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Räume, die warten
Die Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut lotet mit den Mitteln der Kunst das Potenzial von Bahnhofsgebäuden aus und erforscht die oft versteckten Probleme von Leerstand und Bodenversiegelung in der ganzen Region.
25. Mai 2024 - Maik Novotny
Ob man hier denn einen Kaffee bekommen könne, fragt die elegante ältere Dame und lugt durch das Loch zwischen den verblichenen Palmen. Das nicht, sagt die freundliche junge Frau in der schwarzen Trainingsjacke. „Aber ich könnte Ihnen ein Glas Angst anbieten. Oder Kontrolle.“ Was da denn drin sei? „Na, alles, was Sie brauchen, um die Kontrolle zu behalten!“ Das klingt überzeugend, und Xenia Lesniewski serviert ihrer Kundin ein Cocktailglas mit grüner Flüssigkeit auf einem Untersetzer, der mit den Worten „Your problems are far from over“ bedruckt ist. Währenddessen fährt hinter der Südseefototapete mit der wild hineingeschlagenen Öffnung der R3418 in Fahrtrichtung Obertraun ab. Ein ganz normaler Tag im Bahnhof Traunkirchen Ort.
Zumindest für ein paar Wochen, in denen die Künstlerin als Artist in Residence der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 im ehemaligen Wartesaal des winzigen Gebäudes ihre Installation Apocalypso eingerichtet hat. Eine komplett ausgestattete Bar mit Flaschen, deren Etiketten mit Wörtern wie Crisis, Resilience, Fear oder Control bedruckt sind. Panic-Room und Eskapismus in einem. „Wir leben in Zeiten der Polykrise, und in Krisensituationen liegt der Alkohol nahe. Aber eine Bar ist auch ein Ort, an dem Menschen ins Gespräch kommen. Eigentlich sollte Apocalpyso immer offen sein.“ Aber viele Wirtshäuser und Bahnhöfe im Salzkammergut seien permanent geschlossen.
Die ältere Dame nippt an ihrem Glas und nickt. Sie wohne seit 46 Jahren in Bad Ischl, wo der Bahnhof zwar zentral liege, es aber kein richtiges Bahnhofsrestaurant mehr gebe, und auch keine Schließfächer, klagt sie.
Orte des Austauschs
Bahnhöfe sind Orte und Nichtorte zugleich, doch jene an der Salzkammergutbahn sind durch ihre Lage auch besondere Orte. Man wartet hier vor prachtvollstem Bergpanorama, doch an den meisten Bahnhöfen gibt es gerade einmal noch einen Fahrkartenautomaten und ein Dach über dem Kopf. Alles, was teure Personalkosten verursacht, ist wegreduziert. Die Bahnhofsrestaurants, die Bars, die Ticketschalter, manchmal auch die Wartesäle. Die Leerräume bleiben.
Gerade dadurch könnten diese Bahnhöfe auch zu Orten des Austauschs werden, mit Künstlerinnen als signalgebenden Reisebegleitern, sagt Kurator Gerald Priewasser-Höller. Er kuratiert im Rahmen der Kulturhauptstadt das Artists-in-Residence-Programm „Salt Lake Cities Stops and Stations“ in Kooperation mit der ÖBB für die Bahnhöfe zwischen dem Almtal, dem oberösterreichischen Salzkammergut und Tauplitz im Ausseerland.
Nächster Halt: Hallstatt. Tausende Touristinnen aus aller Welt steigen hier an Wochenenden aus und ziehen ihre Rollkoffer den holprigen Weg zum Seeufer hinunter, die Smartphones schon gezückt. Den Bahnhof selbst registrieren sie kaum. Kein Wunder, der alte Wartesaal ist permanent verschlossen, nur ein winziger Vorraum mit Ticketautomaten steht für den Alltagsgebrauch zur Verfügung. Dabei ist der an ein Bergrestaurant erinnernde lichtdurchflutete Saal zwischen Wiese und Felsen einer, in dem man wirklich sehr gerne warten würde.
Hallstatt unter Druck
Jetzt ist sie gerade etwas weniger leer geworden, denn Fabian Puttinger wuchtet gerade eine 120 Jahre alte Druckerpresse auf einen der Tische mitten im Raum. Der junge Architekt, der in Wien und am Grundlsee lebt, wird hier bis Ende Juni in Handarbeit Reliefpostkarten des Salzkammergutes herstellen und Kartenmaterial zeigen, das er in seinem Projekt kartografisches.at erforscht und bearbeitet. Im Juli werden Studierende am Fachbereich Wohnbau und Entwerfen der TU Wien, die sich unter Anleitung von Michael Obrist, Christian Nuhsbaumer und Carola Stabauer seit Jahren mit Hallstatt beschäftigt haben, hier ihre Ideen für den von Übertourismus und Leerstellen gleichzeitig betroffenen Ort präsentieren.
