Artikel
Bei dem See braucht’s kein Meer – Eröffnung des neuen Strandbads in Breitenbrunn
Das Seebad Breitenbrunn am Neusiedler See wurde behutsam und naturnah umgestaltet: Der Freiraum rund um das Marina-Becken bietet Platz für viele Sportarten, üppige Baum- und Strauchbepflanzungen säumen die öffentliche Liegefläche.
7. Juni 2024 - Klaus-Jürgen Bauer
Den Neusiedler See gibt es, wie neue Forschungserkenntnisse zeigen, bereits seit ungefähr 25.000 Jahren. Die stetige Verkleinerung der Wasserflächen im Laufe der Zeit sorgt allerdings dafür, dass die wenigen offenen Zugänge zum Wasser einem gewaltigen Nutzungsdruck unterliegen. Die raren freien Flächen begehren viele Nutzer: solvente Waterkant-Bewohner, Badegäste, Segler und Surfer, Schilfhüttenbewohner, die Gastronomie, Camper, Jäger und Fischer, Vogelbeobachter und so weiter. Diese extreme Verdichtung der wenigen Bereiche am offenen Wasser führt jedenfalls zu anhaltenden Diskussionen über die bauliche Zukunft am See.
Nicht nur die sich überlagernden Interessen der unterschiedlichen Nutzer gilt es abzuwägen: Der etwa 320 km² große Neusiedler See – die größte Seefläche der Republik – ist auch ein Unesco-geschütztes Naturjuwel, also ein Ort mit ausgewiesenem universellem Wert für die Menschheit. Er ist der westlichste Steppensee Europas, eine hydrologische Typologie, die hier beginnt und sich über ganz Eurasien bis China hinzieht. Etwa die Hälfte des Sees ist heute mit Schilf bewachsen und ein Vogelparadies. Wie also umgehen im Spannungsfeld zwischen Natur- und Kulturschutz auf der einen Seite und den vielfältigen Freizeit- und Wohnwünschen, sportlichen und kommerziellen Interessen auf der anderen Seite?
Fischreicher See
Wenn es um den Neusiedler See geht, kommt man nicht am wesentlichen Eigentümer des Sees vorbei. Seit dem 17. Jahrhundert gehört der See nämlich fast vollständig dem Fürstengeschlecht Esterházy. Damals stand der Fischreichtum im Vordergrund. Fisch wurde in der Barockzeit wagenweise nach Eisenstadt zur fürstlichen Tafel geführt. An diesem Punkt kommt nun auch die Architektur ins Spiel, die für Esterházy immer schon eine wesentliche Rolle einnahm. Kunsthistoriker schwärmen bis heute von der hohen Qualität der Esterházy’schen Architektur, die um 1800 unter dem Bauherrn Nikolaus II. Esterházy und dem französischen Architekten Charles Moreau einen landschaftsprägenden Höhepunkt erfuhr. Durch Napoleon wurde die Baulust der Esterházy jedoch abrupt unterbrochen. Es folgte ein fast 150-jähriger Dornröschenschlaf: eine Zeit, in der baulich wenig geschah.
Ende der 1980er-Jahre änderte sich alles. Fürst Paul V. Esterházy übertrug seine gesamten Besitzungen testamentarisch seiner Frau Melinda Esterházy, geborene Ottrubay. Der letzte Fürst unterbrach damit die jahrhundertelange aristokratische Tradition der Erbfolge durch sogenannte Fideikommisse. Melinda Esterházy gründete ab 1994 drei Stiftungen, welche die Esterhazy’schen Besitzungen heute nach modernen privatwirtschaftlichen Agenden verwalten. Im Jahr 2000 betraute die Fürstin ihren Neffen Stefan Ottrubay mit der Leitung der Stiftungen. Bis 2023 blieb Ottrubay Generaldirektor der Esterhazy Betriebe GmbH, seit der Umwandlung zu einer AG agiert er als deren Aufsichtsratsvorsitzender. Was Stefan Ottrubay unter anderem nach Eisenstadt mitbrachte, war sein unbedingter Wille zu einer hochwertigen zeitgenössischen Architekturgestaltung im Esterházy-Imperium.
