Artikel
Zu Besuch bei Biene Maja
Was die Honiginsekten können, das sollte auch dem Menschen nicht vorenthalten sein. Mit dem sogenannten Wabenhaus will der Münchner Architekt Peter Haimerl der klassischen Wohnbauwirtschaft den Kampf ansagen.
20. Juli 2024 - Wojciech Czaja
Davor, sagt sie, hat sie ganz, ganz traditionell gewohnt, mit Mann und Tochter in einem Reihenhaus, so wie man sich das halt vorstellt. Und vor gar nicht so langer Zeit hat sie sich einen jahrelangen Traum erfüllt und sich jene wunderschöne Couch gekauft, die schon lange auf der Wunschliste stand. „Und jetzt? Ich habe sogar schon überlegt, die hinteren Haxen abzusägen und die Couch zu adaptieren. Aber es bringt nix, eine klassische Couch hat in dieser Wohnung einfach keinen Platz. Ich musste mich davon leider trennen. Und von vielen anderen Möbeln auch.“
Reinhild Zenker, Sozialpädagogin im Evangelischen Beratungszentrum, wohnt richtig schräg. Ihre 36-Quadratmeter-Miniwohnung auf zwei Ebenen, muss man nämlich wissen, hat keine einzige gerade, senkrechte Wand. Stattdessen gibt es riesige sechseckige Fenster in der Fassade, riesige sechseckige Schrankverbauten auf der Wand vis-à-vis sowie schräg geböschte Raumabschlüsse, die vom Boden mit 36 Grad emporsteigen und von der Decke mit ebenfalls 36 Grad nach unten abknicken. Trotz ihrer geringen Größe hat die Wohnung sieben Stufen zwischen Wohn- und Schlafbereich und eine atemberaubende Raumflucht von über zwölf Metern.
Das sogenannte „Wabenhaus“ ist eine Schnapsidee des Münchner Architekten Peter Haimerl. Mit dem radikalen Experiment, mit dem er dem klassischen Wohnriegel mit standardisierten Schuhschachtelzimmern und somit auch der gesamten Wohnbauwirtschaft den Kampf ansagen will, geht er schon seit vielen Jahren schwanger. Nun ist es ihm gelungen, in Zusammenarbeit mit der Wohnbaugenossenschaft Wogeno, die in der Szene für ihre innovativen Projekte bekannt ist, in Riem, einem Stadterweiterungsgebiet im Osten Münchens, seine Vision in die dreidimensionale Realität umzusetzen.
„Die wichtigste Aufgabe an uns Architekten ist es, standardisierte Gepflogenheiten zu hinterfragen und im Rahmen unser Möglichkeiten spannende, interessante Alternativen zu entwickeln“, sagt Peter Haimerl, der in der deutschen Architekturszene von den einen geliebt, von den anderen als Enfant terrible gefürchtet und gemieden wird. „Die Wohnbaugenossenschaft Wogeno wünschte sich ein Raumkonzept, das für Kleinst- und Clusterwohnungen geeignet ist“, erzählt er, „und wer wäre zur Entwicklung einer solchen Lösung besser geeignet als jene kleinen Insekten, die seit Jahrmillionen in genau solchen Clusterstrukturen leben?“
Lernen von den Bienen
Und so kam es dann auch. Statt langweiliger Regelgeschoße und senkrechter Wohnungstrennwände gibt es Split-Levels und geböschte Wabenwände, die im Zickzack ineinandergreifen. Der Vorteil darin, so Haimerl, sei das visuelle Aufweiten der Wohnungen, denn durch die wabenförmige Struktur vergrößert sich das Achsmaß eines einzigen Zimmers von vier Metern auf 6,60 Meter Breite, mit ebenso breiter Glasfassade und Loggia davor. Damit hat die Wohnung genau in jener Höhe die größten Ausmaße, wo auch das Auge herumwandert und wo sich Schulterpartie und ausgestreckte Arme und Hände nach einem weiten Horizont sehnen.
