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Alarmstufe Rot
Die Bauwirtschaft ist einer der größten CO₂-Sünder. Das heißt auch: Sie hat den Hebel zur Abwehr der Klimakatastrophe in der Hand. Kaum jemand kann diese Gefahren und die Chancen so sachlich erklären wie Ingenieur Werner Sobek. Ein Gespräch im Krisenmodus.
6. April 2024 - Maik Novotny
Werner Sobek ist als Architekt und Ingenieur weltweit an zahlreichen namhaften Bauten beteiligt, sein radikal-minimales Hightech-Wohnhaus R128 in Stuttgart sorgte für Aufsehen. Heute, im professoralen Unruhestand, ist der 70-Jährige unermüdlich als Missionar des materialsparenden Bauens unterwegs, berät die Politik und warnt vor den Konsequenzen der Klimakrise. Er ist Themenbotschafter der Architekturtage 24, die im Juni in ganz Österreich stattfinden.
STANDARD: Die Architekturtage finden dieses Jahr unter dem Motto „Geht’s noch?“ statt. Was ist Ihre erste Assoziation zu dieser Frage?
Sobek: Ich habe zwei Assoziationen. Die eine ist: Wie kann man nur fragen, ob wir so weitermachen können wie bisher? Die andere ist: Es ist doch schon lange klar, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Also müssen wir endlich die wesentlichen Fragen, vor denen wir stehen, behandeln, anstatt uns im Unwesentlichen wie den Details einer Heizungsverordnung zu verheddern. Wir müssen mit Distanz auf die Situation unserer Menschengesellschaft schauen, unser Handeln analysieren und die Werte, nach denen wir leben wollen, neu definieren.
STANDARD: Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass die globale Erwärmung die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein wird?
Sobek: Vor 20 Jahren ungefähr. Da wurde mir klar, dass sich durch die ungleiche Verteilung der Erderwärmung die Landflächen sehr viel stärker erhitzen als der globale Durchschnitt, am stärksten in einem Bereich zwischen dem 20. und 40. nördlichen Breitengrad, in dem viereinhalb Milliarden Menschen leben und in dem das Gros der Nahrung produziert wird. Genau dort stehen uns schlimme Trockenperioden und Hitzewellen bevor. Das kann man seit mehr als zehn Jahren im Mittelmeerraum oder in Kalifornien beobachten.
STANDARD: Was sind die Konsequenzen?
Sobek: Die Obst- und Gemüsegärten Europas beginnen zunehmend unfruchtbar zu werden. Das heißt auch, dass die Bauern dort ihre Arbeit aufgeben werden und anfangen zu migrieren. Dann müssen wir für diese Menschen eine neue Heimat bauen. Das bedeutet aber nicht, einfach hunderttausende Wohnungen irgendwo zu bauen, sondern diese Wohnungen plus der zugehörigen Infrastruktur zu errichten. Gleichzeitig wird sich durch das Steigen der Lebensmittelpreise die Schere zwischen Reich und Arm weiter öffnen. Und das, obwohl heute genügend Getreide produziert wird, um die gesamte Weltbevölkerung sehr sättigend zu ernähren.
STANDARD: Sie haben diese Erkenntnisse und diese Dringlichkeit in der Buchtrilogie „Non Nobis – über das Bauen in der Zukunft“ gebündelt, deren zweiter Teil vor kurzem erschienen ist.
Sobek: Das ist das Ergebnis von harter Arbeit, dem investigativen Thrill des Verstehenwollens, der Sehnsucht des Wissenschafters in mir. Band eins beschäftigt sich mit dem Status quo. Ressourcenverbrauch, Abfallaufkommen, Emissionen und was daraus folgt. Band zwei beschreibt die Randbedingungen für zukünftiges menschliches Handeln. Was sind die Konsequenzen, wenn wir weiterhin so viel, und was, wenn wir weniger emittieren? Was passiert mit einer Stadt, in der es zu manchen Jahreszeiten so heiß wird, dass sie für gewisse Teile der Bevölkerung nicht mehr bewohnbar ist?
STANDARD: Warum macht man sich als Architekt und Ingenieur solche Gedanken?
Sobek: Wir haben die Produktion menschlicher Heimat zum Beruf. Um diese Verantwortung tragen zu können, muss ich bereits heute Werkzeuge entwickeln, die ich in Zukunft, bei einem eventuellen Eintreten der extremen Situationen, einsetzen kann. Dazu muss ich heute in Szenarien darüber nachdenken, wie die Welt in 20 oder 30 Jahren aussehen könnte.
STANDARD: In den letzten Jahren wird auch in der Öffentlichkeit über Abrissstopp, Bodenversiegelung, Zersiedelung und das Bauwesen als CO₂-Sünder diskutiert. Wird den Fachleuten jetzt mehr Gehör geschenkt?
