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Prater ohne Wursteln: Das neue Pratermuseum eröffnet am 15. März
Zwei Wunder – und ein Architekt, der sich von allen Vorgaben frei macht. Michael Wallraffs neues Pratermuseum oder: Wie man ästhetisch abheben und doch auf dem Boden bleiben kann.
8. März 2024 - Wolfgang Freitag
Kaiser Franz Joseph begegnet Alexander Van der Bellen. Ludwig van Beethoven stapft zwischen Gustav Klimt, Egon Schiele und Franz Schubert grummelig durchs Gras. Und über allem Batman in den Wiener Lüften. Das neue Pratermuseum macht möglich, was sonst nicht möglich ist – nicht nur auf dem Zeiten und Grenzen überschreitenden Praterwimmelbild, das die Seitenwand im Erdgeschoß füllt, sondern auch mit einer Architektur, die eine andere Sprache spricht als alles, was sie umgibt, und dennoch genau hierher und nirgends sonst hingehört.
Dass derlei geschehen kann, ist zunächst einmal der Sammelbegeisterung eines Wiener Heimatforschers zu verdanken: Über Jahrzehnte häufte Hans Pemmer (1886 bis 1972), von Beruf Lehrer, einen Bestand an Pratermemorabilien an, die bis in die Zeit der Öffnung des kaiserlichen Jagdreviers für die Öffentlichkeit, 1766, zurückreicht.
So war es auch Pemmers Wohnung, in der ein erstes Pratermuseum Heimstatt fand, ehe seine Sammlung 1964 in einen Nebenraum des eben erst errichteten Planetariums übersiedelte – unter der Ägide des damals noch als Historisches Museum der Stadt Wien geläufigen Wien Museums.
„Zugang von zwei Seiten, das Museum obendrauf“
Die Jahrzehnte zogen ins Land, und die Präsentation der Sammlung im Planetarium vermochte den Besucherbedürfnissen wie jenen der Konservatoren immer weniger zu genügen. Und siehe, da geschah das erste Praterwunder: Eine Spielhalle, zwischen Riesenradplatz und Straße des Ersten Mai gelegen, wurde vom Betreiber aufgegeben.
„Ursprünglich hatten wir die Aufgabe zu prüfen, ob man diese Halle so verwenden kann, wie sie ist“, erzählt Architekt Michael Wallraff. „Und da hat sich rasch herausgestellt, dass die in keiner Weise entspricht.“
Nächster Versuch: ein gleich großer Ersatzbau, „aber halt klimagerecht“, so Wallraff. „Da ist dann die Diskussion entstanden: Wenn es eine eingeschoßige Halle ist, wo geht man hinein, an der Straße des Ersten Mai oder auf der anderen Seite? Irgendwann hab ich gesagt: Zugang von beiden Seiten und das Museum obendrauf. Und so ist das Projekt in die Höhe gewachsen.“
Kreatives Chaos?
Man habe sich letztlich von der ursprünglichen Fragestellung gelöst und grundsätzlicher überlegt: „Was gehört da wirklich her? Und wie kann man das nachhaltig, aber auch städtebaulich und typologisch richtig machen?“ Eine vorgabenbefreite Vorgangsweise, wie sie sich manche beim neuen Wien Museum gewünscht hätten. Umso erstaunlicher, dass sich derlei ausgerechnet im Wurstelprater ereignet, einem Terrain, das nicht unbedingt als Hotspot der Baukunst gilt.
Was Wohlgesonnene als kreatives Chaos beschreiben, das individuelle Gestaltungslust der mehr als 80 Praterunternehmer zum Ausdruck bringe, nehmen weniger Wohlgesonnene als Geisterbahn grotesker Beliebigkeiten wahr, in der an die Stelle der subversiven komödiantischen Verve eines Hanswurst allseitiges Durchwursteln getreten ist.
Auch ein obrigkeitlicher Versuch, 2008 mit einer Neugestaltung des Zugangsbereichs ein wenig Haltung ins Unterhaltungs-Tohuwabohu zu bringen, hat nicht mehr als Abgeschmacktes in die Entertainmentwelt gesetzt, diesfalls allerdings um so viel Geld, dass es die dafür amtszuständige Vizebürgermeisterin sogar die politische Karriere gekostet haben soll. Jedenfalls zog sie sich kurz nach dem Desaster aus der Politik zurück.
Das Dach: Sprungschanze, Zelt oder Kasperlmütze?
So blieb das dem Riesenrad 2002 angelagerte Entree des Schweizers Mathis Barz bis dato der einzig ansehnliche Baubeitrag jüngeren Datums zu einem Gelände, dem an seinem Südosteck mit der monumentalen Betonröhre des „Panorama Vienna“ eben erst eine besonders groteske Ergänzung zuteil wurde.
Wie’s ganz anders gehen kann, zeigt jetzt das Pratermuseum vor. Schon das äußere Erscheinungsbild demonstriert gleichermaßen Witz wie Traditionsbewusstsein: Die Lattenfassade der Oberstöcke referiert auf den Bretterbudenzauber vergangener Tage, das Orange dahinter und darunter an unser aller Bedürfnis, nicht alles tierisch ernst zu nehmen.
Das Dach öffnet in seiner Form ein Feld vielfältiger Assoziationen. Und egal, ob man Sprungschanze, Zelt oder Kasperlmütze darin erahnen will, seiner Gestalt ist eine widerständige Heiterkeit eigen, die sich so markant wie liebenswürdig in Szene setzt.
„Einladung zum Spekulieren“
Gut möglich, dass sich derlei Bewusstsein für den dramatischen Gestus aus Michael Wallraffs Zweitprofession, der Bühnenbildnerei, erklären lässt. „Wir wollten eine kleine Landmark setzen“, bekennt er denn auch, und diese hat ausgerechnet in einer Vorgabe der für Stadtgestaltung zuständigen Magistratsabteilung ihren Ursprung. „Ich habe bei der MA 19 angefragt, was aus deren Sicht gar nicht geht“, erzählt Wallraff. „Dort hat man gesagt, der Blick aufs Riesenrad soll frei bleiben.
Damit war klar: Zur Straße des Ersten Mai hin kann man eigentlich recht hoch bauen, denn da verstellen wir das Riesenrad nicht, aber auf der anderen Seite, dem Riesenrad zu, muss es runtergehen. Und so ist diese Dachform entstanden.“ All das und noch etliches mehr, zum Projekt gefasst, hatte freilich nicht mehr allzu viel mit der Ausgangsidee – und den dafür budgetierten Errichtungskosten – gemein.
Und da geschah das zweite Praterwunder: Die Stadt Wien, konkret ihr Kulturressort, hatte Einsehen in Vernunft und Qualität des Vorgeschlagenen und tat, was dieser Tage nur selten geschieht – sie stimmte der Finanzierung dessen zu, was architektonisch überzeugend und kulturpolitisch (zur Aufwertung des Wurstelpraters) richtig war.
Praterattraktion der besonderen Art
So kommen ab 15. März Besucherinnen und Besucher in den Genuss einer Institution, die ihresgleichen nicht bald wo hat: nicht allein der rundum aufgefrischten und mittlerweile beträchtlich erweiterten Sammlung wegen, sondern auch mit sorgsam gestalteten Räumlichkeiten, die das Zeug zu einer Praterattraktion der besonderen Art haben.
Im frei zugänglichen Erdgeschoß mit dem schon erwähnten Riesenwimmelbild, das sein Schöpfer, der Grafiker Olaf Osten, als „Einladung zum Spekulieren“ verstanden wissen will; in den zwei Geschoßen darüber mit einer von Michael Wallraff verantworteten Ausstellungsarchitektur, die bei vergleichsweise noch immer bescheidenem Platzangebot eine Fülle sorgsam ausgewählter Objekte ins rechte Licht setzt, ohne das Publikum mit einer Überfülle zu erschlagen.