Offener Architekturwettbewerb
Neben der Sanierung der historischen Objekte entstanden in den vergangenen 25 Jahren im Burgenland auch viele neue Bauwerke. Deren Liste ist lang und beeindruckend: das Weingut Esterhazy und das Kalandahaus in Trausdorf, das Steinbruchgelände in St. Margarethen, der Seehof Donnerskirchen, das Boutique-Hotel Zum Oberjäger im Schloss Lackenbach, das Restaurant Henrici, die Selektion Vinothek Burgenland, die Markthalle Kulinarium Burgenland sowie das Ende 2022 eröffnete Hotel Galántha in Eisenstadt.
Das neue Seebad in Breitenbrunn mit dem Namen Neuer Strand Neusiedler See reiht sich nahtlos in diese Liste ein. An diesem Ort, der durch einen endlosen Kanal mit dem Festland verbunden ist, standen in die Jahre gekommene Vorgängerbauten. Der pannonische Brutalist Herwig Udo Graf errichtete dort im Jahr 1969 ein Seebad mit Seerestaurant nach skandinavischem Vorbild und dreieckigen schilfgedeckten Spitzhütten, wie sie damals als Ferienarchitektur in ganz Europa üblich waren. Im neuen Seebad ging es in erster Linie nicht um neue Gebäude, sondern um das grundsätzliche Nachdenken darüber, wie man sehr unterschiedliche Nutzer und die damit verbundenen Volumen möglichst schonend und naturnah vereinbaren kann. Esterházy versteht sich in diesem Sinne sicherlich als Vorreiter und Impulsgeber für das zukünftige Bauen am See.
Für ein Projekt dieser Größe kam für die Esterhazy Betriebe GmbH natürlich nur die Auslobung eines offenen Architekturwettbewerbs infrage. Es bewarben sich 48 Teams von Landschaftsplanern und Architekten aus Deutschland, Italien, der Schweiz, Österreich und Costa Rica. Das Wiener Team Studio Hoffelner Schmid und Korbwurf Landschaftsarchitektur ging 2016 als Sieger hervor. Ausschlaggebend war für die Jury, dass die Architekten das zukünftige Marina-Gebäude nicht unmittelbar am See positionierten, sondern einen aufgelockerten Neubau als Rahmen für die prächtige Naturkulisse entwickelten.
Es entstand ein verglaster und zugleich durchgehend mit Vorsprüngen und Holzlatten verschatteter, zweigeschoßiger Bau. Dieser ist mehrfach in sich abgeknickt, wird unterbrochen, ist mit Balkonen an weitere Bauteile angebunden: ein permanentes Auf und Ab. Diese organische Abwicklung der Baukörper nimmt einerseits die sich immer wieder verändernde amorphe Küstenlinie auf und sorgt andererseits für Durchblicke auf das Wasser aus dem Hinterland.
Keine Eingriffe in den Schilfgürtel
Vor dem Gebäude entwickelt sich rund um das neu gestaltete Marina-Becken ein Freiraum mit hoher räumlicher Qualität. Neben Kies- und Besenstrich-Flächen sorgen großzügige Baumbepflanzungen für ein attraktives Ambiente. Auch die öffentliche Liege- und Grünfläche wurde mit neuen Baum- und Strauchgruppen aufgewertet und stark erweitert, aber ohne dass man Eingriffe in den Schilfgürtel vornehmen musste. Ein Gefühl von Enge und Dichte kommt in diesem Seebad vermutlich nicht so schnell auf. Das Interior Design der Marina stammt von Destilat Design Studio. Es wurde vorwiegend mit nachhaltigen Werkstoffen wie Holz und Naturtextilien in Nuancen aus Erd- und Naturtönen sowie mit der Betonung horizontaler Linien gearbeitet.
