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Wiens Grün ist ungerecht verteilt
Während man mühsam nachträglich Oberflächen begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Pflanzen findet man oft nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen.
20. August 2023 - Stephanie Drlik
Wien gilt als eine der grünsten Metropolen der Welt. Mehr als die Hälfte der Stadt besteht aus Parks, Wäldern und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Doch das viele Grün ist alles andere als gerecht verteilt. Während die privilegierten westlichen Bezirke mit bis zu 70 Prozent ihrer Fläche über reichlich Grünräume verfügen, sind Bewohner:innen der innerstädtischen Bezirke mit teils nur zwei bis drei Prozent benachteiligt. „Das ist nicht nur ungerecht, sondern bereits heute ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem, das sich mit den Auswirkungen des Klimawandels zunehmend verstärkt“, so Daniela Lehner, Landschaftsarchitektin, Wissenschaftlerin an der Universität für Bodenkultur und Mitautorin der durch die Arbeiterkammer Wien beauftragten Studie „Grünraumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“.
Um den gewünschten Mindestgrünflächenbedarf je Einwohner:in durchzusetzen, wurden im Wiener Fachkonzept Grün- und Freiraum des Stadtentwicklungsplans (Step 2025) Kennzahlen definiert. Damit hätte die Stadt ein grundsätzlich funktionales Instrument in der Hand, doch die Sache hat einen Haken. Die Kennzahlen sind rechtlich nicht bindend. Und gerade in der dicht bebauten Bestandsstadt können sie nicht durchgesetzt werden, weil freie Flächen rar sind.
Hilft eine Novelle der Bauordnung?
Derzeit werden Bäume und Beete nachträglich mit großem Aufwand an zahlreichen Stellen gepflanzt. Das ist wichtig, doch während man mühsam und kostenintensiv Oberflächen entsiegelt und begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Dabei würde gerade im Neu- und Umbau der größte Hebel liegen. Dort findet man Begrünung oftmals nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen oder Bürger:innen von der Verbauung ihres Umfelds zu überzeugen.
„Grünraum im Wohnumfeld darf keine „Nice to have“-Maßnahme sein, die auf Freiwilligkeit beruht“, sagt Daniela Lehner. Aber wie kann Begrünung stärker als bisher rechtlich verankert werden? Aktuell bietet sich dafür die Novellierung der Wiener Bauordnung an. Es liegt ein Entwurf der Novelle vor, den Expert:innen zwar als Versuch der Stadt anerkennen, Boden und Bäume zu schützen und verstärkt Grünstrukturen bei Bauvorhaben einzufordern. Doch ein richtig großer Wurf wird die Bauordnungsnovelle in der vorliegenden Form wohl nicht werden.
Dabei gäbe es durchaus gangbare Vorschläge vonseiten der Wissenschaft. „Laut Wiener Bauordnung und dem Garagengesetz müssen bei Neu-, Zu- und Umbauten pro 100 Quadratmeter geschaffener Wohnnutzfläche mindestens 12,5 Quadratmeter für das Parken des Autos zur Verfügung gestellt werden. Für die Herstellung von Grünraum in Relation zur Wohnfläche gibt es jedoch bislang keine verpflichtenden Vorgaben. Hier müssen die Bauträger stärker in die Pflicht genommen werden“, fordert die Studienautorin und empfiehlt die Einführung einer Grünraumverordnung analog zum Stellplatzregulativ.
Wo die bauliche Umsetzung aufgrund fehlender Flächenressourcen nicht möglich ist, könnten zweckgebundene Ausgleichsabgaben eingeführt werden. Das Schlupfloch der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, wie man es an mancher Stelle in der Bauordnung findet, sollte dabei keine Anwendung finden. Schließlich werden durch bauliche Maßnahmen betriebswirtschaftliche Werte für Bauträger:innen geschaffen. Hingegen fallen für Kommunen durch Verdichtung und Versiegelung Kosten an, auf denen die budgetär ohnehin notorisch schwächelnden Bezirke bislang sitzen bleiben. Die Grünraumverordnung wäre ein Interessenausgleich, sofern die gewonnenen Mittel zur Grünraumschaffung im Umfeld eingesetzt werden. So könnten nicht nur Bäume und Grünflächen am oder vor dem Bauplatz errichtet und Fassaden und Dächer begrünt, sondern auch nahegelegene Brachflächen angekauft und in grüne Erholungsräume verwandelt werden. Auch neuer Grünraum auf stadteigenen Flächen könnte geschaffen beziehungsweise könnten bestehende Parks aufgewertet werden.
