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Heumarkt: Drei Aussichten auf das Welterbe
Das Ringen um das Heumarkt-Projekt geht in die nächste Runde. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der Stadt gelingt, einen Neustart zu wagen.
5. September 2023 - Christian Kühn
Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass auf dem Heumarkt-Areal im Jahr 2023 noch immer Stillstand herrschen wird? Schon 2012 war die Idee einer Hochhausbebauung an diesem Ort erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt worden. Diese zeigte sich entsetzt über die vorgeschlagene Dichte; der Investor, Michael Tojner, gab sich konziliant und versprach, die Kosten eines kooperativen Expertenverfahrens unter der Leitung des TU-Professors Rudi Scheuvens zu übernehmen. Dessen Ergebnis waren rund 50 Bebauungsstudien, aus denen ein Beirat zwei Alternativen destillierte. Die erste sah die Sanierung und Aufstockung des Hotel Intercontinental aus den 1960er-Jahren vor. Den Hauptteil an teuer verkaufbaren Nutzflächen sollte ein schlanker, vor das Hotel platzierter Turm von 73 m Höhe liefern, annähernd das Maß des Ringturms am anderen Ende des 1. Bezirks. Die andere Alternative sah den Abriss des Hotels und eine Kombination einer Art Blockrandbebauung mit einem Turm vor.
Diese Vorgaben sollten als Grundlage für einen Architekturwettbewerb dienen. Was folgte, war ein Aufschrei in der nationalen und internationalen Fachwelt, auch vieler Teilnehmer am kooperativen Verfahren, die keinen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und der Empfehlung des Beirats finden konnten. Kritisiert wurde vor allem eine Fehlkonstruktion des Verfahrens: nicht, welche Bebauung der Ort vertrage, sei zur Debatte gestanden, sondern wie sich die Rendite-Vorstellungen des Investors an diesem Ort umsetzen ließen. Die Kritiker forderten einen Neustart der Planung und eine Anpassung der Rendite-Erwartungen an das Potenzial des Orts. Angesichts der Tatsache, dass der Investor das Areal 2008 um kolportierte 4,2 Millionen Euro gekauft hatte, sei der Spielraum dafür mehr als ausreichend.
Eine scheinbar schwebende Platte für das Veranstaltungsgeschoß
Der Investor gab sich unbeeindruckt. In Abstimmung mit der Stadt lobte er einen Wettbewerb aus, den der brasilianische Architekt Isay Weinfeld 2014 für sich entscheiden konnte. Er bevorzugte die erste Variante, also Erhaltung des Hotels und Errichtung eines Turms mit 73 m, der genau auf der Blickachse vom Belvedere zu liegen kam. Die zwingend geforderte Eisfläche von rund 5000 m² erreicht das Projekt durch eine Verdrehung um 90 Grad, wodurch ein Teil auf öffentlichem Grund zu liegen kommt und überdies eine Verlegung der Lothringerstraße nötig wird. Kompositorisch ergänzte Weinfeld Turm und Scheibe um eine verbindende, scheinbar schwebende Platte für das Veranstaltungsgeschoß. Das Projekt bestätigte die Befürchtungen der Kritiker: Das Volumen sprengte den Rahmen der historischen Stadt, sowohl in seiner Nachbarschaft als auch vom Belvedere aus betrachtet, wo der Turm mit seiner Rasterfassade dem Stephansdom Konkurrenz machen würde.
In einem Interview im „Kurier“ sprach Weinfeld von einem Übergangsphänomen, das sich mit der Errichtung weiterer Hochhäuser auflösen werde, wie sie die Stadt im „Masterplan Glacis“ vorgesehen hätte. Beim Masterplan handelte es sich zwar nur um eine unverbindliche Studie, die die Stadt bei Erich Raith (TU Wien) in Auftrag gegeben hatte; sie wurde vom Investor aber als Bestätigung des Projekts dargestellt. Dem Widerstand dagegen ließ sich so freilich nicht begegnen. Vor allem ein Aspekt stellte sich zunehmend als kritisch dar: die Vereinbarkeit des Projekts mit dem Welterbe-Status der Wiener Innenstadt. Schon bei den ersten öffentlichen Vorstellungen 2012 hatte der damalige Präsident von Icomos Österreich, des International Council of Monuments and Sites, Wilfried Lipp, klar zum Ausdruck gebracht, dass Icomos keinem Projekt zustimmen werde, das über die 38 m Höhe der Traufkante des Hotels Intercontinental hinausgeht. Der Investor zeigte sich davon unbeeindruckt. Es werde sich ein Kompromiss finden.
Ringkampf um den Heumarkt
Mit dem Jahr 2014 begann ein Ringkampf um das Projekt, der dem Heumarkt, im vorigen Jahrhundert jeden Sommer ein Mekka des Freistilringens, alle Ehre machte. Er kulminierte 2017 in einem neuen Projekt mit einem von 73 m auf 67 m reduziertem Turm, dessen Gesamtvolumen aber praktisch gleich blieb. Dieser Kunstgriff geht auf einen weiteren TU-Professor zurück, den inzwischen verstorbenen Berater der Planungsstadträtin Maria Vassilakou, Christoph Luchsinger. Er schlug vor, das Hotel Intercontinental abzureißen und durch einen näher an den Stadtpark gerückten, höheren und tieferen „Ersatzneubau“ zu ersetzen.
