketball, Inline-Hockey, Badminton und sogar Beachvolleyball. Am Ende eine betonierte Galerie mit korallenrot eingefärbten Böden, Treppen und Metallgeländern. Roland Rainers Stadthallenbad lässt grüßen. Eine sportliche Referenz. „Die Architekten haben die Bauaufgabe adäquat gelöst, ein hübsches Projekt, wenngleich eine monofunktionale Kiste auf der grünen Wiese im Sinne der Stadtverdichtung und Nutzungsmischung der absolut falsche Ansatz ist“, sagt der Leopoldstädter Bezirksvorsteher-Stellvertreter Bernhard Seitz (Grüne). „Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieses Bauwerk illegal errichtet wurde. Die Stadt Wien als Auftraggeberin und bewilligende Baubehörde in institutioneller Union hat sich hier selbst ein Okay gegeben.“
Fragen bitte nur schriftlich
Noch schärfer formuliert es Lorenz E. Riegler, Allright Rechtsanwälte, der im Auftrag der Grünen im September 2022 ein Gutachten erstellte. „Jeder andere Bauwerber, der in seiner Einreichplanung nur ein Prozent von der Wiener Bauordnung abweicht, wird wieder heimgeschickt. Hier ist man zu 100 Prozent abgewichen und hat dennoch einen positiven Baubescheid bekommen, der von der Stadt Wien und der Baupolizei jedoch unter Verschluss gehalten wird. Auch mir wurde die Einsicht in den Akt verweigert. Dieses Projekt ist eine schwere Wunde im Rechtsstaat, die man nur schwer wieder verarzten kann.“
Sämtliche Projektbeteiligte beziehen sich in ihren Stellungnahmen darauf, dass so ein Prozedere bei öffentlichen Bauvorhaben „ein ganz normaler, üblicher Vorgang“ sei, dass die Halle „streng baurechtlich betrachtet legal“ errichtet worden sei. Fragt sich nur: Warum spricht dann niemand mit den Anrainern und Skeptikerinnen darüber? Warum fährt die Stadt Wien eine Kommunikationskampagne des Schweigens? Und warum bekommt eine Tageszeitung bei der Stadt Wien, bei der Bezirksvorstehung und den involvierten Magistratsabteilungen keine telefonische Auskunft? Fragen zu diesem Projekt, heißt es, bitte nur schriftlich.
800 Meter Luftlinie von der Sport-&-Fun-Halle entfernt steht angrenzend zum Freudplatz eine weitere Kuriosität, die sich derzeit im Rohbau befindet – das Panorama Vienna, ein 34 Meter hoher Betonzylinder, also genau ein Meter unter dem Schwellenwert zur Wiener Hochhausregelung. Das Projekt der Berliner Unternehmerin Ilona Cardoso Vicente wird ein 3500 Quadratmeter großes 360-Grad-Rundgemälde beheimaten, das im Jahresrhythmus kuratiert und ausgetauscht werden soll. Auf der Website bezieht man sich auf die Wiener Weltausstellung anno 1873, die heuer ihr 150. Jubiläum feiert.
Der Innenraum ist gewaltig, die Nachhallzeit im Gespräch mit der Bauherrin beträgt beeindruckende sieben, acht Sekunden, das wird schon eine Wucht werden. Etwas befremdlicher hingegen mutet das Rendering an, das die Vida Panorama GmbH vor einigen Jahren im Umlauf gebracht hat und das ein wenig an ein Gasspeicherbecken in der OMV-Raffinerie Schwechat erinnert. Die MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) spricht in ihrer Stellungnahme von einem „skulpturalen Gebäudekomplex“ und einem „stadtgestalterischen Bindeglied“. Hmmm.
Kein Innovationsschub
Der Wiener Stadthistoriker Peter Payer sieht das anders: „Die Bauten im historischen Prater und vor allem auf der Weltausstellung 1873 haben sich stets durch eine hohe Innovationskraft ausgezeichnet, die Attraktionen waren ein Versuchslabor mit einem oft lustvollen, sinnlichen, illusorischen, jedenfalls hohen baulichen Anspruch. Auf dem Rendering macht das Gebäude einen nüchternen, abweisenden Eindruck. Ein Innovationsschub teilt sich hier nicht wirklich mit.“
Bauherrin Vicente und ihr Architekturbüro WGA entgegnen, der Stand sei längst überholt, es werde an einer modernen Energiefassade mit PV-Modulen und teilweiser Begrünung gearbeitet. „Wir sind auf dem Designweg unterwegs. Bitte beurteilen Sie uns erst, wenn das Projekt abgeschlossen und das Federkleid montiert ist.“ Mehr wird derzeit nicht verraten. Die Stadt Wien beansprucht für sich, eine lebenswerte Stadt mit innovativer Stadtplanung, transparenten Prozessen und einem regen Austausch mit ihrer Zivilbevölkerung zu sein. Selbstbild und Fremdbild müssen dringend in Einklang gebracht werden. Bis dahin gilt: Hereinspaziert ins Kuriositätenkabinett!
„Nachdem klar war, dass die alte Sporthalle neben dem Ferry-Dusika-Stadion abgerissen wird, um Platz für den neuen Fernbusbahnhof zu machen“, sagt Architekt Michael Schluder, während er die Tür in die soeben fertiggestellte Sporthalle aufsperrt, „hatte die Stadt Wien die Verpflichtung, rasch eine Ersatzhalle zu errichten. Es gab eine Standortanalyse, und wir wurden eingeladen, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen und ein Anbot vorzulegen. Basierend darauf haben wir einen Entwurf und eine mit der Auftraggeberin und den Behörden abgestimmte Einreichung nach § 71 der Wiener Bauordnung erstellt.“
Und jetzt wird’s kompliziert. Denn der Flächenwidmungsplan für das besagte Grundstück in der Venediger Au, in der von 1895 bis 1901 singende Gondolieri die Besucher auf eine venezianische Kanalreise entführt hatten, sieht für die Parzelle zwar eine sogenannte „Esp Erholungsfläche Sport“ vor, die die Errichtung sportnaher Bauten ermöglicht – allerdings mit einem nicht unwesentlichen Passus namens „BB1 Besondere Bestimmungen“, die im Wiener Gemeinderat im Mai 2003 beschlossen wurden: „Auf der mit BB1 bezeichneten und als Grünland (…) gewidmeten Grundfläche dürfen keine Gebäude errichtet werden.“
Zumindest temporär
Stadt Wien und Architekt haben darauf mit besagtem § 71 reagiert. Dieser ermöglicht, selbst auf einem Grundstück mit noch nicht projektkonformer Flächenwidmung und Bebauungsbestimmung ein zumindest temporäres Bauwerk zu errichten. In diesem Fall ist die Sport-&-Fun-Halle für die Dauer von fünf Jahren bewilligt, in dieser Zeit kann die Stadt Wien das Grundstück entsprechend nachwidmen. „Bei Projekten mit engem Zeitplan“, sagt Andreas Machold, Geschäftsführer der WIP Wiener Infrastruktur Projekt GmbH, auf Anfrage des ΔTANDARD, „ist das ein durchaus übliches Vorgehen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden an das dann bereits bestehende Gebäude nachträglich angepasst.“
Die Stimmung in der zwölf Millionen Euro teuren Halle ist sehr angenehm. Ein Holzleichtbau mit Leimbinderstützen, luftig leichtem Holzfachwerk und duftenden Wänden aus Brettsperrholz. Darüber ein Lichtband aus Polycarbonat-Stegplatten, die ein mattes, diffuses Licht ins Innere bringen. Sportflächen für Streetsoccer, Street-Basketball, Inline-Hockey, Badminton und sogar Beachvolleyball. Am Ende eine betonierte Galerie mit korallenrot eingefärbten Böden, Treppen und Metallgeländern. Roland Rainers Stadthallenbad lässt grüßen. Eine sportliche Referenz. „Die Architekten haben die Bauaufgabe adäquat gelöst, ein hübsches Projekt, wenngleich eine monofunktionale Kiste auf der grünen Wiese im Sinne der Stadtverdichtung und Nutzungsmischung der absolut falsche Ansatz ist“, sagt der Leopoldstädter Bezirksvorsteher-Stellvertreter Bernhard Seitz (Grüne). „Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieses Bauwerk illegal errichtet wurde. Die Stadt Wien als Auftraggeberin und bewilligende Baubehörde in institutioneller Union hat sich hier selbst ein Okay gegeben.“
