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Mach dir die Stadt selbst!
Skater entdecken die Stadt stets neu und machen Kanten, Stufen und Rampen zu Spielgeräten. Die Skateszene hat die allerbesten Skills für perfekte Betonoberflächen. Mittlerweile ist sie ein Vorbild für die Stadtgesellschaft.
15. Juni 2024 - Maik Novotny
Matthew Collins fährt mit der Hand über den Beton: perfekt glatt, die Kanten sauber abgeschliffen, Radius eineinhalb Millimeter. Jeder Architekt würde neidisch aufseufzen angesichts dieser Ausführungsqualität. „Ja, wir bekommen auch Anfragen von Architekten. Aber wir sind Skateboarder und wollen uns auf das konzentrieren, was uns Spaß macht.“ Matthew Collins, der mit Wollhaube und löchrigem T-Shirt auf der Baustelle am Ortsrand von Vösendorf steht, ist Mitgründer der Firma Spoff Parks, die hier gerade ihren jüngsten Skatepark baut.
„Gegründet haben wir uns vor neun Jahren, aber wir skaten natürlich schon viel länger, da hat sich viel Wissen angesammelt“, sagt Spoff-Mitgründer Frido Fiebinger. Denn für die gute Fahrbarkeit zählt jeder Grad des Neigungswinkels. Die Werkzeuge: Schablonen für die richtigen Rundungen, eine optimierte Betonmischung, spezielle Kellen fürs glatte Finish. Das Wissen darüber, was Spaß macht, ist die beste Voraussetzung fürs perfekte Produkt.
Bewegte Geschichte
Die Entstehung von Spoff aus der Wiener DIY-Szene ist verknüpft mit einem besonderen Skatepark mit bewegter Geschichte, der „Alm“ am Wiener Nordbahnhofgelände. Die erste Anlage, entstanden 2014 in spontaner Eigeninitiative auf der damals ungenutzten Brachfläche, wurde vom Grundeigentümer, der ÖBB, abgerissen. Ein Nutzungsvertrag mit der ÖBB und die Unterstützung der Stadtverwaltung ermöglichten einen zweiten Park, der in unbezahlten freiwilligen Arbeitsstunden des Vereins Alm DIY entstand und auf dem sich Skater aus Wien und aller Welt trafen. Im September 2017, nach Ablauf des Vertrags, wurde auch dieses Werk zerstört.
„Emotionale Erinnerungen“, seufzt Alm-DIY-Gründer Ben Beofsich auf einer Parkbank am Nordbahnhof, mit Blick auf die Stelle, wo der legendäre Skatepark lag. Ein Trost: Direkt vor ihm schimmert der Beton des brandneuen Skateparks Alm 3, der nur noch auf die TÜV-Abnahme wartet. Auch hier steckt viel Herzblut drin, viel unbezahlte Arbeit. Er ist Teil der (nach Plänen von Studio Vlay Streeruwitz und Agence Ter) zur wildromantischen Grünanlage gewordenen Freien Mitte Nordbahnhof. Er darf bleiben, dank vieler Telefonate von Ben Beofsich mit der Magistratsabteilung 42. Inzwischen ist er Experte für Behördenvokabular und kennt die ÖNORM EN 14974, die Skateparks regelt, auswendig.
Ein DIY-Skatepark, gebaut von unten, genehmigt von oben. „Es ist, wie wenn die Eltern sagen, du darfst dein Zimmer einrichten, aber sie suchen die Farbe aus“, sagt Beofsich. Wien mit seiner Tradition der Rundumversorgung von oben und Suderei von unten ist nicht gerade für einen Geist der Eigeninitiative bekannt.
„Dabei bräuchten wir viel mehr Orte im öffentlichen Raum, die von denen geschaffen werden, die ihn benutzen“, sagt Beofsich. Dazu passt, dass der Vereinszweck von Alm DIY inzwischen „Eigeninitiative öffentlicher Raum“ lautet. Denn es geht nicht mehr nur ums Skateboarden, sondern um die Stadt als Ganzes.
