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Michaelerplatz in Wien: Ein Platz sieht grün
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Große und kleinere Bäume, Pflanzbeete, Trinkhydranten und Wasserspiele vor dem Looshaus: An der klimagerechten Neugestaltung des Michaelerplatzes in Wien scheiden sich die Geister. Die wesentliche Frage lautet: Wie geht man künftig mit Europas historischen Plätzen um?

19. September 2023 - Isabella Marboe
Der Wiener Michaelerplatz ist ein heißes Pflaster. Fast alle Bauten, die ihn rahmen, stehen unter Denkmalschutz, sind aus Stein und für Jahrhunderte geschaffen. Der öffentliche Platzraum dazwischen fällt in die Zuständigkeit unterschiedlichster Magistratsabteilungen. Die unebenen Kopfsteinpflaster sind für Radfahrer eine Tortur, die Gehsteigkanten nicht behindertengerecht, die Steinplatten mit Asphalt geflickt, selbst ein Großteil des Kopfsteinpflasters. Alles versiegelt, eine Hitzeinsel. Auch die zwei historischen Brunnen, „Macht zur See“ von Rudolf Weyr und „Macht zu Lande“ von Edmund Hellmer, ändern daran nicht viel. Eine Entsiegelung des angrenzenden Heldenplatzes könnte wohl einiges bewirken.

Mitte Juni präsentierten Planungsstadt­rätin Ulli Sima und Bezirksvorsteher Markus Figl die klimagerechte Neugestaltung des Platzes. Architekt Paul Katzberger plante das Projekt mit neun großen Bäumen, einigen kleineren entlang der Hofburg, fünf Pflanztrögen beim Kohlmarkt und einem Wasserspiel mit 39 Düsen vor dem Looshaus. Der Weg dorthin war lang, holprig und variantenreich. 2018 hatte Katzberger mit der Planung für zwei Bauherren – die Privatinitiative zur Neugestaltung des Platzes und die Stadt – begonnen. Die Bedürfnisse verschiedenster Nutzergruppen waren zu berücksichtigen.

Der Michaelerplatz ist ein touristischer Hotspot, Fiakerstandplätze sind dort gut positioniert. Sie auf vier zu reduzieren und die restlichen zehn als Nachrücker entlang der Schauflergasse parken zu lassen war ein schwer errungener Kompromiss. Drei neue Bäume vor der Michaelerkirche sollen den dortigen Hochzeiten künftig einen feierlichen Rahmen geben, neue Granitplatten auf dem Boden für eine ebene Fläche und Barrierefreiheit sorgen. An der Neugestaltung entzündet sich nun eine grundsätzliche Debatte. „In unmittelbarer Nähe von großflächigen Grünräumen wie Heldenplatz, Volks- und Burggarten erscheint das Pflanzen von Bäumen am Michaelerplatz wie eine Alibi-Aktion“, sagt Andreas Nierhaus, Architekturhistoriker und Kurator des Wien Museum.

Zwischen imperial und bürgerlich

Der Michaelertrakt der Hofburg, entworfen von Fischer von Erlach, wurde erst um 1890 von Ferdinand Kirschner vollendet. Hoheitsvoll inszeniert er das stadtseitige Entrée in den Hofburgkomplex. Der Doppeladler der k. k. Monarchie krönt die glockenförmige Kuppel über dem Michaelerdurchgang, der Nahtstelle zwischen dem Machtzentrum des Habsburgerreichs und der Stadt. Sie bildet den Auftakt des Defilees über den Heldenplatz durch das Heldentor bis zum Maria-Theresien-Platz zwischen den Hofmuseen.

„Der Michaelerdurchgang ist der Knoten zwischen imperialer und bürgerlicher Welt, er geht auf eine Initiative von Bürgermeister Cajetan von Felder zurück“, sagt Maria Auböck, Landschaftsplanerin und Vorsitzende der Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs. „Nicht alle klassischen historischen Plätze in Europa sind als Standorte für Bäume geeignet. Am Josefsplatz dürfte man aufgrund der einzigartigen Raumwirkung nie Bäume pflanzen. Für öffentliche Räume im Weltkulturerbe der Inneren Stadt bräuchte es unbedingt eine begleitende Kontrolle.“ Die ZVA fordert das schon lange.

