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Das vergiftete Geschenk
Die Idee, Mietern von Sozialwohnungen den Weg zum Eigentum zu bahnen, wird immer wieder vorgebracht. Das 1980 von Margaret Thatchers Regierung beschlossene Right-to-Buy-Gesetz zeigt, welche Folgen eine solche Idee haben kann.
3. Februar 2024 - Maik Novotny
Aufrecht wie eine Soldatin, starr wie Porzellan, die Hand fotogen an eine offensichtlich leere Teetasse gelegt, saß die Premierministerin in der bunt tapezierten Küche von James und Maureen Patterson. Seit 18 Jahren bewohnte das Paar mit seinen drei Kindern das Haus in Harold Hill im Osten von London. Margaret Thatcher, seit etwas mehr als einem Jahr im Amt, hatte ihnen ein Geschenk mitgebracht: ein Gesetz namens 1980 Housing Act, besser bekannt als „Right to Buy“. Es erlaubte den Pattersons, ihre Kommunalwohnung mit 40 Prozent Rabatt für 8315 Pfund (heute rund 52.000 Euro) zu erwerben. Sie waren nicht die Einzigen. Zwei Jahre später wurden 167.000 Häuser und Wohnungen privatisiert, während Thatchers Amtszeit waren es rund 1,5 Millionen.
Right to Buy sollte aus Thatchers Sicht ein voller Erfolg werden, und es war alles andere als eine spontane Idee. Schon 1946 hatte der spätere Premierminister Anthony Eden seine Tories auf das Ziel einer „property-owning democracy“ eingeschworen, und selbst sein Labour-Rivale James Callaghan räumte ein, dass das Wohneigentum ein ureigener Wunsch der meisten Menschen sei. Gleichzeitig sank die Zahl neuer Sozialwohnungen rapide. Waren es zwischen 1975 und 1980 noch 627.830, waren es in den ersten fünf Thatcher-Jahre nur 215.580, gegen Ende der 1980er-Jahre schrumpfte die Zahl praktisch auf null.
Bus nach Birmingham
Rund 40 Jahre nach der Teetassenbegegnung in der Küche der Pattersons. Stratford High Street, im Osten Londons, unweit des Olympiageländes. In diesem früher unattraktiven Viertel hat die Stadtentwicklung den Turbo eingeschaltet, die Kräne drehen sich um neue Hochhäuser. Wie jeden Samstag stehen die Frauen von Focus E15 an ihrem Infostand. Die Aktivistinnen haben sich 2013 zusammengeschlossen, als 29 alleinerziehende Mütter aus einem Wohnheim mit der Aufforderung delogiert wurden, sich ein Zuhause in Städten zu suchen, die hunderte Kilometer entfernt sind und in denen sie niemanden kennen. Als die alleinerziehende Sara Abdullah 2018 dagegen protestierte, sich mit ihrem kleinen Sohn in einen Bus nach Birmingham zu setzen, wurde sie als „absichtlich wohnungslos“ deklariert und ihr die Wohnbeihilfe gestrichen. Es gebe zu wenig leistbares Wohnen in London, so eine Sprecherin der Behörde, da könne man eben nichts machen. Sie hatte leider nicht unrecht. Im Jahr 2023 fanden sich in London 323.827 Haushalte auf der Warteliste für eine Sozialwohnung, die Obdachlosigkeit steigt seit Jahren an.
Was eher wie eine düstere Szene aus einem viktorianischen Charles-Dickens-Roman als nach dem 21. Jahrhundert klingt, ist eine der vielen Folgen von Right to Buy. Zwar wurde die Idee, kommunales Wohnen in privates zu wandeln, in vielen Staaten umgesetzt und zuletzt vorige Woche von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wieder einmal ins Programm genommen, doch auf der Insel ging man am radikalsten vor. Hier lassen sich auch die Folgen am deutlichsten ablesen.
Vermieter profitieren
Fragen wir also zuerst: Wer profitiert davon? Antwort: nicht wenige, aber nicht alle. Schon 1988 wies eine Studie der Regierung nach, dass vor allem die Mittelklasse-Familien vom Kaufrecht Gebrauch gemacht hatte. Alleinerziehende, Alleinstehende, Jüngere und Arbeitslose blieben außen vor. Am meisten profitieren jedoch die Vermieter, denen heute 40 Prozent der Right-to-Buy-Wohnungen gehören, mit Mieten, die mehr als doppelt so hoch sind wie jene in kommunalen Wohnungen.
