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13. Dezember 2025 Der Standard

Gemütlichkeit im Oktaeder

Eine Ausstellung im Kunsthaus Muerz in der Steiermark lotet die Faszination der Architektur für die Geometrie aus. Zwischen platonischen Körpern, rationalen Rastern und schrulligen Privatphilosophien wird Mathematik zum Wohnexperiment.

Die South Forest Avenue in Carbondale, Illinois, sieht aus wie tausende andere Vorstadtstraßen in den USA. Gepflegte, weiß getünchte Holzhäuser hinter Bäumen. Fährt man am Grundstück mit der Hausnummer 407 vorbei, bleibt man unweigerlich stehen. Eine kleine Kuppel, zusammengesetzt aus Dreiecksflächen, in Weiß und Blau. Hat hier ein Polarforscher testweise sein antarktisches Biwak aufgestellt?

Gefroren wurde hier nicht, geforscht schon. In dieser Kuppel residierten zwischen 1960 und 1971 Richard Buckminster Fuller und seine Frau Anne Hewlett Fuller. Sie war ein Testlauf für die 62 Meter hohe Biosphäre, die 1967 das Wahrzeichen der Expo Montreal werden sollte. Während jene von weltraumhafter Luftigkeit war, herrschte im Inneren von Herr und Frau Fullers Kuppel eher Zeltlager-Atmosphäre; ein kleines Opfer für das große Ziel des Selbstexperiments als Versuchskaninchen der Geometrie.

Zickzack-Ziggurat

Auch die Rue Gabriel Péri in Ivry-sur-Seine bei Paris lauert dem Flaneur mit einer geometrischen Überraschung auf. Ein Zickzack-Ziggurat aus Sichtbeton, von Grün überwuchert, das so organisch gewachsen wirkt, dass man erst auf den zweiten Blick bemerkt, dass es auf einem Raster von kristalliner Präzision komponiert ist. Die Komponistin: Renée Gailhoustet, die hier bis zu ihrem Tod 2023 auch selbst wohnte, in einem Fest der Diagonalen ohne rechten Winkel. Liberté in der regularité.

Wenn es um die Frage geht, wie bewohnbar die aufgezeichnete Idee ist, lässt sich die Antwort nur in der Selbsterfahrung geben. Der Schritt von Papier, Lineal und Zirkel in den Raum faszinierte den Wiener Architekten Martin Feiersinger schon zu seiner Schulzeit in Tirol. Seit über 40 Jahren sammelt er Grundrisse, die er selbst sorgfältig in Schwarz auf Weiß nachzeichnet. Wo andere abstrakte schwarz-weiße Muster sehen, entsteht in seinem Kopf sofort der dazugehörige Raum. „Man entdeckt schon beim Zeichnen sofort, wo der Raum funktioniert und wo nicht“, sagt er.

Barocke Kurvenlust

Jetzt hat er seinem Lebensthema gemeinsam mit der Architekturhistorikerin und Publizistin Gabriele Kaiser eine ganze Ausstellung gewidmet: Der Hang zu Geometrie im Kunsthaus Muerz. Hier ziehen sie punktgenaue Verbindungslinien durch Jahrhunderte und Kontinente, versammeln bekannte und unbekannte Architekten und deren Wohnexperimente aus 500 Jahren. Folgerichtig geht es hier zwei-, drei- und vieldimensional zu. Platonische Körper aus Baumaterialien pendeln von der Decke wie schwerelos gewordene Klettergerüste auf einem Spielplatz. Mathematik-Schulstunde trifft Kulturgeschichte, welterklärende Philosophien kollidieren mit individuellen Schrulligkeiten, barocke Kurvenlust wird durchkreuzt von asketischer Eckigkeit.

Den räumlichen Beginn markiert, augenzwinkernd selbstreferenziell, ein kleiner Vermessungspunkt in 1,50 Metern Höhe an der Wand. Den zeitlichen Beginn markieren Leonardo da Vincis 1509 veröffentlichte De divina proportione , Albrecht Dürers Underweysung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyt von 1525 und Johannes Keplers Weltharmonik. „Nach Leonardo wurde die Geometrie zur Mode, und die von ihm wieder aufgegriffenen platonischen Körper zur Faszination“, sagt Martin Feiersinger.

Einladendes Durcheinander

Wer beim Thema Geometrie eine Ausstellung von eisiger Präzision erwartet (oder befürchtet), wird hier von einer Art einladendem Durcheinander überrascht, in dessen Linienmikado es reichlich irreguläre Zwischenräume gibt, die man selbst füllen kann. „Es war auch nicht unser Ziel, einen absoluten Kanon zu erstellen“, betont Gabriele Kaiser. „Doch gibt es mehrere rote Fäden, die sich durchziehen, etwa die Extreme von Minimum und Maximum bei den bewohnten Geometrien.“ Das Minimumextrem stellt hier Le Corbusiers Schreibhütte Cabanon in Südfrankreich dar, kaum mehr als ein Würfel, die Maxima finden sich vor allem in den hochkomplexen Hochämtern der Symmetrie des 18. Jahrhunderts.

Eine Auswahl von Martin Feiersingers Grundrissatlas – alle im Maßstab 1:50 – bildet den buchstäblich räumlichen Hintergrund der Ausstellung. Allein die zahllosen Varianten, mit denen Architekten versuchten, das zur Bewohnbarkeit leider unverzichtbare „Störelement“ einer Stiege in ihre perfekten Polygone zu integrieren, machen die Grundrisse zum sprechenden Narrativ. Nicht wenig Aufwand habe es gekostet, den tatsächlichen Maßstab alter Pläne herauszufinden, sagt Feiersinger. Schließlich konnte die Längeneinheit „Fuß“ je nach Zeit und Ort ganz unterschiedliche Zentimeterzahlen bedeuten.

Wem das Mathematiktrauma aus der Schulzeit bis heute eine Scheu vor gezeichneten Plänen beschert hat, darf sich zuerst am locker in den Raum gestellten Büchertisch festhalten, für den Feiersinger und Kaiser ihre privaten Bibliotheken temporär geplündert haben, von Baukunst-Folianten bis zu Max Frischs Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie und der Rechte-Winkel-Bibel des deutschen Architekten Oswald Mathias Ungers, in der er seine lebenslange Obsession mit dem Quadrat-Raster darlegte. Auch er war Bewohner seiner eigenen, eher ungemütlichen Geometrie, mehr zwänglerisch als elegant, wie eine Palladio-Villa, wenn Palladio an chronischer Verstopfung gelitten hätte.

Ebenfalls am Tisch: Inhabiting Geometry , publiziert von der US-Architektin Anne Tyng (1920–2011), eine der wohl faszinierendsten Entdeckungen dieser Ausstellung. Sie beschäftigte sich intensiv mit geometrischen Ordnungssystemen als Synthese von Mensch und Kosmos. Die göttlichen Proportionen der Renaissance trafen auf die Bewusstseinserweiterungen der amerikanischen LSD-Sixties. Ganz rational, versteht sich. Ein Tyng-Diagramm in der Ausstellung zeigt, in welche Sphären höherer Mathematik sie sich im Rausch der Fibonacci-Sequenzen hineinschraubte. Aber auch sie bewohnte ihre eigenen Regeln: Der winzige Dachaufbau des Tyng House in Philadelphia entrang der hyperrationalen Ineinanderverschachtelung eine stubenhaft warme und ausgezeichnet benutzbare Behaglichkeit. Auch Polygone können gemütlich sein.