Bevor die Widmung für das Projekt im Gemeinderat beschlossen wurde, zeigten die Wiener Grünen ihr Talent im politischen Freistilringen: Die grüne Basis setzte eine Urabstimmung durch, die gegen das Projekt ausfiel; Vassilakou stellte den Mandataren auf Druck des roten Koalitionspartners ihr Votum frei. Der Rest ist Geschichte: Die Widmung für das Projekt erhielt eine Mehrheit, die Grünen verloren ihre Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt auch deshalb die nächsten Nationalratswahlen.
Das Projekt hatte damit aber nur scheinbar freie Fahrt. Einen Monat nach der Abstimmung im Landtag setzte die Unesco die Innere Stadt auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten. Trotzdem bescheinigte die Wiener Landesregierung 2018, dass das Projekt zu klein sei, um eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchführen zu müssen. Gegen diesen Bescheid erhob „Alliance for Nature“, unterstützt von der „Initiative Denkmalschutz“, eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Weiters stellte der EuGH Ende 2022 fest, dass Österreich in seinem UVP-Gesetz unzulässige Schwellenwerte eingeführt habe, die allein keine Begründung gegen die Durchführung einer UVP darstellen dürfen.
Und das neue Projekt?
Damit hängt das Verfahren in Österreich in der Warteschleife. Der Investor hat laut Auskunft der Stadt zwei Feststellungsersuchen eingereicht, eine für den Projektstand 2018 und einen für ein neues Projekt aus dem Herbst 2021. Selbst wenn sie gegen die UVP ausgehen, ist mit Beschwerden zu rechnen, womit das BVwG am Zug ist. Wenn es auf UVP-Pflicht erkennt, muss diese erst einmal durchgeführt werden, und dann geht es in die nächste Runde von Beschwerden, bis zu deren Behandlung alle baurechtlichen Bewilligungen blockiert sind.
Und das neue Projekt? Es sieht statt einem Turm eine quer zum Intercontinental stehende 56,5 m hohe Scheibe vor. An der Dichte am Standort und am ruinierten Blick vom Belvedere ändert die Zweischeibenlösung nichts: zwei abgestellte Reisekoffer statt einem frech aufzeigenden Finger. Wenn das keine erhebliche Beeinträchtigung des „Universal Outstanding Value“ ist, was dann?
Die hektischen Aktivitäten des Wiener Landtagspräsidenten Ernst Woller von der SPÖ, im Vorfeld der nächste Woche in Riad beginnenden Sitzung der Unesco-Kommission das Projekt doch noch von der roten Liste zu bekommen, sind so gut wie chancenlos, und einfach zurückgeben lässt sich die Auszeichnung auch nicht. Erst wenn aus der Gefährdung eine Zerstörung geworden ist, gäbe es kein Welterbe mehr und damit auch keine UVP. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der Stadt gelingt, die Initiative an sich zu reißen und einen Neustart zu wagen.
Diese Vorgaben sollten als Grundlage für einen Architekturwettbewerb dienen. Was folgte, war ein Aufschrei in der nationalen und internationalen Fachwelt, auch vieler Teilnehmer am kooperativen Verfahren, die keinen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und der Empfehlung des Beirats finden konnten. Kritisiert wurde vor allem eine Fehlkonstruktion des Verfahrens: nicht, welche Bebauung der Ort vertrage, sei zur Debatte gestanden, sondern wie sich die Rendite-Vorstellungen des Investors an diesem Ort umsetzen ließen. Die Kritiker forderten einen Neustart der Planung und eine Anpassung der Rendite-Erwartungen an das Potenzial des Orts. Angesichts der Tatsache, dass der Investor das Areal 2008 um kolportierte 4,2 Millionen Euro gekauft hatte, sei der Spielraum dafür mehr als ausreichend.
Eine scheinbar schwebende Platte für das Veranstaltungsgeschoß
Der Investor gab sich unbeeindruckt. In Abstimmung mit der Stadt lobte er einen Wettbewerb aus, den der brasilianische Architekt Isay Weinfeld 2014 für sich entscheiden konnte. Er bevorzugte die erste Variante, also Erhaltung des Hotels und Errichtung eines Turms mit 73 m, der genau auf der Blickachse vom Belvedere zu liegen kam. Die zwingend geforderte Eisfläche von rund 5000 m² erreicht das Projekt durch eine Verdrehung um 90 Grad, wodurch ein Teil auf öffentlichem Grund zu liegen kommt und überdies eine Verlegung der Lothringerstraße nötig wird. Kompositorisch ergänzte Weinfeld Turm und Scheibe um eine verbindende, scheinbar schwebende Platte für das Veranstaltungsgeschoß. Das Projekt bestätigte die Befürchtungen der Kritiker: Das Volumen sprengte den Rahmen der historischen Stadt, sowohl in seiner Nachbarschaft als auch vom Belvedere aus betrachtet, wo der Turm mit seiner Rasterfassade dem Stephansdom Konkurrenz machen würde.
In einem Interview im „Kurier“ sprach Weinfeld von einem Übergangsphänomen, das sich mit der Errichtung weiterer Hochhäuser auflösen werde, wie sie die Stadt im „Masterplan Glacis“ vorgesehen hätte. Beim Masterplan handelte es sich zwar nur um eine unverbindliche Studie, die die Stadt bei Erich Raith (TU Wien) in Auftrag gegeben hatte; sie wurde vom Investor aber als Bestätigung des Projekts dargestellt. Dem Widerstand dagegen ließ sich so freilich nicht begegnen. Vor allem ein Aspekt stellte sich zunehmend als kritisch dar: die Vereinbarkeit des Projekts mit dem Welterbe-Status der Wiener Innenstadt. Schon bei den ersten öffentlichen Vorstellungen 2012 hatte der damalige Präsident von Icomos Österreich, des International Council of Monuments and Sites, Wilfried Lipp, klar zum Ausdruck gebracht, dass Icomos keinem Projekt zustimmen werde, das über die 38 m Höhe der Traufkante des Hotels Intercontinental hinausgeht. Der Investor zeigte sich davon unbeeindruckt. Es werde sich ein Kompromiss finden.
Ringkampf um den Heumarkt
Mit dem Jahr 2014 begann ein Ringkampf um das Projekt, der dem Heumarkt, im vorigen Jahrhundert jeden Sommer ein Mekka des Freistilringens, alle Ehre machte. Er kulminierte 2017 in einem neuen Projekt mit einem von 73 m auf 67 m reduziertem Turm, dessen Gesamtvolumen aber praktisch gleich blieb. Dieser Kunstgriff geht auf einen weiteren TU-Professor zurück, den inzwischen verstorbenen Berater der Planungsstadträtin Maria Vassilakou, Christoph Luchsinger. Er schlug vor, das Hotel Intercontinental abzureißen und durch einen näher an den Stadtpark gerückten, höheren und tieferen „Ersatzneubau“ zu ersetzen.
Bevor die Widmung für das Projekt im Gemeinderat beschlossen wurde, zeigten die Wiener Grünen ihr Talent im politischen Freistilringen: Die grüne Basis setzte eine Urabstimmung durch, die gegen das Projekt ausfiel; Vassilakou stellte den Mandataren auf Druck des roten Koalitionspartners ihr Votum frei. Der Rest ist Geschichte: Die Widmung für das Projekt erhielt eine Mehrheit, die Grünen verloren ihre Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt auch deshalb die nächsten Nationalratswahlen.
Das Projekt hatte damit aber nur scheinbar freie Fahrt. Einen Monat nach der Abstimmung im Landtag setzte die Unesco die Innere Stadt auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten. Trotzdem bescheinigte die Wiener Landesregierung 2018, dass das Projekt zu klein sei, um eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchführen zu müssen. Gegen diesen Bescheid erhob „Alliance for Nature“, unterstützt von der „Initiative Denkmalschutz“, eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Weiters stellte der EuGH Ende 2022 fest, dass Österreich in seinem UVP-Gesetz unzulässige Schwellenwerte eingeführt habe, die allein keine Begründung gegen die Durchführung einer UVP darstellen dürfen.
Und das neue Projekt?
Damit hängt das Verfahren in Österreich in der Warteschleife. Der Investor hat laut Auskunft der Stadt zwei Feststellungsersuchen eingereicht, eine für den Projektstand 2018 und einen für ein neues Projekt aus dem Herbst 2021. Selbst wenn sie gegen die UVP ausgehen, ist mit Beschwerden zu rechnen, womit das BVwG am Zug ist. Wenn es auf UVP-Pflicht erkennt, muss diese erst einmal durchgeführt werden, und dann geht es in die nächste Runde von Beschwerden, bis zu deren Behandlung alle baurechtlichen Bewilligungen blockiert sind.
Und das neue Projekt? Es sieht statt einem Turm eine quer zum Intercontinental stehende 56,5 m hohe Scheibe vor. An der Dichte am Standort und am ruinierten Blick vom Belvedere ändert die Zweischeibenlösung nichts: zwei abgestellte Reisekoffer statt einem frech aufzeigenden Finger. Wenn das keine erhebliche Beeinträchtigung des „Universal Outstanding Value“ ist, was dann?
Die hektischen Aktivitäten des Wiener Landtagspräsidenten Ernst Woller von der SPÖ, im Vorfeld der nächste Woche in Riad beginnenden Sitzung der Unesco-Kommission das Projekt doch noch von der roten Liste zu bekommen, sind so gut wie chancenlos, und einfach zurückgeben lässt sich die Auszeichnung auch nicht. Erst wenn aus der Gefährdung eine Zerstörung geworden ist, gäbe es kein Welterbe mehr und damit auch keine UVP. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der Stadt gelingt, die Initiative an sich zu reißen und einen Neustart zu wagen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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