Sobek: Die Bauwirtschaft steht für über 50 Prozent der weltweiten Emissionen, für rund 60 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs und für etwa 50 Prozent des Massenmüllaufkommens. Sie stellt also einen großen Hebel dar, mit dem man Umweltprobleme deutlich reduzieren oder verstärken kann. Jener der Ingenieure ist dabei genauso groß wie jener der Architekten, wenn nicht sogar größer. Denn vieles können nur Ingenieure. Beispielsweise ein Haus so zu planen, dass es materialminimal ist. Oder so, dass man es später wieder in sortenreine Komponenten trennen kann. Leider sind die Ingenieure viel zu still und bringen ihr Wissen nicht in den öffentlichen Diskurs ein.
STANDARD: Heute hat die Architektur den Lehmbau wiederentdeckt und propagiert das einfache Bauen aus natürlichen Materialien.
Sobek: Wenn man aus einem Material, ohne Lüftungsanlage, ohne Sensoren und ohne dies und jenes baut und das mit Qualität hinbekommt, dann ist das eine wunderbare Leistung. Aber das heißt nicht, dass andere Lösungen schlechter sind. Die Frage ist aber, ob das im Einzelfall sinnstiftend ist. Es ist definitiv nicht sinnstiftend, sich ein Lehmhaus zu bauen und den Lehm dafür über Hunderte von Kilometern heranzuschaffen.
STANDARD: Nicht nur Ihre Bücher sind Teil der Vermittlungsarbeit, Sie beraten auch viele Politikerinnen und Politiker. Ist die Demokratie mit ihren Legislaturperioden und Kompromissen geeignet, mit einem Notstand wie der Klimakrise umzugehen?
Sobek: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es mit der heutigen demokratischen Struktur nicht schaffen. Vor jeder Wahl ist Wahlkampf, nach jeder Wahl ist Einarbeitungsphase. Eine Demokratie muss sich Mechanismen schaffen, die über eine längere Periode kraftvolles Agieren ermöglichen, eine Konstanz. Das ist für mich keine Gefährdung der Demokratie, sondern eine Methode zur Erhaltung ihrer Gesundheit. Schauen Sie sich die Situation in Deutschland an. Das Bundes-Klimaschutzgesetz von 2021 ist das wichtigste Gesetz der neueren Zeit. Es wurde vom Gesetzgeber selbst und in Folge auch von der Bevölkerung seither einfach nicht beachtet. Jetzt soll es neu gefasst, das heißt inhaltlich geschwächt werden. Das sind vier verlorene Jahre im Kampf gegen das größte Problem unserer Zeit. So erreichen wir die Klimaziele aber nicht!
STANDARD: Was gibt Ihnen Hoffnung, dass wir es dennoch schaffen?
Sobek: Ich glaube, dass es bald in Teilen der Welt so kritisch werden wird, dass die Leute akzeptieren, dass sie sich die Dinge, die sie sich leisten können, nicht mehr leisten sollten. Und dass sie denjenigen, die sich selbst nicht mehr helfen können, helfen müssen. Die Erkenntnis, dass wir unser gemeinsames Haus, das über uns zusammenzubrechen droht, bewahren müssen. Aber zur Einsicht kommen wir wahrscheinlich nur durch existenzielle Angst, zum uneigennützigen Handeln nur durch das Eintreten massiver Katastrophen.
STANDARD: Die Architekturtage finden dieses Jahr unter dem Motto „Geht’s noch?“ statt. Was ist Ihre erste Assoziation zu dieser Frage?
Sobek: Ich habe zwei Assoziationen. Die eine ist: Wie kann man nur fragen, ob wir so weitermachen können wie bisher? Die andere ist: Es ist doch schon lange klar, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Also müssen wir endlich die wesentlichen Fragen, vor denen wir stehen, behandeln, anstatt uns im Unwesentlichen wie den Details einer Heizungsverordnung zu verheddern. Wir müssen mit Distanz auf die Situation unserer Menschengesellschaft schauen, unser Handeln analysieren und die Werte, nach denen wir leben wollen, neu definieren.
STANDARD: Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass die globale Erwärmung die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein wird?
Sobek: Vor 20 Jahren ungefähr. Da wurde mir klar, dass sich durch die ungleiche Verteilung der Erderwärmung die Landflächen sehr viel stärker erhitzen als der globale Durchschnitt, am stärksten in einem Bereich zwischen dem 20. und 40. nördlichen Breitengrad, in dem viereinhalb Milliarden Menschen leben und in dem das Gros der Nahrung produziert wird. Genau dort stehen uns schlimme Trockenperioden und Hitzewellen bevor. Das kann man seit mehr als zehn Jahren im Mittelmeerraum oder in Kalifornien beobachten.
STANDARD: Was sind die Konsequenzen?
Sobek: Die Obst- und Gemüsegärten Europas beginnen zunehmend unfruchtbar zu werden. Das heißt auch, dass die Bauern dort ihre Arbeit aufgeben werden und anfangen zu migrieren. Dann müssen wir für diese Menschen eine neue Heimat bauen. Das bedeutet aber nicht, einfach hunderttausende Wohnungen irgendwo zu bauen, sondern diese Wohnungen plus der zugehörigen Infrastruktur zu errichten. Gleichzeitig wird sich durch das Steigen der Lebensmittelpreise die Schere zwischen Reich und Arm weiter öffnen. Und das, obwohl heute genügend Getreide produziert wird, um die gesamte Weltbevölkerung sehr sättigend zu ernähren.
STANDARD: Sie haben diese Erkenntnisse und diese Dringlichkeit in der Buchtrilogie „Non Nobis – über das Bauen in der Zukunft“ gebündelt, deren zweiter Teil vor kurzem erschienen ist.
Sobek: Das ist das Ergebnis von harter Arbeit, dem investigativen Thrill des Verstehenwollens, der Sehnsucht des Wissenschafters in mir. Band eins beschäftigt sich mit dem Status quo. Ressourcenverbrauch, Abfallaufkommen, Emissionen und was daraus folgt. Band zwei beschreibt die Randbedingungen für zukünftiges menschliches Handeln. Was sind die Konsequenzen, wenn wir weiterhin so viel, und was, wenn wir weniger emittieren? Was passiert mit einer Stadt, in der es zu manchen Jahreszeiten so heiß wird, dass sie für gewisse Teile der Bevölkerung nicht mehr bewohnbar ist?
STANDARD: Warum macht man sich als Architekt und Ingenieur solche Gedanken?
Sobek: Wir haben die Produktion menschlicher Heimat zum Beruf. Um diese Verantwortung tragen zu können, muss ich bereits heute Werkzeuge entwickeln, die ich in Zukunft, bei einem eventuellen Eintreten der extremen Situationen, einsetzen kann. Dazu muss ich heute in Szenarien darüber nachdenken, wie die Welt in 20 oder 30 Jahren aussehen könnte.
STANDARD: In den letzten Jahren wird auch in der Öffentlichkeit über Abrissstopp, Bodenversiegelung, Zersiedelung und das Bauwesen als CO₂-Sünder diskutiert. Wird den Fachleuten jetzt mehr Gehör geschenkt?
Sobek: Die Bauwirtschaft steht für über 50 Prozent der weltweiten Emissionen, für rund 60 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs und für etwa 50 Prozent des Massenmüllaufkommens. Sie stellt also einen großen Hebel dar, mit dem man Umweltprobleme deutlich reduzieren oder verstärken kann. Jener der Ingenieure ist dabei genauso groß wie jener der Architekten, wenn nicht sogar größer. Denn vieles können nur Ingenieure. Beispielsweise ein Haus so zu planen, dass es materialminimal ist. Oder so, dass man es später wieder in sortenreine Komponenten trennen kann. Leider sind die Ingenieure viel zu still und bringen ihr Wissen nicht in den öffentlichen Diskurs ein.
STANDARD: Heute hat die Architektur den Lehmbau wiederentdeckt und propagiert das einfache Bauen aus natürlichen Materialien.
Sobek: Wenn man aus einem Material, ohne Lüftungsanlage, ohne Sensoren und ohne dies und jenes baut und das mit Qualität hinbekommt, dann ist das eine wunderbare Leistung. Aber das heißt nicht, dass andere Lösungen schlechter sind. Die Frage ist aber, ob das im Einzelfall sinnstiftend ist. Es ist definitiv nicht sinnstiftend, sich ein Lehmhaus zu bauen und den Lehm dafür über Hunderte von Kilometern heranzuschaffen.
STANDARD: Nicht nur Ihre Bücher sind Teil der Vermittlungsarbeit, Sie beraten auch viele Politikerinnen und Politiker. Ist die Demokratie mit ihren Legislaturperioden und Kompromissen geeignet, mit einem Notstand wie der Klimakrise umzugehen?
Sobek: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es mit der heutigen demokratischen Struktur nicht schaffen. Vor jeder Wahl ist Wahlkampf, nach jeder Wahl ist Einarbeitungsphase. Eine Demokratie muss sich Mechanismen schaffen, die über eine längere Periode kraftvolles Agieren ermöglichen, eine Konstanz. Das ist für mich keine Gefährdung der Demokratie, sondern eine Methode zur Erhaltung ihrer Gesundheit. Schauen Sie sich die Situation in Deutschland an. Das Bundes-Klimaschutzgesetz von 2021 ist das wichtigste Gesetz der neueren Zeit. Es wurde vom Gesetzgeber selbst und in Folge auch von der Bevölkerung seither einfach nicht beachtet. Jetzt soll es neu gefasst, das heißt inhaltlich geschwächt werden. Das sind vier verlorene Jahre im Kampf gegen das größte Problem unserer Zeit. So erreichen wir die Klimaziele aber nicht!
STANDARD: Was gibt Ihnen Hoffnung, dass wir es dennoch schaffen?
Sobek: Ich glaube, dass es bald in Teilen der Welt so kritisch werden wird, dass die Leute akzeptieren, dass sie sich die Dinge, die sie sich leisten können, nicht mehr leisten sollten. Und dass sie denjenigen, die sich selbst nicht mehr helfen können, helfen müssen. Die Erkenntnis, dass wir unser gemeinsames Haus, das über uns zusammenzubrechen droht, bewahren müssen. Aber zur Einsicht kommen wir wahrscheinlich nur durch existenzielle Angst, zum uneigennützigen Handeln nur durch das Eintreten massiver Katastrophen.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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