8. November 2025 Der Standard

Eine Stadt geht (nicht) baden

Klagenfurt hat seit vier Jahren kein Hallenbad und wird auch mindestens zwei weitere Jahre keines haben. Während im Skilift-Geschäft die Millionen herunterschneien, können sich viele Kommunen die Schwimm-Infrastruktur nicht mehr leisten.

Was gehört zum Grundzubehör einer Großstadt? Darauf gibt es unterschiedliche Antworten. Fans des Brettspiels Monopoly (hierzulande DKT) wissen, dass man dazu nicht mehr braucht als Häuser, Hotels, Banken, Bahnhöfe und ein Gefängnis. Für alles andere ist das kaufmännische Talent nicht zuständig. Spaziert man durch Österreichs sechstgrößte Stadt Klagenfurt, machen sich neben Häusern, Hotels und Banken eigene Prioritäten bemerkbar. Elf Solarien zählt die 105.000-Einwohner-Stadt, in etwa gleich viele Laufhäuser und Rotlichtbars, dafür rangiert die Zahl öffentlicher Büchereien bei exakt null.

Eine Null steht seit August 2021 auch hinter „öffentliches Hallenbad“, denn in jenem Sommer musste das Klagenfurter Bad schließen, nachdem ein Gutachter die Statik als bedenklich eingestuft hatte. Die Stadt und die Klagenfurter Stadtwerke STW, Betreiber des Bades, zeigten sich damals überrascht. Dabei galt das 1972 erbaute Bad schon lange als Sanierungsfall. Einen Plan B hatte man aber offensichtlich nicht in der Tasche, stattdessen hoffte man, es würde halt irgendwie weitergehen. Die Schulen waren verärgert, weil ihnen nun der Schwimmunterricht verunmöglicht war, die Schwimmvereine fürchteten um ihre Existenz, die Bürger protestierten.

Denn man war lange Zeit stolz auf das Bad. Mit einem Sportbecken von 33,5 mal 21 Metern, mit Plansch- und Lehrschwimmbecken und Sauna gehörte es bei der Eröffnung zu den größten Schwimmsportzentren Österreichs. Der Entwurf des Villacher Architekturbüros Bauer mit seinem abgestuften Dach war zurückhaltend modern, veredelt durch Kunst am Bau von Valentin Oman und Giselbert Hoke. In den 1990er-Jahren wurde das Bad von Sport in Richtung Rutschspaß adaptiert, das Becken auf 25 Meter Länge verkürzt. 2015 leistete man sich eine neue Rutsche für 100.000 Euro.

Keine Sanierung

Praktisch jedes Gebäude kommt mit etwa 40 Jahren ins sanierungsfällige Alter, bei Hallenbädern kommt die Beanspruchung durch Feuchtigkeit und Chlor noch hinzu. Eine Sanierung wollte man in Klagenfurt allerdings nicht angehen, stattdessen entschied man sich für einen Neubau an anderem Ort. Mehrere Standorte wurden ins Spiel gebracht, ein Bürgerrat an der Entscheidung beteiligt, bis die Wahl auf ein Areal am südwestlichen Stadtrand neben dem Stadion fiel. Das ist einerseits sinnvoll, da dort bereits eine Sport-Infrastruktur vorhanden ist, andererseits nicht sinnvoll, weil künftig alle Schülerinnen und Schüler mit dem Bus zum Schwimmunterricht fahren müssen.

Den internationalen Wettbewerb für das neue „Alpe-Adria-Sportbad“ gewann im Jänner 2023 das Atelier Thomas Pucher aus Graz mit einem flachen, mehrfach geschwungenen und nicht uneleganten Entwurf. Laut STW sollte noch im selben Jahr mit dem Bau begonnen werden und Ende 2024 der Probebetrieb starten. Dem war nicht so.

Denn Klagenfurt ist finanziell vom Schwimmen ins Trudeln geraten. Im Juni 2025 warnte der Konsolidierungsbeirat der Stadt, bei der Umsetzung des 68 Millionen Euro teuren Hallenbadprojekts und ohne gegensteuernde Maßnahmen drohe spätestens im ersten Quartal 2026 die Zahlungsunfähigkeit. Sollte die Stadt also für immer hallenbadlos und sollten Generationen von Kindern Nichtschwimmer bleiben?

Sollen sie nicht. Im September dieses Jahres wurde die Finanzierung des Neubaus beschlossen. Die Stadt Klagenfurt nahm einen Kredit mit 30 Jahren Laufzeit auf und zahlt 50 Millionen, wovon sechs bereits für die Planung ausgegeben wurden. Das Land Kärnten trägt sieben Millionen bei, zweckgewidmet für das 50 mal 25 Meter große Sportbecken. Weitere sieben Millionen kommen vom Bund, der Rest von Förderungen. Die STW investieren zusätzlich 4,6 Millionen Euro in die Errichtung des Olympiazentrums. Mitte Oktober erfolgte der Spatenstich, der tatsächliche Baubeginn wird jedoch erst 2026 stattfinden, der erste Sprung vom Startblock ins Wasser soll 2028 erfolgen, also fast sieben Jahre nach der Schließung des alten Bades.

Doch was passiert währenddessen eigentlich mit dem alten Bad? Im September 2022 wurde das gesamte Areal für neun Millionen Euro an die Grazer Bietergemeinschaft der Bauträger GWS und Haring Group verkauft, die hier unter dem Projektnamen „Green Canyon“ 160 Wohnungen errichten will. Bislang ist allerdings nichts passiert. Im April dieses Jahres vermeldete die Kleine Zeitung , es gebe Anzeichen, dass die Käufer den Kauf rückabwickeln wollten. Auf Anfrage des ΔTANDARD bei den STW heißt es, man arbeite derzeit an einer gemeinsamen Lösung.

Nun hat Klagenfurt null Hallenbäder, dafür bald zwei Baustellen. Was hätte man besser machen können? Zum Beispiel das alte Bad zu etwas Neuem machen, wie der Architekt Lukas Vejnik sagt, der seit vielen Jahren zur Nachkriegsmoderne in Kärnten forscht. „Das bestehende Hallenbad mag vielleicht als Bad nicht mehr betriebsfähig sein, aber es könnte Potenzial für andere Nutzungen bieten, wenn man sich ernsthaft damit beschäftigt. Für solche intelligenten Umnutzungen gibt es international einige Beispiele.“ Im niederländischen Gouda etwa wurde ein denkmalgeschütztes Bad aus dem Jahr 1931 zu einem Wohnbau, mit dem Schwimmbecken als Gemeinschaftsgarten.

Adieu, Zehnmeterbrett

Dass Klagenfurt nicht die einzige Stadt ist, in der die Grundversorgung für den Schwimmsport zerbröselt, zeigte im September der ORF-Bericht Badeschluss – das Ende der Schwimmbäder. Während die Alpengipfel mit lukrativen Skiliften bestückt werden, können sich viele Kommunen Betrieb und Sanierung von Bädern nicht mehr leisten.

Das betrifft nicht nur die Hallenbäder. In Ternitz, das mit dem Parkbad (inzwischen zum „blub“ verniedlicht) einen elegant modernen Entwurf von Roland Rainer aus dem Jahr 1959 sein Eigen nennt, soll kommende Woche der Gemeinderatsbeschluss zum Abbruch des Zehn-Meter-Sprungturms gefällt werden, nachdem dieser nur noch bis zur Höhe des Einmeterbretts benutzbar war und das Bundesdenkmalamt ihn als „nicht erhaltenswert“ eingestuft hatte.