Und wer von so viel Vergangenheiten die Gegenwart nicht aus dem Blick verlieren will, dem bieten zwei Balkone die Möglichkeit, sich ein Bild davon zu machen. „Die Idee war, dass man von außen neugierig wird: Da stehen Leute oben – und wie komme ich da hin?“, erläutert Wallraff. „Und dass man am Ende der Ausstellung den Prater zum Ausstellungsobjekt macht.“ Ein Objekt, dessen erfreulichsten Neuzugang seit Jahrzehnten man leider genau von dort nicht sehen kann: das Pratermuseum.
Dass derlei geschehen kann, ist zunächst einmal der Sammelbegeisterung eines Wiener Heimatforschers zu verdanken: Über Jahrzehnte häufte Hans Pemmer (1886 bis 1972), von Beruf Lehrer, einen Bestand an Pratermemorabilien an, die bis in die Zeit der Öffnung des kaiserlichen Jagdreviers für die Öffentlichkeit, 1766, zurückreicht.
So war es auch Pemmers Wohnung, in der ein erstes Pratermuseum Heimstatt fand, ehe seine Sammlung 1964 in einen Nebenraum des eben erst errichteten Planetariums übersiedelte – unter der Ägide des damals noch als Historisches Museum der Stadt Wien geläufigen Wien Museums.
„Zugang von zwei Seiten, das Museum obendrauf“
Die Jahrzehnte zogen ins Land, und die Präsentation der Sammlung im Planetarium vermochte den Besucherbedürfnissen wie jenen der Konservatoren immer weniger zu genügen. Und siehe, da geschah das erste Praterwunder: Eine Spielhalle, zwischen Riesenradplatz und Straße des Ersten Mai gelegen, wurde vom Betreiber aufgegeben.
„Ursprünglich hatten wir die Aufgabe zu prüfen, ob man diese Halle so verwenden kann, wie sie ist“, erzählt Architekt Michael Wallraff. „Und da hat sich rasch herausgestellt, dass die in keiner Weise entspricht.“
Nächster Versuch: ein gleich großer Ersatzbau, „aber halt klimagerecht“, so Wallraff. „Da ist dann die Diskussion entstanden: Wenn es eine eingeschoßige Halle ist, wo geht man hinein, an der Straße des Ersten Mai oder auf der anderen Seite? Irgendwann hab ich gesagt: Zugang von beiden Seiten und das Museum obendrauf. Und so ist das Projekt in die Höhe gewachsen.“
Kreatives Chaos?
Man habe sich letztlich von der ursprünglichen Fragestellung gelöst und grundsätzlicher überlegt: „Was gehört da wirklich her? Und wie kann man das nachhaltig, aber auch städtebaulich und typologisch richtig machen?“ Eine vorgabenbefreite Vorgangsweise, wie sie sich manche beim neuen Wien Museum gewünscht hätten. Umso erstaunlicher, dass sich derlei ausgerechnet im Wurstelprater ereignet, einem Terrain, das nicht unbedingt als Hotspot der Baukunst gilt.
Was Wohlgesonnene als kreatives Chaos beschreiben, das individuelle Gestaltungslust der mehr als 80 Praterunternehmer zum Ausdruck bringe, nehmen weniger Wohlgesonnene als Geisterbahn grotesker Beliebigkeiten wahr, in der an die Stelle der subversiven komödiantischen Verve eines Hanswurst allseitiges Durchwursteln getreten ist.
Auch ein obrigkeitlicher Versuch, 2008 mit einer Neugestaltung des Zugangsbereichs ein wenig Haltung ins Unterhaltungs-Tohuwabohu zu bringen, hat nicht mehr als Abgeschmacktes in die Entertainmentwelt gesetzt, diesfalls allerdings um so viel Geld, dass es die dafür amtszuständige Vizebürgermeisterin sogar die politische Karriere gekostet haben soll. Jedenfalls zog sie sich kurz nach dem Desaster aus der Politik zurück.
Das Dach: Sprungschanze, Zelt oder Kasperlmütze?
