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Theo, wir fahr’n nach Jesolo!
Der Standard

Theo, wir fahr’n nach Jesolo!

Die jüngste Ausstellung im Architekturzentrum Wien widmet sich der Anatomie des Reisens – nicht nur mit einer profunden Kritik am Status quo, sondern auch mit inspirierenden Beispielen für einen sanften, nachhaltigen Tourismus.

23. März 2024 - Wojciech Czaja
Und üban Woid,
do werma drüberfoahn,
mit Skilift und Chalet-Resort.
Des Umweltamt, des sogt:

„Des geht ned, weil
do is a Schutzgebiet.
Do wohnt ein wahrer Partisan,
und heißen tut er Auerhahn.“

Des Hendl is zwoa ned sehr gscheit,
doch gscheita ois die Seilbahnleit.
Des Schlimmste an dem Viech
is, dass der Vogl a no unbestechlich is.

Der Bürgermeister Blues von Marcus Hinterberger, 2022 erschienen, ertönt in der Station sieben: Natur. Privatisierung der Schönheit . Über der hölzernen Ausstellungswand mit eingebauten Kopfhörern hängt ein lilafarbener Banner von der Saaldecke, ganz so wie auf einer Ferienmesse, auf der man sich mit Sackerln voller Reisekataloge von einem Stand zum nächsten schleppt, nur ist hier alles ein bissl anders. Statt paradiesischen, verheißungsvollen Versprechungen mit almgrünen und himmelblauen Fotos gibt’s Zahlen, Daten, Fakten – und jede Menge Kritik am heute klassischen Massen- und Individualtourismus.

„Der Tourismus hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert“, sagen die beiden Kuratorinnen Katharina Ritter und Karoline Mayer, während sie mit dem STANDARD durch die fiktive Messehalle im Architekturzentrum Wien marschieren, gestaltet nach einem Konzept von ASAP Pitro Sammer Architekten, „denn immer mehr Menschen reisen immer öfter, immer weiter und in immer kürzeren Aufenthalten. Und das hat nicht nur Auswirkungen auf die Mobilität, sondern auch auf viele andere Aspekte – wie etwa Hotelbetrieb, Energieeinsatz, Bodenpolitik, Landwirtschaft, Immobilienwirtschaft, lokale und regionale Lebensqualität sowie steigende Wohn- und Lebenserhaltungskosten.“

Wir lernen: In der Glücksspielmetropole Macau (Sonderverwaltungszone China, ehemals Portugal) macht der Tourismus knapp 51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die 218 in Europa registrierten Kreuzfahrtschiffe emittieren 4,4-mal mehr Schwefeloxid als alle (!) Autos in ganz Europa. Und: Musterfamilie Gruber, die erst gar kein Auto besitzt und sich vegan ernährt, dafür aber einmal pro Jahr mit den Kids nach Costa Rica fliegt, um dort zwei Wochen lang Meeresschildkröten zu retten, hat einen höheren CO2 -Fußabdruck als Musterfamilie Huber, die mit zwei Autos im Speckgürtel wohnt, sich das ganze Jahr über von Schnitzeln ernährt und einen All-inclusive-Urlaub in Jesolo bucht.

Storytelling-Elemente

Spätestens hier hat man verstanden, warum die Ausstellung den wortspielerischen, doppeldeutigen Titel Über Tourismus trägt. Anhand von Grafiken, konkreten Beispielen und spielerischen Storytelling-Elementen wie mit den Grubers und Hubers werden die Inhalte sehr anschaulich transportiert. Dass die Zusammenstellung über den Hallstatt-Horror, die künstlich beschneiten „weißen Bänder“ in den Alpen und die strukturellen, allseits bekannten Auswirkungen von Kitzbühel, Wörthersee und Salzkammergut weit hinausgehen, versteht sich bei diesem Kuratorinnenduo, das vor drei Jahren bereits den vielbeachteten Ausstellungsschocker Boden für alle konzipiert hatte, fast von selbst.

„Aber wir wollen nicht nur klagen, anprangern und Kollateralschäden aufzeigen“, sagen Ritter und Mayer, „wir wollen auch positive Best-Practice-Beispiele für einen sanften, nachhaltigen Tourismus vor den Vorhang holen, denn schließlich sind wir eine Ferienmesse. Also zumindest fast.“ Rund 30 alternative, durchaus nachahmenswerte Reisestrategien gibt es in der Ausstellung zu entdecken – von der Alm über Städtereisen der anderen Art bis hin zu innovativen Konzepten für Wertschöpfung, Landschaftspflege und karitativen Tourismus, von dem ausnahmsweise die Schwächsten der Gesellschaft profitieren: Obdachlose, Geflüchtete, Gewaltbetroffene.

Mit dem Magdas Hotel, betrieben von der Caritas, mit geflüchteten Menschen an der Bar und Rezeption, gibt es nun erstmals ein schönes, durchaus schickes und absolut bobotaugliches Social-Business-Hotel mitten in Wien. Ein ähnliches Konzept verfolgt ein anderer Trägerverein mit seinem Hotel VinziRast am Land, wo man auf dem Gelände eines ehemaligen Gault-Millau-Luxusrestaurants in Alland nun günstig urlauben und nebenbei Biogemüse und glückliche Eier mit nach Hause nehmen kann.

Sanfter Tourismus

Ebenfalls im ländlichen Raum angesiedelt sind diverse Initiativen wie etwa die „Schule der Alm“. Der 2016 gegründete Verein versteht sich als Ausbildungsprogramm und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Almen im Tiroler Valsertal zu erhalten – und zwar mit der Hilfe von Interessenten, die mal Urlaub von ihrem „Bullshitjob“ machen und sich mit Sense, Spaten und Spitzhacke betätigen und die Kulturlandschaft in bis zu 3400 Meter Seehöhe nachhaltig pflegen und mitgestalten wollen. Aufgrund des zunehmenden Bauernsterbens gibt es in anderen Regionen – wie etwa am Grundlsee in der Steiermark oder am Weißensee in Kärnten – bereits eigene Landschaftspflegefonds, die Nebenerwerbslandwirte finanziell unterstützen.

Dass sanfter Tourismus nicht nur auf das Konto einer nachhaltigen Landwirtschaft einzahlen, sondern auch zum Erhalt regionaler Baukultur beisteuern kann, beweist die 2005 gegründete Stiftung „Ferien im Baudenkmal“. Von der Bauhausvilla am Zürichsee bis zur hochalpinen Holzhütte aus dem 16. Jahrhundert werden denkmalgeschützte Preziosen in der gesamten Schweiz vor dem Verfall bewahrt, denkmalgerecht restauriert und schließlich dem touristischen Markt zur Verfügung gestellt – und das zu durchaus moderaten Preisen, denn das Ziel der Stiftung sind nicht größtmögliche Gewinne, sondern gelebte Baukultur und die Stärkung lokaler Wertschöpfungsketten.

„Der Tourismus ist ein wesentlicher Hebel im Umgang mit der globalen Klimakrise und mit klimaadaptiven Maßnahmen“, sagen die beiden Kuratorinnen. „Daher müssen wir dringend handeln. Es gibt jede Menge sinnstiftender Best-Practice-Beispiele, an denen wir uns orientieren können.“ Während Venedig in Touristenmassen untergeht, hat Bhutan etwa die Corona-Krise dazu genutzt, den Tourismus im eigenen Land neu aufzustellen: Reisende müssen eine Sustainable-Development-Fee (SDF) in der Höhe von 250 US-Dollar pro Tag entrichten. Das Geld kommt nachhaltigen Projekten in den Sektoren Kultur, Bildung, Tourismus, Infrastruktur und Landwirtschaft zugute. Ein Weg von vielen.

Die Ausstellung „Über Tourismus“ ist bis 9. September 2024 zu sehen.

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