Dabei gäbe es Vorbilder, wie man solche Objekte sanieren kann. Der Sprungturm am Millstätter See aus dem Jahr 1931, ein luftig-expressives Gebilde aus Sichtbeton, das selbst Höhenangstgeplagten Lust auf einen Köpfler macht, wurde von Hohengasser Wirnsberger Architekten sensibel saniert, ohne dass heutige Sicherheitsanforderungen die Eleganz zunichtemachen. Beim Kärntner Landesbaupreis gab es dafür eine Anerkennung. Es geht also, wenn man nur will.

25. Oktober 2025 Der Standard

Insolvenzmasse mit Sprezzatura

Mit dem Waltherpark in Bozen wurde ein umstrittenes Signa-Projekt nach Übernahme durch einen deutschen Investor vorige Woche eröffnet. Architekt David Chipperfield bemühte sich, Shoppingmall und Stadt zu versöhnen. Doch nicht alle sind damit glücklich.

Name und Konterfei von Hedi Lamarr sind vom Baustellenzaun auf der Wiener Mariahilfer Straße verschwunden, der noch taufrische Stahlbeton des Kaufhauses, das nun kein Kaufhaus werden wird, wird zu Schrott. In vielen Städten steht man derzeit vor ruinösen Signa-Hinterlassenschaften in Bestlage. Manche dürften dieser Tage neidisch nach Südtirol schauen. Denn in Bozen wurde vorige Woche der als Signa-Prestigeprojekt gestartete Waltherpark nach zehnjähriger Planungs- und Bauzeit tatsächlich eröffnet. In perfektem Timing exakt zur gleichen Zeit, als Benko in Innsbruck (nicht rechtskräftig) verurteilt wurde.

Endpunkt hinter dem Brenner

Seine steile Karriere, die just dort mit dem Kaufhaus Tyrol, entworfen vom britischen Architekten David Chipperfield, begann, findet nun ihren Schlusspunkt auf der anderen Seite des Brenners mit einem ebenfalls von David Chipperfield entworfenen Kaufhaus. Im April 2024 hatte die in München ansässige Schoeller Group das Projekt aus der Signa-Insolvenzmasse übernommen und es mit großem Kraftakt über die Ziellinie gewuchtet.

Das Ende dieses Baustellenzustandes hat zu Aufatmen in Bozen geführt. Doch unumstritten war das Projekt auf dem Areal des ehemaligen Busbahnhofs nie. Es liegt als massiver Baublock, fast so groß wie die mittelalterliche Altstadt, zwischen Bahnhof und Zentrum. Einen Teil des dortigen Parks hat es sich einverleibt. An dessen Stelle lädt das Portal der Shoppingmall nun die Passanten dazu ein, den Weg zu den historischen „Lauben“ mit ihren von alteingesessenen Familien geführten Läden nicht durch die Straßen zu nehmen, sondern vorbei an Starbucks und Foot Locker im Inneren. Büros, Hotel und 110 servicierte Wohnungen sitzen auf dem Dach der Mall.

Unverdaulicher Brocken

Dass eine Shoppingmall per se einen recht unverdaulichen Brocken darstellt, der architektonisch schwer in den Griff zu bekommen ist, war auch Chipperfield bewusst. Er hat sein Bestes getan, den Koloss in kleinere Stücke zu teilen, ohne dass er in Beliebigkeit zerfällt. „Es ist weniger ein großes Gebäude als ein Stück Stadt“, sagt er, während er von der Waltherpark-Dachterrasse sinnierend auf die Bozner Bergkulisse schaut. „Es war für uns eine große Verantwortung, kein rein kommerzielles Projekt entstehen zu lassen, sondern eines, in dem Handel, Architektur und Urbanismus ausbalanciert sind. Jede Straßenfront geht auf ihr jeweiliges Gegenüber ein. Ich hoffe, dass wir damit über die Jahre die Lebensqualität Bozens verbessern.“

Da die Architekten auf die während der langwierigen Planung immer wieder veränderte Verteilung der Nutzungen im Inneren kaum Einfluss hatten, konzentrierte man sich umso mehr auf die Fassade. „Wir haben das Gebäude nicht von innen, sondern von außen entworfen“, erklärt Ivan Dimitrov, Partner und Entwerfer im Berliner Chipperfield-Büro. „Die Fassade soll kein Fremdkörper sein, sondern die verschiedenen Nutzungen dahinter zusammenfassen und Leichtigkeit ausstrahlen.“

Eigentlich geil

Dies ist ihnen gelungen. Vor allem dank der cremefarbenen, zarten, kannelierten Säulen, die im 4,20-Meter-Abstand vor den messinggolden gerahmten Glasfronten stehen und dazwischen viel Luft lassen. Eine italienische Sprezzatura, die an die Leichtigkeit der 1950er-Jahre erinnert, anstatt der tonnenschweren Tektonik, die einigen anderen Chipperfield-Bauten zu eigen ist. Prosaischer ausgedrückt, wurden hier über 50.000 Quadratmeter lukrative Nutzfläche in ein freundliches Tarngewand gehüllt, das „Stadt“ spielt.

Der ebenfalls zur Eröffnung angereiste Christoph Schoeller, CEO der Schoeller Group, war bei der Eröffnung voller Freude über das Ergebnis: „Bozen hat durch den Waltherpark und seinen Architekten eine neue europäische Internationalität bekommen.“ Das suggeriert, dass Bozen bis zur Eröffnung eines XL-Einkaufszentrums provinziell gewesen sei. Ein rhetorischer Trick, der nicht neu ist, denn mit dem Argument, in Bozen passiere nichts, hatten das Signa-Marketing und die Projekt-Befürworter schon 2015 René Benko als rettenden „benefattore“ inszeniert.

Einer, der damals mit dem frechen Satz „Ich finde Bozen eigentlich ganz geil“ widersprach, ist der Südtiroler Architekt Thomas Huck, der im Waltherpark-Projekt von Beginn an einen Problemfall sah und gemeinsam mit anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern eine Plattform gründete. „Unsere Kritik richtete sich weniger gegen die Signa als gegen die konzeptlose Stadtplanung der Behörden, die von der Dimension des Projektes komplett überfordert waren und dem Investor nichts entgegensetzten“, sagt er rückblickend.

„Eine Shoppingmall ist an dieser Stelle völlig falsch, da sie Kaufkraft vom Zentrum abzieht und der von der Gemeinde finanzierte Zufahrtstunnel in die Tiefgarage der Mall noch mehr Autoverkehr anzieht“, sagt die Bozner Architektin Margot Wittig, ebenfalls von Beginn an Kritikerin des Projekts. „Auch die Ortskerne der umliegenden Dörfer, die jetzt schon am Geschäftssterben leiden, werden nun endgültig veröden.“ Eine bessere Alternative sieht sie in einer polyzentrischen Stadt aus lebendigen Quartieren.

Hatte die Signa selbst den alteingesessenen „Laubenkönigen“ des Bozner Einzelhandels anfangs noch den Kampf angesagt (und sie dann mit sechsstelligen Ausgleichszahlungen besänftigt), schlägt der Neu-Eigentümer versöhnliche Töne an. „Ich verstehe die Befürchtungen“, sagt Christoph Schoeller. „Aber ich sehe das Angebot nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung, denn es kommen neue Marken nach Bozen, die hier noch nicht vertreten sind.“

Versöhnliche Töne

Das mag sein, doch es bleibt die Frage, ob beim Geben und Nehmen zwischen Stadt und Investor unter dem Strich eine Null steht. Das Argument, der verschwundene Park sei durch einen Dachgarten auf der Mall vollwertig ersetzt worden, überzeugt nicht. Und auch die Verlegung der Bushaltestelle weg vom Bahnhofsvorplatz ans andere Ende der Mall deutet darauf hin, dass die eine Seite ein größeres Plus verzeichnet als die andere. Bleibt zu hoffen, dass der große Brocken bei aller Fertigstellungsfreude langfristig nicht doch eine Altlast wird.