So blieb das dem Riesenrad 2002 angelagerte Entree des Schweizers Mathis Barz bis dato der einzig ansehnliche Baubeitrag jüngeren Datums zu einem Gelände, dem an seinem Südosteck mit der monumentalen Betonröhre des „Panorama Vienna“ eben erst eine besonders groteske Ergänzung zuteil wurde.
Wie’s ganz anders gehen kann, zeigt jetzt das Pratermuseum vor. Schon das äußere Erscheinungsbild demonstriert gleichermaßen Witz wie Traditionsbewusstsein: Die Lattenfassade der Oberstöcke referiert auf den Bretterbudenzauber vergangener Tage, das Orange dahinter und darunter an unser aller Bedürfnis, nicht alles tierisch ernst zu nehmen.
Das Dach öffnet in seiner Form ein Feld vielfältiger Assoziationen. Und egal, ob man Sprungschanze, Zelt oder Kasperlmütze darin erahnen will, seiner Gestalt ist eine widerständige Heiterkeit eigen, die sich so markant wie liebenswürdig in Szene setzt.
„Einladung zum Spekulieren“
Gut möglich, dass sich derlei Bewusstsein für den dramatischen Gestus aus Michael Wallraffs Zweitprofession, der Bühnenbildnerei, erklären lässt. „Wir wollten eine kleine Landmark setzen“, bekennt er denn auch, und diese hat ausgerechnet in einer Vorgabe der für Stadtgestaltung zuständigen Magistratsabteilung ihren Ursprung. „Ich habe bei der MA 19 angefragt, was aus deren Sicht gar nicht geht“, erzählt Wallraff. „Dort hat man gesagt, der Blick aufs Riesenrad soll frei bleiben.
Damit war klar: Zur Straße des Ersten Mai hin kann man eigentlich recht hoch bauen, denn da verstellen wir das Riesenrad nicht, aber auf der anderen Seite, dem Riesenrad zu, muss es runtergehen. Und so ist diese Dachform entstanden.“ All das und noch etliches mehr, zum Projekt gefasst, hatte freilich nicht mehr allzu viel mit der Ausgangsidee – und den dafür budgetierten Errichtungskosten – gemein.
Und da geschah das zweite Praterwunder: Die Stadt Wien, konkret ihr Kulturressort, hatte Einsehen in Vernunft und Qualität des Vorgeschlagenen und tat, was dieser Tage nur selten geschieht – sie stimmte der Finanzierung dessen zu, was architektonisch überzeugend und kulturpolitisch (zur Aufwertung des Wurstelpraters) richtig war.
Praterattraktion der besonderen Art
So kommen ab 15. März Besucherinnen und Besucher in den Genuss einer Institution, die ihresgleichen nicht bald wo hat: nicht allein der rundum aufgefrischten und mittlerweile beträchtlich erweiterten Sammlung wegen, sondern auch mit sorgsam gestalteten Räumlichkeiten, die das Zeug zu einer Praterattraktion der besonderen Art haben.
Im frei zugänglichen Erdgeschoß mit dem schon erwähnten Riesenwimmelbild, das sein Schöpfer, der Grafiker Olaf Osten, als „Einladung zum Spekulieren“ verstanden wissen will; in den zwei Geschoßen darüber mit einer von Michael Wallraff verantworteten Ausstellungsarchitektur, die bei vergleichsweise noch immer bescheidenem Platzangebot eine Fülle sorgsam ausgewählter Objekte ins rechte Licht setzt, ohne das Publikum mit einer Überfülle zu erschlagen.
Und wer von so viel Vergangenheiten die Gegenwart nicht aus dem Blick verlieren will, dem bieten zwei Balkone die Möglichkeit, sich ein Bild davon zu machen. „Die Idee war, dass man von außen neugierig wird: Da stehen Leute oben – und wie komme ich da hin?“, erläutert Wallraff. „Und dass man am Ende der Ausstellung den Prater zum Ausstellungsobjekt macht.“ Ein Objekt, dessen erfreulichsten Neuzugang seit Jahrzehnten man leider genau von dort nicht sehen kann: das Pratermuseum.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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