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Für diese steirische Schule gilt: Gefahr in Verzug
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Über den Fortbestand der Neuen Mittelschule in Weiz wird schon länger debattiert. Seit einem Jahr müsste sie dringend saniert werden, passiert ist nichts. Nun stimmte der Gemeinderat dafür, die Aufhebung des Denkmalschutzes zu beantragen.

16. August 2024 - Isabella Marboe
Die 1960er- und 1970er-Jahre waren selige Dekaden. Der Sozialstaat regierte, man glaubte an die Zukunft, den Fortschritt und dass gleiche Chancen für alle die Welt zu einem besseren Ort machen würden. Bildung wurde allen sozialen Schichten zugänglich und von der Schulreform 1962 bahnbrechend erneuert. Lehrende sollten Kinder und Jugendliche zu offenen, diskursfreudigen, modernen Menschen erziehen. Dieses fundamentale Umdenken erforderte auch neue Bauten.

Im Jahr 1964 beauftragte die Gemeinde Weiz Viktor Hufnagl mit dem längst überfälligen Bau einer Doppelhauptschule. Der Wiener Architekt plante zwei wegweisende Schulen, die erstmals in Österreich den Typus der Hallenschule in ihrer Idealform exemplarisch umsetzten. Sie hatten großzügige zentrale Hallen mit umlaufenden Galerien, die ausschließlich von oben belichtet waren. Begegnungsräume par excellence für Veranstaltungen, die Schulgemeinschaft, Lernende und Lehrende. Die Hallenschule transformierte moderne Pädagogik in Architektur und wurde zur bestimmenden Typologie des Schulbaus der 1970er-Jahre. Kaum eine kam an das Original heran, einzig die Schule der Ursulinen von Josef Lackner dürfte ihr ebenbürtig sein.

Ein Ensemble aus einem Guss

Hufnagl setzte die geforderte Doppelhauptschule in zwei annähernd spiegelgleichen, dreigeschoßigen Bauten mit quadratischem Grundriss um. Sie bilden mit dem mittigen, länglichen Quader des Turnsaals, einem Heizturm und dem Portiershäuschen ein Ensemble aus einem Guss. Betonbrutalismus zum Niederknien. Vorbild dafür war der Markusplatz in Venedig mit seinem Campanile, erinnert sich Hufnagls damaliger Mitarbeiter Elmar Hauser.

Der Planungsraster der Schule zieht sich von den Spannweiten der Stützen über die quadratischen Kassetten der umlaufend auskragenden Decken, Fensterachsen bis zu den Betonsteinen auf dem Platz durch. Selbst die Sichtziegelfassade der Turnhalle folgt ihm. „Die Architektur zeigt einerseits die typischen Merkmale eines relativ robusten Strukturalismus der frühen 1960er-Jahre, andererseits eine liebenswürdige, fast spielerische, dem Kind entgegenkommende Kleinmaßstäblichkeit, die ihr die Härte und das Absolute nimmt“, schrieb Friedrich Achleitner.

Mehrfach ausgezeichnete Schule

1968 wurde die Hauptschule mit dem österreichischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet, 2020 mit der „Geramb Rose“ für Klassiker, und noch im selben Jahr wurde der Gesamtkomplex unter Denkmalschutz gestellt.

Das heutige Gymnasium wurde zehn Jahre nach der Hauptschule fertig und wird von der BIG verwaltet. Als man es sanierte, stand es noch nicht unter Denkmalschutz. Der Sichtbetonbau ist weiß gestrichen. Vom Betonbrutalismus blieb nur die Struktur, das erleichtert die Akzeptanz der Bevölkerung. Die Fenster sind neu, etwas klobig. Keine filigranen, schwarzen Holzrahmen mit feiner Unterteilung wie beim Original gegenüber. Über all das kann man streiten. Was bleibt: hier ein gewarteter Bau mit einer zufriedenen Nutzerschaft, die ihren Maturaball in der Schule feiert und stolz ein „Ausgezeichnet“ in die Aula hängt. Dort reißerische Schlagzeilen in der „Kleinen Zeitung“, verängstigte Eltern und Schüler.

Direktorin Carolin Staudacher posiert in der Aula für das Foto von „Kleine“-Redakteur Thomas Wieser vor Kübeln auf dem Boden, die das undichte Dach dokumentieren sollen. Vor Ort verströmt die verwitterte, vermooste, wetterseitige Fassade, aus deren Ritzen Sukkulenten wachen, mit ihren abgesperrten Stiegen und Umgängen das morbide Flair eines Lost Place.

Diese Schule ist statisch noch optimierter als ihr Pendant, fast alles ist im Original erhalten. Drei Stützen an jedem Eck des Atriums tragen einen Großraum von 40 mal 40 Metern, dessen massive Rasterdecken weit auskragen.

Das kolportierte „Gefahr in Verzug“ gilt nicht den dort Lernenden und Lehrenden – es gilt dem Bau. Im Juli brachte die Gemeinde einen „Antrag auf Veränderung ein, der große Eingriffe beim Denkmal vorsieht“, wie das Bundesdenkmalamt in seiner Pressemeldung lakonisch schreibt. Die Diskussionen um den Erhalt der Schule gibt es seit über zehn Jahren. Im Oktober 2021 beauftragte die Gemeinde die Architekten Gangoly & Kristiner mit einem Sanierungskonzept, im November 2022 lag das Resultat vor: Die offene Architektur eignet sich hervorragend für die Lernlandschaften heutiger Pädagogik, die Klassen hatte bereits Hufnagl mit demontablen Zwischenwänden flexibel konzipiert, die katastrophalen Dämmwerte kriegt man mit dem System, das Gangoly entwickelte, in den Griff. Es setzt dem Gebäude im Prinzip innen eine zweite Fassade vor, die Luft dazwischen fungiert als Wärmepuffer.

Stellen im Beton wurden geöffnet

Laut Gutachten kostet eine zeitgemäße Sanierung um etwa zehn bis elf Prozent mehr als ein Neubau. Dabei sind Abriss- und Entsorgungskosten nicht eingerechnet. Heute sind 500 Kilogramm pro Quadratmeter Nutzlast gefordert, zur Bauzeit waren es 300 Kilogramm. Machte man reduzierte Anforderungen geltend, ließe sich noch einiges einsparen. Doch das wollte niemand näher wissen.

Im Juni 2023 fand ein Gespräch mit der Gemeinde, den politisch Verantwortlichen, der Landesverwaltung und dem Denkmalamt statt. Es ergab, dass die denkmalgeschützte Schule saniert werden muss. Dann geschah ein Jahr nichts. Bürgermeister Ingo Reisinger beteuert, seiner Instandhaltungspflicht nachgekommen zu sein. Der Bau spricht eine andere Sprache. Bei der gutachterlichen Untersuchung der Statik wurden Stellen im Beton geöffnet, die dortigen Bewehrungseisen liegen immer noch frei. Korrodieren sie, platzt der Beton ab.

Neue Schule würde wieder mehr Boden versiegeln

Seither hat sich die Diskussion um CO2-Bilanz und Bodenversiegelung massiv verschärft. Der Altbau speichert so viel graue Energie, dass er diesbezüglich jedem Neubau überlegen ist; die neue Schule würde wieder mehr Boden versiegeln. All das wird bis dato nicht bepreist, ganz zu schweigen von den ideellen Werten und kollektiven Erinnerung, die dieses Gebäude speichert. Neu zu bauen ist eine anachronistische Entscheidung. Umso mehr bei einem Bau, der einmal wegweisend war. Er könnte bei einer denkmalgerechten Sanierung wieder wegweisend werden. Das scheint die Politik nicht zu interessieren. „Zum einen ist diese Schule sanierungsbedürftig, zum anderen steht sie unter Denkmalschutz. Wenn man beides gegenrechnet, ist ein Neubau wesentlich günstiger als eine Sanierung“, resümiert der Bürgermeister. „Ich muss wirtschaftlich agieren. Unser Ziel ist ein Neubau.“

2024 attestierte ein Gutachten der Grazer Immobilien Consulting GmbH Seiser + Seiser die wirtschaftliche Abbruchreife. Der Gemeinderat beschloss (es gab nur eine Gegenstimme), die Aufhebung des Denkmalschutzes zu beantragen. Das kann ein Todesurteil sein. Der Ball liegt beim Bundesdenkmalamt, bei der Gemeinde, bei Land und Bund.

Denkmalgeschützte Bauten müssen saniert werden. Man könnte Weiz unterstützen, die Mehrkosten zu stemmen. Die Schule und der Planet wären es zigfach wert.

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