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Düsseldorf: Das Urban Design hält hier nicht mit
Nach eineinhalb Jahrzehnten Großbaustelle wurde Düsseldorfs größter Verkehrsknotenpunkt zu einem Aushängeschild der Stadt, gesäumt von Prestigebauten. Ein urbaner Platz ist er trotz Planung durch Stararchitekten dennoch nicht geworden.
2. August 2023 - Harald A. Jahn
Die Geschichte des Areals beginnt mit der Französischen Revolution: 1795 wurde die Stadt besetzt und musste die Befestigungsanlagen abbrechen. Unter Napoleons Herrschaft entstanden elegante Parks und Alleen, und bis heute spürt man entlang der berühmten Königsallee französischen Urbanismus: ein geradliniger Boulevard entlang der Altstadt und in den Hofgarten mündend, mit einem 30 Meter breiten Stadtgraben. Am nördlichen Ende des Boulevards weitet sich der Kanal zu einem Teich, die Hofgartenstraße entlang dieser „Landskrone“ beschreibt einen Viertelkreisbogen: den „Kö-Bogen“. Die Gründerzeit füllte die Grundstücke in bester Lage mit repräsentativen Wohngebäuden und Stadtpalais. Nach dem Zweiten Weltkrieg war von der Pracht wenig übrig: Die nächsten Jahre bestimmten Trümmergrundstücke das Stadtbild.
Dann folgte Düsseldorf wie viele andere deutsche Städte dem Zeitgeist – frühere Plätze des Aufenthalts wurden zu Transitbereichen. Über die neu entstandene freie Fläche spannte man eine Hochstraße, die ehemals elegante, nun unbebaute Hofgartenstraße wurde zur dreispurigen Schnellstraßenrampe, zwischen den Betonbändern entstand der größte Straßenbahnknoten der Stadt. Es waren die Träume der autogerechten Stadt, die teilweise mehr zerstörten als der Krieg davor, vorangetrieben ausgerechnet von Friedrich Tamms: Vor 1945 war er Mitarbeiter von Albert Speer gewesen, in Wien ist er als Erbauer der Flaktürme bekannt. Ab 1948 leitete er das Stadtplanungsamt Düsseldorf und war maßgeblich für die Straßenachse durch den Hofgarten verantwortlich, deren von den Düsseldorfern „Tausendfüßler“ genannte Stelzenstraße den Bereich einige Jahrzehnte dominierte.
Das „Dreischeibenhaus“ als Symbol der Wirtschaftswunderjahre
Aus derselben Epoche stammt eines der bekanntesten Hochhäuser Deutschlands: das „Dreischeibenhaus“ als hoch aufragendes Symbol der Wirtschaftswunderjahre, errichtet durch das Paradeunternehmen Thyssen. 1960 fertiggestellt, wurden hier drei schlanke Scheiben unterschiedlicher Breite und Höhe aneinandergefügt, sie sollen an aufrecht stehende Stahlbrammen erinnern. Als Gegenstück zu den harten Formen des Bürohochhauses wurde ab 1965 daneben das Düsseldorfer Schauspielhaus gebaut, ein skulpturaler Baukörper des Architekten Bernhard Pfau, bei der Eröffnung 1970 präzise den Stil der Zeit treffend. Bewusst kontrastieren die fließenden Formen des Schauspielhauses die extrem reduzierte Großform des Nachbarhauses. Beide Gebäude sind von hoher Qualität, wurden unlängst renoviert und überzeugen bis heute.
Mit der Entscheidung für einen neuen Straßenbahntunnel durch die Innenstadt begann die Neuordnung des ganzen Bereichs. Durch den Wegfall der oberirdischen Gleisanlagen konnte der Platz neu gewidmet werden. 2012 entschied die Stadt, auch die Nord-Süd-Straßenverbindung und damit den „Tausendfüßler“ durch Tunnels zu ersetzen, um bei der Neugestaltung des Kö-Bogen-Areals mehr Spielraum zu haben. Doch war der Abriss nicht unumstritten, das durchaus elegante Verkehrsbauwerk stand unter Denkmalschutz. In einer ersten Etappe wurde der Jan-Wellem-Platz nach Plänen von Daniel Libeskind mit einem Bürokomplex bebaut. Zum Teich der „Landskrone“ hin bilden die beiden Gebäude eine klare Kante entlang der früheren Hofgartenstraße, stadtseitig schwingen die Fassaden in Wellen und nehmen die skulpturale Fassade des Schauspielhauses auf. Die weißen Natursteinfassaden zur Kö und zum Park werden von bepflanzten Einkerbungen aufgebrochen: Schwebende Gärten nehmen auf den Park gegenüber Bezug, auch wenn diese „Cuts“ bemüht und unruhig wirken. In den Geschäftslokalen der Platzseite finden sich die üblichen Ketten.