Fragen bitte nur schriftlich
Noch schärfer formuliert es Lorenz E. Riegler, Allright Rechtsanwälte, der im Auftrag der Grünen im September 2022 ein Gutachten erstellte. „Jeder andere Bauwerber, der in seiner Einreichplanung nur ein Prozent von der Wiener Bauordnung abweicht, wird wieder heimgeschickt. Hier ist man zu 100 Prozent abgewichen und hat dennoch einen positiven Baubescheid bekommen, der von der Stadt Wien und der Baupolizei jedoch unter Verschluss gehalten wird. Auch mir wurde die Einsicht in den Akt verweigert. Dieses Projekt ist eine schwere Wunde im Rechtsstaat, die man nur schwer wieder verarzten kann.“
Sämtliche Projektbeteiligte beziehen sich in ihren Stellungnahmen darauf, dass so ein Prozedere bei öffentlichen Bauvorhaben „ein ganz normaler, üblicher Vorgang“ sei, dass die Halle „streng baurechtlich betrachtet legal“ errichtet worden sei. Fragt sich nur: Warum spricht dann niemand mit den Anrainern und Skeptikerinnen darüber? Warum fährt die Stadt Wien eine Kommunikationskampagne des Schweigens? Und warum bekommt eine Tageszeitung bei der Stadt Wien, bei der Bezirksvorstehung und den involvierten Magistratsabteilungen keine telefonische Auskunft? Fragen zu diesem Projekt, heißt es, bitte nur schriftlich.
800 Meter Luftlinie von der Sport-&-Fun-Halle entfernt steht angrenzend zum Freudplatz eine weitere Kuriosität, die sich derzeit im Rohbau befindet – das Panorama Vienna, ein 34 Meter hoher Betonzylinder, also genau ein Meter unter dem Schwellenwert zur Wiener Hochhausregelung. Das Projekt der Berliner Unternehmerin Ilona Cardoso Vicente wird ein 3500 Quadratmeter großes 360-Grad-Rundgemälde beheimaten, das im Jahresrhythmus kuratiert und ausgetauscht werden soll. Auf der Website bezieht man sich auf die Wiener Weltausstellung anno 1873, die heuer ihr 150. Jubiläum feiert.
Der Innenraum ist gewaltig, die Nachhallzeit im Gespräch mit der Bauherrin beträgt beeindruckende sieben, acht Sekunden, das wird schon eine Wucht werden. Etwas befremdlicher hingegen mutet das Rendering an, das die Vida Panorama GmbH vor einigen Jahren im Umlauf gebracht hat und das ein wenig an ein Gasspeicherbecken in der OMV-Raffinerie Schwechat erinnert. Die MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) spricht in ihrer Stellungnahme von einem „skulpturalen Gebäudekomplex“ und einem „stadtgestalterischen Bindeglied“. Hmmm.
Kein Innovationsschub
Der Wiener Stadthistoriker Peter Payer sieht das anders: „Die Bauten im historischen Prater und vor allem auf der Weltausstellung 1873 haben sich stets durch eine hohe Innovationskraft ausgezeichnet, die Attraktionen waren ein Versuchslabor mit einem oft lustvollen, sinnlichen, illusorischen, jedenfalls hohen baulichen Anspruch. Auf dem Rendering macht das Gebäude einen nüchternen, abweisenden Eindruck. Ein Innovationsschub teilt sich hier nicht wirklich mit.“
Bauherrin Vicente und ihr Architekturbüro WGA entgegnen, der Stand sei längst überholt, es werde an einer modernen Energiefassade mit PV-Modulen und teilweiser Begrünung gearbeitet. „Wir sind auf dem Designweg unterwegs. Bitte beurteilen Sie uns erst, wenn das Projekt abgeschlossen und das Federkleid montiert ist.“ Mehr wird derzeit nicht verraten. Die Stadt Wien beansprucht für sich, eine lebenswerte Stadt mit innovativer Stadtplanung, transparenten Prozessen und einem regen Austausch mit ihrer Zivilbevölkerung zu sein. Selbstbild und Fremdbild müssen dringend in Einklang gebracht werden. Bis dahin gilt: Hereinspaziert ins Kuriositätenkabinett!
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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