Die Zeiten ändern sich. Noch im 19. Jahrhundert etwa betrieb die k. u. k. Kriegsmarine in Neusiedl am See eine Kadettenschule, wo junge Seeleute das Segeln lernten. Im neuen Seebad Breitenbrunn, das jüngst eröffnet wurde, ist viel mehr möglich: Gastronomie in mehreren Restaurants mit jeweils 120 Innen- und Außensitzplätzen und weiteren 100 Plätzen für Veranstaltungen aller Art. Außerdem gibt es nun viel Platz für alle üblichen Sportarten an diesem sehr besonderen See.
Die Anlage entstand trotz ihres großen Volumens aus der Natur des Neusiedler See heraus. „Österreichs seltsamer Gast“, wie Franz Werfel den Neusiedler See einmal bezeichnet hatte, wurde hier mit Respekt behandelt.
Nicht nur die sich überlagernden Interessen der unterschiedlichen Nutzer gilt es abzuwägen: Der etwa 320 km² große Neusiedler See – die größte Seefläche der Republik – ist auch ein Unesco-geschütztes Naturjuwel, also ein Ort mit ausgewiesenem universellem Wert für die Menschheit. Er ist der westlichste Steppensee Europas, eine hydrologische Typologie, die hier beginnt und sich über ganz Eurasien bis China hinzieht. Etwa die Hälfte des Sees ist heute mit Schilf bewachsen und ein Vogelparadies. Wie also umgehen im Spannungsfeld zwischen Natur- und Kulturschutz auf der einen Seite und den vielfältigen Freizeit- und Wohnwünschen, sportlichen und kommerziellen Interessen auf der anderen Seite?
Fischreicher See
Wenn es um den Neusiedler See geht, kommt man nicht am wesentlichen Eigentümer des Sees vorbei. Seit dem 17. Jahrhundert gehört der See nämlich fast vollständig dem Fürstengeschlecht Esterházy. Damals stand der Fischreichtum im Vordergrund. Fisch wurde in der Barockzeit wagenweise nach Eisenstadt zur fürstlichen Tafel geführt. An diesem Punkt kommt nun auch die Architektur ins Spiel, die für Esterházy immer schon eine wesentliche Rolle einnahm. Kunsthistoriker schwärmen bis heute von der hohen Qualität der Esterházy’schen Architektur, die um 1800 unter dem Bauherrn Nikolaus II. Esterházy und dem französischen Architekten Charles Moreau einen landschaftsprägenden Höhepunkt erfuhr. Durch Napoleon wurde die Baulust der Esterházy jedoch abrupt unterbrochen. Es folgte ein fast 150-jähriger Dornröschenschlaf: eine Zeit, in der baulich wenig geschah.
Ende der 1980er-Jahre änderte sich alles. Fürst Paul V. Esterházy übertrug seine gesamten Besitzungen testamentarisch seiner Frau Melinda Esterházy, geborene Ottrubay. Der letzte Fürst unterbrach damit die jahrhundertelange aristokratische Tradition der Erbfolge durch sogenannte Fideikommisse. Melinda Esterházy gründete ab 1994 drei Stiftungen, welche die Esterhazy’schen Besitzungen heute nach modernen privatwirtschaftlichen Agenden verwalten. Im Jahr 2000 betraute die Fürstin ihren Neffen Stefan Ottrubay mit der Leitung der Stiftungen. Bis 2023 blieb Ottrubay Generaldirektor der Esterhazy Betriebe GmbH, seit der Umwandlung zu einer AG agiert er als deren Aufsichtsratsvorsitzender. Was Stefan Ottrubay unter anderem nach Eisenstadt mitbrachte, war sein unbedingter Wille zu einer hochwertigen zeitgenössischen Architekturgestaltung im Esterházy-Imperium.
Offener Architekturwettbewerb
Neben der Sanierung der historischen Objekte entstanden in den vergangenen 25 Jahren im Burgenland auch viele neue Bauwerke. Deren Liste ist lang und beeindruckend: das Weingut Esterhazy und das Kalandahaus in Trausdorf, das Steinbruchgelände in St. Margarethen, der Seehof Donnerskirchen, das Boutique-Hotel Zum Oberjäger im Schloss Lackenbach, das Restaurant Henrici, die Selektion Vinothek Burgenland, die Markthalle Kulinarium Burgenland sowie das Ende 2022 eröffnete Hotel Galántha in Eisenstadt.