23. September 2025 Der Standard

Aus dem Wald in die Welt

Diese Woche wurde zum vierten Mal der Wienwood-Preis für Holzbau-Architektur in der Hauptstadt verliehen. Die ausgezeichneten Bauten zeigen, dass sich das Material problemlos in die Stadt einfügt.

Die Michaelerwiese in Neuwaldegg ist ein Ort, an dem man zwar nicht den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, aber doch sehr viele Bäume und sehr viel Wald. Zwar befindet man sich hier auf Wiener Gebiet, doch alles Städtische ist weit weg. Hier hat Ernst Kainmüller, ein Bauphysiker mit energetischem Charakter, am ersten Lockdown-Tag im März 2020 ein Kleingartengrundstück erworben, um ein kleines Häuschen für seine vierköpfige Familie zu bauen. Ein sehr kleines: 35 Quadratmeter Grundfläche und fünf Meter Höhe erlaubt das Kleingartengesetz.

Heute ist das Haus fertig und gut eingewohnt. Wie eine Gartenhütte sieht es allerdings nicht aus. Vier Boxen mit Pultdächern, windmühlenartig angeordnet, im Inneren ein zweigeschoßiger Raum mit einer kreisrunden Öffnung in der Mitte, drei kleine Schlafkojen unter dem Dach. Entworfen hat es der Wiener Architekt Clemens Kirsch. Er nennt es Villa Minimale, ein perfekter Titel. Andrea Palladios doppelsymmetrische Villa Rotonda in Vicenza, transferiert ins Minimundus-Format, ohne Niedlichkeit oder postmoderne Karikatur. „Ziel war es, auf minimaler Fläche ein maximales Raumerlebnis zu schaffen“, erklärt Clemens Kirsch. Das funktioniert. Man glaubt dem Haus seine Kleinheit nicht, wenn man darin steht. „Der große Raum in der Mitte verkörpert den Gedanken des Zusammenlebens.“

Discofieber am Waldrand

Bei nur 50 Quadratmeter Nutzfläche für vier Personen freiwillig zusätzliche Quadratmeter für ein Loch zu opfern – dem würde nicht jeder Bauherr zustimmen. Kainmüller überzeugte die Idee sofort, auch wenn der Grund dafür im Wald-Wiese-Singvogel-Kontext ungewöhnlich wirken mag. „Mich hat es sofort an die Lieblingsdisco meiner Jugend erinnert“, sagt er. „Dort konnte man von oben auf den Dancefloor schauen, das war super.“

Die Kombination von Kleingartenhaus als Sonderfall und Bauphysiker als Bauherr erlaubte es, sich konstruktiv von manchen mühsamen Einschränkungen zu befreien. So sind die Wände aus tragenden Holzelementen nur 20 Zentimeter dick. Das sorgt für elegante Proportionen und lässt mehr Innenraum übrig als eine Massivbauwand im Styroporpullover.

„Das Haus soll selbstverständlich, angenehm, robust und alltagstauglich sein“, sagt Architekt Kirsch. „Das Material Holz ergab sich logisch aus mehreren Gründen: Es ist ideal bei Baustellenlogistik und Transportierbarkeit, es trägt und dämmt zugleich, und es ermöglich dünne Wandaufbauten.“ Außen kam grau lasiertes Lärchenholz zum Einsatz, innen Seekiefer. Angenehme Oberflächen, die in Würde altern.

Kirsch und Kainmüller haben schon beim 2015 eröffneten städtischen Kindergarten Schukowitzgasse zusammengearbeitet, der ebenfalls Holzbau mit räumlicher Großzügigkeit kombiniert. Dafür wurde er damals mit dem Wienwood-Preis ausgezeichnet. Jetzt dürfen die beiden wieder jubeln: Die Villa Minimale ist einer der fünf Preisträger beim Wienwood 25, der vorgestern, Donnerstag, verliehen wurde.

Seit 20 Jahren gibt es diesen Award, der von Proholz Österreich in Kooperation mit der Stadt Wien und mit Unterstützung der Wiener Städtischen Versicherung ausgelobt wird. In dieser Zeit hat sich viel getan. Dank Green New Deal und EU-Taxonomie ist der Holzbau selbst in der kalten Developer-Welt ein Asset geworden, Österreichs Expertise ist weltweit gefragt. Auch landesintern ist die Holzbaukultur, früher eine USP des Bregenzerwalds, weit in den Osten vorgedrungen. Vorurteile gegen den vermeintlich bäuerlichen Baustoff hört man auch in Wien nur noch selten. Vor allem bei Bildungsbauten ist das behagliche Material atmosphärisch und pädagogisch willkommen.

Ein Beispiel dafür ist die ebenfalls mit dem Wienwood 25 ausgezeichnete Erweiterung der Rudolf-Steiner-Schule in Wien-Mauer (DTFLR Dietrich Untertrifaller Architektur und Andreas Breuss). Das zu klein gewordene Herrenhaus wurde zur Hälfte rückgebaut und wuchs gartenseitig um neue Klassenräume und eine Turnhalle auf ein Vielfaches an. Ein bergendes Dach fasst Alt und Neu zusammen, darunter begegnen sich Lehmwände und ausgefuchste Holzkonstruktion und schaffen zusammen – ganz unesoterisch – helle, freundliche Räume. Eine Kombination, die auch die Wienwood-Jury (Arno Ritter, Markus Lackner, Sylvia Polleres, Astrid Staufer) honorierte, die alle auf die Shortlist gewählten Bauten persönlich unter die Lupe nahm: „Vermehrt konnten wir erkennen, dass Holz auch in Kombination mit Lehm oder anderen alternativen Materialien verwendet wird.“

Dezent statt rustikal

Nicht nur trockene Turnhallen, auch feuchte Schwimmbäder werden mit Holz überspannt, etwa die Trainingsschwimmhalle Großfeldsiedlung (illiz Architektur), eine weitere Preisträgerin. Dabei drängt sich das Material nicht rustikal in den Vordergrund, auch die Fassade aus Holzlatten ist von ruhiger Dezenz. Hier kam das Holz nicht für einen Neubau zum Einsatz, sondern für die Sanierung mehrerer baugleicher städtischer Bäder aus den 1980er-Jahren als Teil der Bäderstrategie der Stadt Wien. Die Jury lobte die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand: „Diese Art der Transformation kann weiter Schule machen.“

Der Geschoßwohnbau tut sich aufgrund der Baukosten und der traditionell mineralisch konditionierten Bauindustrie noch etwas schwer mit dem nachwachsenden Baustoff aus dem Wald (das ambitionierte Wohnbaumprogramm der Stadt Wien laboriert daran), doch auch hier sprießt es immer öfter. Das vierte Preisträgerprojekt, das den vielsagenden Namen Woody-M trägt, setzten Bauträger Palmers Immobilien und Freimüller Söllinger Architekten mit 85 Wohnungen im Lärchenholzgewand ins baukulturell bislang eher dürre Zentral-Meidling. Auch die Brandschutzvorschriften sind, wie man hier sieht, inzwischen kein großes Hindernis mehr.

Einen Sonderpreis gab es für das kollektive Wohngewerbeprojekt SchloR (Schöner leben ohne Rendite) von Gabu Heindl, welches eine weitere Seite des Materials in Spiel bringt: seine leichte Handhabbarkeit, die auch Laien zu Konstrukteuren werden lässt. Selbstbau als Empowerment. Zwar wird Wien, wie selbst Holzbaufanatiker zugeben, auch in weiteren 20 Jahren nicht komplett aus Wood bestehen, aber eine Bereicherung der Stadtlandschaft ist es heute schon.