Anfang der 1990er-Jahre hatte Hans Hollein, Österreichs bis dato einziger Pritzker-Preisträger, eine Kerbe in den Platz geschlagen. Sie verläuft von der Einmündung der Herrengasse bis zur Reitschulgasse. Vier Stufen unter Bodenniveau legt dieses „Archäologiefeld“ von römischen Ausgrabungen über die Fundamente eines Palais des 19. Jahrhunderts und metallumhauste Leitungsrohre der Gegenwart einen Querschnitt durch die Stadtgeschichte frei. Man kann dadurch nicht mehr direkt vom Kohlmarkt aufs Michaelertor zugehen. Hollein legt sich quer. Er zwingt einen, sich der Geschichte zu stellen oder ihr auszuweichen. Paul Katzberger wollte diesen Spalt ursprünglich auch überbrücken. Das war 2018. Vier Jahre später wurde Holleins Intervention unter Schutz gestellt. „Es ist eine der wenigen herausragenden Platzgestaltungen der Postmoderne. Diese Epoche ging sehr selbstbewusst mit Geschichte um“, sagt Wolfgang Salcher. Der stv. Landeskonservator von Wien im Bundesdenkmalamt war von der akribischen Recherche zu dem Projekt tief beeindruckt. Die Neugestaltung sieht Kräuter zwischen den Artefakten vor. „Es muss nicht alles in der Stadt mit Bäumen bepflanzt sein, aber der Wunsch nach Schatten und Aufenthaltsqualität ist zu berücksichtigen“, so Salcher. „Der Klimawandel ist in der internationalen Denkmalpflege ein großes Thema, die Rahmen­bedingungen haben sich völlig geändert.“

Supermarkt statt Literaturcafé

Hofburg, Michaelerkirche, Looshaus: alles unter Denkmalschutz. Letzteres ein subtiler Affront: Die Kolossalsäulen des Geschäfts- und Bürohauses referieren auf das Michaelertor, Adolf Loos, die klassische Moderne und das wohlhabende, gehobene jüdische Bürgertum positionierten sich 1910 damit als unmittelbares Gegenüber – damals ein Skandal. Das Looshaus befindet sich zwischen Kohlmarkt und Herrengasse, wo das einstige Palais Herberstein, geplant von Architekt Carl König, sich mit einem runden Eck elegant in den Platz reiht. Einst trafen sich dort Literatenzirkel im Café Griensteidl, heute ist da eine Supermarktfiliale.

Beherzt, engagiert, stilsicher und großteils auf eigene Kosten hatten die Anrainer die Neugestaltung der Herrengasse in die Hand genommen. Rechtsanwalt Wolfgang Spitzy, Vorsitzender der Eigentümergesellschaft des Hochhauses Herrengasse, spielte eine tragende Rolle. 5,5 Millionen Euro zahlten die Privaten, eine halbe Million die Stadt. Die Herrengasse wurde nach Plänen von Architekt Clemens Kirsch erneuert, war 2016 fertig und sehr gelungen, der Michaelerplatz deutlich ungepflegter. 2017 stieß der Pfarrer der Michaelerkirche, Pater Rauch, die Idee zur Neugestaltung an. Unter Spitzys Federführung formierten sich Wirtschaftskammer, Burghauptmannschaft, Michaelerpfarre und andere Gleichgesinnte zur Initiative für die Neugestaltung des Michaelerplatzes. Sie beauftragten Architekt Paul Katzberger mit der Planung, die in Abstimmung mit allen betroffenen Anrainern und der Stadt laufend adaptiert wurde. 1,2 Millionen Euro werden Private zu den geschätzten Gesamtkosten von 8,5 Millionen Euro beitragen, der Platz soll 2024 fertig sein.

Architektur von Weltrang formt den Michaelerplatz. Jede gibt in ihrer Art Antwort auf die Fragen ihrer Zeit. Jede Neugestaltung sollte sich an Fischer von Erlach, Adolf Loos und Hans Hollein messen und das Hitzeproblem der Gegenwart lösen können. Dieser Anspruch ist hoch und legitim – natürlich kann er scheitern. Aber man sollte es versuchen, der Michaelerplatz wäre es wert. Was bleibt, ist eine Zeitschicht mehr. Sie wird für sich sprechen.

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