„Wir haben im Rahmen der Studie vertiefend das Wiener Westbahnviertel untersucht. Das Areal entlang der Westbahntrasse im Bereich des 15. Bezirks ist nicht nur in höchstem Maße oberflächenversiegelt und dicht bebaut, die schlechte Grünraumversorgung betrifft dort vor allem die vulnerablen und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen“, berichtet die Boku-Forscherin. Mit der Grünraumverordnung könnten etwa ungenutzte Bahnflächen auf dem ÖBB Westbahnareal durch die Stadt angekauft und als Freiraum gesichert und aufgewertet werden. Eine Maßnahme, die über das Gebiet hinaus Wirkung hätte, da es sich dabei um Teile der stadtklimatologisch bedeutsamen westlichen Frischluftschneise handelt.
Und was ist mit den Straßen?
Auch Straßen bieten Potenzialflächen für mehr Grünraum. Im Westbahnviertel macht der Straßenraum im Schnitt beachtliche 41 Prozent der Fläche aus, im südlichen Teil des Viertels steht nur ein einziger einsamer Straßenbaum. Doch Straßen, Gehsteige und Plätze werden vorwiegend als Verkehrsraum behandelt und über die Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt. Man kann sich vorstellen, dass die Begrünung dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Ist das der Grund, warum Straßen und Plätze in Wien bislang zu wenig Grün aufweisen? „Ohne Widmung können nur schwer Qualitätsstandards hinsichtlich Begrünung, Ausgestaltung und Aufenthaltsqualitäten definiert und stadtweit eingefordert werden. Die Schaffung einer Widmungskategorie Öffentlicher Raum, die mit der Herstellung und Erhaltung neuer Qualitäten einhergeht, könnte viel bewirken“, so Lehner.
Neben der unzulänglichen Debatte, ob naturräumlich hochwertige Stadtentwicklungsgebiete wie das Donaufeld oder Rothneusiedl vor dem Hintergrund des Klimawandels überhaupt bauwirtschaftlich verwertet werden sollten, besteht wohl auch für den Umgang mit der Bestandsstadt reichlich Diskussionsbedarf. Verbesserungsvorschläge gäbe es genug.
Um den gewünschten Mindestgrünflächenbedarf je Einwohner:in durchzusetzen, wurden im Wiener Fachkonzept Grün- und Freiraum des Stadtentwicklungsplans (Step 2025) Kennzahlen definiert. Damit hätte die Stadt ein grundsätzlich funktionales Instrument in der Hand, doch die Sache hat einen Haken. Die Kennzahlen sind rechtlich nicht bindend. Und gerade in der dicht bebauten Bestandsstadt können sie nicht durchgesetzt werden, weil freie Flächen rar sind.
Hilft eine Novelle der Bauordnung?
Derzeit werden Bäume und Beete nachträglich mit großem Aufwand an zahlreichen Stellen gepflanzt. Das ist wichtig, doch während man mühsam und kostenintensiv Oberflächen entsiegelt und begrünt, wird gleichzeitig bei Neubauten versiegelt, was das Zeug hält. Dabei würde gerade im Neu- und Umbau der größte Hebel liegen. Dort findet man Begrünung oftmals nur auf den dschungelartigen Projekt-Renderings, die helfen sollen, Wettbewerbe zu gewinnen oder Bürger:innen von der Verbauung ihres Umfelds zu überzeugen.
„Grünraum im Wohnumfeld darf keine „Nice to have“-Maßnahme sein, die auf Freiwilligkeit beruht“, sagt Daniela Lehner. Aber wie kann Begrünung stärker als bisher rechtlich verankert werden? Aktuell bietet sich dafür die Novellierung der Wiener Bauordnung an. Es liegt ein Entwurf der Novelle vor, den Expert:innen zwar als Versuch der Stadt anerkennen, Boden und Bäume zu schützen und verstärkt Grünstrukturen bei Bauvorhaben einzufordern. Doch ein richtig großer Wurf wird die Bauordnungsnovelle in der vorliegenden Form wohl nicht werden.