13. September 2025 Der Standard

Angriff auf Metropolis

Los Angeles, Washington, Chicago: Ein Regime attackiert seine Städte. Nicht zum ersten Mal wird hier die Großstadt an sich als Feindbild inszeniert. Eine Geschichte des Anti-Urbanismus von Babylon bis Wien.

Um Punkt 17.17 Uhr am 13. Mai 1985 positionierte Frank Powell, Leiter der Bomb Squad der Polizei Philadelphia, seinen Hubschrauber über der Adresse 6221 Osage Avenue und drückte auf den Knopf. Sekunden später detonierte sein C-4-Sprengsatz – eine Bauart, die auch in Vietnam zum Einsatz kam – in jenem Haus, in dem sich Mitglieder der Move-Bewegung verschanzt hatten. Sie hatten sich einer Mission verschrieben, die schwarzen Befreiungskampf mit Fundamentalökologie kombinierte, kurz zuvor hatten sie sich ein Feuergefecht mit der Polizei geliefert. Am nächsten Morgen waren elf Menschen in den Flammen umgekommen, darunter fünf Kinder. 250 Nachbarinnen und Nachbarn verloren ihr Zuhause. Es war das erste Mal, dass die USA Bomben gegen Bürger im eigenen Land einsetzte.

Selbst in den USA geriet die Geschichte des „Move bombing“ weitgehend in Vergessenheit, doch einige werden sich dieser Tage an die Bilder von bewaffneten Uniformierten vor rauchenden Silhouetten erinnern. Im Juni rollten Panzer durch Los Angeles, im August schickte das Trump-Regime die Nationalgardisten nach Washington, vor einer Woche drohte der Präsident der Stadt Chicago in einem auf Apocalypse Now verweisenden Meme mit der „Chipocalypse“. Das war, so schrieb die L.A. Times, eine Kriegserklärung eines amerikanischen Präsidenten an eine amerikanische Stadt.

Der Vorwand, es gehe um Kriminalitätsbekämpfung, ist fadenscheinig. Die US-Hochburgen der Mordfälle sind New Orleans, Memphis und Saint Louis. Doch deren Bundesstaaten werden von Republikanern regiert. 38 der 50 größten Städte der USA sind in demokratischer Hand, alle bisher von Trump ins Visier genommenen Städte haben schwarze Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Klar ist: „Großstadt“ wird hier als Chiffre für Botschaften verwendet, die man praktischerweise gar nicht klar aussprechen muss. Sie werden auch so verstanden.

Frage der Wahrnehmung

Es ist nicht das erste Mal, dass der Gegensatz von Stadt und Land instrumentalisiert wird, und nicht zum ersten Mal übertrumpft das Vorurteil die Realität. „Das Verhältnis der Amerikaner zu ihren Städten war schon immer widersprüchlich“, sagt Frank Eckardt, Professor für Stadtsoziologie an der Bauhaus-Universität Weimar im Gespräch mit dem ΔTANDARD. „Der Gegensatz von Stadt und Land ist meist eine Frage der Wahrnehmung. Texas versteht sich als ländlich, aber hier fand das größte Stadtwachstum der letzten Jahrzehnte statt.“

Bemerkenswert sei, so Eckardt, dass die MAGA-Republikaner kein positives Gegenbild zum vermeintlichen Verbrechens-Moloch Großstadt mehr brauchen. „Früher prägte die Kleinstadt-Community mit ihrer Main Street das konservative Idealbild der USA, heute nicht mehr.“ Doch ebenso wenig sei man interessiert daran, den ländlichen Raum zu stärken. „Die großen Infrastruktur-Programme unter Biden wären dem Land zugutegekommen, aber solche Projekte brauchen Zeit, bis man die positiven Wirkungen sieht. Daher spüren die Menschen diese Kürzungen noch nicht. Heute dominiert das Elon-Musk-Mindset des institutionellen Abholzens. Der Staat soll sich heraushalten.“ Wie fast überall auf der Welt dominiert bei den Konservativen inzwischen die Freude an der Destruktion.

Doch nicht nur in den USA wird die Großstadt als Feindbild inszeniert, und der dank Digitalisierung vermeintlich in einer sorglosen Laptop-Lederhosen-Harmonie aufgegangene Gegensatz zum Ländlichen weigert sich beharrlich zu verschwinden. In England zeigt das Brexit-Abstimmungsverhalten in der Stadt und auf dem Land deutliche Unterschiede, in Polen sind das städtisch-liberal-westliche „Polska A“ und das ländlichkatholisch-östliche „Polska B“ feste Begriffe geworden.

Auch in Österreich werden Vorurteile gegen die Hauptstadt immer wieder gerne abgerufen. 1996 titelte die FPÖ „Wien darf nicht Chicago werden“, heute wird eine der sichersten Metropolen Europas mit wohligem Schauer als Messerstecher-Abgrund tituliert, als wäre sie steingewordener True-Crime-Podcast. Das PR-Team von Sebastian Kurz tauschte im Wahlkampf 2017 dessen Meidlinger Identität gegen die eines echten Landburschen, mit Wien als Antipode einer österreichischen Traktor-Skilift-Gipfelkreuz-Identität. Sein in Perchtoldsdorf beheimateter Parteikollege Karl Mahrer, offensichtlich vom Konzept „Großstadt“ überfordert, erzählte 2023 in vieldiskutierten Videos Haarsträubendes über den Wiener Brunnenmarkt.

Hass, Liebe, Hassliebe

Von der biblischen „Hure Babylon“ bis zu Fritz Langs pathossattem Film Metropolis ist Menschheitsgeschichte von Hass, Liebe und Hassliebe zur Stadt geprägt – auch die Architektur. Die um 1900 aufkommende Gartenstadt-Bewegung floh vor dem Schmutz des Industriezeitalters in wohlgeordnete Agrar-Kommunen. Le Corbusier verabscheute die engen Straßen gewachsener Stadtkerne, sein Gegenmodell der Cité Radieuse war zwar alles andere als ländlich, doch klinisch rein und bis ins Detail kontrolliert.

Der deutsche Wissenschafter Bodo Kahmann verweist darauf, dass der Anti-Urbanismus der Neuzeit Hand in Hand mit dem Antisemitismus ging, allen voran im Deutschland des Kaiserreichs und der Nazizeit: „Die Sphäre des Großstädtischen wurde im völkischen Denken im Gegensatz zum Land- und Bauernleben mit den Juden und Jüdinnen identifiziert. Antisemiten entwickeln um den Gedanken eine Obsession, dass die modernen Großstädte einem lustbesetzten Nichtstun Vorschub leisten, worin nicht weniger als die Negation der Opferbereitschaft für die Volksgemeinschaft gesehen wird.“

Heute, so Kahmann, findet sich diese Feindschaft zur Stadt als Ort freigeistiger Ausschweifung im radikalen Islam. Dessen Rechtfertigung für den Pariser Terroranschlag 2015 war, dass jene Stadt „die Hauptstadt der Prostitution und des Lasters“ sei. Ob diesem Hass auf die Freiheiten der Stadtluft auch eine große Portion heimliches Begehren innewohnt, ist eine Frage für die Psychologie.

Wie der Kampf um Chicago ausgehen wird und mit welchen Waffen er ausgefochten wird, werden die kommenden Wochen zeigen. Es wird nicht der letzte Angriff auf Metropolis sein.

26. Juli 2025 Der Standard

Mit den Gezeiten gehen

Rotterdam ist geprägt vom Wasser, doch bisher war dieses fast ausschließlich für Hafen und Industrie reserviert. Jetzt will die Stadt die harten Uferkanten aufweichen und das Wasser zum öffentlichen Raum machen.

