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Die Suche nach der richtigen Melange
Der Standard

Die Verbindung von Wohnen und Gewerbe war das Thema des jüngsten STANDARD-Wohnsymposiums. Im Fokus stand dabei vor allem Wien, wo seit 2017 das Fachkonzept Produktive Stadt gewisse Linien vorgibt.

18. Oktober 2023 - Martin Putschögl
Wohnen und Gewerbe: Beides braucht seinen Platz im Stadtquartier von heute. „Denn es ist doch am Ende viel interessanter, in einem gemischten Stadtteil zu wohnen, als in einem reinen Wohngebiet“, sagte Dietmar Wiegand, Universitätsprofessor und Leiter des Forschungsbereichs Projektentwicklung und -management an der TU Wien, auf dem 77. Wohnsymposium des STANDARD und des Fachmagazins Wohnen Plus .
Hippies willkommen

Schauplatz war der Gewerbehof in der Seestadt, errichtet und betrieben von der Wirtschaftsagentur Wien als Pilotprojekt des Fachkonzepts Produktive Stadt, das 2017 beschlossen wurde. Es soll Mischnutzungen für gewisse Gebiete („rosa Zonen“) oder Einzelstandorte ermöglichen, bisher sind aber nur sehr wenige Projekte in Umsetzung. „Produktive Stadt“ war auch das Thema des Symposiums.

Woran hapert es?

Wiegand gab in seinem einführenden Statement ein paar Hinweise darauf, was es braucht, damit die Mischung gut funktioniert: „Wettbewerb und Offenheit statt Protektionismus und Vetternwirtschaft“, Vernetzung sei entscheidend für die Qualität eines Standorts, und Cluster seien anzustreben, denn direkte Konkurrenz fördere Innovation und Produktivität. Und es brauche auch jemanden, der sich vor Ort kümmert – um Kommunikation, die Organisation der Mehrfachnutzung von Räumen und Equipment, die Vernetzung der Unternehmen vor Ort, das Community-Building. Außerdem brach Wiegand eine Lanze für die Kreativwirtschaft. „Die Sprayer sind die Gründer:innen von morgen.“ In den USA sei die Bay Area wegen der Hippies so erfolgreich. „Dort sind alle Verrückten hingekommen.“

Claudia Thiesen, Architektin aus Zürich, lieferte einen nicht ganz so weiten Blick über den Tellerrand, diesfalls in die Schweiz. Sie war federführend an der Entwicklung des Hunziker-Areals im Norden Zürichs beteiligt. Dort entstand auf einem 41.000 Quadratmeter großen Gelände einer ehemaligen Betonfabrik ein durchmischter Stadtteil, in dem nun 1200 Menschen leben und 150 arbeiten. 6000 Quadratmeter an Nichtwohnflächen habe man in den Erdgeschoßen geschaffen, vermietet werden sie nach dem Prinzip der Kostenmiete. Diverse Cluster, etwa ein Musik-Cluster mit Tonstudio, hätten sich gebildet, „so wurde relativ schnell Vollvermietung erreicht“.

Angst vor dem Leerstand

Genau darüber – die Verwertung der Flächen – machen sich in Österreich aber die Gemeinnützigen Sorgen. „Wir Gemeinnützigen haben uns risikoavers zu verhalten“, darauf wies Gedesag-Chefin Doris Molnar in einer Wortmeldung aus dem Publikum hin. Und auch WBV-GPA-Geschäftsführer Michael Gehbauer meldete sich zu Wort. Grundsätzlich sei auch er „ein großer Fan von mixed use“, so Gehbauer. Doch Sorgen über „versickernde Kosten und jahrelangen Leerstand“ würden bestehen, deshalb sei mitunter „die Bereitschaft, in die Offensive zu gehen, vielleicht nicht so groß. Hier müsste man ansetzen.“

Aber wie? Nicht nur einmal an diesem Nachmittag wurde die Forderung nach einer Art Wohnbauförderung auch für gewerbliche Nutzungen erhoben. In den Tischgesprächen nach der Podiumsdiskussion fiel das mehrmals. In der „politischen Debatte“ des Symposiums, die diesmal Andrea Faast von der Wiener Wirtschaftskammer und SPÖ-Wien-Wohnbausprecher Kurt Stürzenbecher bestritten (siehe Seite W 2), war auch von fehlenden Verkehrsanbindungen und zu hohen Vorgaben, was den Anteil des leistbaren Wohnens betrifft, die Rede.

Auf die Wichtigkeit der Förderung von Gewerbeansiedlungen wies auch Wiegand hin. Das Fachkonzept Produktive Stadt sei möglicherweise „zu stark aus der Raumordnung heraus gedacht“, eventuell sollte es mehr mit der Wirtschaftsförderung vernetzt werden, sagte er.

Die Sicht der gewerblichen Bauträger brachte Thomas Drozda ein, Geschäftsführer der Arwag. Sein Unternehmen hat im Seebogen-Quartier der Seestadt, in dem sich auch der Gewerbehof befindet, mit dem „Gründer-:innen-Hof“ ein Projekt umgesetzt, das Arbeiten und Wohnen unter einem Dach ermöglichen soll. Im Erdgeschoß ist ein Produktionsbetrieb eingezogen, die „Kasnudl Stadtküche“. „Die Teigtascherlproduktion im Haus hat auch bei uns nicht nur Begeisterung ausgelöst, so ehrlich muss man sein“, bekannte Drozda auf dem Podium. „Aber man darf den Unternehmen nicht erklären, was sie zu unternehmen haben, weil das funktioniert nicht.“

Was ist Produktion?

Eine wichtige Frage sei dabei natürlich, was überhaupt unter „produktiv“ zu verstehen sei. „Gehört Wissensproduktion dazu?“ Denn an der Wohnnutzung habe sich in den letzten 30 Jahren wenig geändert, „an der Gewerbenutzung aber schon“, sagte Drozda. „Was heute ein Handelsbetrieb ist, ist morgen eine Ausbildungseinrichtung für Jugendliche.“

Rainer Holzer, Leiter der Immobilienabteilung in der Wirtschaftsagentur, wartete mit einer unorthodoxen Definition auf: „Produktion ist alles, wo kein Bett drinsteht.“ Die Frage, ob das alles dann auch „wohnverträglich“ ist, ist aber auch für Wiegand eine entscheidende.

Und generell ortet der TU-Professor noch viel Informationsbedarf in Sachen Mischnutzungen. Projektentwickler würden oft „nicht wissen, wo das Gewerbe herkommen soll, das da rein soll“. Einfach einen Makler zu beauftragen, das funktioniere nicht. Man müsse die Bedürfnisse der Unternehmen kennen und zwischen Frequenzbringern, die wenig Miete zahlen sollten, und Frequenznutzern, die hohe Mieten zahlen sollten, unterscheiden. Außerdem brauche es ein Quartiersmanagement.

„Wenn es Probleme gibt, muss man so schnell wie möglich in einen Dialog treten“, sagte auch Holzer. „Wenn die Menschen keinen Ansprechpartner haben, dann eskaliert etwas schnell.“ Mit den Wohnbaugesellschaften, die die Wohnungen neben dem Gewerbehof errichteten, habe man „einen Kommunikationsprozess in Gang gesetzt, mit kleineren Events mehrmals im Jahr“ .

„Experimentierlabor“

Lärm sei natürlich immer ein Thema, wenn es um die Verschmelzung von Nutzungen geht, sagte Wiegand. Gleichzeitig gelte auch: „Mehr ausprobieren. Wenn’s nicht funktioniert, was anderes probieren.“ Den Königsweg gebe es nicht. „Fehlerkultur ist wichtig.“

Grundsätzlich sei die Seestadt Aspern als „Experimentierlabor“ dafür da, Dinge auszuprobieren, betonte Robert Grüneis, Vorstand der Wien 3420 Aspern Development AG. Fast 5000 Arbeitsplätze gebe es hier mittlerweile, weitere kommen bald dazu; das Biopharma-Unternehmen Takeda baut ein neues Gebäude für Forschung und Entwicklung. „Die werden auch Leute mitbringen, die dann in der Umgebung wohnen wollen.“

In den anschließenden Tischgesprächen berieten die Teilnehmerinnen des Wohnsymposiums über notwendige Maßnahmen und Weichenstellungen. Identitätsbildung sei wichtig, ebenso Planungssicherheit, wurde betont. Manche forderten auch mehr Information seitens der Stadt darüber ein, was in den „rosa Zonen“ nun eigentlich gewünscht ist. Und das rechtliche Korsett sei mitunter zu eng. Generell müsse eine „Positivspirale“ in Gang kommen, sagte Gedesag-Chefin Molnar – und hatte auch gleich einen Slogan parat: „Die Wiener Melange – die richtige Mischung.“

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