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Was drei Hochhäuser in Wien-Erdberg zur Stadtentwicklung beitragen
Leicht ist es nicht zu erklären, warum sie gerade hier stehen, aber Gründe gibt es schon. „The Marks“: drei neue Hochhäuser in Wien-Erdberg. Zehn Jahre dauerte es vom Wettbewerb bis zur Realisierung.
8. August 2023 - Christian Kühn
Braucht Wien Hochhäuser? Nur dann, so steht es im Wiener Hochauskonzept aus dem Jahr 2014, wenn sie „außerordentliche Mehrwerte für die Allgemeinheit beisteuern“. Das ist ein hoher Anspruch. Aber von welchen Mehrwerten wird hier gesprochen? Was ist außerordentlich? Und wer genau ist die Allgemeinheit?
In anderen Städten, etwa in Zürich oder München, erfolgt das Beisteuern auf dem Weg des Besteuerns: Wer von der Öffentlichkeit für sein Grundstück eine neue Widmung erhält und damit einen hohen Gewinn macht, muss einen Teil davon abgeben. In Österreich gilt diese Lösung aus verfassungsrechtlichen Bedenken für nicht umsetzbar. Stattdessen nutzt man hierzulande oft sogenannte Städtebauliche Verträge, die zwischen der öffentlichen Hand und dem Eigentümer abgeschlossen werden. Solche Verträge regeln, zu welchen Leistungen sich ein Eigentümer verpflichtet, wenn er die gewünschte Widmung erhält. Das können qualitätssichernde Verfahren sein, etwa ein Architekturwettbewerb, die Mitfinanzierung eines Kindergartens, die Schaffung schattiger Freiräume oder die Verpflichtung, einen Teil der Wohnungen „leistbar“ anzubieten.
Kürzlich wurde in Wien ein Hochhausprojekt fertiggestellt, das auf einem solchen Vertrag aufbaut. Für einen Wohnbau ist die Lage – gefühltes Simmering, aber gerade noch in Erdberg – nicht gerade prickelnd: Es liegt am Rande eines Gewerbegebiets; die Südost-Tangente, Wiens meistbefahrene Straße, führt ein Stück weit im Westen vorbei; von ihr zweigt an der Anschlussstelle St. Marx eine namenlose, überdimensionierte sechsspurige Zubringerstraße ab, deren Verlängerung das Areal an einer Seite begrenzt. Zumindest hat die Straße hier einen Namen, Döblerhofstraße, und sie hat auch Nachbarstraßen, teilweise mit altem Baumbestand. Die U-Bahnstation Gasometer mit ihrem Zugang zur Shoppingmall und zum Kinocenter liegt nur fünf Minuten Fußweg entfernt.
Architekturwettbewerb im Frühjahr 2014
Warum sind gerade auf diesem Gewerbegrundstück, auf dem sich eine als Parkplatz genutzte Asphaltfläche befand, drei Hochhäuser entstanden? Der Hintergrund ist ein Interessengemenge zwischen dem privaten Eigentümer, Ariel Muzicant, und zwei Politikern, deren Parteien gerade in der Stadtregierung eine Koalition bildeten, Michael Ludwig, Wohnbaustadtrat von der SPÖ, und Christoph Chorherr, Sprecher für Stadtplanung der Grünen und rechte Hand von Maria Vassilakou, der Stadträtin für Stadtentwicklung und Verkehr.
An der Interessenlage ist nichts Anrüchiges: Muzicant sah in der Errichtung von Hochhäusern die maximale Wertsteigerung für sein Grundstück, und er konnte die Signale aus dem Rathaus richtig deuten: Die seit 2010 regierende rot-grüne Stadtregierung hatte ein Faible für Wohnhochhäuser entwickelt, als eine Antwort auf die demografisch bedingte steigende Nachfrage nach Wohnraum, aber auch als Symbol einer neuen Zeit. Dass beide Parteien das Heumarkt-Projekt, mit dem sich die Karikatur dieser neuen Zeit ins Stadtbild zu pressen versuchte, mit Nachdruck unterstützten, war Teil dieses Signals und umso überraschender, als es bei der SPÖ und den Grünen traditionell eine dem Wohnhochhaus gegenüber eher kritische Stimmung gegeben hatte. Als Grundlage für die Widmung führte Muzicant in Abstimmung mit der Stadt im Frühjahr 2014 einen Architekturwettbewerb mit 19 Teilnehmern durch, der die Position und Gestalt der Türme klären sollte. Der erste Preis ging an das Studio Vlay Streeruwitz, das einen öffentlichen Platz im Format von 70 mal 35 Metern ins Zentrum rückte.
