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Ist hier eine Hitzezone? Wien begrünt wahllos
Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris folgt Wien keinem übergeordneten Masterplan zu Nachbegrünung und Klimawandelanpassung. Derzeit wird nur begrünt, wo es sich gerade ergibt.
17. Mai 2024 - Stephanie Drlik
Zahlreiche europäische Großstädte starten derzeit Begrünungsoffensiven. Ausgelöst durch den Klimawandel und die stetig steigenden Temperaturen, setzt man auf Kühlung durch Pflanzen. Dass deren nachträgliche Implementierung im Stadtraum trotz hoher Beliebtheitswerte in der Bevölkerung dennoch nicht immer friktionsfrei vonstatten geht, zeigt sich bekanntlich gerade an der Umgestaltung des denkmalgeschützten Michaelerplatzes im historischen Zentrum Wiens. Unter anderem sind neun Blauglockenbäume Anstoß des Ärgers. Namhafte Expert:innen befürchten, dass diese nicht nur die gewünschte Klima-, sondern auch eine erhebliche Raumwirkung entfalten werden, was den Platz in seinem architektonischen Wert schwächen könnte, so die Kritik.
Wien wird sichtbar grüner. Große Bäume, üppig bepflanzte Beete, Wasserspiele und beschattete Sitzgelegenheiten nehmen im Stadtbild merklich zu und finden sich auch an bislang unüblichen Orten, wie dem Praterstern oder der Thaliastraße. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, bei dem Grünraumqualitäten in einem Ausmaß geschaffen werden, wie es noch bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Die im Klimawandel wichtigen landschaftsarchitektonischen Gestaltungen kommen bei den Menschen gut an. Und das spielt eine wichtige Rolle, denn die zunehmende Begrünung der Stadt ist auch dem Nachdruck der Bevölkerung geschuldet, die sich vor allem eines wünscht: mehr Grün.
Bedeutet Begrünung zugleich Hitzeprävention?
So ist es nachvollziehbar, dass die zuständige Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) seit geraumer Zeit verstärkt auf Stadtbegrünung setzt, um die Stadt „klimafit“ und Wähler:innen zufrieden zu machen. Doch etwas verwundert: Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris, aktuell eine Vorzeigestadt in Sachen Nachbegrünung und Klimawandelanpassung, folgt Wien keinem übergeordneten räumlichen Masterplan zur Klimawandelanpassung des Stadtraums.
Es steht unumstritten fest, dass es ohne zusätzliche Begrünung des Stadtraums im Klimawandel künftig nicht gehen wird. Doch spielt die Frage, welche Maßnahmen wo gesetzt werden, dabei eine wesentliche Rolle. Die Begrünungsprojekte der vergangenen Jahre bringen effektiv neue Aufenthaltsqualitäten – doch tragen sie auch zur Hitzeprävention bei?
Bereits seit etlichen Jahren gibt es die wissenschaftlich erarbeitete „Urban Heat Island“-Strategie der Stadt Wien sowie eine Hitzekarte, die abbildet, wo der Wiener Stadtraum bei Extremereignissen zu überhitzen droht. Wie sich die zigtausenden Neubaumpflanzungen und Oberflächenentsiegelungen an den realisierten Orten tatsächlich auf das Wiener Stadtklima auswirken, wurde noch nicht eingehend evaluiert.
Handlungsbereiche ausfindig machen
Derzeit wird dort begrünt, wo die Stadt ohnehin umbaut oder wo es die Budgets der umsetzungsverantwortlichen Gemeindebezirke zulassen. Oder eben dort, wo, wie am besagten Michaelerplatz, Private über Public-Private-Partnership-Modelle mitfinanzieren. Nachvollziehbare Beweggründe, doch kann für eine Großstadt wie Wien das Mega-Vorhaben der Klimawandelanpassung ohne Strategiekonzept stadträumlich sinnvoll durchgeführt werden? Klimaplanung ist jedenfalls eine Aufgabe, die einer übergeordneten Betrachtung bedarf. Schließlich endet der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze.
Planer:innen fordern daher einen Masterplan zur Klimawandelanpassung, der konkrete Handlungsbereiche, etwa basierend auf den Aussagen von Klimakarten, dem Versiegelungsgrad, Klimaanalysen und der vorhandenen Begrünungsstruktur, ausweist und eine geregeltere Abwicklung von Anpassungsmaßnahmen vorgibt. Gäbe es einen solchen Masterplan zur Klimawandelanpassung für Wien, so wüsste man vermutlich auch, ob sich das schwierige Umgestaltungsvorhaben auf dem Michaelerplatz tatsächlich in einer ausgewiesenen Hitzezone befindet und sich somit die heiklen und umstrittenen Eingriffe vor dem kritischen Denkmalbeirat oder der Unesco-Kommission rechtfertigen lassen.