Doch nicht nur die Optik profitiere davon, meint der Architekt, sondern auch die Funktionalität. Denn: „In einem Schuhschachtelzimmer habe ich Möbel mit Beinen, unter denen viel wertvoller Raum verloren geht, ob das nun Tische, Stühle, Sofas, Regale oder irgendwelche Kredenzen sind. Im Wabenhaus kann ich diese Verluste auf null reduzieren. Ich komme mit genau dem aus, was ich in einer funktionsrelevanten Höhe auch wirklich benötige.“
Gemeinsam mit einem Möbelbauer hat Haimerl sogenannte „Halbmöbel“ entwickelt, also Möbelelemente wie etwa Regale, Tische und sogar Sofas, die in der jeweils relevanten Höhe aus der geneigten Betonwand ragen oder die entlang der Böschung hinaufgeschlichtet werden. Reinhild Zenker hat auf ihrem türkisblauen „Halbsofa“ vor dem Fenster Platz genommen, und ja, die flexible Wulstlandschaft, die in unterschiedlichen Konstellationen arrangiert werden kann, lässt viele Sitz- und Liegemöglichkeiten zu und ist in der Tat sehr bequem.
Ein hexagonales Wagnis
„Und leider auch sehr teuer“, meint Yvonne Außmann, Vorständin der Wohnbaugenossenschaft Wogeno, im Rückblick. „Wir wollten etwas Neues ausprobieren und haben uns dazu entschieden, gemeinsam mit dem Architekten ein Wagnis einzugehen und die Grenzen des klassischen Wohnens ein wenig auszudehnen. Ich denke, das ist uns auch gelungen. Dieses Wohnhaus ist einzigartig, etwas noch nie Dagewesenes in Deutschland, und bietet mehr als einfach nur quadratisch, praktisch, gut.“
Die Baukosten jedoch liegen nach Auskunft der Wogeno um ein gutes Drittel über einem traditionell errichten Wohngebäude, „und auch in der Innenraumgestaltung“, so Außmann, „müssen die Mieter tiefer in die Tasche greifen als anderswo. So ein Wohnen muss man sich erst einmal leisten können.“ Trotz der höheren Baukosten wurden die insgesamt 17 Wohneinheiten im Rahmen des sozialen Wohnbaus errichtet und unterliegen einer Mietpreisobergrenze. Mit 12,50 Euro pro Quadratmeter liegt die monatliche Miete deutlich unter dem Münchner Durchschnitt.
„Ich bin jetzt 62 Jahre alt und wollte in meinem letzten Lebensviertel noch mal was ganz Neues ausprobieren“, sagt Reinhild Zenker. „Mich hat dieses Haus auf Anhieb neugierig gemacht, und abgesehen von meiner schönen Couch, die mir fehlt, bereue ich keinen einzigen Tag in meinem neuen Zuhause.“ Ob das ein Wohnmodell für die Zukunft ist? „Oh nein, das glaube ich nicht. Das ist und bleibt ein absolutes Nischenprodukt für eine kleine Minderheit. Aber die Mehrheit wird nie erfahren, wie groß sich 36 Quadratmeter anfühlen können!“
Reinhild Zenker, Sozialpädagogin im Evangelischen Beratungszentrum, wohnt richtig schräg. Ihre 36-Quadratmeter-Miniwohnung auf zwei Ebenen, muss man nämlich wissen, hat keine einzige gerade, senkrechte Wand. Stattdessen gibt es riesige sechseckige Fenster in der Fassade, riesige sechseckige Schrankverbauten auf der Wand vis-à-vis sowie schräg geböschte Raumabschlüsse, die vom Boden mit 36 Grad emporsteigen und von der Decke mit ebenfalls 36 Grad nach unten abknicken. Trotz ihrer geringen Größe hat die Wohnung sieben Stufen zwischen Wohn- und Schlafbereich und eine atemberaubende Raumflucht von über zwölf Metern.
Das sogenannte „Wabenhaus“ ist eine Schnapsidee des Münchner Architekten Peter Haimerl. Mit dem radikalen Experiment, mit dem er dem klassischen Wohnriegel mit standardisierten Schuhschachtelzimmern und somit auch der gesamten Wohnbauwirtschaft den Kampf ansagen will, geht er schon seit vielen Jahren schwanger. Nun ist es ihm gelungen, in Zusammenarbeit mit der Wohnbaugenossenschaft Wogeno, die in der Szene für ihre innovativen Projekte bekannt ist, in Riem, einem Stadterweiterungsgebiet im Osten Münchens, seine Vision in die dreidimensionale Realität umzusetzen.
