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Eine Kathedrale für die Wuchtel
Der Standard

Vergangenen Donnerstag wurde in Wien der Brick Award 2024 verliehen, eine Art Liebeserklärung an den Ziegel. Der Hauptpreis ging an das Internationale Rugby-Museum in Limerick. Sportliche Leistung.

8. Juni 2024 - Wojciech Czaja
Sieben Stockwerke, 34 Meter Höhe bis zur Dachkante, fast eine halbe Million in Handarbeit hergestellter Ziegel: Die irische Stadt Limerick, gerade einmal 90.000 Einwohner in der Statistik, dafür aber die Stadt mit der höchsten Konzentration an Kirchen im ganzen Land, hat ein neues Wahrzeichen. Im Gegensatz zu den meisten Sehenswürdigkeiten jedoch frönt man hier weder der Religion noch irgendeiner Form bildender oder darstellender Kunst, sondern ausnahmsweise dem Sport, genauer gesagt dem Rugby.

„Rugby wurde vor ziemlich genau 200 Jahren in England erfunden und gilt bis heute als der wohl wichtigste Nationalsport in Großbritannien und Irland“, sagt Architekt Tom McGlynn, Associate Partner bei Níall McLaughlin Architects. „Und Limerick, muss man wissen, ist in Irland so etwas wie die heimliche Hauptstadt dieses historischen Ballsports. Die lokale Rugby-Mannschaft zählt zu den besten Teams, die Europa zu bieten hat. So gesehen passt es einfach perfekt, dass dieses Gebäude genau hier steht und nirgendwo sonst.“

Vorgestern, Donnerstag, wurde die sogenannte International Rugby Experience, eine Art interaktives Sportmuseum und öffentliches Veranstaltungszentrum rund um die elliptische, eierförmige Wuchtel, in Wien mit dem renommierten, mittlerweile weltweit etablierten Brick Award 2024 ausgezeichnet. Der biennal verliehene Preis richtet sich an herausragende Projekte im Umgang mit dem Baustoff Ziegel, die es schaffen, die jahrtausendealte Bautradition auf technisch innovative und architektonisch anregende Weise in die Zukunft weiterzutragen.

Historische Reminiszenzen

„Für uns war vom allerersten Moment an klar, dass wir bei diesem Projekt in Ziegel bauen wollen“, sagt Architekt McGlynn. „Einerseits ist das Material die logische Fortführung der historischen, georgianischen, fast zur Gänze in Backstein errichteten Altstadt, in der wir uns hier befinden, andererseits finden Rugby und der georgianische Baustil, die ja nahezu gleich alt sind, in diesem Haus wunderbar zueinander.“ Die vertikalen Lamellen, die flachen Rundbögen und die Halb-, Viertel- und Achtelrhythmisierung der Fassade sind eine Reminiszenz an die historischen Nachbargebäude.

Kritik gab es während der Planungs- und Bauzeit seitens konservativer Kreise vor allem in Bezug auf die Bauhöhe. Ein so hohes Gebäude, und das mitten im georgianischen Limerick, an der Ecke von O’Connell Street und Cecil Street? Unmöglich! „Doch das ist zu kurz gedacht“, meint McGlynn, „denn während die klassischen Wohnhäuser im 19. Jahrhundert stets zwei- bis dreigeschoßig waren, hatten die georgianischen Architekten und Auftraggeber bei öffentlichen Bauwerken durchaus eine Vorliebe für Türme und hoch hinausragende Symbolwirkungen. In der Seele dieser Stadt verdient ein Rugby-Museum definitiv öffentliche Aufmerksamkeit.“

Auf einer Grundstücksfläche von nur 500 Quadratmetern ist es gelungen, ein breites Potpourri an Funktionen unterzubringen: Shop, Café, Veranstaltungsräume, ein Piano nobile mit anmietbarer Terrasse sowie eine mehrgeschoßige Ausstellung mit interaktiven Multimediastationen, in denen man sich mit anderen Besuchern in den Disziplinen Kicken, Laufen und Scrumming messen kann, erstellt nach einem Konzept der Londoner Agentur Event. Aus dem obersten Stock, der wie eine gläserne Krone auf dem Turm sitzt, hat man Sicht bis zum River Shannon. Architekt Tom McGlynn: „Eine Kathedrale für das Rugby!“

Überaus sakral

Überaus sakral sind auch die technischen Details, die sorgfältig übereinandergesetzten Ziegel aus einer kleinen Manufaktur in Loughborough, England, die spitz nach vorn zulaufenden Lisenen, die das Haus bis zur Attika gliedern und für dramatische Licht-und-Schatten-Spiele sorgen. Die schlanken Querschnitte sind der Bauweise geschuldet: Hinter der zum Teil vorgefertigten Fassade aus knapp 500.000 Sichtziegeln verbirgt sich eine Stahlkonstruktion.

„Wir haben nach einem hochwertigen Ziegel mit vielen unterschiedlichen Rottönen und einer haptischen, lebendigen Oberfläche gesucht“, erklärt der Architekt. „Und wenn man dann durch die Ziegelmanufaktur spaziert und dabei zusieht, wie jeder einzelne Backstein in mehreren Produktionsschritten so wie damals – vor 100, 200, Jahren – händisch hergestellt wird, dann hat man das Gefühl, dass man als Architekt dazu beiträgt, ein altes Traditionshandwerk am Leben zu halten. Daher sind wir sehr glücklich, den diesjährigen Brick Award entgegennehmen zu dürfen.“

Eingereicht wurden heuer 743 Projekte aus 54 Ländern. Zu den weiteren Preisträgern zählen das Electrical Supply Board Headquarter in Dublin (Grafton Architects), das Wohnhaus M 5605 in Buenos Aires (Estudio Arqtipo), das Intermediate House in Asunción (Equipo de Arquitectura) sowie das temporäre Kunstprojekt Types of Spaces in Logroño (Hanghar und Palma).

„Architekten stehen heute vor mehreren großen Herausforderungen“, sagt Heimo Scheuch, CEO des Ziegelproduzenten Wienerberger, „und die Gewinnerprojekte sind stellvertretend für eine moderne, nachhaltige und vor allem innovative Auseinandersetzung mit dem Baustoff Ziegel“ – und für gebaute Schönheit, die man in der heutigen Architektur oft mit der Lupe suchen muss.

[ „Brick 24. Ausgezeichnete internationale Ziegelarchitektur“. 390 Abbildungen. 284 Seiten / € 59,70. Park Books ]

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