Es gibt immer wieder Fragen im Leben, die stellt man sich zum allerersten Mal. Zum Beispiel: Werden Kühe eigentlich seekrank? Man stellt sie sich dann, wenn man die Rampe zur Floating Farm im Rotterdamer Merwehaven hinaufsteigt. Ein etwa quadratisches Floß, auf dessen Oberdeck 40 Kühe gemütlich Heu jausnen. Im Hintergrund Lagerhallen, Kräne, ein Kreuzfahrtschiff. Die Kühe haben viel Frischluft und Tageslicht – aber auch leicht schwankenden Boden unter den Hufen.

Die Frage, ob den Kühen eh nicht schlecht wird, musste auch Minke van Wingerden beantworten, um die Genehmigung für ihren schwimmenden Bauernhof zu bekommen. „Wir haben die Forscher der Universität Utrecht gefragt, und die meinten: kompliziert!“ Der Nachweis gelang, grünes Licht für die Farm. Diese schwimmt nicht aus Spaß im Hafen, sondern als ernsthaftes Pionierprojekt. „Wir wollen die Nahrungsmittelproduktion näher zur Stadt bringen und den Bewohnern zeigen, wie die Produkte entstehen“, sagt van Wingerden. Dabei setzt man komplett auf Kreislaufwirtschaft: Futter kommt aus der Maische einer Brauerei, deren Biere im Gegenzug im Shop verkauft werden. Aus dem Kuhmist wird Düngemittel, auch an einer Verwertung als Baumaterial wird gemeinsam mit Universitäten geforscht. Käse, Joghurt und Butter gibt es jetzt schon.

Diese pragmatische Lust am Einfach-Machen ist typisch für die calvinistischen Niederlande. Auch das Bild der Natur als etwas Künstliches und Planbares prägt die Mentalität des Landes, das sein Selbstverständnis in der Verteidigung gegen die Fluten gründete. Wasser war mehr Feind als Freund. In Rotterdam, dessen Mündungsdelta erst 1872 mit dem Anlegen des Nieuwe Waterweg gezähmt wurde, heißt Wasser: Logistik und Tonnagen, Kräne und Container.

Tidenhub als Erlebnis

Doch das ändert sich. Zum Beispiel im Keilehaven, einen Kilometer von der Floating Farm entfernt. Dessen Hafenbecken wurde von den Stadt- und Landschaftsplanern von De Urbanisten in einen Gezeitenpark verwandelt, die senkrechte Kaimauer wurde zur flachen Terrassenlandschaft. „Seit über einem Jahrhundert war die natürliche Landschaft aus der Stadt verbannt“, sagt Urbanisten-Gründer Dirk van Peijpe, der auf der obersten Terrasse steht. „Die Leute haben vergessen, dass der Fluss überhaupt Gezeiten hat, weil man gar nicht an ihn herankommt. Der Park macht das Wasser wieder erlebbar und bringt mehr Lebensqualität in die Stadt.“ Dank des Tidenhubs von 1,7 Metern ist der Park in permanenter Veränderung begriffen, neue Pflanzen wurden zentimetergenau für die jeweilige Seehöhe ausgewählt.

Dieses Aufweichen der harten Kante ist kein Einzelfall, sondern Teil eines Masterplans, an dem die Stadtverwaltung, die Wasser- und Hafenbehörden und mehrere Umweltorganisationen beteiligt sind. 2024 beschloss der Stadtrat den „Wateratlas“, der den Stadtplan und die Stadtwahrnehmung komplett umstülpt und die Wasserflächen als öffentlichen Raum für Erholung und Freizeit neu definiert.

„Der Hafen ist über die Jahrzehnte immer weiter Richtung Nordsee gewandert“, sagt Pieter de Greef, Planer bei der Stadtverwaltung und Miterfinder des Wateratlas. Schon in den 1990er-Jahren wagte Rotterdam den „Sprung übers Wasser“ und erschloss den Süden der Stadt am anderen Ufer der Maas. Seitdem hat sich das früher ärmliche Gegenüber zu einem hochverdichteten Konzentrat aus Wolkenkratzern, Museen und Restaurants gewandelt. „Es ist unübersehbar, dass der Fluss jetzt tatsächlich die Mitte der Stadt bildet“, sagt de Greef. Hinzu kam das rapide Wachstum der Metropole, deren Image sich von spröder Ruppigkeit zum begehrten und auf allen Verkehrsträgern bestens vernetzten Wohnort gewandelt hat.

„Eine wachsende Stadt braucht Freiräume, und diese werden immer knapper“, sagt der Stadtplaner. „Unsere einzige Möglichkeit, neue Freiflächen hinzuzufügen, ist das Wasser. Also fragten wir uns: Warum machen wir Fluss und Hafenbecken nicht zu einem Ort, an dem man die Gezeiten erleben kann? Wenn wir jene Teile des Hafens vernetzen, die für Industrie nicht mehr gebraucht werden, kann das in der Zukunft ein richtiger Central Park werden.“ Dass eine der wichtigsten Wasserstraßen des Kontinents nicht komplett zur niedlichen Freizeitoase werden kann, ist natürlich klar. „Die Verkehrsachse der Binnenschifffahrt wird immer bestehen, und das prägt auch die Identität.“

Kino im Grätzelhafen

Neben den Gezeitenparks lanciert der Wasseratlas noch eine Fülle weiterer Ideen. Der Stadtstrand am Rijnhaven ist bereits in Arbeit, hier soll man spätestens 2028 –falls die Wasserqualität mitmacht – zwischen Metrostation und Hochhaus-Skyline in den Wellen planschen können. An den stilleren Verästelungen des Hafenlabyrinths entstehen sogenannte „Buurthavens“, was sich auf Wienerisch wohl mit Grätzelhafen übersetzen ließe. Hier können schwimmende Kinos, Theater oder Pools vor Anker gehen.

Neue Freiflächen – das weckt natürlich neue Begehrlichkeiten bei Developern. Doch hier schiebt der Wateratlas klugerweise schon den Riegel vor. Eine Privatisierung des Wassers, etwa durch schwimmende Luxusvillen, wird von vornherein ausgeschlossen, nur temporäre Nutzungen sind erlaubt. Der öffentliche Raum soll öffentlich bleiben. Dass man auch mit temporären Nutzungen gut Geld verdienen kann, muss bei den kaufmännisch gesinnten Niederländern nicht extra dazugesagt werden.

Um jetzt schon zu spüren, wie der Wateratlas das Bild der Stadt verändern kann, fährt man am besten ein Stück maasaufwärts nach Brienenoord Eiland. Diese 1400 Meter lange Flussinsel in unwirtlichem Umfeld hinter dem Stadion von Feyenoord Rotterdam war in Vergessenheit geraten und kaum zugänglich. Heute herrscht hier Naturromantik mit Schilf und Sandbank, neue Brücken wurden angelegt, zottelige Schottische Hochlandrinder stapfen durchs Gebüsch. An der Landspitze ragen Rohre aus Cortenstahl aus dem Boden – einer der „Maas Points“, einer Reihe von fünf neuen Erlebnispunkten am Fluss, entworfen von Next Architects. Vom Aussichtsbalkon dazwischen geht der Blick übers Wasser Richtung Skyline. Schon ein bisschen Central Park.

Compliance-Hinweis: Die Reise nach Rotterdam erfolgte auf Einladung von Rotterdam Partners.

28. Juni 2025 Der Standard

Abschied von der Zementmoderne

Diese Woche wurde der Österreichische Betonpreis 2025 verliehen. Die dahinterstehende Industrie versucht so, das Image des Baumaterials als CO₂-Schleuder zu korrigieren. Doch manche Architekten fordern einen deutlichen Schlussstrich.

