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Die Geschichte weiterschreiben
Der Standard

Die fast ausgestorbene Altstadt von Hohenems wurde mit privatem und öffentlichem Engagement wieder zum Leben erweckt. Ein städtisches Gesamtwerk, das als eines von drei Projekten mit dem Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde.

29. Juni 2024 - Maik Novotny
Marktstraße, Ecke Harrachgasse. Leise plätschert der Brunnen, auf dessen Kante der Blumenladen seine florale Ware arrangiert hat. Ab und zu biegt ein Auto langsam um die Kurve und bremst vor einem strategisch platzierten Busch ab. Ein Sommertag in der Vorarlberger Stadt Hohenems im Rheintal. So idyllisch war es hier nicht immer. „Vor zehn Jahren hieß es oft, das Ortszentrum sehe aus wie Ostdeutschland vor 30 Jahren“, sagt Markus Schadenbauer. Damals waren in der langen, schnurgeraden Marktstraße gerade mal vier Ladenlokale noch in Betrieb, der Rest stand leer, die Straße vom Autoverkehr gerädert und geschwärzt, 5500 Autos pro Tag quetschten sich hier durch, viele Bewohner hatten sich an den Ortsrand verflüchtigt.

Heute hat sich Hohenems komplett gewandelt. Der Durchgangsverkehr wurde dank Poller und Begegnungszone geviertelt. Viele der alten Häuser wurden saniert, einige neue sind dazugekommen und fügen sich unaufgeregt ein. In den Erdgeschoßen: Cafés, Restaurants, Kleiderladen, Blumenladen, Bioladen. Zählte das Ortszentrum am Tiefpunkt der Verödung gerade mal 30 Beschäftige, sind es heute 185. Das hat nicht nur, aber doch sehr viel mit Markus Schadenbauer zu tun.

Der Begriff „Investor“ wäre zu wenig zutreffend für das, was Schadenbauer in den letzten zehn Jahren in Hohenems in die Wege geleitet hat. Der Projektentwickler kaufte nach und nach einzelne Häuser der desolaten Altstadt auf und entwickelte ein Investorenmodell, das Sanierung und Einzelhandel zusammendachte. „Die Objekte wollte keiner angreifen, erst recht, nachdem das Denkmalamt den Straßenzug unter Ensembleschutz gestellt hatte.“ Sein Ziel: eine Perlenkette aus Geschäften zu bauen, und mehr noch: Geschichte zu schreiben.

Regionale Wertschöpfung

Für große Filialen als Frequenzbringer waren die Lokale zu klein und zu niedrig, und dies sei ohnehin nicht die Zielgruppe gewesen, da zu wenig nachhaltig. Wie aber bringt man Einzelhändler dazu, sich dieses Risiko anzutun? Mit sehr viel persönlichem Werben und mit einem gezielten Branchenmix, der darauf achtete, nicht nur Bioläden anzusiedeln, und mit regionaler Wertschöpfung: Die Blumen hier kommen nicht aus Holland, sondern aus dem Rheintal. „Wir haben uns Zeit gelassen, die Häuser sukzessive in enger Kooperation mit dem Denkmalamt saniert. So kann man die Entwicklung steuern und eine Aufbruchstimmung erzeugen, weil alle sehen, dass sich etwas tut.“ Und mit dieser Mischung aus kuratierter Planwirtschaft und marktliberaler Eigeninitiative wuchs Hohenems langsam und organisch wieder in seine Hülle hinein.

Das alte Rom kannte zwei Begriffe für „Stadt“: urbs für die gebaute Substanz und civitas für das Gemeinwesen. In Hohenems greift beides ineinander, mit jeder sorgfältigen Sanierung wuchs auch das Zusammensein wieder. Die für Vorarlberg unübliche geschlossene Bebauung der Altstadt ist zudem prädestiniert für das Ineinandergreifen von Nachbarschaft und Bausubstanz. Auch privates und öffentliches Engagement griffen hier fugenlos ineinander. Denn die Stadt setzte schon ab 2012 mit einer langfristigen Vision auf Bürgerbeteiligung, berichtet Bernd Federspiel, Leiter des Bereichs Stadtplanung. „Das Interesse der Bürgerinnen an ihrer Innenstadt war enorm, sie wünschten sich wieder Lebensplätze im öffentlichen Raum“, erzählt er.

Das alles ging natürlich nicht ohne Reibereien und mit viel Gesprächsbedarf. „Hohenems war schon immer eine streitbare Stadt. Aber in unserem Visionsprozess haben wir gemerkt, dass wir alle vom selben Ort sprechen und uns in vielem einig sind.“ So konnte der berühmte Donut-Effekt der ausgehöhlten Ortskerne umgedreht und Attraktoren im Zentrum geschaffen werden: Statt die Kinder per Elterntaxi zum Standrand zu fahren, bringen die Hohenemser ihren Nachwuchs in die Kinderkrippe im Stadtkern und können dort zu Fuß einkaufen oder ins Café.

Als vorausschauend erwies sich auch der Bebauungsplan, der in den Hinterhöfen Neubauten erlaubte und somit eine Querfinanzierung der Sanierung der Straßenfront durch neue Wohnbauten, die sich auch architektonisch freier entfalten dürfen. „Bei der Auswahl der Architekten haben wir darauf geachtet, dass es nicht zu einheitlich wird“, erklärt Markus Schadenbauer. Zum Zuge kamen Bernardo Bader, Nägele Waibel, Georg Bechter, Hein Architekten, Imgang Architekten sowie ma.lo mit Michael Egger; die Straßen, Gassen und Hinterhöfe wurden von den Büros Lohrer Hochrein und Stadtland geplant und gestaltet.

Keine Plastikfenster

All dies in auch für Vorarlberg hoher Qualität: keine Plastikfenster, keine Styroporfassaden, mineralischer Putz. Dabei ging es um weit mehr als um die Herstellung schöner Straßenkulissen: Auch die vielen Hinterhöfe wurden geöffnet, fanden neue Nutzungen. „Wir haben mit jedem einzelnen Eigentümer geredet und sie überzeugt, ihre Hoftore zu öffnen und Durchgänge zu ermöglichen“, sagt Schadenbauer.

Dieses hohe private und öffentliche Engagement über viele Jahre wurde bereits 2023 mit dem Bauherrenpreis belohnt, jetzt gab es obendrauf den Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2024, der am Dienstag von Bundesministerin Leonore Gewessler verliehen wurde. Aus 83 Bewerbungen hatte die paritätisch aus Architektur- und Nachhaltigkeitsexpertinnen besetzte Jury zehn Nominierungen ausgewählt, drei davon wurden Preisträger: Neben der Altstadt Hohenems sind es das erneuerte und aufgestockte Wien-Museum (Winkler, Ruck + Certov Architekten) und die kongenial sanierte und erweiterte Wohnanlage Wir In-HAUSer in Salzburg (cs-architektur und Stijn Nagels). Als Ausgangsbasis für die Nachhaltigkeitsbewertung wurden die Anforderungen des klimaaktiv Gebäudestandards herangezogen.

„Ich bin beeindruckt von der herausragenden Qualität der Einreichungen, und es freut mich besonders, dass die Zahl der Sanierungen und Weiterentwicklungen von Bestandsgebäuden stetig wächst“, freute sich die Bundesministerin. Denn bei Architektur und Nachhaltigkeit geht es oft nicht um Hightech-Lösungen, sondern darum, das, was man hat, zu pflegen und die Geschichte weiterzuschreiben.

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