Artikel
Last Exit Kreisverkehr
Eine Gemeinde im steirischen Speckgürtel sucht ihre fehlende Mitte und will dabei die Zersiedelung und die Abhängigkeit vom Autoverkehr einbremsen. Mit Engagement, Expertise und Transparenz. Ein Ortsbesuch in Hart bei Graz.
29. Juli 2023 - Maik Novotny
Schön ist anders. Bewegt man sich durch den südlichen Speckgürtel von Graz, streiten sich im Kopf die Botschaften „Augen zu und durch“ und „Augen auf die Fahrbahn!“. Es gibt sehr viele Fahrbahnen im südlichen Speckgürtel von Graz, wo sich in der Murebene die Verkehrswege von und nach Wien, Slowenien und Kärnten verschlingen, ein ausgebreiteter Nudelauflauf aus Abbiegespuren, dazwischen Shoppingcenter, Baumärkte, Autohäuser, Parkplätze. Nach vielen Abbiegespuren, am Rand des Hügellands: ein Ort namens Hart bei Graz.
Ein Ort, dem bis vor kurzem etwas fehlte, was man von Orten gewohnheitsmäßig erwartet: die Mitte. Noch vor 20 Jahren bestand Hart aus willkürlich verteilten Häusern zwischen Bahn, Pacher-Hauptstraße und Südautobahn, irgendwo dazwischen ein Supermarkt, am Ortsrand ein Logistikunternehmen mit 4000 Mitarbeitern. Wie viele Speckgürtelkommunen in Österreich ist Hart eine reiche und schnell wachsende Gemeinde, in den letzten 30 Jahren hat sich die Einwohnerzahl fast verdoppelt.
Und inzwischen hat Hart dort, wo vor wenigen Jahren nur eine Wiese war, auch so etwas wie eine Ortsmitte. Ein Geschäftszentrum in schnittigem Rot, ein Hotel in Cremeweiß, ein überdimensionierter Wohnbau in Lila, ein besser dimensionierter Wohnbau in Blassgrün, in den auch das Gemeindeamt eingezogen ist. All dies mit viel Gestaltungslust umgesetzt, mal kantig-schnittig, mal gekurvt, ein Freiluftmuseum aller architektonischen Moden der letzten 25 Jahre. Zwischen all dem: ein Kreisverkehr, der jeden Tag von 10.000 Fahrzeugen umkurvt wird. Eine Umfrage unter den Bewohnerinnen und Bewohnern, was sie als Ortszentrum definieren, ergab zwei Antworten: erstens Kreisverkehr, zweitens Parkplatz.
Café statt Parkplatz
Das, sagt Bürgermeister Jakob Frey im Besprechungsraum des blassgrünen Gemeindeamts, muss sich ändern. Seit der Gemeinderatswahl 2015 ist er im Amt, seit 2020 ist seine Bürgerliste Lebenswertes Hart bei Graz stärkste Fraktion. Ihre wichtigste Mission: dem Ort ein Zentrum zu geben, und zwar ein richtiges. Zu Beginn stand ein Bürgerbeteiligungsprozess, der erste Ziele lieferte: die Zersiedelung bremsen, kurze Wege per Fuß und Rad fördern, die parkenden Autos möglichst von der Oberfläche entfernen, dafür eine Bäckerei, ein Café und ein Wirtshaus hinzufügen. Das heißt auch: weg mit dem Kreisverkehr!
„Wir wissen, dass das ein langwieriger Prozess ist“, sagt Frey. „Aber wir wollen den Fatalismus, dass hier nichts mehr zu machen ist, nicht akzeptieren. Wir wollen ein Zentrum mit Aufenthaltsqualität.“ Das heißt auch: die Mitte baulich verdichten, anstatt an den Rändern auszufransen. Die Baulandreserven in Hart sind enorm, und anstatt sorglos noch weitere auszuweisen, hat man sich selbst eine Sperre auferlegt. „Die Frage ist, wie wir den Leuten vermittelt, dass wir im Ortszentrum noch dichter und vielleicht höher bauen und dass ein weiteres Einwohnerwachstum nicht mit mehr Belastung gleichzusetzen ist“, weiß der Bürgermeister. Das Risiko ist real: sein Vorgänger wurde als „Zubetonierer“ betitelt und abgewählt.
Rat von Experten
Andere hätten hier zurückgesteckt, doch in Hart tat man das Gegenteil: Man holte sich Rat von Expertinnen und Experten in Form eines städtebaulichen Wettbewerbs. „Wir brauchen einen gebildeten, aufmerksamen Blick und eine Kultur, die anerkennt, dass Architektur einen Wert darstellt, so wie es in anderen Ländern wie der Schweiz ganz selbstverständlich ist“, sagt Robert Gölles, Projektleiter bei der Gemeinde und selbst Architekt.
Acht Büros inklusive Landschaftsplaner wurden geladen, im April wählte die mit den Architektinnen Silja Tillner und Aglaée Degros (TU Graz) hochkarätig besetzte Jury das Projekt „Stadtterrassen“ von Volker Giencke aus Graz aus, den mit Abstand landschaftlichsten aller Entwürfe, der den Kreisverkehr durch eine terrassierte Grünfläche mit zwei Stadtplätzen und Begegnungszone ersetzt und so die stilistisch wild wuchernde Architektur aus dem ersten Zentrumsversuch der frühen Nullerjahre in einen Zusammenhang bringt. „Der Wettbewerb war ein wirklich wegweisendes Verfahren, das alle Themen beinhaltet, die uns im Moment beschäftigen: Verkehr, Klimaresilienz, Freiräume, Nachverdichtung, leistbarer Wohnraum“, so Silja Tillner. „Das Siegerprojekt gibt eine Antwort auf die Frage, wie wir mit unseren Ballungszentren umgehen: Muss alles urban werden? Oder schaffen wir lieber gute Freiräume und versiegeln den Boden nur dort, wo es unbedingt sein muss?“
Beispielhaft transparent
Beispielhaft ist neben der Tatsache, dass sich eine 5400-Einwohner-Gemeinde einen solchen Wettbewerb leistet, auch die Transparenz des Prozesses: Die Ergebnisse wurden öffentlich ausgestellt und sind alle auf der Gemeindewebsite einsehbar, ein Vorbild für jene Gemeinden, Magistratsabteilungen, Bundesländer oder Ministerien, die noch der Meinung sind, zu viel Information würde die Bevölkerung beunruhigen oder gar, Gott bewahre, für Diskussionen sorgen. Vor Diskussionen hat man in Hart bei Graz keine Angst. Auch Volker Giencke stand den Hartern während der Ausstellung Rede und Antwort und resümiert zufrieden: „Es gab sehr viele Fragen, und wir haben sie auch beantworten können. Es herrscht eine sehr gute Stimmung in der Gemeinde.“
Noch steht man am Anfang, und die Verlegung der Landesstraße aus dem Ort heraus, ohne die sich eine Begegnungszone nicht umsetzen lässt, ist noch nicht in trockenen Tüchern. Aber der Mut, mit dem hier versucht wird, das Wachstum des Stadtrandes in verträgliche Bahnen zu leiten, zeigt, dass es auch anders geht als etwa im niederösterreichischen Grafenwörth, das derzeit aufgrund des in jeder Hinsicht fragwürdigen, vom dortigen Bürgermeister betriebenen „Sonnenweiher“-Megaprojekts in der Diskussion steht. Und es ist eine Mahnung an die höheren Entscheidungsebenen, die im Juni aufgrund von Zaghaftigkeiten und Befindlichkeiten vorerst gescheiterte österreichische Bodenstrategie wieder anzugehen. Damit man jene Gemeinden mit guten Ideen, wie Hart bei Graz, nicht allein kämpfen lässt.
Ein Ort, dem bis vor kurzem etwas fehlte, was man von Orten gewohnheitsmäßig erwartet: die Mitte. Noch vor 20 Jahren bestand Hart aus willkürlich verteilten Häusern zwischen Bahn, Pacher-Hauptstraße und Südautobahn, irgendwo dazwischen ein Supermarkt, am Ortsrand ein Logistikunternehmen mit 4000 Mitarbeitern. Wie viele Speckgürtelkommunen in Österreich ist Hart eine reiche und schnell wachsende Gemeinde, in den letzten 30 Jahren hat sich die Einwohnerzahl fast verdoppelt.
Und inzwischen hat Hart dort, wo vor wenigen Jahren nur eine Wiese war, auch so etwas wie eine Ortsmitte. Ein Geschäftszentrum in schnittigem Rot, ein Hotel in Cremeweiß, ein überdimensionierter Wohnbau in Lila, ein besser dimensionierter Wohnbau in Blassgrün, in den auch das Gemeindeamt eingezogen ist. All dies mit viel Gestaltungslust umgesetzt, mal kantig-schnittig, mal gekurvt, ein Freiluftmuseum aller architektonischen Moden der letzten 25 Jahre. Zwischen all dem: ein Kreisverkehr, der jeden Tag von 10.000 Fahrzeugen umkurvt wird. Eine Umfrage unter den Bewohnerinnen und Bewohnern, was sie als Ortszentrum definieren, ergab zwei Antworten: erstens Kreisverkehr, zweitens Parkplatz.