Zwischen zwei Büchern ereilte den britischen Architekturhistoriker Barnabas Calder eine Art Epiphanie. Mit Raw Concrete: The Beauty of Brutalism hatte er 2016 als einer von vielen die Wiederentdeckung des gleichnamigen Baustils der 1960er- und 1970er-Jahre gefeiert, jener Ära der wie von Bildhauerhänden mit rauem Beton geformten Gebäudeskulpturen. Doch schon mit seinem nächsten Buch leistete Calder Abbitte für seine Betonverherrlichung. Es hieß Architecture: From Prehistory to Climate Emergency, und die Schönheit im Titel war einem Notstand gewichen. Was war passiert?

Passiert war die Erkenntnis, dass ein Großteil der modernen Architekturproduktion – der massige Brutalismus, Zaha Hadids tonnenschwer wirbelnde Glas-Beton-Wolken, die Wohnmaschinen von Le Corbusier, die mit Klimaanlagen vollgestopften verspiegelten Türme von Dubai und die ganze Alltagsarchitektur dazwischen – in ihrem enormen Ausmaß nur durch die Ausbeutung fossiler Brennstoffe möglich war. An die Stelle von „ Form follows function“, dem Mantra der Moderne, setzte Calder das Motto „Form follows fuel“ und zeigte, wie die Industrielle Revolution das Energiegleichgewicht der Architektur, die Balance des Hier-etwas-Wegnehmens und Dort-etwas-Aufbauens, komplett zerstörte. „Viktorianische Neogotik, brutalistische Wohntürme oder Norman Fosters Bürobauten, sie alle gehören zur selben Architekturgattung: dem „fossil fuelism““, konstatiert Calder. „Und davon müssen wir so schnell wie möglich weg.“

Sehnsuchtsort Schweiz

Der Beton gilt vielen heute als der Hauptsünder des „fossil fuelism“, und das nicht zu Unrecht. Sechs bis acht Prozent der menschengemachten CO₂-Emissionen weltweit gehen auf das Konto von Zement – etwa dreimal so viel, wie der gesamte Flugverkehr produziert. Verantwortlich dafür ist insbesondere die energieaufwendige Sinterung der Rohstoffe bei der Zementherstellung. Der Schweizer Architekturforscher Kim Förster, der sich seit langem mit der Geschichte des Zements beschäftigt, konstatiert eine rapide Beschleunigung des Materialverbrauchs in der Konsumgesellschaft der 1950er-Jahre.

„In der Nachkriegszeit vermischen sich zwei soziokulturelle Dominanten: die der Petromoderne beziehungsweise Petrokultur und die der Zementmoderne beziehungsweise Zementkultur“, schreibt er. Auch in der Schweiz, bislang der Sehnsuchtsort für die Architekturwelt, wenn es um fugenlos ästhetische Betonoberflächen ging, braucht man heute gute Argumente für die Verwendung dieses Materials.

Um gute Argumente bemüht sich auch die Beton- und Zementindustrie, die sich heute in einer Art Rückzugsgefechtssituation wiederfindet und mit Werbe- und Informationskampagnen gegenzusteuern versucht. „Eine Welt ohne Beton ist eine Welt ohne nachhaltigen Wohnbau“ lautet ein in Wien von Beton Dialog Österreich (BDÖ), der Interessengemeinschaft der Zement-, Betonfertigteil- und Transportbetonhersteller, plakatierter Slogan, dazu fliegen in einer Animation zementlose Gebäudeteile hilflos und haltlos herum. Es klingt ein bisschen drohend und ein bisschen flehend.

Ein weiterer Bestandteil dieser Imageverbesserung ist der Österreichische Betonpreis, der diese Woche zum zweiten Mal vom BDÖ verliehen wurde. „Die Fülle und die Vielfalt der teilnehmenden Projekte zeigt, welche Innovationskraft in dem Baustoff steckt. Die ausgezeichneten Bauwerke sind Leuchtturmprojekte, die uns den Weg zum nachhaltigen Bauen der Zukunft aufzeigen“, so BDÖ-Vorstand Christoph Ressler. „Im Mittelpunkt standen für uns die Kriterien, die auch bei der Ausschreibung des Österreichischen Betonpreises gefordert waren: Nachhaltigkeit, Funktionalität, Ausführungsleistung, Kreislauffähigkeit, Ressourcenschonung, Innovation und Design“, sagt Architektin und Juryvorsitzende Anja Fischer.

Unerträgliche Verantwortung

In drei Kategorien wurden Siegerprojekte gekürt. In der Kategorie Wohnbau das Campo Breitenlee in Wien-Donaustadt von Treberspurg & Partner und Synn Architekten, wo die Speichermasse des Betons zum energieeffizienten Heizen und Kühlen verwendet wird. In der Kategorie Bildungs- und Verwaltungsbauten gewann das Future Art Lab der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Pichler & Traupmann Architekten), wo das Material für Schallisolierung und als Gestaltungselement punktet, und in der zunehmend wichtigen Kategorie Revitalisierung das Kulturzentrum Mattersburg (Holodeck Architects), eine Ikone des Burgenland-Brutalismus, deren nach dem Teilabriss verbliebene Reste sorgfältig saniert wurden und heute wieder in frischer Rohheit glänzen.

Die Argumente für das massive Material sind nicht aus der Luft gegriffen. Wie die derzeit im Wien-Museum gezeigte Ausstellung über Eisenbetonbauten um 1900 zeigt, kann diese Konstruktionsweise in der Tat sehr langlebig sein, und U-Bahn-Tunnel wird man in der Tat auch in Zukunft eher nicht aus Holz bauen. Dennoch gibt es auch in Österreich Architekten, die den Abschied von der Zementmoderne vollziehen. Einer davon ist Markus Zilker von einszueins Architekten aus Wien, die sich vor allem mit Baugruppenprojekten wie Gleis 21 einen Namen gemacht haben. Die Verantwortung für viele Tonnen CO₂-Emissionen habe ihm die Besuche auf der letzten Stahlbetonbaustelle, dem vielgelobten Wohn-Gewerbe-Baugruppenprojekt Hauswirtschaft im Nordbahnhofviertel, fast unerträglich gemacht, sagt er.

„Natürlich wird es nie eine Welt ohne Beton geben, und der Baustoff hat auch für mich ästhetische Qualitäten. Aber wenn man sich mit der Klimakrise und der Rolle der Bauwirtschaft auseinandersetzt, realisiert man: So geht es nicht weiter“, sagt Zilker. „Energieeffizienz und Langlebigkeit sind schön und gut, aber wir müssen die Emissionen jetzt sofort reduzieren, nicht in Jahrzehnten. Solange wir unsere Häuser in Stahlbeton bauen, haben wir keine Chance, klimaneutral zu werden, und der Kühleffekt der Speichermasse ist in den heutigen Hitzesommern nicht mehr wirksam.“ Die zahlreichen Forschungsprojekte zu Ökobeton seien zwar zu begrüßen, aber stellten das Business as usual der Zementproduktion nicht infrage. „Außerdem ist Stahlbeton immer noch zu billig, weil die Gesellschaft die Umweltfolgekosten von Herstellung, Transport, Bau und Entsorgung trägt.“ Die Bauwirtschaft ist ein langsamer Supertanker. Diesen zur Vollbremsung zu zwingen wird kaum möglich sein, aber für eine Bauwende hin zur Klimaneutralität braucht es mehr als sanfte Kurskorrekturen.

