Artikel

Geist und Handwerk
Neue Zürcher Zeitung

Der Brünner Architekt Otto Eisler

12. August 1999 - Stephan Templ
In der legendären «International Style»-Ausstellung von 1932 im Museum of Modern Art in New York wurde Brünn zu einer der Kapitalen der Moderne ernannt; und im Begleitbuch finden wir das einstige «Manchester der Monarchie» gleich mit fünf Bauten vorgestellt, von denen Mies van der Rohes Villa Tugendhat wohl die berühmteste ist. Brünn war damals international. Der in Prag kreierte tschechische Nationalstil konnte in der mährischen Hauptstadt nicht Fuss fassen. Hier legten dieethnischen Gruppen ein fortschrittliches Credo ab: Sie bauten modern, ja sie fanden in der Moderne zueinander. So repräsentieren die drei Architekten der 1937 vollendeten Mährischen Sparkasse die Brünner Gesellschaft: Josef Polášek steht für die tschechische, Jindrich Blum für die jüdische und Otokar Oplatek für die deutsche Seite.

Im Spirituellen verhielt es sich nicht viel anders. Die zaristischen Flüchtlinge bauten ihre Kirche im modernen Geist, Jan Višek entwarf ein modernes Gotteshaus für die Hussiten, Karel Fišer eines für die Katholiken, und Otto Eisler plante für die aus Polen eingewanderte Gemeinde «Agudas Achim» eine streng funktionalistische Synagoge, die letzte ihrer Art in Mitteleuropa. Nachdem sie 1940 von Alfred Roth in seinem Werk «Neue Architektur» der Schweizer Leserschaft vorgestellt wurde, ist sie nun - nach sechs Jahrzehnten - zum zweitenmal publiziert: in dem gerade erschienenen Buch zum Werk von Otto Eisler (1893-1968), einem führenden Architekten im Brünn der dreissiger Jahre. Eisler, 1893 im mährischen Bystrice nad Pernstejnem geboren, studierte an der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn und absolvierte seine Praktiken bei Heinrich Tessenow und Walter Gropius.

Diese Erfahrungen sollten für sein Werk wegweisend werden. Bei seinem eigenen Haus (1930) finden wir das Loossche Spiel von Symmetrie und Asymmetrie. Die ungleichmässig gesetzten Stahlfenster der Südfassade mit ihrer auskragenden Terrasse bilden den freien Fassadenplan, der durch den strengen, dunkelroten, an Gropius erinnernden Baukörper zusammengehalten wird. An den übrigen Fassaden setzte der Architekt ganz pragmatisch Holzkastenfenster ein, die in Brünn «Wiener Fenster» genannt werden. Das Lapidare seiner Bauten ist stets mit feinsten Details garniert; zarte Travertinplatten umrahmen Fenster und Türen, feine, schwungvolle Terrassengeländer erwecken selbst die trockenste Fassade zum Leben.

Eisler gehörte zu einer ganz eigenen Spezies Architekt. Eine Spezies, die sich nicht nur mit dem Planen auseinandersetzte. Mit seinen Brüdern Moric und Arthur unterhielt er eine Baufirma, die unter anderem das Haus Tugendhat errichtet hat. Diese Verbindung von Geist und Handwerk war in Brünn nicht aussergewöhnlich. Erinnert sei an die Architekturfirmen Kuba und Dvorak, welche die eleganten Wohnbauten der dreissiger Jahre bauten. Diese interdisziplinäre Kultur fand im Jahr 1939 ihr Ende, um dann nach 1948 endgültig zu Grabe getragen zu werden.

Eisler selbst wurde im April 1939 durch die Gestapo sechs Wochen lang arrestiert; einige Jahre zuvor hatte er Verfolgten aus Nazideutschland Unterschlupf gewährt. Einer von ihnen, der Maler und Karikaturist Thomas Theodor Heine, verhalf ihm nun zu einem Visum für Norwegen. Nach dem Einfall der Nazitruppen versuchte Eisler nach Schweden zu entkommen, wurde aber verhaftet und deportiert. Er überlebte Auschwitz und Buchenwald. Nach Brünn zurückgekehrt, entwirft er noch einige Wohnbauten. 1948, als es zur zwangsweisen Auflösung der privaten Architekturbüros kommt, besinnt er sich auf seine alte Leidenschaft - die Flora und Fauna. Er gestaltet die Zoos von Brünn und Zlin, entwirft den Garten der Kinderklinik von Rozehnal. Dieser ist, wie viele seiner Villengärten, noch heute erhalten. Eislers Rolle als Gestalter mit Pflanzen geht in der vorliegenden Publikation etwas unter; auch sind die Pläne oft allzu klein wiedergegeben. Dennoch ist das Buch ein wichtiges Dokument; denn im Zuge der tschechischen Privatisierungswelle ist Eislers Archiv 1991 auf dem Müll gelandet.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: