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Kein Platz? Kein Problem! Gelungene Verdichtung in Innsbruck
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Verdichten statt erweitern, so lautet der ökologische Imperativ: weniger Flächenverbrauch, kurze Wege, bessere Nutzung der Infrastruktur. Aber entsteht dadurch auch bessere Architektur? Zwei Wohnbauten in Innsbruck zeigen, wie das gelingen kann.

6. September 2024 - Christian Kühn
Österreich wächst. Mehr Menschen, das bedeutet einen höheren Bedarf an Wohnraum, aber auch an sozialer und kultureller Infrastruktur wie Kindergärten, Schulen, Bibliotheken. Das Bevölkerungswachstum verteilt sich aber nicht gleichmäßig über Österreich, sondern konzentriert sich auf Wien und die Landeshauptstädte.

Die Strategie, mit der die Städte auf diese Entwicklung reagieren, ist im Prinzip überall gleich, nämlich durch Nachverdichtung: entweder durch Wachstum in der Gebäudehöhe oder durch das Auffüllen untergenutzter Flächen, v. a. dort, wo der Städtebau der 1950er- bis 1970er-Jahre für großflächiges, aber wenig attraktives „Abstandsgrün“ gesorgt hat. Gegen diese Strategie ist nichts einzuwenden. Sie versucht, die Ressource Boden möglichst sparsam zu nutzen, auf kurze Wege zu achten und die bestehende Infrastruktur effizienter zu nutzen, als es bei einer Stadterweiterung auf der grünen Wiese möglich wäre.

Es kommt freilich darauf an, wie man dieses Prinzip umsetzt. Die Konsequenzen in der Stadtmorphologie sind nämlich trotz dieses ähnlichen Ansatzes recht unterschiedlich. In Graz werden in Vierteln mit Stadtvillen dezent Flächen in der zweiten Reihe zur Bebauung freigegeben. Linz hat sich zur Stadt der mittelhohen Hochhäuser entwickelt, die recht gleichmäßig und unspektakulär über die Stadt verteilt sind. Auch in Wien gibt es dafür Beispiele, wobei die Stadtplanung mehr auf Ensemblewirkung setzt.

Im Wiener Wohnbau scheint sich aber ein neuer Gebäudetypus durchzusetzen, frei stehend und sehr tief, oft mit Innengangerschließung und in der Gebäudehöhe knapp unter den rund 35 m angesiedelt, ab der aus Brandschutzgründen teure zusätzliche Sicherheitssysteme wie druckbelüftete Stiegenhäuser vorgeschrieben sind. Wie eine Herde von grasenden Hauselefanten füllen solche Wohnbauten dann ehemalige gründerzeitliche Blockstrukturen aus.

Besichtigen lässt sich das Ergebnis etwa an der Kreuzung Eichenstraße und Gaudenzdorfer Gürtel. Die aus dem Raster verschwenkte Positionierung der Bauten verhindert zumindest das Gefühl, hier völlig eingesperrt zu sein. Zu dicht wirkt diese Lösung trotzdem. Ist Wien wirklich so intensiv bebaut, dass man aus jedem Grundstück alle Reserven herausquetschen muss? Wahrscheinlich nicht. Eine weniger dichte, über die Stadtgrenze hinaus gedachte und am Prinzip der Gartenstadt orientierte Stadtmorphologie, sollte wenigstens diskutiert werden.

Für die Situation in Innsbruck gilt das nicht. Hier sind der Stadterweiterung durch die Berge und das Inntal enge Grenzen gesetzt. Wie Verdichtung gelingen kann, einerseits durch Wachstum in die Höhe, andererseits durch Bebauung von „Abstandsgrün“, zeigen zwei Projekte des Büros von Karin Triendl und Peter Larcher, die gemeinsam als Work Space Architekten firmieren.

Das erste, 2023 fertiggestellte Projekt liegt an der Kreuzung von Pradler und Amraser Straße, wobei die Pradler Straße Teil eines großräumigen Blockrastersystems ist, das die Amraser Straße diagonal kreuzt. Das Grundstück ist entsprechend verzwickt mit unterschiedlichen Anschlussmöglichkeiten: an der Pradler Straße die Weiterführung der geschlossenen Verbauung, an der Amraser Straße das Setzen einer Zäsur, die den Blockrand öffnet und das Projekt in zwei Teile gliedert: einen niedrigeren, der an einen Wohnbau aus den 1990er-Jahren andockt, und einen höheren mit zehn Geschoßen, der über Eck betrachtet als Turm erscheint. Als Gebäudetyp ist er zu den Elefantenhäusern zu zählen, die oben kritisiert wurden: die typische Höhe von rund 35 m, ein sehr tiefer Baukörper, in dem pro Geschoß bis zu acht Wohnungen erschlossen werden. Der niedrige Bauteil, der sich in der Höhe an der Nachbarschaft orientiert, ist mit seinem tiefen Baukörper und bis zu sechs Wohnungen pro Geschoß zumindest ein Babyelefant.