Stufen, Stiegen, Gehsteige
Sich die Stadt aneignen: Das ist die Ur-Philosophie des Skatens, seit die Kanalrohre, betonierten Flussufer und leeren Swimmingpools im Kalifornien der 1960er- und 1970er-Jahre als Skate-Spots entdeckt wurden. Das funktionierte mit etwas Verzögerung auch in Wien, erinnert sich Michael Paul, Wiener Skater der ersten Generation. „Wir haben uns in der kleinen Szene ausgetauscht, was man wie benutzen kann: Stufen, Stiegen, Gehsteige. Unsere Spots waren in Heiligenstadt, unter der Nordbrücke, im Niemandsland der Industriegebiete, in den Wohnhausanlagen am Stadtrand.“
Denn eine Stadt besteht nicht nur aus den Skateparks – für die Streetskater ist sie ein einziger großer Spielplatz, eine Safari auf der Suche nach dem noch unentdeckten Spot. „Man eignet sich die Stadt an und braucht dazu nichts außer einem Board“, sagt Paul. „Wien ist dazu besonders gut geeignet, weil die Gehwege anders als in Paris oder Berlin meistens asphaltiert sind. Hier kann man das Skateboard als Transportmittel verwenden und damit durch die Stadt pushen.“
Das tut man nicht alleine, sondern fast immer in der Gruppe – und diese Gruppen sind keine geschlossenen Systeme, sagt Architekt Adrian Judt. Er ist Mitglied des Kollektivs AKT, das 2023 mit Hermann Czech den Österreich-Pavillon auf der Biennale in Venedig kuratierte, und leidenschaftlicher Streetskater. „Man findet über das Skaten sofort Anschluss in fremden Städten und lernt diese von anderen, nichttouristischen Seiten kennen. Die Skater-Community ist sehr divers und unelitär. Ich habe hier Freunde, die Bauarbeiter, Verkäufer oder Juristen sind. Mein Freundeskreis in der Architektur dagegen ist sehr akademisch.“
Die Skateszene gilt als inklusiv, klassenübergreifend und wenig rassistisch, allerdings ist die Ästhetik ihrer Coolness noch stark cis-männlich geprägt. Risiko, Härte, das stolze Zeigen von Verletzungen. „Bis heute ist es so, dass Jungs wilder spielen dürfen, bei Mädchen heißt es oft: Mach dir die Kleidung nicht schmutzig“, sagt die Skaterin Mimi Neitsch, Mitgründerin und Redakteurin des Magazins Brav, das sich (mit ironischen Anspielungen auf ein fast gleichlautendes Jugendmagazin) explizit an Flinta*-Personen richtet. Ein weiteres Beispiel für den Geist des Do-it-Yourself.
Frei von Diskriminierung
Die Gruppe engagiert sich dafür, dass sich nicht nur Cis-Männer auf den Skateparks raumgreifend bewegen dürfen, sondern alle. Das inkludiert simple Fragen der Infrastruktur wie das Vorhandensein von Toiletten in der Nähe, aber auch grundsätzliche Fragen der Gleichberechtigung. „Skate-Spots sind keine geschlossenen Räume, der Safer-Space-Aspekt entsteht hier durch die Gruppendynamik“, erklärt Neitsch. „Es geht darum, dass man sich wohlfühlt und frei ist von Diskriminierung.“
Wie das funktioniert, ließ sich Ende Mai beim dreitägigen Gnarathon-Festival beobachten, das vom Skateboard Club Vienna organisiert wurde, unter Beteiligung der Brav- Crew. Im Festivalzentrum am Brillantengrund, bei den Konzerten in der Arena, an den Spots in der Stadt: Eine diversere, buntere und freundlichere Gruppe von Menschen als hier dürfte man in Wien kaum finden. Sie haben sich ihre Stadt selbst gemacht. Alles in Bewegung.
„Gegründet haben wir uns vor neun Jahren, aber wir skaten natürlich schon viel länger, da hat sich viel Wissen angesammelt“, sagt Spoff-Mitgründer Frido Fiebinger. Denn für die gute Fahrbarkeit zählt jeder Grad des Neigungswinkels. Die Werkzeuge: Schablonen für die richtigen Rundungen, eine optimierte Betonmischung, spezielle Kellen fürs glatte Finish. Das Wissen darüber, was Spaß macht, ist die beste Voraussetzung fürs perfekte Produkt.
Bewegte Geschichte
Die Entstehung von Spoff aus der Wiener DIY-Szene ist verknüpft mit einem besonderen Skatepark mit bewegter Geschichte, der „Alm“ am Wiener Nordbahnhofgelände. Die erste Anlage, entstanden 2014 in spontaner Eigeninitiative auf der damals ungenutzten Brachfläche, wurde vom Grundeigentümer, der ÖBB, abgerissen. Ein Nutzungsvertrag mit der ÖBB und die Unterstützung der Stadtverwaltung ermöglichten einen zweiten Park, der in unbezahlten freiwilligen Arbeitsstunden des Vereins Alm DIY entstand und auf dem sich Skater aus Wien und aller Welt trafen. Im September 2017, nach Ablauf des Vertrags, wurde auch dieses Werk zerstört.
„Emotionale Erinnerungen“, seufzt Alm-DIY-Gründer Ben Beofsich auf einer Parkbank am Nordbahnhof, mit Blick auf die Stelle, wo der legendäre Skatepark lag. Ein Trost: Direkt vor ihm schimmert der Beton des brandneuen Skateparks Alm 3, der nur noch auf die TÜV-Abnahme wartet. Auch hier steckt viel Herzblut drin, viel unbezahlte Arbeit. Er ist Teil der (nach Plänen von Studio Vlay Streeruwitz und Agence Ter) zur wildromantischen Grünanlage gewordenen Freien Mitte Nordbahnhof. Er darf bleiben, dank vieler Telefonate von Ben Beofsich mit der Magistratsabteilung 42. Inzwischen ist er Experte für Behördenvokabular und kennt die ÖNORM EN 14974, die Skateparks regelt, auswendig.