„Die wichtigste Aufgabe an uns Architekten ist es, standardisierte Gepflogenheiten zu hinterfragen und im Rahmen unser Möglichkeiten spannende, interessante Alternativen zu entwickeln“, sagt Peter Haimerl, der in der deutschen Architekturszene von den einen geliebt, von den anderen als Enfant terrible gefürchtet und gemieden wird. „Die Wohnbaugenossenschaft Wogeno wünschte sich ein Raumkonzept, das für Kleinst- und Clusterwohnungen geeignet ist“, erzählt er, „und wer wäre zur Entwicklung einer solchen Lösung besser geeignet als jene kleinen Insekten, die seit Jahrmillionen in genau solchen Clusterstrukturen leben?“
Lernen von den Bienen
Und so kam es dann auch. Statt langweiliger Regelgeschoße und senkrechter Wohnungstrennwände gibt es Split-Levels und geböschte Wabenwände, die im Zickzack ineinandergreifen. Der Vorteil darin, so Haimerl, sei das visuelle Aufweiten der Wohnungen, denn durch die wabenförmige Struktur vergrößert sich das Achsmaß eines einzigen Zimmers von vier Metern auf 6,60 Meter Breite, mit ebenso breiter Glasfassade und Loggia davor. Damit hat die Wohnung genau in jener Höhe die größten Ausmaße, wo auch das Auge herumwandert und wo sich Schulterpartie und ausgestreckte Arme und Hände nach einem weiten Horizont sehnen.
Doch nicht nur die Optik profitiere davon, meint der Architekt, sondern auch die Funktionalität. Denn: „In einem Schuhschachtelzimmer habe ich Möbel mit Beinen, unter denen viel wertvoller Raum verloren geht, ob das nun Tische, Stühle, Sofas, Regale oder irgendwelche Kredenzen sind. Im Wabenhaus kann ich diese Verluste auf null reduzieren. Ich komme mit genau dem aus, was ich in einer funktionsrelevanten Höhe auch wirklich benötige.“
Gemeinsam mit einem Möbelbauer hat Haimerl sogenannte „Halbmöbel“ entwickelt, also Möbelelemente wie etwa Regale, Tische und sogar Sofas, die in der jeweils relevanten Höhe aus der geneigten Betonwand ragen oder die entlang der Böschung hinaufgeschlichtet werden. Reinhild Zenker hat auf ihrem türkisblauen „Halbsofa“ vor dem Fenster Platz genommen, und ja, die flexible Wulstlandschaft, die in unterschiedlichen Konstellationen arrangiert werden kann, lässt viele Sitz- und Liegemöglichkeiten zu und ist in der Tat sehr bequem.
Ein hexagonales Wagnis
„Und leider auch sehr teuer“, meint Yvonne Außmann, Vorständin der Wohnbaugenossenschaft Wogeno, im Rückblick. „Wir wollten etwas Neues ausprobieren und haben uns dazu entschieden, gemeinsam mit dem Architekten ein Wagnis einzugehen und die Grenzen des klassischen Wohnens ein wenig auszudehnen. Ich denke, das ist uns auch gelungen. Dieses Wohnhaus ist einzigartig, etwas noch nie Dagewesenes in Deutschland, und bietet mehr als einfach nur quadratisch, praktisch, gut.“
Die Baukosten jedoch liegen nach Auskunft der Wogeno um ein gutes Drittel über einem traditionell errichten Wohngebäude, „und auch in der Innenraumgestaltung“, so Außmann, „müssen die Mieter tiefer in die Tasche greifen als anderswo. So ein Wohnen muss man sich erst einmal leisten können.“ Trotz der höheren Baukosten wurden die insgesamt 17 Wohneinheiten im Rahmen des sozialen Wohnbaus errichtet und unterliegen einer Mietpreisobergrenze. Mit 12,50 Euro pro Quadratmeter liegt die monatliche Miete deutlich unter dem Münchner Durchschnitt.
„Ich bin jetzt 62 Jahre alt und wollte in meinem letzten Lebensviertel noch mal was ganz Neues ausprobieren“, sagt Reinhild Zenker. „Mich hat dieses Haus auf Anhieb neugierig gemacht, und abgesehen von meiner schönen Couch, die mir fehlt, bereue ich keinen einzigen Tag in meinem neuen Zuhause.“ Ob das ein Wohnmodell für die Zukunft ist? „Oh nein, das glaube ich nicht. Das ist und bleibt ein absolutes Nischenprodukt für eine kleine Minderheit. Aber die Mehrheit wird nie erfahren, wie groß sich 36 Quadratmeter anfühlen können!“
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom