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Im Chaos um die Ecke denken: Personale über Hermann Czech in Wien
Eine längst fällige Ausstellung zeigt eindrucksvoll das Gesamtwerk von Hermann Czech,
des derzeit einflussreichsten österreichischen Architekten und Architekturtheoretikers.
6. April 2024 - Christian Kühn
Die „Personale“ als Ausstellungsformat ist im Architekturbereich weitgehend passé. Aktuell zeigt das Museum für angewandte Kunst eine Ausstellung über „Protestarchitektur“, von der Barrikade des 19. Jahrhunderts bis zu den Protestcamps der Occupy-Wallstreet-Bewegung, während das Architekturzentrum Wien sich des Themas „Tourismus“ annimmt. Hier geht es nicht um Autorenschaft und Werke, sondern um die größeren Zusammenhänge.
Wenn heute Personalen gezeigt werden, dann oft mit einer zusätzlichen Agenda, etwa den eurozentrischen Blick zu brechen oder eine Ausgewogenheit aus Genderperspektive herzustellen. Angesichts der männlich dominierten kuratorischen Praxis der vergangenen 50 Jahre heißt das für männliche, weiße und westliche Architekten, sich ziemlich lange ziemlich weit hinten anstellen zu müssen.
Älter als der Papst
Dass man mit dieser Tendenz, würde sie ausnahmslos durchgezogen, auch einiges versäumt, beweist als Ausnahme, die die Regel bestätigt, die derzeit in der Galerie FJK3 – Raum für zeitgenössische Kunst laufende Personale über Hermann Czech, auf den neben den oben genannten Kriterien von männlich, weiß und westlich noch ein weiteres Klischee zutrifft, nämlich das Alter.
Czech ist älter als der Papst, wenn auch nur um ein paar Wochen und ohne jeden Hang zur Dogmatik. Dass Czech bei der jüngsten Architekturbiennale im Team mit dem Architekturkollektiv AKT einen der besten österreichischen Beiträge in der Geschichte der Biennale entwickelt hat, war ein Zeichen von erfreulicher Agilität.
Die Ausstellung in den Räumen der Galerie FJK3 – der Name steht für Franz-Josef-Kai 3 – wurde von einem Kuratorinnenteam aus Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß und Fiona Liewehr in Zusammenarbeit mit Hermann Czech entwickelt. Von Eva Kuß stammt auch das aktuellste, 456 Seiten starke Buch über Czech und sein Werk, das 2018 bzw. 2023 in der englischen, erweiterten Version bei Park Books erschienen ist und gewissermaßen den monumentalen Katalog zur Ausstellung darstellt. Ergänzt wird dieses Material um einen Stadtplan mit der Verortung aller Projekte, die Czech für Wien entworfen hat.
»Denken zum Entwurf«
Die 430 m² großen Räume der FJK3-Galerie eignen sich perfekt für eine Ausstellung über Czechs Arbeit. Sie bestehen aus den Erdgeschoß- und Kellerräumen eines Zinshauses aus der Zeit um 1900, die eine an die unterschiedlichen Baufluchtlinien angepasste, abwechslungsreiche Sequenz von Situationen mit Seiten- und Oberlicht ergeben. Das passt gut zum Titel der Ausstellung „Ungefähre Hauptrichtung“, den Czech schon als Titel für eine 2021 erschienene Sammlung seiner Texte gewählt hat. Als schreibender Architekt sieht Czech sich in der Tradition von Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Frank, die alle über eine praxisorientierte Architekturtheorie verfügten, die Czech als „Denken zum Entwurf“ bezeichnet.
Im Originalton 1996: „Gegenstand der Architektur ist nicht das architektonische Objekt. Das Thema der Architektur ist zunächst der genutzte Raum, die definierte und strukturierte Leere im und am Objekt, und diese Leere ist weiters vermittelt durch eine persönliche, soziale und historische Sicht – durch eine Individualität. Das Thema der Architektur ist also immateriell. Gegenstand der Architektur ist der architektonische Gedanke. Obwohl das architektonische Objekt also etwas Transzendierendes, nicht aus und für sich selbst Bestehendes ist, gerinnt es doch zu etwas Fassbarem, wird gezeichnet und hergestellt, fotografiert und beurteilt, wogegen das, woraus es erst verständlich wird, wofür es dienen soll, unsichtbar bleibt. Aber indem alle unsichtbaren Bestimmungsgründe hier zum Ausdruck kommen, teilen alle Bau-Teile mit, wie und warum sie entstanden sind. Die konstruktiven, ökonomischen, gesellschaftlichen Bedingungen sind in jeder architektonischen Form enthalten. Architektur gewinnt deshalb einen realen Charakter des „Objekts“. Das ist ihr Reichtum, der allem Bemühen um plastische, skulpturale Form weit überlegen ist.“
Vermittlung »architektonischer Gedanken«
Folgerichtig verfügt Czech nicht über ein „Formenvokabular“, aus dem er eine Architektursprache artikulieren würde, sondern über einen Werkzeugkasten, mit dem er an Aufgaben herangeht. Ein konkretes Beispiel ist die Hängelinie, die Czech in einem seiner ersten Projekte, dem Kleinen Café, zum Einsatz bringt, um Spiegelnischen, die ihrerseits auf die Loos-Bar Bezug nehmen, einen weicheren oberen Abschluss zu geben.