Fassadengestaltung ist konsequent komponiert

Der Unterschied zum Wiener Beispiel betrifft vor allem die Reaktion auf den Bestand und die Feinarbeit an der Fassade. Die Architekten nennen ihr Projekt in Bezug auf die beiden Bauteile „Pradler Duett“, aber eigentlich spielt hier ein kleines Orchester: Bestandsbauten aus vielen Epochen werden integriert, und der öffentliche Durchgang zwischen Pradler und Amraser Straße legt einige Rückseiten frei, die Teil der Komposition werden. Auch die Gestaltung der Fassaden ist konsequent komponiert, mit feinen horizontalen Linien, die keine andere Funktion haben, als die Fassadenflächen in Proportion zu bringen. Technisch sind sie die Fortführung der Aluminiumprofile der Fensterverblechung.

Bei genauem Hinsehen entdeckt man, dass die gute Proportion der Fenster dem Umstand zu verdanken ist, dass die Brüstungen nur 65 cm hoch sind. Eine kaum sichtbare Verglasung an der Außenseite gleicht die fehlende Höhe im Sinne einer Absturzsicherung aus. Neben der guten Proportion der Öffnung bringt das mehr Licht und mehr Blick nach außen. In den Stiegenhäusern ist ebenfalls für natürliches Licht gesorgt, das wegen der Tiefe der Baukörper über Lichtbrunnen von oben einfällt. Hochwertig im Detail ist zudem die Verkleidung der Erdgeschoßzone mit gelaserten Aluminium-Verbundplatten, die sich aber genauso wenig in den Vordergrund spielt wie die Differenzierung der Putzoberflächen zwischen den Geschoßen. Wer in einem formal diversen Bestand baut, sollte besser leise auftreten.

Zugegeben, das Projekt ist frei finanziert und kein sozialer Wohnbau. Allerdings musste der Bauträger, Panorama plus Immobilien, von den 117 Wohnungen 30 als Stadtwohnungen – wie in Innsbruck die Gemeindewohnungen heißen – zur Verfügung stellen.

Dass hohe Qualität in der Verdichtung auch im sozialen Wohnbau möglich ist, haben Work Space Architekten schon 2018 für das gemeinschaftliche Projekt der Innsbrucker Immobilien GmbH und der Tiroler Wohnbau mit den Passivhäusern in der Bienerstraße gezeigt. Hier ging es um die Bebauung von „Abstandsgrün“ zwischen drei Wohnscheiben aus den 1960er-Jahren unmittelbar neben der S-Bahnstation Innsbruck Messe. Die Architekten erfanden für diese Aufgabe einen neuen, sechseckigen Typus von Turmhaus, mit bis zu sechs Wohnungen pro Geschoß, insgesamt 136 Wohnungen in drei Größen, S, M, und X-Large, einer Vierzimmerwohnung.

Keine Nachahmer?

Anheimelnd sind die Türme nicht, Verzierung gibt es erst im Erdgeschoß, v. a. durch eine Steinverkleidung der Sockelwand und gut gestaltetes Stadtmobiliar. In der Dreierkombination leisten die Türme genau das, was das „Abstandsgrün“ nicht leistet, nämlich den öffentlichen Raum zu proportionieren und Kommunikation anzuregen. Die im Wettbewerb angeregte und später von der Stadt Innsbruck realisierte Öffnung der Bahnviadukte unter der S-Bahnstation hat aus dem ehemaligen Nicht-Ort einen urbanen Raum geschaffen. Die Freiraumplanung stammt von PlanSinn, die hier mit einem farbig gestalteten Vorplatz zur Bahnstation eine erkennbare Abfolge zwischen öffentlichen, halb öffentlichen und privaten Bereichen geschaffen haben.

Es ist erstaunlich, dass dieses Projekt, das ja als Passivhaus energetisch höchsten Standards entspricht, keine Nachahmer gefunden hat. Selbst Wien, der Stadt mit dem vermeintlich besten sozialen Wohnbau der Welt, könnte ein Blick über den westlichen Tellerrand nicht schaden.

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