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Ljubljana will kein Museum sein
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In Sloweniens Hauptstadt harmonieren Stahlbetonmonster mit Jugendstilgebäuden, ausdrucksstarke Bauten verweben sich mit der Stadttextur. Der Umgang mit Weltkulturerbe wirkt hier vergleichsweise gelassen – warum?

24. Mai 2024 - Sigrid Verhovsek
Die Aufnahme städtischen Raums in das Unesco-Welterbe ist kein touristisches Gütesiegel, sondern die Verantwortung, gleichermaßen zu bewahren wie zu entwickeln: ohne Veränderung kein Leben, ohne Erinnerung keine Identität. Für Städte bedeutet dies eine ständige Gratwanderung zwischen Musealisierung als scheinbarer Idealvoraussetzung für Fremdenverkehr einerseits und der Zerstörung des unverstandenen Erbes aufgrund rein ökonomischer Interessen andererseits.

Es gibt kein Patentrezept für diesen Balanceakt: Kulturerbestädte stammen aus verschiedenen Epochen, haben je andere historische Hintergründe und unterschiedliche Zielsetzungen – vom seit der Bronzezeit vollzogenen Salzabbau über nahezu intakte Dachlandschaften aus Mittelalter und Renaissance bis hin zum Canaletto-Blick auf ein Habsburger-Wien.

Ein im Vergleich „jugendliches“ Erbe findet sich in Ljubljana, das sich im vergangenen Jahrhundert im Schnelldurchlauf von einer österreichischen k. u. k. Provinzstadt zur slowenischen Hauptstadt entwickelt hat. Trotzdem blieben die inneren Zusammenhänge, das Gefüge der Stadt, erhalten, nicht zuletzt dank der Arbeit von Jože Plečnik: Die auch nach ihm benannte Welterbezone in Ljubljana würdigt die „urbane Gestaltung nach Maß des Menschen“.

Entlang „Wasserachse“ und „Landachse“

Ein Großteil dieser Zone erstreckt sich zentral entlang der beiden von Plečnik intendierten Achsen, der „Wasserachse“ mit ihren platzbildenden Brücken am detailliert gestalteten Ufer der Ljubljanica, und der „Landachse“ als Rückgrat der innerstädtischen Bebauung. Wie Splitter stecken dazwischen immer wieder Bauwerke des eigenwilligen Architekten, Tromostovje, die berühmten Drei Brücken, die National- und Universitätsbibliothek, das Sommertheater Križanke oder das raumgewordene „Bügeleisen“ (Peglezen).

Wie Tropfen im Stadtplan liegen rings um den inneren Ring am Burgberg weitere Schutzzonen um weitere Plečnik-Kostbarkeiten wie den städtischen Friedhof Zale. Diese Zonen sind aber nicht nur Sicht- oder Pufferbereiche rund um die ikonischen Bauten, wie Stadtplanerin Sanela Pansinger weiß, die an der Architekturfakultät von Ljubljana zu öffentlichem Raum forscht: „Man kann Plečniks Architektur mögen oder nicht, wirklich außergewöhnlich sind seine Stadtplanung, die Raumbildung, die Vernetzung und Durchwegung.“

Ohne die Orientierung zu verlieren, kann man schräg, quer oder rundherum gehen, immer tut sich ein Durchblick und meist ein Weg auf, ist etwas Neues zu entdecken: eine surrealistische Straßenlaterne mitten auf den Stufen einer Passage, auf einer Brücke wachsende Birken, kleine Bronzeköpfchen im Rinnstein einer schmalen Reiche. Wie sein Mentor Otto Wagner kritisierte Plečnik die zweidimensionale, nur auf Transport und Infrastruktur ausgelegte Ingenieursplanung des öffentlichen Raums, in der künstlerische Impulse keinen Platz finden. Die der Moderne geschuldete Teilung in funktionale Areale erschien ihm wenig sinnvoll, er wusste um die Bedeutung des eigenständigen Quartiers, das in sich Lebenswelten aufspannt.

Räume neu aneignen

Bei aller Detailverliebtheit, von der selbst Türschnallen künden: Stadt wird im Sinne Plečnik zwar vollständig gedacht, aber nicht vollständig „verplant“ und schon gar nicht fertig gebaut. Er bewies Mut zur Lücke, wie Pansinger feststellt: „Gerade diese Lücken spannen Möglichkeitsräume auf. Als nicht vollständig definierte Orte bieten sie Raum für soziale Interaktion und Gemeinschaftsaktivitäten – Raum, den sich verschiedene Gruppen zu verschiedenen Zeitpunkten alltäglich neu aneignen können.“

Möglicherweise ist dieser großzügige öffentliche Raum der Klebstoff, der unterschiedliche Bauepochen nahtlos verbindet: Stahlbetonmonster aus der jugoslawischen Ära mit weiten Plätzen harmonieren wunderbar mit Jugendstilbauten oder der römischen Mauer, ausdrucksstarke Bauten von Max Fabiani und Edvard Ravnikar verweben sich mit der Textur der Stadt, große Gesten und unzählige kleine, aber einschneidende Interventionen greifen ineinander.

Autos bei der Planung nicht beachten

Ist bauliches Einfügen in einen diversen, uns zudem zeitlich näherstehenden Raum einfacher? Architektin und Tessenow-Medaillenträgerin Maruša Zorec, die unter anderem das Wohnhaus von Plečnik renovierte, verneint: „Grundlegend ist, dass man die Logik einer Architektur versteht. Das ist wie in jeder Sprache: Man muss Kontakt aufnehmen, in einen Dialog mit dem Bestand kommen. Die Antwort kann unterschiedlich ausfallen, man kann das Vorgefundene bejahen oder verneinen, es ignorieren oder ergänzen. Aber zunächst muss man das Gesagte, den Raum an sich, verstehen.“

Auch in Ljubljana wurde nicht immer verstanden, einiges schien hier verloren: Plätze waren zugeparkt, Alleen vom Autoverkehr dominiert, Gassen versperrt oder zugemüllt. Aber in seiner Doppelfunktion als Stadtarchitekt und Vizebürgermeister konnte der mittlerweile emeritierte Professor Janez Koželj in jahrelanger konsequenter Arbeit viel „reparieren“, den motorisierten Individualverkehr zurückdrängen, Plätze entrümpeln und neu pflastern. „Er hat Plečnik wieder sichtbar gemacht“, meint Zorec, die diese Entwicklung genau verfolgte: „Von ihm konnte man lernen, dass bei der Verkehrsplanung Autos gar nicht beachtet werden dürfen, die finden nämlich immer einen Weg. Bestes Beispiel dafür ist die Slovenska cesta, die Hauptstraße, die auf einem langen Teilabschnitt von Autos befreit und wieder zum Boulevard wurde.“ Durch eine kleine Finte gab es kaum Proteste: Nach zwei Jahren Baustelle hatte man sich bereits daran gewöhnt.

Leider ist der öffentliche Verkehr in der Innenstadt mühsam: Ljubljana hat keine Straßenbahn, Busse umfahren das Zentrum im Ringsystem. Gut funktioniert das Park&Ride-System, von Autobahnknotenpunkten gelangt man mit einem (Leih-)Rad schnell auf besten Wegen ins Zentrum.

Ljubljana vibriert, ist lebendig – und kein Museum. Betongold suchende Investoren finden derzeit außerhalb der Welterbezone noch genug Raum: Zum Beispiel sorgt die „Überbauung“ des kleinteiligen Schwimmbads Kopališče Ilirija (1929), das in einem Sportcenter samt riesiger Plastikrutsche verschwindet, für schmerzende Architektenherzen. In der Altstadt bedeutet die sichtbare Verneigung vor dem Tourismus die größte Gefahr für ein lebendiges Erbe: Im Zentrum werden Airbnb mehr, Wohnungen für Familien weniger und teurer. Läden für alltäglichen Bedarf sind nicht so lukrativ wie Souvenirshops, Bäckereien weichen Galerien und teuren Markenshops. Von der substanziellen innerstädtischen Ausdünnung kündet auch der Plan, die Kunstgewerbeschule im Križanke, einem von Plečnik umgebauten Deutschordensritterhof, an die Peripherie auszusiedeln – zugunsten der Ausweitung des Kulturzentrums zu einem Festivalcenter.

Aber noch ist das Welterbe Ljubljana geräumig genug, um das Verhältnis zwischen Besucher:innen und Einheimischen auszutarieren, nicht zuletzt aufgrund des menschlichen Maßes ihrer urbanen Gestalt.

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