Ein DIY-Skatepark, gebaut von unten, genehmigt von oben. „Es ist, wie wenn die Eltern sagen, du darfst dein Zimmer einrichten, aber sie suchen die Farbe aus“, sagt Beofsich. Wien mit seiner Tradition der Rundumversorgung von oben und Suderei von unten ist nicht gerade für einen Geist der Eigeninitiative bekannt.
„Dabei bräuchten wir viel mehr Orte im öffentlichen Raum, die von denen geschaffen werden, die ihn benutzen“, sagt Beofsich. Dazu passt, dass der Vereinszweck von Alm DIY inzwischen „Eigeninitiative öffentlicher Raum“ lautet. Denn es geht nicht mehr nur ums Skateboarden, sondern um die Stadt als Ganzes.
Stufen, Stiegen, Gehsteige
Sich die Stadt aneignen: Das ist die Ur-Philosophie des Skatens, seit die Kanalrohre, betonierten Flussufer und leeren Swimmingpools im Kalifornien der 1960er- und 1970er-Jahre als Skate-Spots entdeckt wurden. Das funktionierte mit etwas Verzögerung auch in Wien, erinnert sich Michael Paul, Wiener Skater der ersten Generation. „Wir haben uns in der kleinen Szene ausgetauscht, was man wie benutzen kann: Stufen, Stiegen, Gehsteige. Unsere Spots waren in Heiligenstadt, unter der Nordbrücke, im Niemandsland der Industriegebiete, in den Wohnhausanlagen am Stadtrand.“
Denn eine Stadt besteht nicht nur aus den Skateparks – für die Streetskater ist sie ein einziger großer Spielplatz, eine Safari auf der Suche nach dem noch unentdeckten Spot. „Man eignet sich die Stadt an und braucht dazu nichts außer einem Board“, sagt Paul. „Wien ist dazu besonders gut geeignet, weil die Gehwege anders als in Paris oder Berlin meistens asphaltiert sind. Hier kann man das Skateboard als Transportmittel verwenden und damit durch die Stadt pushen.“
Das tut man nicht alleine, sondern fast immer in der Gruppe – und diese Gruppen sind keine geschlossenen Systeme, sagt Architekt Adrian Judt. Er ist Mitglied des Kollektivs AKT, das 2023 mit Hermann Czech den Österreich-Pavillon auf der Biennale in Venedig kuratierte, und leidenschaftlicher Streetskater. „Man findet über das Skaten sofort Anschluss in fremden Städten und lernt diese von anderen, nichttouristischen Seiten kennen. Die Skater-Community ist sehr divers und unelitär. Ich habe hier Freunde, die Bauarbeiter, Verkäufer oder Juristen sind. Mein Freundeskreis in der Architektur dagegen ist sehr akademisch.“
Die Skateszene gilt als inklusiv, klassenübergreifend und wenig rassistisch, allerdings ist die Ästhetik ihrer Coolness noch stark cis-männlich geprägt. Risiko, Härte, das stolze Zeigen von Verletzungen. „Bis heute ist es so, dass Jungs wilder spielen dürfen, bei Mädchen heißt es oft: Mach dir die Kleidung nicht schmutzig“, sagt die Skaterin Mimi Neitsch, Mitgründerin und Redakteurin des Magazins Brav, das sich (mit ironischen Anspielungen auf ein fast gleichlautendes Jugendmagazin) explizit an Flinta*-Personen richtet. Ein weiteres Beispiel für den Geist des Do-it-Yourself.
Frei von Diskriminierung
Die Gruppe engagiert sich dafür, dass sich nicht nur Cis-Männer auf den Skateparks raumgreifend bewegen dürfen, sondern alle. Das inkludiert simple Fragen der Infrastruktur wie das Vorhandensein von Toiletten in der Nähe, aber auch grundsätzliche Fragen der Gleichberechtigung. „Skate-Spots sind keine geschlossenen Räume, der Safer-Space-Aspekt entsteht hier durch die Gruppendynamik“, erklärt Neitsch. „Es geht darum, dass man sich wohlfühlt und frei ist von Diskriminierung.“
Wie das funktioniert, ließ sich Ende Mai beim dreitägigen Gnarathon-Festival beobachten, das vom Skateboard Club Vienna organisiert wurde, unter Beteiligung der Brav- Crew. Im Festivalzentrum am Brillantengrund, bei den Konzerten in der Arena, an den Spots in der Stadt: Eine diversere, buntere und freundlichere Gruppe von Menschen als hier dürfte man in Wien kaum finden. Sie haben sich ihre Stadt selbst gemacht. Alles in Bewegung.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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