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Von der Schönheit des Büffelns
Der Standard

Ein Raum, der 200 Studierenden zum Lernen dient, mit Licht, Aussicht, gelben Vorhängen, flexibler Möblierung und Platz für die Hängematte. Da will man noch mal inskribieren! Am Dienstag wurde das „Studihaus“ der TU Braunschweig mit dem European Mies van der Rohe Award ausgezeichnet.

18. Mai 2024 - Wojciech Czaja
Eine Flasche Wasser, frisches Obst im Plastiksackerl, daneben stilecht, wie könnte es anders sein, eine aufgerissene Packung Studentenfutter. „Einfach großartig hier“, sagt Soumaia Ismail. „Dieses Gebäude ist eine schöne, freundliche, sympathische Alternative zu all den Lernräumen und Studiensälen, die man sonst so kennt. Und man muss nicht einmal flüstern wie drüben in der Bibliothek, man kann sich ganz normal unterhalten. Irgendwie fühlt es sich an wie ein ganz großer, zweigeschoßiger Coworking-Space für Studierende.“

Verlängertes Wohnzimmer

Die 24-Jährige studiert Lehramt Deutsch und Geschichte an der Technischen Universität Braunschweig. Sie teilt sich den Tisch heute mit Khalil Daboussi, ebenfalls Deutsch und Geschichte, und Lennardt Fölz, seines Zeichens Wirtschaftsinformatiker, der eigentlich ganz woanders studiert, aber gerne die 30-minütige Busfahrt auf sich nimmt, um hier im Kollektiv zu büffeln. „Coworking-Space? Meinst du? Für mich ist das eher wie ein verlängertes Wohnzimmer, fast noch gemütlicher als bei mir zu Hause und außerdem viel, viel inspirierender.“

Genau deshalb wurde das Studierendenhaus auf dem dicht begrünten, bewaldeten Campus der TU Braunschweig, im Uni-Jargon längst als „Studihaus“ und „Glasi“ bekannt, mit dem European Mies van der Rohe Award 2024 ausgezeichnet. Der Preis wird biennal vergeben und richtet sich an herausragende Architekturleistungen innerhalb der EU. Letzten Dienstag wurde er – unter windigem und dramatisch bewölktem Himmel – vor dem Mies-van-der-Rohe-Pavillon in Barcelona verliehen. Eine Statue, eine Urkunde, 60.000 Euro stürmisch obendrauf.

„Was für eine unglaubliche Ehre! Aber auch eine schöne Bestätigung, dass wir uns nach der Corona-Pandemie und trotz all der digitalen Kommunikations-Tools, die uns heute zur Verfügung stehen, immer noch nach ganz realen Räumen der Begegnungen sehnen“, sagt der Berliner Architekt Gustav Düsing, der das Projekt gemeinsam mit seinem ehemaligen Studienkollegen Max Hacke realisiert hat. „Für mich ist das Studihaus ein von allen Hierarchien befreiter Raum, der 200 bis 250 Studierenden die Möglichkeit gibt, einander zu begegnen und – je nach Lust und Laune – miteinander oder nebeneinander zu lesen und zu lernen.“

Die Studierenden haben die Einladung mehr als wörtlich genommen. Denn was ursprünglich als Zeichensaal ausschließlich für angehende Architekten und Bauingenieurinnen gedacht war, wurde in kürzester Zeit von allen Studienrichtungen der TU gleichermaßen in Beschlag genommen. „An manchen Tagen ist es hier ganz schön voll“, sagt Soumaia Ismail. „Und manchmal passiert es sogar, dass sich Studierende draußen anstellen und warten, bis endlich wieder mal ein Stuhl frei wird.“ Wer nicht die nötige Geduld mitbringt, der nimmt halt stattdessen die Hängematte mit und spannt sie sich von einer Stütze zur nächsten. Auch das ist schon vorgekommen.

Hinter der poetischen, scheinbar ordnungslosen Lebendigkeit des Gebäudes (Baukosten drei Millionen Euro) verbirgt sich ein simples, aber bestechend logisches Konstruktionsprinzip: ein Raster aus drei mal drei Meter großen Feldern, insgesamt 30 mal 30 Meter im Quadrat, dazwischen ein Stützen- und Trägerwald aus zehn mal zehn Zentimeter großen Stahlprofilen, die reinste Stangenware aus dem Stahlkatalog, insgesamt 121 Stützen und 155 dazwischen eingehängte Träger mit standardisierten Knoten, alles miteinander verschraubt, jederzeit wieder demontierbar, oben 49 darauf befestigte Deckenplatten, rundherum 81 Stück Geländer, neun Treppenläufe, mal innen, mal außen platziert, sämtliche Lichtleisten und Steckdosen eingeschnitten und bündig integriert, je nach Nutzung vier bis acht Stück pro Stütze, rundherum 64 Fassadenverglasungen und über allem drüber 900 Quadratmeter Trapezblechdach.

„Als Architektur-Connaisseur kommt einem das Gebäude von Anfang an vertraut vor, als hätte man es schon hunderte Male gesehen“, sagt Gustav Düsing, der sich seit seinem Studium an der Architectural Association (AA) in London intensiv mit den Utopien von Cedric Price und Yona Friedman beschäftigt und dessen Architektur nicht von ungefähr an Jean Prouvé, Richard Rogers und Ludwig Mies van der Rohe erinnert, doch im Gegensatz zu den historischen Inspirationsquellen in reinstes Weiß getaucht und bis zur Farblosigkeit entsättigt scheint. „Doch dann merkt man: Obwohl diese Art von Gebäude in der Architekturtheorie schon so oft erdacht und bis zur letzten Schraube entwickelt wurde, hat es noch nie eines davon in die Realität geschafft.“ Bis jetzt.

Dank des dick eingedämmten Dachs, der automatisierten Durchlüftung und des rundum laufenden Vordachs, das die hoch im Himmel stehende Sommersonne abblockt, wirkt das Haus angenehm temperiert. Und sogar die Akustik – sonst ein Riesenproblem in Stahl-Glas-Bauten – hat man mit Teppich, perforierten Deckenpaneelen und dottergelbem Vorhang, 50 Laufmeter in Summe, zum Teil über zwei Geschoße nach unten fallend, wunderbar in den Griff gekriegt.

„Das Beste am neuen Glasi ist, dass man hier Leuten begegnet, mit denen man bislang keinerlei Berührungspunkte hatte, meistens aus ganz anderen Fächern kommend“, sagt Layla Camara, Psychologiestudentin, „und dann sitzt man mit ihnen plötzlich an einem Tisch und lernt.“ Ihr Lieblingsplatz? „An einem warmen Frühlingstag draußen auf dem Balkon. Es gibt nichts Schöneres. Absolut preisverdächtig!“

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