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Anatomie des Schnackselns
Der Standard

Am 28. Juli ist Internationaler Sex-Tag. Wir haben sechs Leute aus unterschiedlichen Berufen und Lebensbereichen gefragt: Was macht einen sinnlichen, erotischen, sexuellen Raum aus?

27. Juli 2024 - Maik Novotny, Wojciech Czaja
Stephan Ferenczy
Architekt, BEHF

Wo und wie Sex innerhalb der Architektur Platz findet, entzieht sich unserer Kontrolle. Dass er innerhalb von geplanten und gebauten Räumen geschieht, ist allen Betroffenen bewusst. Und Sex findet überall statt, sofern unsere Scham und unsere Gesetze es zulassen. Küchentische, Besenkammern und Flugzeugtoiletten wissen das. Was präzisiert der Neufert oder die kleine ergonomische Datensammlung des TÜV dazu? Leider nichts. Wenn Sex Gegenstand einer Bauaufgabe ist, was äußerst selten ausgedrückt wird, sollte er mit einem gewissen Ernst thematisiert werden. BEHF hat die Boutique Bizarre auf der Reeperbahn in Hamburg und den Fetisch-Shop Tiberius in Wien realisiert – appetitliche, erfolgreich funktionierende Sex-Retailer. Die Frage ist: Haben wir Architektinnen und Architekten unsere Projekte anders betreut und gelöst, weil wir (ständig) an Sex gedacht haben? Sicher jedenfalls ist, dass die neuen ÖBB-Schlafwagen von Robotern entworfen wurden.

Sabine Pollak
Architektin, Autorin, Professorin an der Kunstuniversität Linz

Der Wohnbau ist die am stärksten reglementierte Architekturtypologie nach dem Gefängnis. Körperliches Begehren kommt dabei nicht vor, denn die Moderne hat alles wegrationalisiert. Le Corbusier schrieb das Emotionale den Frauen zu, das Rationale den Männern. Alle Körperlichkeit wurde dadurch aus dem modernen Wohnbau ausgegrenzt. Das Bett im Corbusier-Haus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung ist das wohl unsexyste Bett der Architekturgeschichte: hart, spröde und schmal. Auch der heutige Wohnbau ist komplett durchreguliert. Es gibt nichts Schlimmeres als das Normschlafzimmer: Doppelbett, Schrankwand, zwei Nachtkastln. Hinzu kommt noch die Selbstüberwachung mit Smart Watches, die unsere Körperfunktionen bewerten. Mit Freiheit hat das nichts zu tun, sondern mit Ängsten und Maßregelungen, die uns in unseren Wohnungen gefangen halten. Ich hoffe, dass sich die jüngeren Generationen davon befreien und eine andere Haltung zum Thema entwickeln.

Lukas de Berlin
Veranstalter von queeren und transfreundlichen Sexpartys in Berlin, BEHF

Was braucht es, damit ein Sex-Space funktioniert? Es braucht schlicht die Erlaubnis zu begehren. Außerdem braucht es Komfort, Hygiene, die richtige Temperatur, das richtige Licht (oder auch gar kein Licht) und die Möglichkeit, sich an einem Getränk anzuhalten. Auch ich als queerer, transmaskuliner Veranstalter bin jedes Mal neu aufgeregt, frage mich, was ich gerne ausprobieren würde, und dann füllen wir den großen Darkroom und die verwinkelten, mit Vorhängen verhüllten Separees mit lautem Stöhnen und machen unsere Laken feucht und dreckig. Vor allem die Trans-Community, für die es – im Gegensatz zu schwulem Sex und phallozentrischen, patriarchal dominierten Narrativen – meist keine öffentlichen Sexräume in der Stadt gibt, ist herausgefordert, ihre ganz eigenen sexuellen Wege zu suchen und zu finden. Das steht auch nicht in der Bravo. Mein Ziel? Spielen, experimentieren und Dummheiten machen. Denn: Es menschelt beim Schnackseln!

Tanja Wehsely
Geschäftsführerin Volkshilfe Wien

Sexualität und Intimität gehören zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Auch die WHO erkennt das Recht auf sexuelle Gesundheit an. Dabei geht es um mehr als bloß um den „Akt“, es geht um Nähe und Zusammensein. Als armutsgefährdete, wohnungslose oder pflegebedürftige Frau jedoch wird einem dieses Recht oft nicht zugestanden. Auch alleinerziehende Frauen werden von vielen nur als Mutter gesehen, obwohl auch sie Bedürfnisse haben. Da heißt es: Man soll doch dankbar für das Dach über den Kopf sein, mehr hat man nicht zu wollen. Unsere Gesellschaft ist zwar übersexualisiert, aber wenn es um alte, pflegebedürftige, marginalisierte Gruppen geht, schaut man lieber weg. Wir als Volkshilfe Wien wollen Menschen nicht nur versorgen, sondern empowern. Im Frauenwohnprojekt Hafen*, im Notquartier Nordlicht und in den Häusern für ehemals Wohnungslose sind individuelle Rückzugsräume ganz elementar, und unsere Beratungsstelle „Sophie“ bietet Fortbildung bei Sexualbegleitung an.

Bart Lootsma
Architekturtheoretiker

Begehren ist eines der schönsten Gefühle, aber es verunsichert uns auch, weil wir uns anfangs nie sicher sind, ob die andere Person das Gleiche empfindet. Die Architektur bildet dafür den Hintergrund, den Rahmen fürs Sehen und Gesehenwerden. Einige der interessantesten Studien über Räume des Begehrens stammen aus der Forschung zu Queer Spaces. Jan Kapsenberg schrieb in Erotische Manöver über den Spartacus Gay Guide, der mit Piktogrammen zeigt, wo Schwule ihre Interessen ausleben können. Meistens sind diese Orte architektonisch unauffällig versteckt im ausgedehnten urbanen Gewebe. Kapsenberg entwickelte aus den Piktogrammen eine Entwurfsmethode, die aus einem neutralen Raum einen Raum für Schwule macht. Blicklinien für den Augenkontakt, kleine Tische, damit die Knie sich berühren können, Duschen mit Bänken, von denen man den anderen zuschauen kann, im hinteren Teil dunklere Rückzugsräume und ganz hinten die finsteren Darkrooms. Eine Gay-Software.

Elke Silvia Krystufek
Künstlerin

Man kann Räume mit Farbe berühren. Sexualität behandelt immer auch Grenzen und deren Überschreiten. Auf der Biennale 2009 in Venedig bin ich mit der Farbe über die Tafelbilder bewusst hinausgefahren, direkt auf die Pavillonwände. Außen am Pavillon habe ich die Länderbezeichnung „Austria“ durch das Wort „Tabu“ in blauer Schrift ersetzt. Im Kunstraum Innsbruck habe ich 2004 als Eröffnungsperformance eine Penisform aus einem eigens angefertigten Pantonsessel herausgesägt, und für das Mak habe ich 2006 einen Penis-Stahlrohrtisch entworfen. In meinen sexuellen Kunstinstallationen mag ich unaufgeräumte Räume, oft mit Schaufensterpuppen, Gebrauchsspuren, tropfenden Farben, flüssigkeitsdurchtränkten Stoffen und ausdrucksstarken Mündern und Augen. Nachts träume ich vom Stadtraum, nackt bei der Donauinsel schwimmend, ohne Kontaktlinsen, auf die glitzernde Skyline von Wien blickend, während die Lichter durch die Unschärfe wie Blumen aussehen.

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