Sturm der Entrüstung ist jedenfalls zu Recht groß. Weniger wegen der paar Bäume, deren Einfluss auf die Platzwirkung wohl in der emotional geführten Debatte überschätzt wird, schließlich weisen Bäume eine gewisse Durchblickbarkeit auf und sind in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Beständigkeit weniger endgültig als bauliche Raumeingriffe. Doch der Ärger der Kritiker: ist nachvollziehbar, schließlich wurde in der Prozessentwicklung mehr als ungeschickt agiert.
Intransparentes Vorgehen
Das A und O jeder Planung im öffentlichen Raum ist die Durchführung eines interdisziplinären Entwurfsfindungs- und Planungsverfahrens, das unterschiedliche fachliche Sichtweisen einbezieht und Ergebnisse transparent und öffentlich kommuniziert. Ob das in Form eines Wettbewerbsverfahrens erfolgen muss, sei dahingestellt. Was am Michaelerplatz jedoch passiert ist, war das Gegenteil von transparent.
Schon seit Jahren ist bekannt, dass auf dem historischen Platz etwas im Gange ist, Details blieben lange im Verborgenen. Erst als der Entwurf des durch die Anrainer:innen beauftragten Architekten Paul Katzberger publik wurde, reagierte die Politik auf die immer lauter werdende Kritik der Fach-Community. Dass das zu einem Zeitpunkt passierte, als die Projektentwicklung mehr oder weniger abgeschlossen war, stößt Beteiligte verständlicherweise vor den Kopf. Ganz abgesehen von einer ordentlich organisierten, breit und öffentlich angelegten Fachdebatte, die der Platz inmitten des Unesco-Weltkulturerbes verdient hätte.
Ein solcher Dialog wäre nicht nur die Chance für eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit der besonderen Aufgabenstellung am Michaelerplatz gewesen, sondern hätte im besten Fall auch wertvolle Beiträge für andere derartige Projekte geliefert. Denn bedenkt man das Voranschreiten des Klimawandels, so kann davon ausgegangen werden, dass sich das Problem schon bald an einem der zahlreichen weiteren baumfreien historischen Platzanlagen in der Wiener City wiederholen wird. Zumindest könnten einige Plätze, die bereits lange auf den Umbau-Wunschlisten stehen, schattenspendende Bäume vertragen, etwa der verkehrsumbrandete Schwarzenbergplatz oder der für den ruhenden Verkehr genutzte Hohe Markt.
Keine größeren Projekte vorgesehen in Wien
Was die Diskussion rund um die Umgestaltung des Michaelerplatzes jedenfalls deutlich gemacht hat, ist, dass man grundsätzliche fachliche Entscheidungen nicht sich selbst und schon gar nicht der Politik überlassen darf. Die Aussage der Planungsstadträtin Sima gegenüber der „Presse“ vor wenigen Tagen, es seien in der Wiener Innenstadt in dieser Legislaturperiode keine größeren Projekte mehr vorgesehen, trägt wenig zur Aufklärung bei.
Planer:innen, die bekanntlich gewohnt sind, in langen zeitlichen Horizonten zu denken, halten zu Recht an der Frage fest, wie die Stadt mit dem denkmalgeschützten historischen Bestand in Zeiten steigender Temperaturen umgehen wird – gerade in künftigen Legislaturperioden.
Wien wird sichtbar grüner. Große Bäume, üppig bepflanzte Beete, Wasserspiele und beschattete Sitzgelegenheiten nehmen im Stadtbild merklich zu und finden sich auch an bislang unüblichen Orten, wie dem Praterstern oder der Thaliastraße. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, bei dem Grünraumqualitäten in einem Ausmaß geschaffen werden, wie es noch bis vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Die im Klimawandel wichtigen landschaftsarchitektonischen Gestaltungen kommen bei den Menschen gut an. Und das spielt eine wichtige Rolle, denn die zunehmende Begrünung der Stadt ist auch dem Nachdruck der Bevölkerung geschuldet, die sich vor allem eines wünscht: mehr Grün.
Bedeutet Begrünung zugleich Hitzeprävention?
So ist es nachvollziehbar, dass die zuständige Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) seit geraumer Zeit verstärkt auf Stadtbegrünung setzt, um die Stadt „klimafit“ und Wähler:innen zufrieden zu machen. Doch etwas verwundert: Im Gegensatz zu anderen Großstädten wie etwa Paris, aktuell eine Vorzeigestadt in Sachen Nachbegrünung und Klimawandelanpassung, folgt Wien keinem übergeordneten räumlichen Masterplan zur Klimawandelanpassung des Stadtraums.
Es steht unumstritten fest, dass es ohne zusätzliche Begrünung des Stadtraums im Klimawandel künftig nicht gehen wird. Doch spielt die Frage, welche Maßnahmen wo gesetzt werden, dabei eine wesentliche Rolle. Die Begrünungsprojekte der vergangenen Jahre bringen effektiv neue Aufenthaltsqualitäten – doch tragen sie auch zur Hitzeprävention bei?
Bereits seit etlichen Jahren gibt es die wissenschaftlich erarbeitete „Urban Heat Island“-Strategie der Stadt Wien sowie eine Hitzekarte, die abbildet, wo der Wiener Stadtraum bei Extremereignissen zu überhitzen droht. Wie sich die zigtausenden Neubaumpflanzungen und Oberflächenentsiegelungen an den realisierten Orten tatsächlich auf das Wiener Stadtklima auswirken, wurde noch nicht eingehend evaluiert.
