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Fifty-fifty mit Fix und Flex
Wohnen und arbeiten unter einem Dach: Klingt einfach, ist aber sehr kompliziert, vor allem wenn man bei null beginnt. Im Wiener Nordbahnhofviertel hat eine engagierte Gruppe gemeinsam mit Architekten und Bauträger ein Pionierprojekt gestemmt, das es so noch nicht gab. Ein Hausbesuch in der Hauswirtschaft.
16. Dezember 2023 - Maik Novotny
Der Wuzler steht schon da, die Sitzmöbel und die Theke für die Rezeption fehlen noch. Nebenan dröhnen noch die Bohrer, hier wird bald ein Veranstaltungssaal inklusive Bar täglich seine Türen öffnen. Vor der Glasfront stehen auf dem Boden die Großbuchstaben H und W. Daneben steht Peter Rippl, und auf seinem Sweatshirt prangt ein Logo, das ebenfalls aus den Buchstaben H und W besteht. „Wir sind vor drei Monaten eingezogen, aber es gibt immer noch viel zu tun“, sagt er. „Das Haus in Betrieb nehmen, für das Haus werben und dann auch noch selbst einziehen, mit allem, was dazugehört.“
Peter Rippl ist vieles gleichzeitig: Er ist Ein-Mann-Unternehmer und Teil eines Schwarms. Denn der Shiatsu-Praktiker ist Mitgründer der genossenschaftlichen Baugruppe „die Hauswirtschaft“, bei der er heute gemeinsam mit Angela Kohl als Geschäftsführer agiert. Sie alle haben etwas geschafft, das es in Wien bisher noch nicht gab. 48 Wohnungen und 3500 Quadratmeter Gewerbe unter einem Dach, selbst organisiert. Das Mischverhältnis aus Wohnen und Nichtwohnen ist es, was Gründerzeitvierteln ihren städtischen Charakter gibt, doch eine solche Mischung in einem neuen Quartier aus dem Nichts zu zaubern, das ist eine Königsdisziplin. Vom Sonnwendviertel bis Transdanubien hat man gesehen, wie schwer sich die Wohnbauträger damit tun.
Sockel und Würfel
Als Partner fand man die bereits baugruppenerfahrenen Architekten Einszueins (Wohnprojekt Wien, Gleis21) und den Bauträger EGW. Ein Forschungsprojekt der TU Wien namens Open Haus Wirtschaft lieferte erste Erkenntnisse. Als Ort für das Experiment fand sich ein dreieckiges Grundstück im Nordbahnhofviertel, eingeklemmt neben einem Hochhaus mit schmalem, aber unverbaubarem Blick auf den grünen Park der „Freien Mitte“. Von außen erkennt man die Zwei-Komponenten-Idee auf den ersten Blick: ein rotbrauner dreigeschoßiger Sockel unten für die Wirtschaft, ein cremeweißer Kubus obendrauf fürs Haus. Im Inneren merkt man jedoch schnell: Es ist kompliziert.
Das beginne, sagt Peter Rippl, schon bei der Frage, welche Türen von wem geöffnet werden können. Das 280-Quadratmeter-Foyer empfängt Wohnende, Werkende und Gäste, bevor sich die Wege dann im Haus verzweigen. Noch dazu werden die Büros, Studios und Werkstätten sowohl von Bewohnern als auch von externen Mieterinnen genutzt. Da freut man sich über das freundliche und farbenfrohe Leitsystem an den Wänden.
Wir steigen hinauf in den ersten Stock. Schmale Korridore mit Zimmerfluchten rechts und links gibt es hier ebenso wenig wie uferlose Großraumbüros, stattdessen ein in vielen abendfüllenden Sitzungen von Baugruppe und Architekten ausgetüfteltes System aus sogenannten Fix- und Flexräumen. Dessen Vorteil liegt im Teilen und Anpassen. Teilbar sind: Besprechungsräume, Kojen für Zoomkonferenzen und fürs Telefonieren, Garderoben für Therapiepatienten, Kaffeemaschine, WCs.
„Früher hatte meine Shiatsu-Praxis 40 Quadratmeter, jetzt brauche ich die Hälfte“, erklärt Rippl. Besonders attraktiv ist die Fix-Flex-Kombi für Unternehmen, die je nach Saison oder Projekt schnell wachsen und schrumpfen – sie können für Stunden, Tage oder Wochen in die Flexräume hinein expandieren; natürlich in Abstimmung mit den mitspracheberechtigten Hauswirtschaftlern. Ein summender Bienenkorb der Schwarmintelligenz. Die Einnahmen aus der Vermietung an Externe finanzieren wiederum die Gemeinschaftsräume und Aktivitäten der Baugruppe.
Sisyphus-Felsbrocken
Das Konzept basiert auf einer doppelten Analyse der Marktsituation. Zum einen hatte die Gruppe erkannt, dass für viele Kleinunternehmerinnen weder teure, enge Co-Working-Spaces noch der Schreibtisch zu Hause geeignete Firmensitze sind. „Der Markt bietet diesen Leuten nur wenig bis nichts an“, sagt Rippl. Zum anderen war offensichtlich, dass die Nachfrage nach Wohnraum in Wien praktisch unstillbar ist – also kann man Bedingungen stellen. In diesem Fall: Leute, die im selben Haus auch arbeiten wollen. „Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg war, dass wir die Wohnungen vorrangig an Leute vergeben haben, die auch Gewerbeflächen nutzen wollten.“ Damit das kleinmaßstäbliche Wirtschaften in möglichst produktiver Harmonie vonstattengeht, wurde genau auf die richtige Zusammensetzung geachtet. „Auch die Interessenten wollten wissen, wer schon dort angesiedelt ist, weil es ihnen wichtig war, dass sie sich vernetzen können, dass es Synergien gibt.“
Räume und Nutzerinnen, die permanent in Bewegung sind – ein hehres Ideal, doch baurechtlich kommt das einem simultanen Jonglieren mit mehreren Sisyphus-Felsbrocken gleich. Denn die strengen Normen für Luftwechselraten, Belichtung, Fluchtwege und Brandschutz verlangen nach unveränderbarer Eindeutigkeit. „Brandschutz und Haustechnik haben uns so einige schlaflose Nächte bei der Planung bereitet“, sagt Markus Zilker von Einszueins Architektur.
„Im Rückblick gab es vielleicht auch eine methodische Übertreibung, was die Komplexität des Ganzen betrifft.“ Die Bewältigungsarbeit aller Normen und Vorschriften drängt sich auch hier und da in die Räume. Grobe Brandschutztüren, gordische Knoten aus Lüftungsrohren. Angesichts der Energie, die der ganze Prozess kostete, war wenig Luft für Feintuning im Design. Die Bürde der Pioniere besteht darin, die Regeln des Möglichen zu schaffen. Die Nächsten, die das Modell umsetzen, dürfen es dann optimieren und feinschleifen.
Handbuch in Arbeit
Mit dem Lift ins oberste Stockwerk, vom Wirtschaftstrakt in den Wohntrakt, und das komplexitätsbeladene Hirn darf sich entspannen. Hier wird das Können des gemeinschaftliche Wiener Wohnbaus entspannt ausgespielt, mit großen Gemeinschaftsräumen, die dem dicht gepackten Haus, das seinen Bauplatz fast zu 100 Prozent auffüllt, die nötige Luft verschaffen. Eine riesige Gemeinschaftsküche für Bewohner und Arbeiterinnen mit Dachterrasse, und ganz oben die Sauna mit dem wohl besten Ausblick der Stadt.
„Eigentlich haben wir alles, was wir uns vor sieben Jahren gewünscht haben, jetzt hier im Haus“, sagt Peter Rippl. Die ersten potenziellen Nachahmer haben ihren Besuch schon angemeldet. Sieben Jahre Engagement, Gespräche, Verhandlungen und schlaflose Nächte: Lässt sich das Modell Hauswirtschaft so leicht reproduzieren? Ein Handbuch, sagt Markus Zilker, sei schon in Arbeit. „Aber man muss es sich wirklich trauen, man muss es wirklich wollen. Und es hängt alles an den einzelnen Personen, die das Ganze tragen.“
Peter Rippl ist vieles gleichzeitig: Er ist Ein-Mann-Unternehmer und Teil eines Schwarms. Denn der Shiatsu-Praktiker ist Mitgründer der genossenschaftlichen Baugruppe „die Hauswirtschaft“, bei der er heute gemeinsam mit Angela Kohl als Geschäftsführer agiert. Sie alle haben etwas geschafft, das es in Wien bisher noch nicht gab. 48 Wohnungen und 3500 Quadratmeter Gewerbe unter einem Dach, selbst organisiert. Das Mischverhältnis aus Wohnen und Nichtwohnen ist es, was Gründerzeitvierteln ihren städtischen Charakter gibt, doch eine solche Mischung in einem neuen Quartier aus dem Nichts zu zaubern, das ist eine Königsdisziplin. Vom Sonnwendviertel bis Transdanubien hat man gesehen, wie schwer sich die Wohnbauträger damit tun.
Sockel und Würfel
Als Partner fand man die bereits baugruppenerfahrenen Architekten Einszueins (Wohnprojekt Wien, Gleis21) und den Bauträger EGW. Ein Forschungsprojekt der TU Wien namens Open Haus Wirtschaft lieferte erste Erkenntnisse. Als Ort für das Experiment fand sich ein dreieckiges Grundstück im Nordbahnhofviertel, eingeklemmt neben einem Hochhaus mit schmalem, aber unverbaubarem Blick auf den grünen Park der „Freien Mitte“. Von außen erkennt man die Zwei-Komponenten-Idee auf den ersten Blick: ein rotbrauner dreigeschoßiger Sockel unten für die Wirtschaft, ein cremeweißer Kubus obendrauf fürs Haus. Im Inneren merkt man jedoch schnell: Es ist kompliziert.
Das beginne, sagt Peter Rippl, schon bei der Frage, welche Türen von wem geöffnet werden können. Das 280-Quadratmeter-Foyer empfängt Wohnende, Werkende und Gäste, bevor sich die Wege dann im Haus verzweigen. Noch dazu werden die Büros, Studios und Werkstätten sowohl von Bewohnern als auch von externen Mieterinnen genutzt. Da freut man sich über das freundliche und farbenfrohe Leitsystem an den Wänden.
Wir steigen hinauf in den ersten Stock. Schmale Korridore mit Zimmerfluchten rechts und links gibt es hier ebenso wenig wie uferlose Großraumbüros, stattdessen ein in vielen abendfüllenden Sitzungen von Baugruppe und Architekten ausgetüfteltes System aus sogenannten Fix- und Flexräumen. Dessen Vorteil liegt im Teilen und Anpassen. Teilbar sind: Besprechungsräume, Kojen für Zoomkonferenzen und fürs Telefonieren, Garderoben für Therapiepatienten, Kaffeemaschine, WCs.
„Früher hatte meine Shiatsu-Praxis 40 Quadratmeter, jetzt brauche ich die Hälfte“, erklärt Rippl. Besonders attraktiv ist die Fix-Flex-Kombi für Unternehmen, die je nach Saison oder Projekt schnell wachsen und schrumpfen – sie können für Stunden, Tage oder Wochen in die Flexräume hinein expandieren; natürlich in Abstimmung mit den mitspracheberechtigten Hauswirtschaftlern. Ein summender Bienenkorb der Schwarmintelligenz. Die Einnahmen aus der Vermietung an Externe finanzieren wiederum die Gemeinschaftsräume und Aktivitäten der Baugruppe.
Sisyphus-Felsbrocken
Das Konzept basiert auf einer doppelten Analyse der Marktsituation. Zum einen hatte die Gruppe erkannt, dass für viele Kleinunternehmerinnen weder teure, enge Co-Working-Spaces noch der Schreibtisch zu Hause geeignete Firmensitze sind. „Der Markt bietet diesen Leuten nur wenig bis nichts an“, sagt Rippl. Zum anderen war offensichtlich, dass die Nachfrage nach Wohnraum in Wien praktisch unstillbar ist – also kann man Bedingungen stellen. In diesem Fall: Leute, die im selben Haus auch arbeiten wollen. „Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg war, dass wir die Wohnungen vorrangig an Leute vergeben haben, die auch Gewerbeflächen nutzen wollten.“ Damit das kleinmaßstäbliche Wirtschaften in möglichst produktiver Harmonie vonstattengeht, wurde genau auf die richtige Zusammensetzung geachtet. „Auch die Interessenten wollten wissen, wer schon dort angesiedelt ist, weil es ihnen wichtig war, dass sie sich vernetzen können, dass es Synergien gibt.“
Räume und Nutzerinnen, die permanent in Bewegung sind – ein hehres Ideal, doch baurechtlich kommt das einem simultanen Jonglieren mit mehreren Sisyphus-Felsbrocken gleich. Denn die strengen Normen für Luftwechselraten, Belichtung, Fluchtwege und Brandschutz verlangen nach unveränderbarer Eindeutigkeit. „Brandschutz und Haustechnik haben uns so einige schlaflose Nächte bei der Planung bereitet“, sagt Markus Zilker von Einszueins Architektur.
„Im Rückblick gab es vielleicht auch eine methodische Übertreibung, was die Komplexität des Ganzen betrifft.“ Die Bewältigungsarbeit aller Normen und Vorschriften drängt sich auch hier und da in die Räume. Grobe Brandschutztüren, gordische Knoten aus Lüftungsrohren. Angesichts der Energie, die der ganze Prozess kostete, war wenig Luft für Feintuning im Design. Die Bürde der Pioniere besteht darin, die Regeln des Möglichen zu schaffen. Die Nächsten, die das Modell umsetzen, dürfen es dann optimieren und feinschleifen.
Handbuch in Arbeit
Mit dem Lift ins oberste Stockwerk, vom Wirtschaftstrakt in den Wohntrakt, und das komplexitätsbeladene Hirn darf sich entspannen. Hier wird das Können des gemeinschaftliche Wiener Wohnbaus entspannt ausgespielt, mit großen Gemeinschaftsräumen, die dem dicht gepackten Haus, das seinen Bauplatz fast zu 100 Prozent auffüllt, die nötige Luft verschaffen. Eine riesige Gemeinschaftsküche für Bewohner und Arbeiterinnen mit Dachterrasse, und ganz oben die Sauna mit dem wohl besten Ausblick der Stadt.
„Eigentlich haben wir alles, was wir uns vor sieben Jahren gewünscht haben, jetzt hier im Haus“, sagt Peter Rippl. Die ersten potenziellen Nachahmer haben ihren Besuch schon angemeldet. Sieben Jahre Engagement, Gespräche, Verhandlungen und schlaflose Nächte: Lässt sich das Modell Hauswirtschaft so leicht reproduzieren? Ein Handbuch, sagt Markus Zilker, sei schon in Arbeit. „Aber man muss es sich wirklich trauen, man muss es wirklich wollen. Und es hängt alles an den einzelnen Personen, die das Ganze tragen.“
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