Die schräge Wiese ist ein beliebter Selfie-Punkt
2009 gab es bereits einen Wettbewerbssieger für die Richtung Schauspielhaus anschließende Bebauung, die nach Fertigstellung des Straßenbahntunnels starten sollte. Allerdings öffnete der Abriss des „Tausendfüßlers“ 2013 neue Blickachsen und sorgte für Diskussionen über die Bebauungspläne: zurück an den Start. Schlussendlich erhielt das Büro Ingenhoven den neuen Planungsauftrag. Christoph Ingenhoven, ein Hollein-Schüler, sieht sich als Vorreiter nachhaltiger Architektur, dementsprechend sind die Fassaden seines Entwurfs stark bepflanzt: Etwa 8000 Laufmeter Hainbuchenhecken ergeben eine grüne Treppe. Das Gebäude bildet entlang der freigehaltenen Sichtachse zum Schauspielhaus ein „Tal“, dessen zweiter „Hang“ eine hochgeklappte Grasfläche ist. Insgesamt kaschiert die wuschelige Architektur nur mühsam das zu große Volumen des schiefwinkeligen Baukörpers; nicht jede Kubatur ist im Stadtgefüge verträglich, nur weil sie unter einem Blätterdach verschwindet.
Wenngleich die schräge Wiese ein inzwischen beliebter Selfie-Punkt ist: Die Blickachse wirkt am besten von einem erhöhten Standort, für den man aber ein Privatgebäude aufsuchen muss. Aus Fußgängerperspektive stört die aufgekippte grüne Scholle, sie nimmt dem Dreischeibenhaus die untersten Geschoße und hat keine besondere Funktion. Hier spürt man das provinzielle Denken, das im deutschsprachigen Raum wirklich große Architekturgesten und klare urbane Plätze unmöglich macht: In der Sichtachse stehen U-Bahn-Abgänge und die belanglosen Gastgartenmöbel eines Restaurants.
Auch am Gustav-Gründgens-Platz, dem Höhepunkt der Architektursammlung, verblüffen ungeschickte Details: Weil vor dem Dreischeibenhaus unbedingt Parkplätze nötig waren, trennen nun kniehohe Betontrommeln die Zufahrt vom Fußgängerbereich. Auf dem Platz steht ein banaler Kaffeehaus-Glaspavillon, der Bodenbelag ist eine glatte Betonfläche. Das Urban Design kann mit den Prestigeobjekten nicht mithalten, gleichzeitig offenbart die Gesamtplanung ihre Schwäche: Es ist eine Ansammlung von Solitärbauten, die kein großes Ganzes ergeben und gleichzeitig zu modisch sind, um sich harmonisch in die gewachsene Stadt einzufügen. Das Dreischeibenhaus ist eine einzigartige Architekturikone – aber dem dramatisch aufgeschlitzten Libeskind-Bau kann man schon jetzt beim Altern zusehen, und das Ingenhoven-Tal benötigt laufend Pflege. Es ist vorhersehbar, welche der Objekte man in 20 Jahren stirnrunzelnd belächeln wird.
Dann folgte Düsseldorf wie viele andere deutsche Städte dem Zeitgeist – frühere Plätze des Aufenthalts wurden zu Transitbereichen. Über die neu entstandene freie Fläche spannte man eine Hochstraße, die ehemals elegante, nun unbebaute Hofgartenstraße wurde zur dreispurigen Schnellstraßenrampe, zwischen den Betonbändern entstand der größte Straßenbahnknoten der Stadt. Es waren die Träume der autogerechten Stadt, die teilweise mehr zerstörten als der Krieg davor, vorangetrieben ausgerechnet von Friedrich Tamms: Vor 1945 war er Mitarbeiter von Albert Speer gewesen, in Wien ist er als Erbauer der Flaktürme bekannt. Ab 1948 leitete er das Stadtplanungsamt Düsseldorf und war maßgeblich für die Straßenachse durch den Hofgarten verantwortlich, deren von den Düsseldorfern „Tausendfüßler“ genannte Stelzenstraße den Bereich einige Jahrzehnte dominierte.
Das „Dreischeibenhaus“ als Symbol der Wirtschaftswunderjahre
Aus derselben Epoche stammt eines der bekanntesten Hochhäuser Deutschlands: das „Dreischeibenhaus“ als hoch aufragendes Symbol der Wirtschaftswunderjahre, errichtet durch das Paradeunternehmen Thyssen. 1960 fertiggestellt, wurden hier drei schlanke Scheiben unterschiedlicher Breite und Höhe aneinandergefügt, sie sollen an aufrecht stehende Stahlbrammen erinnern. Als Gegenstück zu den harten Formen des Bürohochhauses wurde ab 1965 daneben das Düsseldorfer Schauspielhaus gebaut, ein skulpturaler Baukörper des Architekten Bernhard Pfau, bei der Eröffnung 1970 präzise den Stil der Zeit treffend. Bewusst kontrastieren die fließenden Formen des Schauspielhauses die extrem reduzierte Großform des Nachbarhauses. Beide Gebäude sind von hoher Qualität, wurden unlängst renoviert und überzeugen bis heute.