Dritter Halt: Bahnhof Bad Aussee. Groß und stattlich, doch den Reisenden bleibt nur ein kleiner Warteraum. Eine Gruppe verloren wirkender Touristen fragt nach dem Schienenersatzverkehr. Adriana Torres Topaga weiß die richtigen Antworten. Die Linzer Künstlerin mit kolumbianischen Wurzeln hilft gerne, denn schließlich ist sie hier, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen und Workshops mit den Mitarbeitern des im alten Wartesaal eingemieteten Beschäftigungsprojekts Sparta zu erarbeiten. Einprägsame Worte und Sätze aus diesen Dialogen affichiert sie an Wände und auf Sitzbänke. „Es ist mir wichtig, herauszufinden, was die Menschen denken, und das zu teilen“, sagt sie, Sprühdose in der Hand.
Die Stationen der Salzkammergutbahn sind Punkte auf einer Linie, die sich mitten durch die Region schlängelt und viel mit deren Räumen und ihren Nutzungen zu tun hat – auch mit dem Selbstverständnis des Großevents selbst. „Es war von Anfang an unser Ziel, dass für die Kulturhauptstadt nichts Neues gebaut werden sollte“, erklärt Eva Mair, die im Festivalteam für Baukultur und Handwerk zuständig ist. „Das war für viele überraschend, die sich an die letzten österreichischen Kulturhauptstädte Linz und Graz erinnerten und fragten, was denn die Murinsel des Salzkammergutes werde. Die Antwort ist, dass es hier schon so viele Räume mit Potenzial gibt, die man einfach nur nutzen muss. Die Bahnhöfe sind genau solche Räume.“
Wie viele Räume mit wie viel Potenzial es wirklich gibt, wurde schon im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres ermittelt. Unter dem Titel Curating Space unternahmen Priewasser-Höller, Simone Barlian und Elisa Schmid Leerstandsafaris in den 23 Gemeinden und fanden Geschäftslokale, Supermärkte, Wohnhäuser und Wirtshäuser. Vom Thema Leerstand ist es nicht weit zur Bodenfrage. Denn während an der einen Stelle die Türen für immer zugesperrt werden, wird woanders in die grüne Wiese hineingebaggert. Auf Initiative des Musikers Hubert von Goisern wurde daher das Projekt „Bodenschutz im Salzkammergut“ auf die Schiene gebracht, ein Bodenworkshop mit den Vertreterinnen der Gemeinden fand 2023 statt, dieses Jahr soll es weitergehen.
Man sieht: Auch in kleinen Warteräumen können große Ideen gedeihen, in vergessenen Winkeln wichtige Fragen gestellt werden und Stationen auf einer Linie viel über den Umgang mit Flächen erzählen. Darauf ein Glaserl Resilience.
Hinweis: Ein Wohngespräch mit Elisabeth Schweeger, künstlerische Leiterin Europäische Kulturhauptstadt, finden Sie im immobilienSTANDARD.
Zumindest für ein paar Wochen, in denen die Künstlerin als Artist in Residence der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 im ehemaligen Wartesaal des winzigen Gebäudes ihre Installation Apocalypso eingerichtet hat. Eine komplett ausgestattete Bar mit Flaschen, deren Etiketten mit Wörtern wie Crisis, Resilience, Fear oder Control bedruckt sind. Panic-Room und Eskapismus in einem. „Wir leben in Zeiten der Polykrise, und in Krisensituationen liegt der Alkohol nahe. Aber eine Bar ist auch ein Ort, an dem Menschen ins Gespräch kommen. Eigentlich sollte Apocalpyso immer offen sein.“ Aber viele Wirtshäuser und Bahnhöfe im Salzkammergut seien permanent geschlossen.
Die ältere Dame nippt an ihrem Glas und nickt. Sie wohne seit 46 Jahren in Bad Ischl, wo der Bahnhof zwar zentral liege, es aber kein richtiges Bahnhofsrestaurant mehr gebe, und auch keine Schließfächer, klagt sie.
Orte des Austauschs
Bahnhöfe sind Orte und Nichtorte zugleich, doch jene an der Salzkammergutbahn sind durch ihre Lage auch besondere Orte. Man wartet hier vor prachtvollstem Bergpanorama, doch an den meisten Bahnhöfen gibt es gerade einmal noch einen Fahrkartenautomaten und ein Dach über dem Kopf. Alles, was teure Personalkosten verursacht, ist wegreduziert. Die Bahnhofsrestaurants, die Bars, die Ticketschalter, manchmal auch die Wartesäle. Die Leerräume bleiben.