Das neue Seebad in Breitenbrunn mit dem Namen Neuer Strand Neusiedler See reiht sich nahtlos in diese Liste ein. An diesem Ort, der durch einen endlosen Kanal mit dem Festland verbunden ist, standen in die Jahre gekommene Vorgängerbauten. Der pannonische Brutalist Herwig Udo Graf errichtete dort im Jahr 1969 ein Seebad mit Seerestaurant nach skandinavischem Vorbild und dreieckigen schilfgedeckten Spitzhütten, wie sie damals als Ferienarchitektur in ganz Europa üblich waren. Im neuen Seebad ging es in erster Linie nicht um neue Gebäude, sondern um das grundsätzliche Nachdenken darüber, wie man sehr unterschiedliche Nutzer und die damit verbundenen Volumen möglichst schonend und naturnah vereinbaren kann. Esterházy versteht sich in diesem Sinne sicherlich als Vorreiter und Impulsgeber für das zukünftige Bauen am See.
Für ein Projekt dieser Größe kam für die Esterhazy Betriebe GmbH natürlich nur die Auslobung eines offenen Architekturwettbewerbs infrage. Es bewarben sich 48 Teams von Landschaftsplanern und Architekten aus Deutschland, Italien, der Schweiz, Österreich und Costa Rica. Das Wiener Team Studio Hoffelner Schmid und Korbwurf Landschaftsarchitektur ging 2016 als Sieger hervor. Ausschlaggebend war für die Jury, dass die Architekten das zukünftige Marina-Gebäude nicht unmittelbar am See positionierten, sondern einen aufgelockerten Neubau als Rahmen für die prächtige Naturkulisse entwickelten.
Es entstand ein verglaster und zugleich durchgehend mit Vorsprüngen und Holzlatten verschatteter, zweigeschoßiger Bau. Dieser ist mehrfach in sich abgeknickt, wird unterbrochen, ist mit Balkonen an weitere Bauteile angebunden: ein permanentes Auf und Ab. Diese organische Abwicklung der Baukörper nimmt einerseits die sich immer wieder verändernde amorphe Küstenlinie auf und sorgt andererseits für Durchblicke auf das Wasser aus dem Hinterland.
Keine Eingriffe in den Schilfgürtel
Vor dem Gebäude entwickelt sich rund um das neu gestaltete Marina-Becken ein Freiraum mit hoher räumlicher Qualität. Neben Kies- und Besenstrich-Flächen sorgen großzügige Baumbepflanzungen für ein attraktives Ambiente. Auch die öffentliche Liege- und Grünfläche wurde mit neuen Baum- und Strauchgruppen aufgewertet und stark erweitert, aber ohne dass man Eingriffe in den Schilfgürtel vornehmen musste. Ein Gefühl von Enge und Dichte kommt in diesem Seebad vermutlich nicht so schnell auf. Das Interior Design der Marina stammt von Destilat Design Studio. Es wurde vorwiegend mit nachhaltigen Werkstoffen wie Holz und Naturtextilien in Nuancen aus Erd- und Naturtönen sowie mit der Betonung horizontaler Linien gearbeitet.
Die Zeiten ändern sich. Noch im 19. Jahrhundert etwa betrieb die k. u. k. Kriegsmarine in Neusiedl am See eine Kadettenschule, wo junge Seeleute das Segeln lernten. Im neuen Seebad Breitenbrunn, das jüngst eröffnet wurde, ist viel mehr möglich: Gastronomie in mehreren Restaurants mit jeweils 120 Innen- und Außensitzplätzen und weiteren 100 Plätzen für Veranstaltungen aller Art. Außerdem gibt es nun viel Platz für alle üblichen Sportarten an diesem sehr besonderen See.
Die Anlage entstand trotz ihres großen Volumens aus der Natur des Neusiedler See heraus. „Österreichs seltsamer Gast“, wie Franz Werfel den Neusiedler See einmal bezeichnet hatte, wurde hier mit Respekt behandelt.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom