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Abgründe im Ackerland
Der Standard

Das Architekturnetzwerk ORTE in Krems zeigt in seiner Jubiläumsausstellung Cartoons und Zeichnungen zu Architektur und Baukultur. Am Fallbeispiel Niederösterreich wird deutlich, dass man die Realität kaum noch zuspitzen muss, um sie zur Kenntlichkeit zu karikieren.

20. April 2024 - Maik Novotny
Ein türkis leuchtender Teich in Herzform, umringt von zwei ordentlichen Reihen weißer Kuben mit kleinen Fenstern, eingebettet in ein breites graues Band aus asphaltierten Parkplätzen. Dazu als Garnitur am Rand: ein Kreisverkehr mit Sendemast und eine sechsspurige Autobahn im Lärmschutzwandkorsett, industriell gepflügte geometrische Äcker. Ganz klein hier und da ein kümmerliches Restgrün. Eine Zeichnung des Karikaturisten Bruno Haberzettl aus dem Jahr 2003, mit dem in vielfacher Hinsicht prophetischen Titel Wohnraum im Grünen – für „normal“ denkende Leute.

Eine plakative Zuspitzung, die heute wie ein dokumentarisches Abbild der nach dem bewährten Muster „Würfelhusten mit zentraler Lacke“ geplanten Siedlung Sonnenweiher im niederösterreichischen Grafenwörth, deren fragwürdiges Zustandekommen den dortigen Bürgermeister und damaligen Gemeindebund-Präsidenten Alfred Riedl 2023 in arge Bedrängnis brachte. Die Zeichnung beweist: Es gibt viele Grafenwörths, und es gibt sie schon lange.

Einischauen und ausblenden

Sie gedeihen besonders gerne in Niederösterreich, einem Bundesland, dessen quasi-genetische Prägung aus Feudalismus und Patriarchat immer noch spürbar ist. Spürbar in den Einfamilienhäusern, die als barockisierte Minipaläste die Architektur der ehemaligen Herrscher nachahmen, und in einer Politik, die Kritik gerne als Majestätsbeleidigung auffasst.

Ein Bundesland, das sich des baukulturellen Reichtums rühmt, und das nicht zu Unrecht: Weltkulturerbe-Landschaften, historische Orts- und Dorfkerne, Kirchen, Klöster und Kulturfestivals. Aber man muss schon durch ein sehr verengtes Papprohr in diese Welt einischaun, um all das auszublenden, was dazwischen herumsteht: Die Kreisverkehre, die West-, Ost-, Nord- und Süd-Umfahrungen, die flachen Baumarkt- und Supermarktboxen in ihren Parkplatz-Ozeanen, die Vollwärmeschutzfassaden mit billigen Plastikfenstern, die Achtlosigkeit vor der Umgebung, das geistlose Irgendwo-Hinstellen von Dingen, weil man es halt kann.

Sanfter Verweis auf Lichtblicke

Seit nunmehr 30 Jahren bemüht sich das niederösterreichische Architekturnetzwerk ORTE mit Sitz in Krems um eine Verbesserung dieses Zustands durch den sanften Verweis auf die Lichtblicke, die es schließlich auch gibt, und das in zunehmender Anzahl. Man tut dies mit vielen Führungen, Spaziergängen und Veranstaltungen, mit einem Artists-in-Residence-Programm, mit Vermittlungsarbeit an Schulen. Zum Jubiläumsjahr gönnt sich die engagierte und etablierte Institution eine Ausstellung. Da würden viele ein „Best-of 30 Jahre“ erwarten, doch das Gegenteil ist der Fall. Unter dem Titel Fingerspitzengefühl sammelte man Karikaturen und Cartoons zum Alltag der Baukultur und leistet sich so den wichtigen Luxus der Kritik.

„Nach 30 Jahren baukultureller Vermittlungsarbeit mit ORTE, in denen wir sehr viele Best-Practice-Beispiele gezeigt haben, tut es gut, dass man auch einmal etwas sarkastisch sein darf“, sagt ORTE-Geschäftsführerin Heidrun Schlögl. „Karikaturen überzeichnen die Realität, aber oft ist die Realität noch viel schonungsloser. Das gilt nicht nur für Niederösterreich.“ Konzipiert wurde die Ausstellung in Kooperation mit dem direkt benachbarten Karikaturmuseum. Mittels Open Call waren Karikaturisten und Architektinnen aufgerufen, sich mit Niederösterreich auseinanderzusetzen, dazu kamen ein paar direkte Anfragen. Fast 100 Zeichnungen kamen so zusammen, von denen 55 nun in Krems zu sehen sind. Unter den 32 Künstlerinnen und Künstlern finden sich bekannte Namen wie Manfred Deix, Gustav Peichl, Gerhard Haderer oder Tex Rubinowitz – und auch die Grafenwörth vorwegnehmende Zeichnung von Bruno Haberzettl. Zusammenfassende Kategorien wie Bodenraub, Landleben, Autofahren, „Loch“ sprechen für sich.

Leichte Beute

Fürs Karikieren ist das Motiv „gebaute Landschaft“ leichte Beute. Die Gegensätze aus Beton und Natur, aus anonymer Stadt und ersehnter Individualität, aus Grau und Farbe sind im kollektiven Bewusstsein so präsent, dass es nur eine leichte Übertreibung braucht, um einen Aha-Effekt zu erzeugen. In vielen Fällen muss die gebaute Realität nur leicht verdichtet werden, um sich selbst zuzuspitzen: der Vorstand-Speckgürtelhorror aus Fahrspuren-Asphaltspaghetti, den man als gegeben hinnimmt, weil man ja dauernd irgendwo hinfahren will, bevor man sich wieder hinter der Thujenhecke (die ebenfalls in einer Karikatur von Edith Payer gewürdigt wird) verschanzt.

Dazu kommen aktuelle Themen wie die Energiewende, die sich zur Frage überzeichnen lässt, ob monotone Einfamilienhausteppiche wirklich ökologischer werden, wenn sie mit Photovoltaikpaneelen übersät sind. Weniger cartoonhaft und ebenso treffend: Gernot Sommerfelds melancholische Stillleben in der Kategorie „Idylle Niederösterreich“. Menschenleere Landschaften aus Lagerhallen, Kabeln, Masten und Silos, die Infrastruktur alltäglicher Sachzwänge, hinter der sich Fuchs und Hase unsichtbar und vielleicht für immer gute Nacht sagen.

Das mag nach mahnendem Zeigefinger klingen, doch dann wären die Cartoons nicht lustig. Sind sie aber, bis auf ein paar, bei denen die komische Fallhöhe zu niedrig ausfällt. Vielmehr darf der Humor hier die Rolle des Erlösers spielen und die Erkenntnis vermitteln, dass man nicht allein ist. Denn die Alltagsdiagnosen sind schließlich kein Geheimnis. „Das hohe Besucherinteresse bei den ORTE-Veranstaltungen zeigt uns, dass Themen wie Zersiedelung, Bodenversiegelung oder der unsensible Umgang mit Bausubstanz brennender denn je sind“, sagt Heidrun Schlögl. Und auch der nie ganz fassbare Begriff Baukultur könne so mit Leben gefüllt werden. „Baukultur ist ein guter Begriff, weil er mehr beinhaltet als nur Architektur. Es geht uns nicht nur darum, schöne Bauten ohne Kontext zu zeigen, so wie es früher üblich war. Und Baukultur braucht Transparenz, wie man am Beispiel Sonnenweiher Grafenwörth leider zu spät sieht.“ Damit das Land nicht zur Karikatur seiner selbst wird.

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