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Kann das Schiff da rauf?
Der Standard

„Kann die Wand da weg?“ Diese Frage stellt sich aktuell eine Münchner Ausstellung, die auf lustige und niederschwellige Weise einen Blick hinter die konstruktiven Kulissen der Architektur wirft.

5. August 2023 - Wojciech Czaja
Gleich neben der Münchner Großmarkthalle, nur wenige Winkelsekunden von der Isar entfernt, man traut seinen Augen kaum, ist auf der ehemaligen Eisenbahnbrücke ein Schiff vor Anker gegangen. „Und so ein Projekt“, sagt Thomas Beck, seines Zeichens Tragwerksplaner, im täglichen Sprachgebrauch den meisten eher als Statiker bekannt, „hat man nicht alle Tage. Für uns war die Berechnung und tragwerksplanerische Konzeption eine ziemliche Challenge, bei der wir sehr kreativ sein mussten, denn die Rahmenbedingungen waren mehr als verschärft.“

Was ist passiert? Einst war die MS Utting, Baujahr 1949, ein beliebtes Ausflugsschiff auf dem bayrischen Ammersee. Aufgrund technischer Mängel musste das 36 Meter lange Boot 2016 aus dem Verkehr gezogen und durch einen zeitgemäßen Nachfolger ersetzt werden. Daniel Hahn, ein wilder Hund in der Münchner Gastroszene, hatte die Idee, das ausgemusterte Ding zu kaufen, über der Lagerhausstraße zu parken und ihm neues Leben einzuhauchen – als Bar, Restaurant und Event-Location.

„Als wir das Projekt in Angriff genommen haben, war gerade Februar, das Schiff lag teilweise in gefrorenem Wasser“, erzählt Beck, Partner bei A.K.A. Ingenieuren. „Hinzu kommt, dass es fast keine Planunterlagen gab, mal abgesehen von einem alten, mäßig aussagekräftigen Spantenriss. Anhand der Wasserlinie, der Geometrie des Rumpfes und der Größe des Aufbaus waren wir gezwungen, das Schiffsgewicht zu schätzen. Die größte Erschwernis war, dass wir vom Auswassern im Ammersee bis zur Montage in München-Sendling ein Zeitfenster von einem Tag hatten. Es gab keinerlei Möglichkeit, einen Geometrieabgleich zu machen. Das ist echt verschärft!“

Mithilfe von Bockgestellen und unterschiedlich dimensionierten Holzkeilen, die in der Lage waren, Planabweichungen aufzunehmen, ist es gelungen, ein flexibles Tragwerkskonzept zu erstellen und das Schiff auf der stillgelegten Eisenbahnbrücke passgenau abzustellen. Sobald die beiden Krane ihre Arbeit erledigt hatten, konnte der Rumpf untermauert und mit einem massiven Fundament gestützt werden. Seit fünf Jahren ist das ehemalige Schiff, das mittlerweile auf den Namen Alte Utting hört, in Betrieb.

Diesen und vielen anderen Geschichten aus der Welt der Tragwerksplanung widmet die Architekturgalerie München im Bunker aktuell eine Ausstellung. Unter dem genialen, aus dem Alltag gegriffenen Titel Kann die Wand da weg? werden Projekte und Schlüsselmomente aus Thomas Becks beruflichem Leben geschildert. „Und ja“, sagt er, „die Frage, ob die Wand da, die Stütze da oder die Decke da wegkönne, die hört man als Tragwerksplaner, sobald man mit Bauherren in der Bestandssanierung zu tun hat, ziemlich regelmäßig.“

Für Nicola Borgmann, Direktorin der Architekturgalerie, ist es nicht das erste Mal, dass sie sich dem Thema widmet. Schon einmal, 2016, offenbarte sie in einer Ausstellung über die waghalsigen Hochhäuser und gigantischen, hauchdünnen Pencil-Skyscrapers des global tätigen, in New York ansässigen Ingenieurbüros SOM Skidmore, Owings & Merrill einen Blick hinter die konstruktiven Kulissen der Architektur.

„Architektur und Tragwerk sind untrennbar miteinander verbunden“, meint Borgmann, „und doch versteckt sich das eine Metier oft hinter dem anderen. Abgesehen von ein paar Architekturikonen wie etwa Centre Pompidou in Paris, Lloyd’s Building in London oder Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie in Berlin ist eine sichtbare, nachvollziehbare Konstruktion meist nicht erwünscht. Schade.“ Das bestätigt auch Beck. „Manchmal werden wir Tragwerksplaner einfach nur als Rechenknechte eingesetzt. Dann machen wir halt unseren Job und rechnen aus, was die Architekten sich wünschen, das ist schon okay. Aber die Großartigkeit unserer Arbeit startet dort, wo man grübeln, sich austoben und in enger Zusammenarbeit mit Bauherren und Architektinnen eine co-kreative Lösung schaffen kann.“ So wie die letzte Fahrt der MS Utting, die neben vielen anderen Projekten in München dokumentiert ist.

„Kann die Wand da weg?“ Bis 29. 9. in der Architekturgalerie München.

„Rechenknechte sind wir schon lange nicht mehr! Mittlerweile, habe ich das Gefühl, ist unsere Expertise in Fachkreisen anerkannt und wird auch sehr geschätzt. Natürlich ist nicht jedes einzelne Projekt, an dem man arbeitet, eine Neuerfindung des Rades, aber manche schon. Es gibt nichts Schöneres, als gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten und ein Gebäude wachsen und entstehen zu sehen.“
Klaus Bollinger, Bollinger & Grohmann

„Ich empfinde meinen Job nach vielen, vielen Berufsjahren immer noch als herausfordernd. Jeden Tag gibt es neue Fragen und neue Aufgabenstellungen. Die Normen und Bauordnungen ändern sich ständig, und dann erst die neuen Software-Releases! Ich mag diese Abwechslung und die Zusammenarbeit mit spannenden, interessanten Bauherren und Architektinnen. Mir wird nie fad.“
Gretl Salzer, Wien

„Für die Landesausstellung Steiermark in Herberstein haben wir kürzlich einen neuartigen kraftschlüssigen Verbindungsknoten aus Holz entwickelt. Das war handwerkliches Engineering vom Feinsten! Ich mag diese Momente, wenn einem der Knopf aufgeht. Und selbst, wenn man was ganz Neues, noch nie Dagewesenes macht, ist man als Ingenieur immer auf der sicheren Seite, denn wir können alles immer auch berechnen.“
Peter Bauer, Werkraum, Vizepräsident, Kammer der ZiviltechnikerInnen Wien, Niederösterreich, Burgenland

„Für die Formel 1 und den MotoGP haben wir vor einigen Jahren eine mobile Red-Bull-Energy-Station entwickelt. Ein hochkomplexer Bausatz, der so konzipiert werden musste, dass man ihn innerhalb von wenigen Stunden auf- und wieder abbauen kann. Wenn man dann in Monaco steht und dabei zuschaut, wie ein dreigeschoßiges Holzhaus auf einem Lastenfloß in den Hafen geschippert wird … das ist schon wow!“
Kurt Pock, KPZT, Klagenfurt

„Eigentlich wollte ich in Bulgarien Architektur studieren, aber dann ist es doch Bauingenieurwesen geworden. Das Gute daran: Ich betrachte Tragwerksplanung aus der Sicht der Architektin und kombiniere technisches Fachwissen mit einem ästhetischen Gespür. So entstehen wunderbare, manchmal ziemlich komplizierte Juwelen.“
Neli Rachkova- Anastassova, Wien

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