Handlungsbereiche ausfindig machen
Derzeit wird dort begrünt, wo die Stadt ohnehin umbaut oder wo es die Budgets der umsetzungsverantwortlichen Gemeindebezirke zulassen. Oder eben dort, wo, wie am besagten Michaelerplatz, Private über Public-Private-Partnership-Modelle mitfinanzieren. Nachvollziehbare Beweggründe, doch kann für eine Großstadt wie Wien das Mega-Vorhaben der Klimawandelanpassung ohne Strategiekonzept stadträumlich sinnvoll durchgeführt werden? Klimaplanung ist jedenfalls eine Aufgabe, die einer übergeordneten Betrachtung bedarf. Schließlich endet der Klimawandel nicht an der Grundstücksgrenze.
Planer:innen fordern daher einen Masterplan zur Klimawandelanpassung, der konkrete Handlungsbereiche, etwa basierend auf den Aussagen von Klimakarten, dem Versiegelungsgrad, Klimaanalysen und der vorhandenen Begrünungsstruktur, ausweist und eine geregeltere Abwicklung von Anpassungsmaßnahmen vorgibt. Gäbe es einen solchen Masterplan zur Klimawandelanpassung für Wien, so wüsste man vermutlich auch, ob sich das schwierige Umgestaltungsvorhaben auf dem Michaelerplatz tatsächlich in einer ausgewiesenen Hitzezone befindet und sich somit die heiklen und umstrittenen Eingriffe vor dem kritischen Denkmalbeirat oder der Unesco-Kommission rechtfertigen lassen.
Sturm der Entrüstung ist jedenfalls zu Recht groß. Weniger wegen der paar Bäume, deren Einfluss auf die Platzwirkung wohl in der emotional geführten Debatte überschätzt wird, schließlich weisen Bäume eine gewisse Durchblickbarkeit auf und sind in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer Beständigkeit weniger endgültig als bauliche Raumeingriffe. Doch der Ärger der Kritiker: ist nachvollziehbar, schließlich wurde in der Prozessentwicklung mehr als ungeschickt agiert.
Intransparentes Vorgehen
Das A und O jeder Planung im öffentlichen Raum ist die Durchführung eines interdisziplinären Entwurfsfindungs- und Planungsverfahrens, das unterschiedliche fachliche Sichtweisen einbezieht und Ergebnisse transparent und öffentlich kommuniziert. Ob das in Form eines Wettbewerbsverfahrens erfolgen muss, sei dahingestellt. Was am Michaelerplatz jedoch passiert ist, war das Gegenteil von transparent.
Schon seit Jahren ist bekannt, dass auf dem historischen Platz etwas im Gange ist, Details blieben lange im Verborgenen. Erst als der Entwurf des durch die Anrainer:innen beauftragten Architekten Paul Katzberger publik wurde, reagierte die Politik auf die immer lauter werdende Kritik der Fach-Community. Dass das zu einem Zeitpunkt passierte, als die Projektentwicklung mehr oder weniger abgeschlossen war, stößt Beteiligte verständlicherweise vor den Kopf. Ganz abgesehen von einer ordentlich organisierten, breit und öffentlich angelegten Fachdebatte, die der Platz inmitten des Unesco-Weltkulturerbes verdient hätte.
Ein solcher Dialog wäre nicht nur die Chance für eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit der besonderen Aufgabenstellung am Michaelerplatz gewesen, sondern hätte im besten Fall auch wertvolle Beiträge für andere derartige Projekte geliefert. Denn bedenkt man das Voranschreiten des Klimawandels, so kann davon ausgegangen werden, dass sich das Problem schon bald an einem der zahlreichen weiteren baumfreien historischen Platzanlagen in der Wiener City wiederholen wird. Zumindest könnten einige Plätze, die bereits lange auf den Umbau-Wunschlisten stehen, schattenspendende Bäume vertragen, etwa der verkehrsumbrandete Schwarzenbergplatz oder der für den ruhenden Verkehr genutzte Hohe Markt.
Keine größeren Projekte vorgesehen in Wien
Was die Diskussion rund um die Umgestaltung des Michaelerplatzes jedenfalls deutlich gemacht hat, ist, dass man grundsätzliche fachliche Entscheidungen nicht sich selbst und schon gar nicht der Politik überlassen darf. Die Aussage der Planungsstadträtin Sima gegenüber der „Presse“ vor wenigen Tagen, es seien in der Wiener Innenstadt in dieser Legislaturperiode keine größeren Projekte mehr vorgesehen, trägt wenig zur Aufklärung bei.
Planer:innen, die bekanntlich gewohnt sind, in langen zeitlichen Horizonten zu denken, halten zu Recht an der Frage fest, wie die Stadt mit dem denkmalgeschützten historischen Bestand in Zeiten steigender Temperaturen umgehen wird – gerade in künftigen Legislaturperioden.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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