Ein Platz braucht naturgemäß platzbildende Wände, die Studio Vlay Streeruwitz teilweise aus den Sockelzonen der Hochhäuser bilden, zum überwiegenden Teil aber aus einem mehrgeschoßigen Stahlregal, das als Garage für 2400 Fahrräder dient. Das schwarz gestrichene Regal ist mit einer Membran aus gelochtem Blech verkleidet, das einen Blick nach außen erlaubt, aber in umgekehrter Blickrichtung dicht genug ist, um raumbildende Baukörper zu erzeugen. Neben dem großen „Festplatz“ entstanden so drei weitere, von den Landschaftsarchitekten Isolde Jarek und Oliver Barosch sorgfältig gestaltete, öffentlich zugängliche Grünräume. In Summe ergibt das eine klar ausgeformte Mitte mit anpassungsfähigen Rändern als Übergang zu einer unwirtlichen Umgebung.
Hat Wien dieses Triple gebraucht?
Vermarktet wurde das Gesamtprojekt unter dem Namen „The Marks“; der Turm von Studio Vlay Streeruwitz heißt „The One“, die zweit- und drittplatzierten Türme aus dem Wettbewerb heißen Q- und Helio-Tower, entworfen von Rüdiger Lainer und Partner sowie BEHF. Dass das Projekt fast zehn Jahre vom Wettbewerb bis zur Realisierung gebraucht hat, lag an den zähen Verhandlungen über den „Städtebaulichen Vertrag“. Aus 1030 Wohnungen wurden 1282, von denen die Hälfte in die Kategorie „leistbar“ zu fallen hatte. Schließlich erwarb ein Konsortium der Bauträger Buwog, Neues Leben, ÖSW und WBV-GPA das entsprechend gewidmete Areal und errichtete das Projekt unter Verwendung günstiger Kredite aus der Wohnbauinitiative 2015.
In der Schönheitskonkurrenz der drei Hochhäuser schneidet „The One“ eindeutig am besten ab. Es hat die durchdachtesten Grundrisse und die formal überzeugendste Fassade. Die umlaufenden Balkone variieren in der Breite, wodurch sich in der Fassade Vor- und Rücksprünge ergeben, denen ab der Höhe von 50 Zentimetern eine verglaste Brüstung folgt, die an den Ecken des Turms zu einem raumhoch verglasten Windschutz wird. Was auf den ersten Blick chaotisch wirkt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als fein proportionierte begehbare Skulptur.
Hat Wien dieses Triple gebraucht? Ob hier wirklich „außergewöhnliche Mehrwerte für die Allgemeinheit“ entstanden sind, wird man erst in ein paar Jahren beurteilen können. Hochhäuser in Wien passieren, unter mehr oder weniger stiller Beteiligung der Stadtverwaltung und -politik. Das kann Achtungserfolge ergeben, wie hier mit „The Marks“, oder einen Totalschaden wie am Heumarkt. Vielleicht ist die abflauende Baukonjunktur ein guter Anlass für eine Inventur der Strategien und Instrumente, mit denen Wien in der Hochhausfrage operiert.
In anderen Städten, etwa in Zürich oder München, erfolgt das Beisteuern auf dem Weg des Besteuerns: Wer von der Öffentlichkeit für sein Grundstück eine neue Widmung erhält und damit einen hohen Gewinn macht, muss einen Teil davon abgeben. In Österreich gilt diese Lösung aus verfassungsrechtlichen Bedenken für nicht umsetzbar. Stattdessen nutzt man hierzulande oft sogenannte Städtebauliche Verträge, die zwischen der öffentlichen Hand und dem Eigentümer abgeschlossen werden. Solche Verträge regeln, zu welchen Leistungen sich ein Eigentümer verpflichtet, wenn er die gewünschte Widmung erhält. Das können qualitätssichernde Verfahren sein, etwa ein Architekturwettbewerb, die Mitfinanzierung eines Kindergartens, die Schaffung schattiger Freiräume oder die Verpflichtung, einen Teil der Wohnungen „leistbar“ anzubieten.
Kürzlich wurde in Wien ein Hochhausprojekt fertiggestellt, das auf einem solchen Vertrag aufbaut. Für einen Wohnbau ist die Lage – gefühltes Simmering, aber gerade noch in Erdberg – nicht gerade prickelnd: Es liegt am Rande eines Gewerbegebiets; die Südost-Tangente, Wiens meistbefahrene Straße, führt ein Stück weit im Westen vorbei; von ihr zweigt an der Anschlussstelle St. Marx eine namenlose, überdimensionierte sechsspurige Zubringerstraße ab, deren Verlängerung das Areal an einer Seite begrenzt. Zumindest hat die Straße hier einen Namen, Döblerhofstraße, und sie hat auch Nachbarstraßen, teilweise mit altem Baumbestand. Die U-Bahnstation Gasometer mit ihrem Zugang zur Shoppingmall und zum Kinocenter liegt nur fünf Minuten Fußweg entfernt.