Wer davon nicht profitierte: Das waren zum einen die Kommunen, die ihren Wohnbestand unter Wert verkauften und denen eines weiteren Thatcher-Gesetzes von 1980 wegen das Schuldenmachen für neue Wohnbauinvestitionen verboten war. Auch die Steuerzahler, von deren Geld die Sozialwohnungen errichtet wurden, stiegen schlecht aus: Vom Verkauf hatten sie nichts, dafür zahlten sie nicht nur den Right-to-Buy-Rabatt, sondern auch die Wohnbeihilfe für jene, die sich das Wohnen allein nicht leisten können, heute rund ein Viertel aller Mieter im Land. Nach Schätzungen beträgt der Verlust für die öffentliche Hand seit 1980 rund 75 Milliarden Pfund, während die Wohnbeihilfen letztlich in den Taschen der Vermieterinnen landen.
Politisch ging das Ziel der Konservativen, mit ihrem verführerischen Geschenk die Arbeiter- und untere Mittelklasse zu spalten und die Wohneigentümer zu Tory-Wählern zu machen, auf. Diese Spaltung spürt man bis heute in den Wohnbauten: jene, die für Käufer attraktiv waren, und jene, in denen die Ärmeren verblieben. Letztlich führte Right to Buy zu einer Stigmatisierung des sozialen Wohnbaus an sich, denn wer sich kein Eigentum leisten konnte, musste schließlich ein Verlierer sein. Noch Thatchers Nachfolger David Cameron sprach 2016 verächtlich von den „sink estates“ und meinte damit nicht nur die „heruntergekommenen Betontürme“, sondern implizit auch deren Bewohnerinnen und Bewohner.
Wenig Gutes
Dabei hatte das Vereinigte Königreich in den 1960er- und 1970er-Jahren Wohnbauten von hervorragender Qualität realisiert, die zu den besten in Europa gehörten. Einer davon ist das in helle Ziegel gekleidete Dawson’s Heights, das seit 1972 auf einem Hügel in Südlondon thront. Entworfen wurde es von der jungen Architektin Kate Macintosh, die sich auch heute noch im Alter von 86 Jahren hochaktiv in Diskussionen über Wohnbaupolitik einmischt. Sie hat wenig Gutes über Right to Buy zu sagen: „Es hätte funktionieren können, wenn man eine Obergrenze festgelegt hätte, aber das hat man nicht. Die Folgen waren katastrophal. Der günstige Kaufpreis wurde direkt aus öffentlichen Geldern finanziert und die Wohnungen nach und nach von immer größeren Vermietern aufgeschnappt, nicht selten Parlamentsabgeordneten oder deren Verwandten. Es ist ein direkter Transfer von öffentlichem Reichtum in private Hände. Man könnte es Diebstahl nennen.“
Und die Pattersons? Sie hatten nicht viel Glück mit ihrem Eigenheim. Das Ehepaar ließ sich scheiden, Mrs. Patterson konnte sich angesichts steigender Zinsen die Hypothek nicht leisten und zog in einen Wohnwagen und sagte: „Hätte ich das vorhersehen können, hätte ich nie von Right to Buy Gebrauch gemacht.“ Alle späteren Eigentümer dagegen profitierten vom Wertzuwachs, 2013 wurde das Haus für das 20-Fache seines Preises von 1980 weiterverkauft. Wie hatte es Margaret Thatcher damals angekündigt: „Die Wirtschaft ist die Methode, aber das Ziel ist es, die Seele zu verändern.“
Right to Buy sollte aus Thatchers Sicht ein voller Erfolg werden, und es war alles andere als eine spontane Idee. Schon 1946 hatte der spätere Premierminister Anthony Eden seine Tories auf das Ziel einer „property-owning democracy“ eingeschworen, und selbst sein Labour-Rivale James Callaghan räumte ein, dass das Wohneigentum ein ureigener Wunsch der meisten Menschen sei. Gleichzeitig sank die Zahl neuer Sozialwohnungen rapide. Waren es zwischen 1975 und 1980 noch 627.830, waren es in den ersten fünf Thatcher-Jahre nur 215.580, gegen Ende der 1980er-Jahre schrumpfte die Zahl praktisch auf null.
Bus nach Birmingham
Rund 40 Jahre nach der Teetassenbegegnung in der Küche der Pattersons. Stratford High Street, im Osten Londons, unweit des Olympiageländes. In diesem früher unattraktiven Viertel hat die Stadtentwicklung den Turbo eingeschaltet, die Kräne drehen sich um neue Hochhäuser. Wie jeden Samstag stehen die Frauen von Focus E15 an ihrem Infostand. Die Aktivistinnen haben sich 2013 zusammengeschlossen, als 29 alleinerziehende Mütter aus einem Wohnheim mit der Aufforderung delogiert wurden, sich ein Zuhause in Städten zu suchen, die hunderte Kilometer entfernt sind und in denen sie niemanden kennen. Als die alleinerziehende Sara Abdullah 2018 dagegen protestierte, sich mit ihrem kleinen Sohn in einen Bus nach Birmingham zu setzen, wurde sie als „absichtlich wohnungslos“ deklariert und ihr die Wohnbeihilfe gestrichen. Es gebe zu wenig leistbares Wohnen in London, so eine Sprecherin der Behörde, da könne man eben nichts machen. Sie hatte leider nicht unrecht. Im Jahr 2023 fanden sich in London 323.827 Haushalte auf der Warteliste für eine Sozialwohnung, die Obdachlosigkeit steigt seit Jahren an.
Was eher wie eine düstere Szene aus einem viktorianischen Charles-Dickens-Roman als nach dem 21. Jahrhundert klingt, ist eine der vielen Folgen von Right to Buy. Zwar wurde die Idee, kommunales Wohnen in privates zu wandeln, in vielen Staaten umgesetzt und zuletzt vorige Woche von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wieder einmal ins Programm genommen, doch auf der Insel ging man am radikalsten vor. Hier lassen sich auch die Folgen am deutlichsten ablesen.
Vermieter profitieren
Fragen wir also zuerst: Wer profitiert davon? Antwort: nicht wenige, aber nicht alle. Schon 1988 wies eine Studie der Regierung nach, dass vor allem die Mittelklasse-Familien vom Kaufrecht Gebrauch gemacht hatte. Alleinerziehende, Alleinstehende, Jüngere und Arbeitslose blieben außen vor. Am meisten profitieren jedoch die Vermieter, denen heute 40 Prozent der Right-to-Buy-Wohnungen gehören, mit Mieten, die mehr als doppelt so hoch sind wie jene in kommunalen Wohnungen.
Wer davon nicht profitierte: Das waren zum einen die Kommunen, die ihren Wohnbestand unter Wert verkauften und denen eines weiteren Thatcher-Gesetzes von 1980 wegen das Schuldenmachen für neue Wohnbauinvestitionen verboten war. Auch die Steuerzahler, von deren Geld die Sozialwohnungen errichtet wurden, stiegen schlecht aus: Vom Verkauf hatten sie nichts, dafür zahlten sie nicht nur den Right-to-Buy-Rabatt, sondern auch die Wohnbeihilfe für jene, die sich das Wohnen allein nicht leisten können, heute rund ein Viertel aller Mieter im Land. Nach Schätzungen beträgt der Verlust für die öffentliche Hand seit 1980 rund 75 Milliarden Pfund, während die Wohnbeihilfen letztlich in den Taschen der Vermieterinnen landen.
Politisch ging das Ziel der Konservativen, mit ihrem verführerischen Geschenk die Arbeiter- und untere Mittelklasse zu spalten und die Wohneigentümer zu Tory-Wählern zu machen, auf. Diese Spaltung spürt man bis heute in den Wohnbauten: jene, die für Käufer attraktiv waren, und jene, in denen die Ärmeren verblieben. Letztlich führte Right to Buy zu einer Stigmatisierung des sozialen Wohnbaus an sich, denn wer sich kein Eigentum leisten konnte, musste schließlich ein Verlierer sein. Noch Thatchers Nachfolger David Cameron sprach 2016 verächtlich von den „sink estates“ und meinte damit nicht nur die „heruntergekommenen Betontürme“, sondern implizit auch deren Bewohnerinnen und Bewohner.
Wenig Gutes
Dabei hatte das Vereinigte Königreich in den 1960er- und 1970er-Jahren Wohnbauten von hervorragender Qualität realisiert, die zu den besten in Europa gehörten. Einer davon ist das in helle Ziegel gekleidete Dawson’s Heights, das seit 1972 auf einem Hügel in Südlondon thront. Entworfen wurde es von der jungen Architektin Kate Macintosh, die sich auch heute noch im Alter von 86 Jahren hochaktiv in Diskussionen über Wohnbaupolitik einmischt. Sie hat wenig Gutes über Right to Buy zu sagen: „Es hätte funktionieren können, wenn man eine Obergrenze festgelegt hätte, aber das hat man nicht. Die Folgen waren katastrophal. Der günstige Kaufpreis wurde direkt aus öffentlichen Geldern finanziert und die Wohnungen nach und nach von immer größeren Vermietern aufgeschnappt, nicht selten Parlamentsabgeordneten oder deren Verwandten. Es ist ein direkter Transfer von öffentlichem Reichtum in private Hände. Man könnte es Diebstahl nennen.“
Und die Pattersons? Sie hatten nicht viel Glück mit ihrem Eigenheim. Das Ehepaar ließ sich scheiden, Mrs. Patterson konnte sich angesichts steigender Zinsen die Hypothek nicht leisten und zog in einen Wohnwagen und sagte: „Hätte ich das vorhersehen können, hätte ich nie von Right to Buy Gebrauch gemacht.“ Alle späteren Eigentümer dagegen profitierten vom Wertzuwachs, 2013 wurde das Haus für das 20-Fache seines Preises von 1980 weiterverkauft. Wie hatte es Margaret Thatcher damals angekündigt: „Die Wirtschaft ist die Methode, aber das Ziel ist es, die Seele zu verändern.“
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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