Café statt Parkplatz
Das, sagt Bürgermeister Jakob Frey im Besprechungsraum des blassgrünen Gemeindeamts, muss sich ändern. Seit der Gemeinderatswahl 2015 ist er im Amt, seit 2020 ist seine Bürgerliste Lebenswertes Hart bei Graz stärkste Fraktion. Ihre wichtigste Mission: dem Ort ein Zentrum zu geben, und zwar ein richtiges. Zu Beginn stand ein Bürgerbeteiligungsprozess, der erste Ziele lieferte: die Zersiedelung bremsen, kurze Wege per Fuß und Rad fördern, die parkenden Autos möglichst von der Oberfläche entfernen, dafür eine Bäckerei, ein Café und ein Wirtshaus hinzufügen. Das heißt auch: weg mit dem Kreisverkehr!
„Wir wissen, dass das ein langwieriger Prozess ist“, sagt Frey. „Aber wir wollen den Fatalismus, dass hier nichts mehr zu machen ist, nicht akzeptieren. Wir wollen ein Zentrum mit Aufenthaltsqualität.“ Das heißt auch: die Mitte baulich verdichten, anstatt an den Rändern auszufransen. Die Baulandreserven in Hart sind enorm, und anstatt sorglos noch weitere auszuweisen, hat man sich selbst eine Sperre auferlegt. „Die Frage ist, wie wir den Leuten vermittelt, dass wir im Ortszentrum noch dichter und vielleicht höher bauen und dass ein weiteres Einwohnerwachstum nicht mit mehr Belastung gleichzusetzen ist“, weiß der Bürgermeister. Das Risiko ist real: sein Vorgänger wurde als „Zubetonierer“ betitelt und abgewählt.
Rat von Experten
Andere hätten hier zurückgesteckt, doch in Hart tat man das Gegenteil: Man holte sich Rat von Expertinnen und Experten in Form eines städtebaulichen Wettbewerbs. „Wir brauchen einen gebildeten, aufmerksamen Blick und eine Kultur, die anerkennt, dass Architektur einen Wert darstellt, so wie es in anderen Ländern wie der Schweiz ganz selbstverständlich ist“, sagt Robert Gölles, Projektleiter bei der Gemeinde und selbst Architekt.
Acht Büros inklusive Landschaftsplaner wurden geladen, im April wählte die mit den Architektinnen Silja Tillner und Aglaée Degros (TU Graz) hochkarätig besetzte Jury das Projekt „Stadtterrassen“ von Volker Giencke aus Graz aus, den mit Abstand landschaftlichsten aller Entwürfe, der den Kreisverkehr durch eine terrassierte Grünfläche mit zwei Stadtplätzen und Begegnungszone ersetzt und so die stilistisch wild wuchernde Architektur aus dem ersten Zentrumsversuch der frühen Nullerjahre in einen Zusammenhang bringt. „Der Wettbewerb war ein wirklich wegweisendes Verfahren, das alle Themen beinhaltet, die uns im Moment beschäftigen: Verkehr, Klimaresilienz, Freiräume, Nachverdichtung, leistbarer Wohnraum“, so Silja Tillner. „Das Siegerprojekt gibt eine Antwort auf die Frage, wie wir mit unseren Ballungszentren umgehen: Muss alles urban werden? Oder schaffen wir lieber gute Freiräume und versiegeln den Boden nur dort, wo es unbedingt sein muss?“
Beispielhaft transparent
Beispielhaft ist neben der Tatsache, dass sich eine 5400-Einwohner-Gemeinde einen solchen Wettbewerb leistet, auch die Transparenz des Prozesses: Die Ergebnisse wurden öffentlich ausgestellt und sind alle auf der Gemeindewebsite einsehbar, ein Vorbild für jene Gemeinden, Magistratsabteilungen, Bundesländer oder Ministerien, die noch der Meinung sind, zu viel Information würde die Bevölkerung beunruhigen oder gar, Gott bewahre, für Diskussionen sorgen. Vor Diskussionen hat man in Hart bei Graz keine Angst. Auch Volker Giencke stand den Hartern während der Ausstellung Rede und Antwort und resümiert zufrieden: „Es gab sehr viele Fragen, und wir haben sie auch beantworten können. Es herrscht eine sehr gute Stimmung in der Gemeinde.“
Noch steht man am Anfang, und die Verlegung der Landesstraße aus dem Ort heraus, ohne die sich eine Begegnungszone nicht umsetzen lässt, ist noch nicht in trockenen Tüchern. Aber der Mut, mit dem hier versucht wird, das Wachstum des Stadtrandes in verträgliche Bahnen zu leiten, zeigt, dass es auch anders geht als etwa im niederösterreichischen Grafenwörth, das derzeit aufgrund des in jeder Hinsicht fragwürdigen, vom dortigen Bürgermeister betriebenen „Sonnenweiher“-Megaprojekts in der Diskussion steht. Und es ist eine Mahnung an die höheren Entscheidungsebenen, die im Juni aufgrund von Zaghaftigkeiten und Befindlichkeiten vorerst gescheiterte österreichische Bodenstrategie wieder anzugehen. Damit man jene Gemeinden mit guten Ideen, wie Hart bei Graz, nicht allein kämpfen lässt.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom