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Situationselastische Architektur
Der Standard

Das umstrittene Heumarkt-Projekt steht bei der Unesco-Sitzung erneut auf dem Prüfstand. Wienerisches Laissez-faire kollidiert dabei mit klaren Positionen, und nach zehn Jahren des Verschiebens von Kubaturen ist die Architektur selbst zur Nebensache geworden.

9. September 2023 - Maik Novotny
Wenn an diesem Sonntag im saudischen Riad die 45. Sitzung des Unesco-Welterbekomitees eröffnet wird, wird eine Abordnung aus Wien mit Architekturplänen als diplomatische Mission vor Ort sein. Denn die nie endende Saga des umstrittenen Hochhausprojekts am Wiener Heumarkt geht in die nächste Verhandlungsrunde. 2013 beschäftigte sich die Unesco bei ihrer Sitzung in Phnom Penh damit, 2015 in Bonn, und 2016 in Istanbul. 2017 in Krakau wurde Wien auf die Strafbank der Roten Liste gesetzt, dort blieb es auch während der Sitzungen 2018 in Bahrain, 2019 in Baku und 2021 in Fuzhou sitzen. Jetzt hofft die Wiener Delegation auf Lob für ihr vermeintliches Entgegenkommen. Der Koalitionspartner Neos hat sich vorsichtshalber schon vom Projekt distanziert, um sich nicht wie vormals die Grünen in die Abgründe der Verantwortlichkeit zu manövrieren.

Denn laut dem Resolutionsentwurf (Draft Decision) der Unesco wird Wien auf der Roten Liste bleiben. Konsequent, denn das Entgegenkommen der Stadt ist überschaubar. Seit 2012 hält das World Heritage Committee (WHC) an der Gebäudehöhe des bestehenden Hotel Intercontinental als Obergrenze fest. Diese wurde von verschiedenen Seiten mal mit 43, 44 oder 45 Metern beziffert, beträgt ohne Dachaufbauten aber in Realität 38 Meter. Keine der bisherigen Bebauungsvarianten hält dieses Limit auch nur annähernd ein. Das Ignorieren der Unesco ist der Geburtsfehler des Investorenprojekts. Die Auszeichnung Weltkulturerbe Historisches Zentrum heftete sich Wien wie einen imperialen Orden an die Brust. Dann merkte man, dass ein Weltkulturerbe kein Werbegeschenk ist, sondern ein völkerrechtlicher Staatsvertrag, mit dem Pflichten einhergehen, die sperrige Namen wie Heritage Impact Assessment oder Managementplan tragen.

Projektionsfläche Unesco

Aus Sicht der Stadtregierung wurde so die Unesco zur Projektionsfläche mit wechselndem Programm: mal die liebe Gönnerin, mal die gestrenge Mutter, die zur Erledigung der Hausaufgaben mahnt, mal ein Konglomerat irgendwie lästiger Ausländer, die unserem souveränen Österreich in seine Privatangelegenheiten hineinreden wollen. Mal wurde der Unesco vorgeworfen, keine klaren Vorgaben zu machen, mal, dass sie zu starr und unflexibel sei, oft von denselben Personen.

Dabei ist der Standpunkt der Unesco nicht schwer zu verstehen, aber schon beim kooperativen Verfahren 2012 und beim Architekturwettbewerb 2013 verkündeten Stadt und Investor Wertinvest, man werde sich schon einigen, später dann, irgendwann. Noch 2019 bekundete Ernst Woller, das WHC werde schon nicht auf dem „lächerlichen“ Höhenlimit bestehen. Tat es aber. Kurz vor der Abreise nach Riad klagte er, die Unesco solle nicht immer sagen, was sie nicht wolle, sondern was sie wolle, obwohl sie genau das seit nunmehr zehn Jahren in aller Klarheit tut. Aber Klarheit und Konsequenz sind keine Grundbausteine der Wiener Mentalität. Hier schätzt man die Situationselastizität des „Schaun-mer-mal-geht sich-eh-aus“ und kollidiert so seit zehn Jahren in endloser Wiederholung mit der ganz und gar unwienerischen Unnachgiebigkeit der Unesco.

Die Gestaltwandlungen, die der Entwurf des Architekten Izay Weinfeld durchmachte, sind das Abbild dieses Herumlavierens. Die eigentlich steinerne, kantige Kubatur wird zu einer weichen, formbaren Masse, zum situationselastischen Hochhaus. Die Stationen dieser Verformung: beim Wettbewerb noch bestehendes Intercont-Hotel und neuer 73-Meter-Turm. Nach der von der Stadtregierung verkündeten „Nachdenkpause“ im Jahr 2016, die deckungsgleich mit dem Zeitraum zwischen zwei Bundespräsidenten-Stichwahlen war, schrumpfte der Turm auf 67 Meter, die Hotelscheibe schwoll dafür auf einen verbreiterten Neubau mit 48 Metern an. Dieser bleibt, leicht verändert, bei der bislang letzten Überarbeitung 2023 erhalten, dafür wurde der Turm zu einem langgestreckten „Wohnriegel“ mit 56,6 Meter Höhe gedrückt und gedehnt, immer noch stattliche 21,6 Meter über der Hochhausgrenze der Wiener Bauordnung.

Dafür wurde in den Visualisierungen die bislang steinerne Rasterfassade überbordend begrünt, was aussieht, als sei ein Gen-Experiment mit Petersilie furchtbar schiefgelaufen. Wen das besänftigen soll, ist nicht ganz klar. Jede Änderung von Kubatur und Fassade bleibt eine rein defensive Reaktion auf die gleichbleibende Position der Unesco. Architektur und Stadtbild und deren Kriterien wie Proportion, Angemessenheit und Raumbeziehungen gerieten dabei komplett aus dem Blickfeld. Es zählen nur die Machbarkeit und die Bruttogeschoßfläche.

Kritik der Architekten

Viele Architekten, Architektinnen und Architekturinitiativen formulierten damals scharfe Kritik und tun es bis heute. Im August 2013 mahnte die Architektenkammer, das Fehlen einer klaren Positionierung der Stadt Wien zum Weltkulturerbe Innere Stadt und dasjenige klarer Angaben zur Gebäudehöhe berge die Gefahr, dass die Höhenentwicklung einiger Wettbewerbsvorschläge nicht mit den Vorgaben der Unesco korreliere. Genau so sollte es dann auch kommen.

Kurz vor dem Start in Riad wenden sich jetzt die Architekturstiftung Österreich, Bauten in Not, Docomomo Austria, die IG Architektur, die Österreichische Gesellschaft für Denkmalpflege und Ortsbildschutz und die Österreichische Gesellschaft für Architektur an das World Heritage Committee: „Seit 2013 weisen wir darauf hin, dass das WHC die Rahmenbedingungen unmissverständlich festgelegt hat: Eine Neubebauung auf dem Areal solle möglichst niedrig und dürfe keinesfalls höher ausfallen als der Bestand. Diese Vorgabe deckt sich mit unserer wiederholt dargelegten Expertise zum Regelwerk der Bauhöhen im historistischen Bestand der Ringstraßenanlage und zu den gründerzeitlichen und barocken Blickachsen, die den Projektstandort unmittelbar betreffen.“

Die Initiativen fordern daher das World Heritage Committee auf, Wien auf der Roten Liste zu belassen. Falls in Riad keine Überraschungen im Wiener Diplomatengepäck auftauchen, dürfte das auch geschehen. Und wenn die Stadt Wien nicht, wie schon angeklungen, versucht, das lästig gewordene Welterbe wieder loszuwerden, wird sich das situationselastische Hochhaus wohl weiter verbiegen und verformen, bis in alle Ewigkeit.

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