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Im Rausch der Farben
Der Standard

Das ehemalige Adambräu in Innsbruck ist nicht wiederzuerkennen. Die Installation des spanischen Büros Selgascano bricht ein Architekturtabu und ist vor allem eines: bunt.

17. August 2024 - Wojciech Czaja
Kaum hat man die Lichtschranke passiert, fängt es im Raum an zu rattern und zu surren. In einem unfassbaren Schneckentempo von einem Meter pro Minute beginnen sich die zylindrischen, konzentrisch ineinandergesteckten Körper allmählich auf und ab zu bewegen. Hier eine stahlharte Spiegelmembran von Thyssen, dort weißer, luftiger Gazestoff, der wie Urlaub von der Decke hängt, hinten im Raum wiederum handelsübliche Plastikperlenketten, billigste Meterware aus dem Supermarkt, die in meist spanischen oder italienischen Hauseingängen zu finden sind, um zwar Frischluft ins Haus zu lassen, nicht aber Fliegen, Wespen und Moskitos.

„Wir haben ein großes Faible für leichte, billige Materialien“, sagt José Selgas, „nicht nur, weil sie flexibel und einfach zu bewegen sind, sondern auch, weil sie in der Produktion, im Transport und in der Montage meist einen viel geringeren CO₂-Fußabdruck hinterlassen als schwere, massive Baustoffe.“ Das Surren hat aufgehört, der Flaschenzug hat den Tiefpunkt erreicht, fünf Sekunden Pause. „Doch das Beste an diesen luftigen, transluzenten Kunststoffen“, es surrt wieder, der Motor ist in Gang, die Konstruktion hebt sich in Zeitlupe, „ist, dass es sie in den schönsten und kräftigsten Farben gibt, dass sie im Sonnenlicht tanzen und mit den Menschen darin eine unbeschwerte Poesie entfalten.“

Publikumslieblinge

Gemeinsam mit seiner Partnerin Lucía Cano betreibt er seit 1996 das Architekturbüro Selgascano mit Sitz in Madrid. Zu den ersten Projekten zählen ein Silikonhaus, ein Brillengeschäft, ein Jugend- und Sportzentrum, und meist sind die Bauten bunt und auf reizvolle Weise von oben bis unten plastifiziert, sprechen in ihren leuchtenden Farben für sich, während sich die beiden hinter der Architektur verstecken und nur ungern in den Medien auftreten.

Das ändert sich schlagartig 2015 mit dem Auftrag für den Serpentine Pavilion in den Kensington Gardens in London. Der temporäre Pavillon aus gespannten ETFE-Folien mit seinen grellen, changierenden, ja fast schon metallischen Farbnuancen entpuppt sich als Liebling von Publikum und Presse, mit Hashtag-Qualität und entsprechendem Niederschlag in den sozialen Netzwerken. Auf einmal landen José Selgas und Lucía Cano in der weltweiten Öffentlichkeit, in kürzester Zeit kommen Projektanfragen aus Portugal, Frankreich, Großbritannien, Kenia und den USA.

Und nun ein Projekt in Innsbruck, eine Ausstellung im ehemaligen Adambräu, in dem sich heute das aut architektur und tirol befindet. „Ich habe Selgascano vor einigen Jahren persönlich kennengelernt und sie gebeten, für das aut eine Ausstellung zu konzipieren“, sagt aut-Leiter Arno Ritter. „Und zwar keine klassische Nabelschau mit Fotos, Plänen und Modellen, sondern eine installative, eigens für uns angefertigte Arbeit vor Ort. Ich wollte ein Original haben.“

Es ist früher Nachmittag, die Sonne fällt in den Raum, die Lichtstrahlen kämpfen sich durch die Plastikperlenvorhänge. Im Auf und Ab der weißen Gaze, der gelben, roten, blauen Schnüre, der orangen Filzbahnen, der spiegelnden Oberflächen und der zum Teil farbig gestrichenen Wände, die an die Bierproduktion und an die historischen, handkolorierten Adambräu-Pläne angelehnt sind, die im aut ausgestellt sind, gibt es kaum einen stabilen Nullzustand, alle paar Minuten verändert sich die Lichtstimmung von Strahlendweiß über Punschkrapferl bis irgendwo tief unten am Grund des Meeres. Die Besucherinnen vor Ort zücken ihre Smartphones und fangen die Stimmungsbilder im Dutzend ein.

„Architekturausstellungen können so langweilig sein, einfach nur eine Dokumentation aus Kopien und Faksimiles, mit viel Text und wenig Sinnlichkeit, das interessiert uns nicht“, sagt José Selgas. „Wir wollten ein Projekt für genau diesen Raum machen, für genau diese kreisrunden Löcher im Boden, in denen sich früher die Sudkessel befanden, eine Installation, die im Begehen unseren Anspruch an Architektur sichtbar und auch spürbar macht.“ Kurze Pause, dann fängt das Surren der Motoren wieder an.

Fades Purismusdiktat

„Farbe hat so eine unglaubliche Power, schon seit der Antike haben wir gut und gerne damit gearbeitet“, mein Selgas. „Mit der Moderne jedoch ist das alles verlorengegangen, nun untersteht alles dem Diktat des Purismus. Das ist fad.“ Alles andere als langweilig sind die Bibliothek in London, die Second Home Offices in Hollywood, Los Angeles, und das orange leuchtende Placencia-Kongresszentrum in Cáceres, 2017 fertiggestellt.

Darf Architektur schön sein? „Das ist keine Frage des Dürfens. Das ist eine Frage der Verantwortung von uns Planerinnen und Planern. Und vielleicht ist diese Ausstellung so etwas wie ein Schönheitslabor.“

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