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Teuflisch gut
Der Standard

Gestern imperiales Kurbad mit Moorbädern, geplant von den Wiener Theaterarchitekten Fellner und Helmer, heute eine mutig hineinimplantierte Musiktribüne in knalligem Rot. Zu Besuch in den Císařské Láznì in Karlsbad.

2. März 2024 - Wojciech Czaja
Kateřina Knìžíková betritt die Bühne, champagnerfarbenes Abendkleid mit glitzernden Steinchen von oben bis unten, und setzt zu den ersten Versen an: „Una donna a quindici anni, dèe saper ogni gran moda, dove il diavolo ha la coda, cosa è bene e mal cos’è.“ Schon ein Mädchen von fünfzehn Jahren, singt die Sopranistin, müsse die große Kunst verstehen, wo den Schwanz hat der Teufel, was gut sei und was schlecht.

Ihre Arie aus Mozarts Così fan tutte, so tun es angeblich alle, füllt den ganzen Raum, der Schall pflanzt sich fort bis hoch in die allerletzte Reihe. „Dèe in un momento, dar retta a cento, colle pupille, parlar con mille.“ In einem Moment, zu Hunderten wechselt sie die Blicke, zu Tausenden die Worte.

Gar so viele Männer und Frauen passen in den neuen Konzertsaal im tschechischen Karlsbad nicht hinein, aber immerhin an die 300, verteilt auf 13 Reihen, vollbestückt mit superbequemen, teufelsrot bespannten Klappsitzen. Das allein wäre noch lange kein Grund für Jubel in höchsten Tönen. Sehr wohl aber die Tatsache, dass das knallrote Stahlungetüm ausgerechnet in ein denkmalgeschütztes Gebäude aus dem Jahr 1895 hineingestellt wurde, errichtet von den Wiener Theaterarchitekten Fellner und Helmer, die dereinst auch das Wiener Volkstheater, das Landestheater Salzburg, die Komische Oper Berlin, das Nationaltheater Rijeka und das Opernhaus Odessa geplant hatten.

„Ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe den imperialen Charme dieser Stadt immer schon geliebt“, sagt der Prager Architekt Petr Hájek. Die Kurstadt Karlsbad, Karlovy Vary auf Tschechisch, sei ein Freiluftmuseum galanter, prosperierender k. u. k. Zeiten, ein kompaktes Großstädtchen inmitten bewaldeter Landschaft, mit regem Kulturbetrieb und mondänen Kurbädern, die mal unten im Tal, mal etwas weiter oben auf den Hängen platziert sind. Und im Gegensatz zu österreichischen Kurstädten wie etwa Bad Ischl oder Bad Gastein, so scheint es, ist Karlsbad weder tot noch in der Vergangenheit steckengeblieben, sondern immer noch quicklebendig, mit wohltuend frischem Geiste zwischen all den alten Gemäuern.

Altes Kaiserbad

Dieser zeigt sich vor allem im alten Kaiserbad, in den sogenannten Císařské Láznì. Einst befanden sich hier, hufeisenförmig im Halbkreis angeordnet, Moorbäder mit tonnenschweren Stahlwannen, die von einer mobilen Krankonstruktion im Innenhof durch die Lüfte bewegt und durch fensterartige Öffnungen im Mauerwerk in die einzelnen Kurbadezimmer hineingeschoben und nach dem getätigten Bad wieder entnommen wurden, um im Hof aufs Neue mit Wasser und frischem Torf befüllt zu werden, alles per zentrale Steuerung hinter den Kulissen. Auf diese Weise konnten pro Tag bis zu 2000 Menschen versorgt werden.

Der Kurbetrieb ist längst eingestellt. Um die architektonische Perle aus ihrem Dornröschenschlaf zu reißen und endlich einer neuen Nutzung zuzuführen, entschied sich die Stadt in Zusammenarbeit mit der nationalen Denkmalbehörde, 2018 einen Wettbewerb auszuschreiben und im einst infrastrukturell genutzten Innenhof einen Konzertsaal für die Tschechischem Philharmoniker zu errichten. Doch nach zwei Jahren intensiver Entwicklungsarbeit steckte das Siegerprojekt fest. Die Komplexität des Gebäudes und seiner horrenden Anforderungen im Umgang mit Akustik, Grundwasser und Denkmalschutz brachten die Planungen zum Erliegen.

„Daraufhin wurde ich 2020 kontaktiert und gebeten, als eine Art Troubleshooter einzuspringen“, erzählt Hájek. Sein Erfolgsrezept: „Nicht alles ins Gebäude hineinquetschen mit Ach und Krach, sondern stattdessen auf die räumlichen Gegebenheiten reagieren und die Bauaufgabe auf das reduzieren, was der Raum und die schwierigen Parameter erlauben.“ Bühne und Tribüne wurden verkleinert und als eine Art selbsttragendes Stahlmöbel in den Hof hineingestellt, auf Kulissen und unmittelbar angrenzende Backstage-Räumlichkeiten wurde verzichtet. Die Haustechnik konnte im Gespräch mit den Bauherren auf eine kompakte Low-Tech-Sparvariante abgespeckt werden. Hájek: „Ungewöhnliche Aufgaben erfordern ungewöhnliche Lösungen.“

Zerlegbare Konstruktion

Um die Bauarbeiten zu vereinfachen, wurde die ehemalige Glasüberdachung entfernt. Durch die so entstandene Öffnung konnten die vorgefertigten Stahlelemente, 746 Stück an der Zahl, per Kran in den Innenhof gehievt werden. Um die Konstruktion eines Tages auch wieder zerlegen zu können, musste die Montage der einzelnen Komponenten – eine Anforderung der Denkmalbehörde – mittels Schraubverbindungen erfolgen. 4592 Muttern und Schrauben halten das 16 Meter hohe Theaterimplantat, das die denkmalgeschützten Hofmauern an keiner einzigen Stelle berühren durfte, zusammen. Erst nach Fertigstellung des 94 Tonnen schweren Teufelswerks wurde das Dach wieder geschlossen.

„Für mich grenzt es an ein Wunder, dass wir das Projekt tatsächlich umsetzen konnten, ohne einen einzigen architektonischen Kompromiss, als roten Bausatz inmitten von Fellners und Helmers wunderschöner Neorenaissance-Architektur“, sagt Petr Hájek. „Was einst ein reiner Technikhof für den Kurbetrieb war, zu dem das Publikum keinen Zutritt hatte, ist nun ein Ort von ein bisschen gebastelter, ein bisschen improvisierter Hochkultur.“

Und was sagen die Künstlerinnen selbst? „In musikalischer Hinsicht ist jeder Konzertsaal ein Unikat und klingt auch entsprechend anders“, sagt Lenka Machová, erste Geige bei den Tschechischen Philharmonikern, kurz nach dem Konzert. „Dieser Saal ist halt besonders anders. Wir finden es großartig, hier zu spielen, wir sind ganz begeistert von den kräftigen Farben und der wilden Geometrie. Eine schöne Anregung für die Augen, die uns herausfordert, den Ohren eine mindestens genauso schöne Anregung zu bieten.“

Der neue Konzertsaal im 1895 errichteten Kaiserbad ist eine wertvolle Inspiration, die beweist, was im Rahmen des Denkmalschutzes alles möglich ist, wenn bloß alle Kräfte an einem gemeinsamen Strang ziehen. Così fan tutte, im besten aller Fälle. Wie meinte doch Mozart? „Par ch’abbian gusto di tal dottrina. Viva Despina!“ Sie scheinen, auf weitere Lehre, Geschmack bekommen zu haben. Es lebe Despina!

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