Dabei gäbe es durchaus gangbare Vorschläge vonseiten der Wissenschaft. „Laut Wiener Bauordnung und dem Garagengesetz müssen bei Neu-, Zu- und Umbauten pro 100 Quadratmeter geschaffener Wohnnutzfläche mindestens 12,5 Quadratmeter für das Parken des Autos zur Verfügung gestellt werden. Für die Herstellung von Grünraum in Relation zur Wohnfläche gibt es jedoch bislang keine verpflichtenden Vorgaben. Hier müssen die Bauträger stärker in die Pflicht genommen werden“, fordert die Studienautorin und empfiehlt die Einführung einer Grünraumverordnung analog zum Stellplatzregulativ.
Wo die bauliche Umsetzung aufgrund fehlender Flächenressourcen nicht möglich ist, könnten zweckgebundene Ausgleichsabgaben eingeführt werden. Das Schlupfloch der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, wie man es an mancher Stelle in der Bauordnung findet, sollte dabei keine Anwendung finden. Schließlich werden durch bauliche Maßnahmen betriebswirtschaftliche Werte für Bauträger:innen geschaffen. Hingegen fallen für Kommunen durch Verdichtung und Versiegelung Kosten an, auf denen die budgetär ohnehin notorisch schwächelnden Bezirke bislang sitzen bleiben. Die Grünraumverordnung wäre ein Interessenausgleich, sofern die gewonnenen Mittel zur Grünraumschaffung im Umfeld eingesetzt werden. So könnten nicht nur Bäume und Grünflächen am oder vor dem Bauplatz errichtet und Fassaden und Dächer begrünt, sondern auch nahegelegene Brachflächen angekauft und in grüne Erholungsräume verwandelt werden. Auch neuer Grünraum auf stadteigenen Flächen könnte geschaffen beziehungsweise könnten bestehende Parks aufgewertet werden.
„Wir haben im Rahmen der Studie vertiefend das Wiener Westbahnviertel untersucht. Das Areal entlang der Westbahntrasse im Bereich des 15. Bezirks ist nicht nur in höchstem Maße oberflächenversiegelt und dicht bebaut, die schlechte Grünraumversorgung betrifft dort vor allem die vulnerablen und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen“, berichtet die Boku-Forscherin. Mit der Grünraumverordnung könnten etwa ungenutzte Bahnflächen auf dem ÖBB Westbahnareal durch die Stadt angekauft und als Freiraum gesichert und aufgewertet werden. Eine Maßnahme, die über das Gebiet hinaus Wirkung hätte, da es sich dabei um Teile der stadtklimatologisch bedeutsamen westlichen Frischluftschneise handelt.
Und was ist mit den Straßen?
Auch Straßen bieten Potenzialflächen für mehr Grünraum. Im Westbahnviertel macht der Straßenraum im Schnitt beachtliche 41 Prozent der Fläche aus, im südlichen Teil des Viertels steht nur ein einziger einsamer Straßenbaum. Doch Straßen, Gehsteige und Plätze werden vorwiegend als Verkehrsraum behandelt und über die Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt. Man kann sich vorstellen, dass die Begrünung dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Ist das der Grund, warum Straßen und Plätze in Wien bislang zu wenig Grün aufweisen? „Ohne Widmung können nur schwer Qualitätsstandards hinsichtlich Begrünung, Ausgestaltung und Aufenthaltsqualitäten definiert und stadtweit eingefordert werden. Die Schaffung einer Widmungskategorie Öffentlicher Raum, die mit der Herstellung und Erhaltung neuer Qualitäten einhergeht, könnte viel bewirken“, so Lehner.
Neben der unzulänglichen Debatte, ob naturräumlich hochwertige Stadtentwicklungsgebiete wie das Donaufeld oder Rothneusiedl vor dem Hintergrund des Klimawandels überhaupt bauwirtschaftlich verwertet werden sollten, besteht wohl auch für den Umgang mit der Bestandsstadt reichlich Diskussionsbedarf. Verbesserungsvorschläge gäbe es genug.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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