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Die Ruinen des René
Der Standard

Die Signa-Insolvenz hat auch in Berlin alle Bauprojekte vorerst gestoppt. Manche sind fast fertig, andere im Planungsstadium. Sie alle waren jahrelang umstritten, denn Berlin ist geübt im Widerstand gegen aggressive Investorenprojekte. Ein winterlicher Spaziergang zu stillstehenden Baustellen.

24. Februar 2024 - Maik Novotny
Die ersten Fernsehteams bauen schon ihre Kameras auf dem Gehweg auf an diesem frühen Berliner Montagmorgen Ende Jänner. Bald werden sie ihre Mikros den Winterschlussverkaufskunden des Nobelkaufhauses KaDeWe unter die Nase halten. Wenige Stunden vorher war die Insolvenz der KaDeWe-Gruppe vermeldet worden, der letzte Dominostein im Kollaps des Signa-Imperiums, das Mehrheitseigentümer des Traditionstempels war. Innen stehen die Angestellten in der Parfümabteilung in Grüppchen zusammen, das Gesprächsthema ist nicht schwer zu erraten.

Völlige Stille dagegen auf der anderen Straßenseite, Passauer Straße 1. Ein halbfertiger Rohbau in der Morgensonne, gestapelte Container, ein Kran, keine Bauarbeiter. Auf dem Bauzaun locken gerenderte Bilder mit Bürowelten in Weiß, Beige und Terrazzo und die Aufschrift „No 1 Passauer. A foyer of its own class. A project by Signa. Get in touch“. 16.670 Quadratmeter Büro- und Handelsflächen sollen hier, wo früher das KaDeWe-Parkhaus stand, entstehen, Fertigstellung Ende 2024. Am 5. Jänner wurde für die Gesellschaft Berlin, Passauer Straße 1–3 Immobilien GmbH & Co. KG der Insolvenzantrag gestellt. Get in touch: kein Anschluss unter dieser Nummer. No one bei No 1.

Kaufhaus Karstadt, Prestigeadresse Kurfürstendamm 231. Hier wurden die Kräne noch nicht auf-, aber ein paar Metallboxen in eine Baulücke hineingestellt, gekrönt mit dem Schriftzug „POP“. Der verglaste Ausstellungsraum steht leer, nur vor dem Pop-up-Fast-Food-Container vergraben ein paar Hipster ihr Gesichter in ihren Pulled Burgern. Eigentlich sollte das „POP Ku’damm“ für ein Megaprojekt der Signa werben, die dafür herbeigeschafften Metallkisten sind das global bewährte Zubehör einer von Konzernen verordneten Zufälligkeit und von PR-Agenturen kuratierten Subkultur-Simulation.

Coolness-Mimikry

Diese Berlin-ist-cool-Mimikry konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Projekt Kudamm 231 eines der umstrittensten Großinvestments der Signa war. Vor allem, weil das Entwicklungskonzept City West des Berliner Senats eigentlich hier keine Hochhäuser vorsah. Das änderte sich nach dem Regierungswechsel, die neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt ordnete Anfang 2022 ein Werkstattverfahren an, in dem „bis zu zwei Hochpunkte“ plötzlich möglich sein sollten, im März jenes Jahres präsentierte Kahlfeldt dem Ausschuss das Signa-Projekt, was von der Berliner Presse als fragwürdiges Naheverhältnis beurteilt wurde, und auch die FAZ titelte: „Neue Kunsthalle POP Kudamm – Das trojanische Pferd eines weiteren Investors“. Im September 2022 wurde eine Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt und Investor abgeschlossen. Was genau hier gebaut werden sollte, wurde weitgehend der Signa und ihrem Wettbewerb überlassen. Diesen gewann im Juni 2023 das dänische Büro Henning Larsen gegen prominente Konkurrenz. Neun Gebäude, bis zu 134 Meter hoch, als Marke mitgeliefert der zähneziehend originelle Name Ku’lturhof.

Doch was für den Tiroler René Benko und sein Firmenimperium in anderen Städten eine g’mahde Wiesn ist, erwies sich auf dem harten Berliner Pflaster als Hindernislauf. Denn das Projekt am Ku’damm und die Quasi-Übernahme der Stadtplanung durch den Investor führten im Jänner 2021 zur Gründung der Initiative „Berlinerinnen gegen Signa“, auf deren Website man die Chronologie aller Signa-Projekte detailliert nachlesen kann. Nun sind Konflikte mit Investoren in dieser streitbaren Stadt nichts Neues, doch hier handle es sich um einen besonders unverfrorenen Fall, sagt Architektin Theresa Keilhacker, Mitglied der Initiative, auf Anfrage des ΔTANDARD. „Die Pläne der Signa-Gruppe wurden immer größer, und die Standorte befanden sich an zentralen Verkehrs- und Einkaufsknoten, mit wichtiger Scharnierfunktion für ihre jeweiligen Quartiere und die gesamte Stadt“, sagt sie. „Demzufolge wäre es wichtig, Fachexpertise und eine kritische Stadtbevölkerung einzubinden. Eine gigantische Herausforderung, die leider viel zu viel hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde.“

Klamme Kommune

Die hochfliegenden Pläne der Signa-Gruppe, kritisiert Keilhacker, wirkten komplett abgekoppelt vom realen Alltag der Berlinerinnen. „Hinzu kommt, dass die klamme Kommune mit der notwendigen Transformation zu einer klimagerechten Region nicht hinterherkommt und die Projekte immer mehr Ressourcen banden, die man dringender für andere Aufgaben gebraucht hätte.“

Welchen enormen Aufwand die Signa-Gruppe in Berlin trieb, um ihre Pläne durchzuboxen, sieht man am besten am Hermannplatz, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. Hier wurde 1929 das damals größte Kaufhaus Deutschlands errichtet, mit dramatisch vertikal emporstrebenden Art-déco-Türmen und einer fürstlichen, vom Kaufhaus finanzierten U-Bahn-Station. Von den Türmen ist nur noch einer übrig, daneben ein Karstadt-Funktionsbau in grauem Alltagsdesign der Nachkriegszeit. Nach den Signa-Plänen sollte Architekt David Chipperfield den alten Art-déco-Glanz wieder aufleben lassen, doch das geschönte Bild eines Roaring-Twenties-Berlin kollidierte mit der Realität von Gentrifizierung, multikulturellem Kiez-Stolz und engagiertem Bürgertum.

Um dieses zu umschmeicheln, hatte die Signa alle Register gezogen. Eine „HRMNNBOX“ mit gecasteten Graffitikünstlern und Urban Gardening, eine Website namens „Nicht ohne Euch“, die einen Dialog auf Augenhöhe versprach, aber nicht hielt: Das Grundlagendokument der verkündeten Bürgerbeteiligung wurde monatelang unter Verschluss gehalten. Währenddessen entzog der Senat dem Bezirk, der sich deutlich gegen das Projekt ausgesprochen hatte, die Planungshoheit. Die Berliner Mentalität, seit jeher mit guten Bullshit-Detektoren gegen scheinheiligen Schönklang ausgestattet, ließ sich nicht täuschen, eine eigene Bürgerinitiative formte sich gegen das Hermannplatz-Projekt.

Heute ist die Box verschwunden, in der warmen Wintersonne sitzen dauerjunge Menschen in North-Face-Jacken mit dem Bier vor dem Späti, im Hintergrund lärmt eine Pro-Palästina-Demo. Und Berlin ist so lebendig, hässlich, widersprüchlich und aufregend wie immer.

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