Architekturwettbewerb im Frühjahr 2014
Warum sind gerade auf diesem Gewerbegrundstück, auf dem sich eine als Parkplatz genutzte Asphaltfläche befand, drei Hochhäuser entstanden? Der Hintergrund ist ein Interessengemenge zwischen dem privaten Eigentümer, Ariel Muzicant, und zwei Politikern, deren Parteien gerade in der Stadtregierung eine Koalition bildeten, Michael Ludwig, Wohnbaustadtrat von der SPÖ, und Christoph Chorherr, Sprecher für Stadtplanung der Grünen und rechte Hand von Maria Vassilakou, der Stadträtin für Stadtentwicklung und Verkehr.
An der Interessenlage ist nichts Anrüchiges: Muzicant sah in der Errichtung von Hochhäusern die maximale Wertsteigerung für sein Grundstück, und er konnte die Signale aus dem Rathaus richtig deuten: Die seit 2010 regierende rot-grüne Stadtregierung hatte ein Faible für Wohnhochhäuser entwickelt, als eine Antwort auf die demografisch bedingte steigende Nachfrage nach Wohnraum, aber auch als Symbol einer neuen Zeit. Dass beide Parteien das Heumarkt-Projekt, mit dem sich die Karikatur dieser neuen Zeit ins Stadtbild zu pressen versuchte, mit Nachdruck unterstützten, war Teil dieses Signals und umso überraschender, als es bei der SPÖ und den Grünen traditionell eine dem Wohnhochhaus gegenüber eher kritische Stimmung gegeben hatte. Als Grundlage für die Widmung führte Muzicant in Abstimmung mit der Stadt im Frühjahr 2014 einen Architekturwettbewerb mit 19 Teilnehmern durch, der die Position und Gestalt der Türme klären sollte. Der erste Preis ging an das Studio Vlay Streeruwitz, das einen öffentlichen Platz im Format von 70 mal 35 Metern ins Zentrum rückte.
Ein Platz braucht naturgemäß platzbildende Wände, die Studio Vlay Streeruwitz teilweise aus den Sockelzonen der Hochhäuser bilden, zum überwiegenden Teil aber aus einem mehrgeschoßigen Stahlregal, das als Garage für 2400 Fahrräder dient. Das schwarz gestrichene Regal ist mit einer Membran aus gelochtem Blech verkleidet, das einen Blick nach außen erlaubt, aber in umgekehrter Blickrichtung dicht genug ist, um raumbildende Baukörper zu erzeugen. Neben dem großen „Festplatz“ entstanden so drei weitere, von den Landschaftsarchitekten Isolde Jarek und Oliver Barosch sorgfältig gestaltete, öffentlich zugängliche Grünräume. In Summe ergibt das eine klar ausgeformte Mitte mit anpassungsfähigen Rändern als Übergang zu einer unwirtlichen Umgebung.
Hat Wien dieses Triple gebraucht?
Vermarktet wurde das Gesamtprojekt unter dem Namen „The Marks“; der Turm von Studio Vlay Streeruwitz heißt „The One“, die zweit- und drittplatzierten Türme aus dem Wettbewerb heißen Q- und Helio-Tower, entworfen von Rüdiger Lainer und Partner sowie BEHF. Dass das Projekt fast zehn Jahre vom Wettbewerb bis zur Realisierung gebraucht hat, lag an den zähen Verhandlungen über den „Städtebaulichen Vertrag“. Aus 1030 Wohnungen wurden 1282, von denen die Hälfte in die Kategorie „leistbar“ zu fallen hatte. Schließlich erwarb ein Konsortium der Bauträger Buwog, Neues Leben, ÖSW und WBV-GPA das entsprechend gewidmete Areal und errichtete das Projekt unter Verwendung günstiger Kredite aus der Wohnbauinitiative 2015.
In der Schönheitskonkurrenz der drei Hochhäuser schneidet „The One“ eindeutig am besten ab. Es hat die durchdachtesten Grundrisse und die formal überzeugendste Fassade. Die umlaufenden Balkone variieren in der Breite, wodurch sich in der Fassade Vor- und Rücksprünge ergeben, denen ab der Höhe von 50 Zentimetern eine verglaste Brüstung folgt, die an den Ecken des Turms zu einem raumhoch verglasten Windschutz wird. Was auf den ersten Blick chaotisch wirkt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als fein proportionierte begehbare Skulptur.
Hat Wien dieses Triple gebraucht? Ob hier wirklich „außergewöhnliche Mehrwerte für die Allgemeinheit“ entstanden sind, wird man erst in ein paar Jahren beurteilen können. Hochhäuser in Wien passieren, unter mehr oder weniger stiller Beteiligung der Stadtverwaltung und -politik. Das kann Achtungserfolge ergeben, wie hier mit „The Marks“, oder einen Totalschaden wie am Heumarkt. Vielleicht ist die abflauende Baukonjunktur ein guter Anlass für eine Inventur der Strategien und Instrumente, mit denen Wien in der Hochhausfrage operiert.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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