Mit der Entscheidung für einen neuen Straßenbahntunnel durch die Innenstadt begann die Neuordnung des ganzen Bereichs. Durch den Wegfall der oberirdischen Gleisanlagen konnte der Platz neu gewidmet werden. 2012 entschied die Stadt, auch die Nord-Süd-Straßenverbindung und damit den „Tausendfüßler“ durch Tunnels zu ersetzen, um bei der Neugestaltung des Kö-Bogen-Areals mehr Spielraum zu haben. Doch war der Abriss nicht unumstritten, das durchaus elegante Verkehrsbauwerk stand unter Denkmalschutz. In einer ersten Etappe wurde der Jan-Wellem-Platz nach Plänen von Daniel Libeskind mit einem Bürokomplex bebaut. Zum Teich der „Landskrone“ hin bilden die beiden Gebäude eine klare Kante entlang der früheren Hofgartenstraße, stadtseitig schwingen die Fassaden in Wellen und nehmen die skulpturale Fassade des Schauspielhauses auf. Die weißen Natursteinfassaden zur Kö und zum Park werden von bepflanzten Einkerbungen aufgebrochen: Schwebende Gärten nehmen auf den Park gegenüber Bezug, auch wenn diese „Cuts“ bemüht und unruhig wirken. In den Geschäftslokalen der Platzseite finden sich die üblichen Ketten.
Die schräge Wiese ist ein beliebter Selfie-Punkt
2009 gab es bereits einen Wettbewerbssieger für die Richtung Schauspielhaus anschließende Bebauung, die nach Fertigstellung des Straßenbahntunnels starten sollte. Allerdings öffnete der Abriss des „Tausendfüßlers“ 2013 neue Blickachsen und sorgte für Diskussionen über die Bebauungspläne: zurück an den Start. Schlussendlich erhielt das Büro Ingenhoven den neuen Planungsauftrag. Christoph Ingenhoven, ein Hollein-Schüler, sieht sich als Vorreiter nachhaltiger Architektur, dementsprechend sind die Fassaden seines Entwurfs stark bepflanzt: Etwa 8000 Laufmeter Hainbuchenhecken ergeben eine grüne Treppe. Das Gebäude bildet entlang der freigehaltenen Sichtachse zum Schauspielhaus ein „Tal“, dessen zweiter „Hang“ eine hochgeklappte Grasfläche ist. Insgesamt kaschiert die wuschelige Architektur nur mühsam das zu große Volumen des schiefwinkeligen Baukörpers; nicht jede Kubatur ist im Stadtgefüge verträglich, nur weil sie unter einem Blätterdach verschwindet.
Wenngleich die schräge Wiese ein inzwischen beliebter Selfie-Punkt ist: Die Blickachse wirkt am besten von einem erhöhten Standort, für den man aber ein Privatgebäude aufsuchen muss. Aus Fußgängerperspektive stört die aufgekippte grüne Scholle, sie nimmt dem Dreischeibenhaus die untersten Geschoße und hat keine besondere Funktion. Hier spürt man das provinzielle Denken, das im deutschsprachigen Raum wirklich große Architekturgesten und klare urbane Plätze unmöglich macht: In der Sichtachse stehen U-Bahn-Abgänge und die belanglosen Gastgartenmöbel eines Restaurants.
Auch am Gustav-Gründgens-Platz, dem Höhepunkt der Architektursammlung, verblüffen ungeschickte Details: Weil vor dem Dreischeibenhaus unbedingt Parkplätze nötig waren, trennen nun kniehohe Betontrommeln die Zufahrt vom Fußgängerbereich. Auf dem Platz steht ein banaler Kaffeehaus-Glaspavillon, der Bodenbelag ist eine glatte Betonfläche. Das Urban Design kann mit den Prestigeobjekten nicht mithalten, gleichzeitig offenbart die Gesamtplanung ihre Schwäche: Es ist eine Ansammlung von Solitärbauten, die kein großes Ganzes ergeben und gleichzeitig zu modisch sind, um sich harmonisch in die gewachsene Stadt einzufügen. Das Dreischeibenhaus ist eine einzigartige Architekturikone – aber dem dramatisch aufgeschlitzten Libeskind-Bau kann man schon jetzt beim Altern zusehen, und das Ingenhoven-Tal benötigt laufend Pflege. Es ist vorhersehbar, welche der Objekte man in 20 Jahren stirnrunzelnd belächeln wird.
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