Gerade dadurch könnten diese Bahnhöfe auch zu Orten des Austauschs werden, mit Künstlerinnen als signalgebenden Reisebegleitern, sagt Kurator Gerald Priewasser-Höller. Er kuratiert im Rahmen der Kulturhauptstadt das Artists-in-Residence-Programm „Salt Lake Cities Stops and Stations“ in Kooperation mit der ÖBB für die Bahnhöfe zwischen dem Almtal, dem oberösterreichischen Salzkammergut und Tauplitz im Ausseerland.
Nächster Halt: Hallstatt. Tausende Touristinnen aus aller Welt steigen hier an Wochenenden aus und ziehen ihre Rollkoffer den holprigen Weg zum Seeufer hinunter, die Smartphones schon gezückt. Den Bahnhof selbst registrieren sie kaum. Kein Wunder, der alte Wartesaal ist permanent verschlossen, nur ein winziger Vorraum mit Ticketautomaten steht für den Alltagsgebrauch zur Verfügung. Dabei ist der an ein Bergrestaurant erinnernde lichtdurchflutete Saal zwischen Wiese und Felsen einer, in dem man wirklich sehr gerne warten würde.
Hallstatt unter Druck
Jetzt ist sie gerade etwas weniger leer geworden, denn Fabian Puttinger wuchtet gerade eine 120 Jahre alte Druckerpresse auf einen der Tische mitten im Raum. Der junge Architekt, der in Wien und am Grundlsee lebt, wird hier bis Ende Juni in Handarbeit Reliefpostkarten des Salzkammergutes herstellen und Kartenmaterial zeigen, das er in seinem Projekt kartografisches.at erforscht und bearbeitet. Im Juli werden Studierende am Fachbereich Wohnbau und Entwerfen der TU Wien, die sich unter Anleitung von Michael Obrist, Christian Nuhsbaumer und Carola Stabauer seit Jahren mit Hallstatt beschäftigt haben, hier ihre Ideen für den von Übertourismus und Leerstellen gleichzeitig betroffenen Ort präsentieren.
Dritter Halt: Bahnhof Bad Aussee. Groß und stattlich, doch den Reisenden bleibt nur ein kleiner Warteraum. Eine Gruppe verloren wirkender Touristen fragt nach dem Schienenersatzverkehr. Adriana Torres Topaga weiß die richtigen Antworten. Die Linzer Künstlerin mit kolumbianischen Wurzeln hilft gerne, denn schließlich ist sie hier, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen und Workshops mit den Mitarbeitern des im alten Wartesaal eingemieteten Beschäftigungsprojekts Sparta zu erarbeiten. Einprägsame Worte und Sätze aus diesen Dialogen affichiert sie an Wände und auf Sitzbänke. „Es ist mir wichtig, herauszufinden, was die Menschen denken, und das zu teilen“, sagt sie, Sprühdose in der Hand.
Die Stationen der Salzkammergutbahn sind Punkte auf einer Linie, die sich mitten durch die Region schlängelt und viel mit deren Räumen und ihren Nutzungen zu tun hat – auch mit dem Selbstverständnis des Großevents selbst. „Es war von Anfang an unser Ziel, dass für die Kulturhauptstadt nichts Neues gebaut werden sollte“, erklärt Eva Mair, die im Festivalteam für Baukultur und Handwerk zuständig ist. „Das war für viele überraschend, die sich an die letzten österreichischen Kulturhauptstädte Linz und Graz erinnerten und fragten, was denn die Murinsel des Salzkammergutes werde. Die Antwort ist, dass es hier schon so viele Räume mit Potenzial gibt, die man einfach nur nutzen muss. Die Bahnhöfe sind genau solche Räume.“
Wie viele Räume mit wie viel Potenzial es wirklich gibt, wurde schon im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres ermittelt. Unter dem Titel Curating Space unternahmen Priewasser-Höller, Simone Barlian und Elisa Schmid Leerstandsafaris in den 23 Gemeinden und fanden Geschäftslokale, Supermärkte, Wohnhäuser und Wirtshäuser. Vom Thema Leerstand ist es nicht weit zur Bodenfrage. Denn während an der einen Stelle die Türen für immer zugesperrt werden, wird woanders in die grüne Wiese hineingebaggert. Auf Initiative des Musikers Hubert von Goisern wurde daher das Projekt „Bodenschutz im Salzkammergut“ auf die Schiene gebracht, ein Bodenworkshop mit den Vertreterinnen der Gemeinden fand 2023 statt, dieses Jahr soll es weitergehen.
Man sieht: Auch in kleinen Warteräumen können große Ideen gedeihen, in vergessenen Winkeln wichtige Fragen gestellt werden und Stationen auf einer Linie viel über den Umgang mit Flächen erzählen. Darauf ein Glaserl Resilience.
Hinweis: Ein Wohngespräch mit Elisabeth Schweeger, künstlerische Leiterin Europäische Kulturhauptstadt, finden Sie im immobilienSTANDARD.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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