Durchhängen dürfen später so unterschiedliche Dinge wie der Boden des Restaurants Salzamt, der Laufsteg der Stadtparkbrücke und die Decke des Plenarsaals im Parlament, die leider nur Entwurf geblieben ist, eine luftgefüllte Blase aus transluzenter Kunststofffolie, die bedrohlich über den Köpfen der Parlamentarier gehangen wäre.
Die inhaltlich dichte, aber luftig präsentierte Ausstellung folgt weder einer chronologischen noch einer strikten thematischen Ordnung. An einer Stelle zusammengefasst sind die unmittelbar politisch aufgeladenen Projekte wie der städtebauliche Entwurf für die Überbauung der SS-Kaserne Oranienburg oder die Ausstellungsgestaltung „1938“ im Rathaus. Auch die zahlreichen Restaurants und Cafés bilden eine Gruppe, aber ansonsten geht es tatsächlich um die Vermittlung jener „architektonischen Gedanken“, von denen Czech in seiner Theorie spricht.
Dieser Akzidentismus hat Zukunft
Die hölzerne, nur 50 Zentimeter breite Treppe, die für die Ausstellung in einen Luftraum der Galerie eingepasst wurde, ist ebenso gebaute Theorie: Diese Treppe bietet einen dramatischen Aufstieg, bei dem man mehrmals die Richtung wechseln muss und leicht verwirrt oben ankommt. In der Beengtheit wird einem bewusst, dass der Nutzwert im leeren Raum steckt, und dass die unbestreitbare skulpturale Qualität der Treppe als Objekt nur ein Nebeneffekt ist.
Josef Frank hat in diesem Zusammenhang von „Akzidentismus“ gesprochen, der Kunst, die Umwelt so zu gestalten, als sei sie durch Zufall entstanden. Entlastet von ideologischen Perfektionsansprüchen steht diese Architektur da, leicht, komfortabel und anschlussfähig an das Chaos unserer postmodernen Welt. Hermann Czechs Werk beweist, dass dieser Akzidentismus Zukunft hat.
Wenn heute Personalen gezeigt werden, dann oft mit einer zusätzlichen Agenda, etwa den eurozentrischen Blick zu brechen oder eine Ausgewogenheit aus Genderperspektive herzustellen. Angesichts der männlich dominierten kuratorischen Praxis der vergangenen 50 Jahre heißt das für männliche, weiße und westliche Architekten, sich ziemlich lange ziemlich weit hinten anstellen zu müssen.
Älter als der Papst
Dass man mit dieser Tendenz, würde sie ausnahmslos durchgezogen, auch einiges versäumt, beweist als Ausnahme, die die Regel bestätigt, die derzeit in der Galerie FJK3 – Raum für zeitgenössische Kunst laufende Personale über Hermann Czech, auf den neben den oben genannten Kriterien von männlich, weiß und westlich noch ein weiteres Klischee zutrifft, nämlich das Alter.
Czech ist älter als der Papst, wenn auch nur um ein paar Wochen und ohne jeden Hang zur Dogmatik. Dass Czech bei der jüngsten Architekturbiennale im Team mit dem Architekturkollektiv AKT einen der besten österreichischen Beiträge in der Geschichte der Biennale entwickelt hat, war ein Zeichen von erfreulicher Agilität.
Die Ausstellung in den Räumen der Galerie FJK3 – der Name steht für Franz-Josef-Kai 3 – wurde von einem Kuratorinnenteam aus Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß und Fiona Liewehr in Zusammenarbeit mit Hermann Czech entwickelt. Von Eva Kuß stammt auch das aktuellste, 456 Seiten starke Buch über Czech und sein Werk, das 2018 bzw. 2023 in der englischen, erweiterten Version bei Park Books erschienen ist und gewissermaßen den monumentalen Katalog zur Ausstellung darstellt. Ergänzt wird dieses Material um einen Stadtplan mit der Verortung aller Projekte, die Czech für Wien entworfen hat.
»Denken zum Entwurf«
Die 430 m² großen Räume der FJK3-Galerie eignen sich perfekt für eine Ausstellung über Czechs Arbeit. Sie bestehen aus den Erdgeschoß- und Kellerräumen eines Zinshauses aus der Zeit um 1900, die eine an die unterschiedlichen Baufluchtlinien angepasste, abwechslungsreiche Sequenz von Situationen mit Seiten- und Oberlicht ergeben. Das passt gut zum Titel der Ausstellung „Ungefähre Hauptrichtung“, den Czech schon als Titel für eine 2021 erschienene Sammlung seiner Texte gewählt hat. Als schreibender Architekt sieht Czech sich in der Tradition von Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Frank, die alle über eine praxisorientierte Architekturtheorie verfügten, die Czech als „Denken zum Entwurf“ bezeichnet.
Im Originalton 1996: „Gegenstand der Architektur ist nicht das architektonische Objekt. Das Thema der Architektur ist zunächst der genutzte Raum, die definierte und strukturierte Leere im und am Objekt, und diese Leere ist weiters vermittelt durch eine persönliche, soziale und historische Sicht – durch eine Individualität. Das Thema der Architektur ist also immateriell. Gegenstand der Architektur ist der architektonische Gedanke. Obwohl das architektonische Objekt also etwas Transzendierendes, nicht aus und für sich selbst Bestehendes ist, gerinnt es doch zu etwas Fassbarem, wird gezeichnet und hergestellt, fotografiert und beurteilt, wogegen das, woraus es erst verständlich wird, wofür es dienen soll, unsichtbar bleibt. Aber indem alle unsichtbaren Bestimmungsgründe hier zum Ausdruck kommen, teilen alle Bau-Teile mit, wie und warum sie entstanden sind. Die konstruktiven, ökonomischen, gesellschaftlichen Bedingungen sind in jeder architektonischen Form enthalten. Architektur gewinnt deshalb einen realen Charakter des „Objekts“. Das ist ihr Reichtum, der allem Bemühen um plastische, skulpturale Form weit überlegen ist.“
Vermittlung »architektonischer Gedanken«
Folgerichtig verfügt Czech nicht über ein „Formenvokabular“, aus dem er eine Architektursprache artikulieren würde, sondern über einen Werkzeugkasten, mit dem er an Aufgaben herangeht. Ein konkretes Beispiel ist die Hängelinie, die Czech in einem seiner ersten Projekte, dem Kleinen Café, zum Einsatz bringt, um Spiegelnischen, die ihrerseits auf die Loos-Bar Bezug nehmen, einen weicheren oberen Abschluss zu geben.
Durchhängen dürfen später so unterschiedliche Dinge wie der Boden des Restaurants Salzamt, der Laufsteg der Stadtparkbrücke und die Decke des Plenarsaals im Parlament, die leider nur Entwurf geblieben ist, eine luftgefüllte Blase aus transluzenter Kunststofffolie, die bedrohlich über den Köpfen der Parlamentarier gehangen wäre.
Die inhaltlich dichte, aber luftig präsentierte Ausstellung folgt weder einer chronologischen noch einer strikten thematischen Ordnung. An einer Stelle zusammengefasst sind die unmittelbar politisch aufgeladenen Projekte wie der städtebauliche Entwurf für die Überbauung der SS-Kaserne Oranienburg oder die Ausstellungsgestaltung „1938“ im Rathaus. Auch die zahlreichen Restaurants und Cafés bilden eine Gruppe, aber ansonsten geht es tatsächlich um die Vermittlung jener „architektonischen Gedanken“, von denen Czech in seiner Theorie spricht.
Dieser Akzidentismus hat Zukunft
Die hölzerne, nur 50 Zentimeter breite Treppe, die für die Ausstellung in einen Luftraum der Galerie eingepasst wurde, ist ebenso gebaute Theorie: Diese Treppe bietet einen dramatischen Aufstieg, bei dem man mehrmals die Richtung wechseln muss und leicht verwirrt oben ankommt. In der Beengtheit wird einem bewusst, dass der Nutzwert im leeren Raum steckt, und dass die unbestreitbare skulpturale Qualität der Treppe als Objekt nur ein Nebeneffekt ist.
Josef Frank hat in diesem Zusammenhang von „Akzidentismus“ gesprochen, der Kunst, die Umwelt so zu gestalten, als sei sie durch Zufall entstanden. Entlastet von ideologischen Perfektionsansprüchen steht diese Architektur da, leicht, komfortabel und anschlussfähig an das Chaos unserer postmodernen Welt. Hermann Czechs Werk beweist, dass dieser Akzidentismus Zukunft hat.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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