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„Bildet Banden“? Oder: „Macht euch keine Sorgen“? Neue Ausstellungen
Spectrum

Die Ausstellungssaison ist eröffnet, und es gibt viel Neues zu lernen: über Architektur als Pflegeberuf, Schwarm­intelligenz und den ewigen Kampf gegen die Schwerkraft. Eine Rundschau.

6. Oktober 2023 - Christian Kühn
Hans Hollein, Österreichs bisher einziger Pritzker-Preisträger, hat zeitlebens hart an der Marke Hollein gearbeitet. Berüchtigt ist sein Beitrag für die „Absolut Vodka“-Kampagne 1999, für die er in einem Foto des Haas-Hauses am Stephansplatz die zylindrischen Fassadenkörper durch eine Vodka-Flasche ersetzte. Auf die Frage, ob das sein erster Ausflug in die Welt der Werbung sei, antwortete Hollein, als Architekt sei man sein Leben lang auf einem Werbefeldzug für sich selbst. Dass diese Haltung auch auf das Werk abfärbt, ist fast unvermeidlich. Spätestens Mitte der 1990er-Jahre hatte Hollein seinen Zenit überschritten, nach einer provokanten theoretischen Phase, auf die kleine Geschäftslokale folgten, die international Aufmerksamkeit erregten, sowie die großen Projekte der 1980er-Jahre: die Museen in Mönchengladbach und Frankfurt und das Haas-Haus in Wien. Danach war die Marke Hollein etabliert, erwies sich aber als Korsett, das kaum Entwicklung zuließ. Holleins provokanter Schlachtruf aus den 1960er-Jahren, „Alles ist Architektur“, der Möglichkeitsräume öffnen sollte, roch nun nach geschicktem Marketing. Rem Koolhaas verkehrte ihn schon Mitte der 1980er-Jahre ins Gegenteil: „Wo nichts ist, ist alles möglich. Wo Architektur ist, ist nichts (anderes) möglich.“

Das Architekturzentrum Wien hat mit dem Nachlass des 2014 verstorbenen Architekten ein komplexes Erbe zu verwalten, das einen respektvollen, aber kritischen Umgang erfordert. Die derzeit im AzW laufende, von Lorenzo de Chiffre, Benni Eder und Theresa Krenn konzipierte Ausstellung „Hollein Calling – Architektonische Dialoge“ löst diesen Anspruch bravourös ein. Sie präsentiert Zeichnungen und Modelle aus dem Nachlass zu 15 ausgewählten Projekten und stellt sie aktuellen internationalen Positionen von 15 Büros vor, von denen die meisten in den Nullerjahren gegründet wurden. Gemeinsam ist den Büros dieser Generation ein Bekenntnis zur Relevanz der architektonischen Form, deren Entwicklung in Zeichnung und Modell in der Ausstellung nachvollziehbar wird.

Zwischen Alltagspraxis und Weltrettung

Die ausführlichen Interviews mit den 15 Büros, die im Katalog publiziert sind, machen deutlich, dass Hollein mit seinem expliziten Fokus auf die architektonische Form durchaus wahrgenommen wurde; sein postmodernes formales Repertoire und die Tatsache, dass er soziale Fragen weitgehend aussparte, werden von den Interviewpartnern aber überwiegend kritisch gesehen.

Schwarmintelligenz scheint die Strategie der Stunde zu sein. Parallel zum Dialog mit Hollein zeigt das AzW eine weitere Ausstellung mit dem Titel „Zwischen Kostenschätzung, Muttermilch und Bauwende“, in der die jüngste Generation von Architekturschaffenden in Österreich über die aktuelle Lage reflektiert. Der Schwarm besteht in diesem Fall aus rund 60 Personen, die gerade dabei sind, eine Architekturpraxis zu eröffnen, was nicht unbedingt mit einer Tätigkeit als Ziviltechniker gleichzusetzen ist. Der Titel deutet an, dass nicht nur das Spannungsfeld zwischen Alltagspraxis und Weltrettung Thema ist, sondern auch die Lebenssituation der Akteure, Stichwort Life-Work-Balance. Kuratiert von einem Kernteam von sechs Personen, haben in ganz Österreich Workshops stattgefunden, deren Ergebnisse jetzt präsentiert werden, als „umfassendes, kollektiv kuratiertes Mapping, das Positionen versammelt und Fragen stellt, um Diskussionsräume zu öffnen“, wie es im Pressetext heißt. Form spielt hier bestenfalls eine Nebenrolle, dafür entstehen griffige Slogans, die der Ausstellung Struktur geben. Manche davon könnten Karriere machen, etwa „Mitreißen statt Abreißen“, „Bildet Banden“ und die Empfehlung zum „Taktischen Optimismus“, der wohl bedeutet, in die allgemeine Untergangsstimmung ein „Macht euch keine Sorgen!“ hineinzurufen und dann aus den verfügbaren Strohalmen ein rettendes Floß zu bauen.

Den Begriff „Sorge“ trägt auch eine Ausstellung im Titel, die derzeit in Wien im Gebäude der alten Wirtschaftsuniversität nahe des Hundertwasser’schen Verbrennungsturms zu sehen ist. „Sorge um den Bestand – Zehn Strategien für die Architektur“ ist eine Wanderausstellung, die vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten mit einer Förderung durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen erarbeitet wurde. Auch hier gibt es eine Verbindung: Das Wort „Sorge“ haben AzW-Leiterin Angelika Fitz und Elke Krasny 2019 mit der Ausstellung „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise“ im Kontext des Bauens popularisiert. Krasny hat für den aktuellen Katalog einen Beitrag verfasst, in dem sie die Architekt:innen ermahnt, sich nicht länger als staatstragende Akteur:innen zu gerieren, sondern als systemerhaltende – sozusagen als Pflegeberuf.

Kampf gegen die Gemütlichkeit

Dazu kann man in der von Olaf Bahner, Matthias Böttger und Laura Holzberg kuratierten Ausstellung zehn Ansätze des Umgangs mit dem Bestand kennenlernen, die sich allerdings überwiegend essayistisch und nicht strategisch präsentieren, geschweige denn griffige Slogans produzieren, die eine Debatte auslösen können. Vielversprechend ist das von der Plattform für Baukulturpolitik kuratierte Begleitprogramm, von dem bis zum Ausstellungsende am 26. Oktober noch fünf Termine geplant sind.

Aus diesen schwarmintelligenten Unternehmungen sticht eine Ausstellung heraus, die derzeit in Linz auf dem Nestlé-Areal in der ehemaligen Franck & Kathreiner Kaffeefabrik zu sehen ist. Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger, die unter dem Namen Pauhof firmieren, haben hier Arbeiten aus den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem Schaulager arrangiert, das 30 Jahre Kampf gegen die Gemütlichkeit dokumentiert, der sie mit monumentalen Projekten begegneten – etwa für den Berliner Reichstag oder für die Expo 95 und das Museumsquartier in Wien. Hätte man ihre Vorschläge aufgegriffen, würde man Wien heute ansehen, dass es Zentrum einer Metropolregion von knapp drei Millionen Einwohnern ist.

In den 1990er-Jahren international renommiert und im Vortragszirkus und in Ausstellungen präsent, haben Pauhof ihre Karriere als einen Kampf gegen die Schwerkraft angelegt, der nicht zu gewinnen war. Ihr gebautes Werk beschränkt sich auf einige wenige Einfamilienhäuser, exemplarische Architekturen, dazu kommen Ausstellungs­installationen und Wettbewerbsbeiträge. Das meiste davon findet man in Linz frisch restauriert und auf 500 Quadratmetern arrangiert, sodass neue Sinnzusammenhänge entstehen. Das aufgelassene Fabriksgebäude, in dem die Ausstellung zu sehen ist, wird bald drei banalen Hochhäusern weichen, dem Trinity Park. Bei Pauhof könnte man lernen, Architektur im städtebaulichen Maßstab zu denken, statt die Stadtentwicklung dem Finanzmarkt zu überlassen.

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