14. Juni 2025 Der Standard

Naturjodeln im Kanton Isfahan

Das Klanghaus Toggenburg in der Ostschweiz ist ein Gebäude wie kein anderes. Ein Tempel der lokalen Musikkultur, der gebaut ist wie ein Instrument. Das Material Holz wurde dabei konstruktiv an seine Grenzen gebracht.

Mit schweizerischer Pünktlichkeit beginnt der Jodelklub Waldstatt Echo seinen Gesang. Mehrstimmig schallt es in den großen Raum, die Bergkulisse lugt durch die Fensterfront. Den Jodelklub gibt es seit über 75 Jahren, den Raum, in dem er gerade singt, erst seit heute. Es ist der Beginn eines zwölfstündigen Musikmarathons, es folgen unter anderem: Alphorn, Streichquintett, mehrere Orchester, ein Obertonchor, zwei Clowns. Zwischendurch klingeln Kuhglocken draußen auf der Wiese.

Rund 5000 Besucherinnen und Besucher stiegen an diesem Maiwochenende einen Berg in der Ostschweiz hinauf, wie Pilger versammelten sie sich vor einem Gebäude, das auf den ersten Blick, und auch auf den zweiten und alle folgenden Blicke, in keine Typologie passen will: das Klanghaus Toggenburg. Der Grundriss eine Art Ypsilon mit konkaven Schwüngen, drei große Glasfronten zum Berg und zum Tal. Es liegt passgenau eingebettet in eine sanfte Senke zwischen dem kleinen Schwendisee und dem Hang ins Tal, von gegenüber grüßt der Säntis. Die alpine Tourismusbranche bemüht allzu gern den Kitschbegriff vom „Kraftort“, aber hier scheint er ganz unesoterisch angemessen. Alles greift harmonisch ineinander.

Im feierlichen Hochamt der Klanghaus-Eröffnung kulminiert eine lange und sehr schweizerische Geschichte. Das Toggenburg, die Gegend im Süden des Kanton St. Gallen unweit der österreichischen Grenze, ist bekannt für ihr Musikkultur, allen voran die Naturjodler. Es ist jedoch auch eine Abwanderungsregion. Ein Abwanderer kehrte vor langer Zeit zurück: Peter Roth, der in Zürich Musik studierte und dann hier als Chorleiter arbeitete. Er hatte die Idee, der Heimat etwas zurückzugeben, und erwarb das heruntergekommene Naturfreundehaus Seegütli in Aussichtslage auf 1200 Meter Seehöhe. Der ideale Ort für seine Idee eines Klanghauses, das die Musikkultur bündeln würde – und praktisch der einzig mögliche, denn hier im Naturschutzgebiet wäre ein Neubau auf der grünen Wiese nie genehmigt worden. Peter Zumthor wurde kontaktiert, aus dem Architekturwettbewerb zog er sich jedoch zurück, jener wurde gewonnen von Marcel Meili (Meili Peter Architekten) aus Zürich.

Begehbare Echokammer

Der Wunsch aller Beteiligten: kein abgeschlossener Konzertsaal für ehrfürchtige Frontaldarbietungen, sondern eine Art XL-Stube für Einheimische und Gäste. Ein Gebäude wie ein begehbares Instrument. Eine Echokammer, von der aus man Richtung Felswand jodeln kann und die das Echo dann wieder perfekt einfängt. Als Baustoff wählte Marcel Meili Holz, das „Material des Tales“, aus dem Haus- und Instrumentenbau vertraut. Doch das Klanghaus ist ein Bau, der nicht nach den Regeln der Holzkonstruktion arbeitet, die sich rechte Winkel und Regelmäßigkeit wünscht, sondern nach der Maßgabe der Akustik: Resonanzräume, gefasst mit Wänden, die mal in sanften Schwüngen, mal in spitzen Winkeln verlaufen. Die konkaven Außenräume dienen als Freilichtbühnen für den Klang der Natur, im Inneren gruppieren sich drei kleinere Musikräume um einen großen Saal in der Mitte.

Zwei raumhohe Tore teilen ihn in zwei Teile, ihre Oberflächen mit Mandala-artigen Ornamenten perforiert. Eine Idee von Marcel Meili, angeregt inspiriert durch den Aali-Qapu-Palast in Isfahan aus dem 16. Jahrhundert mit seinen zart ins Holz gesägten Instrumentensilhouetten. Dahinter schwingen Klangscheiben aus Bronzeblech, einer Erfindung des Klangkünstlers Andres Bosshard, der ebenso wie Christian Zehnder, Musiker und bis zur Eröffnung künstlerische Leiter des Klanghauses, das Konzept gemeinsam mit den Architekten entwickelte.

Doch zuerst sah es so aus, als sollte das Echo ungehört verhallen. Eine Volksabstimmung zum Bau scheiterte 2015 an vier Stimmen. Die Kosten schienen vielen zu hoch, und schließlich musiziert man im Toggenburg ja zu Hause und im Wirtshaus. Mit zusätzlichen Spenden und reduziertem Budget versuchte man es wieder, 2019 gab eine zweite Volksabstimmung grünes Licht. Marcel Meili, der kurz zuvor verstarb, erlebte den Erfolg nicht mehr, Planung und Bau wurden von den Zürcher Partnerarchitekten Staufer&Hasler in seinem Sinne weitergeführt.

Mehrklang statt Eindeutigkeit

Ein Wesenskern des Hauses sei das Prinzip der visuellen Akustik, erklärt Architektin Astrid Staufer, Professorin für Hochbau an der TU Wien. „Ein Zeichen für die Augen, dass man die Ohren öffnen soll. Eine Architektur, die Klang evoziert und der Dominanz des Visuellen etwas entgegensetzt.“ Daher die Schallwellen in den Holzschindeln, daher die Anklänge an den Instrumentenbau. Zu plakativ durfte es allerdings nicht werden, denn, so Staufer: „Kommt so viel Sinnlichkeit zusammen, bewegt man sich architektonisch schnell am Abgrund zum Kitsch.“ Raumerlebnisse sollten sich daher nicht episodisch hintereinander, sondern gleichzeitig ereignen.

Harmonischer und bisweilen auch dissonanter Mehrklang statt Eindeutigkeit also. Das beantwortet auch die Frage: Was hat nun eigentlich Isfahan in der Ostschweiz zu suchen? „Es geht beim Klanghaus immer um einen Kulturtransfer, um Belebung statt Erstarrung“, so Staufer. „Die Volksmusik hier wurde immer schon von außen befruchtet, es kamen neue Instrumente hinzu, und das Hackbrett stammt ursprünglich tatsächlich aus Persien.“ Ebenso wie beim Instrumentenbau war hier höchste Handwerkskunst auch in der Architektur gefordert, denn für die konstruktive Umsetzung der von der Akustik diktierten Form gab es keine Präzedenzfälle – und manches, wie zwei spitz zulaufende Wände aus Holzschindeln, lief auch der Logik des Materials entgegen. „Vieles haben wir dann gemeinsam vor Ort gelöst, und es freut mich, dass wir Marcel Meilis Idee mit neuen Ideen im Detail so umsetzen konnten, wie er es sich gewünscht hätte.“

Ob die Akustik auch wirklich exakt so funktioniert, wie man sie in zehn Jahren Arbeit ausgetüftelt hatte, ließ sich allerdings wirklich erst bei der Eröffnung nachprüfen. Die strahlenden Gesichter des Jodelklubs Waldstatt Echo legten nahe, dass man mit der Nachhallzeit, dem Echo und auch mit den dezenten persischen Untertönen sehr zufrieden war.

31. Mai 2025 Der Standard

Zahmer Tornado

Das neu eröffnete Museum Fenix in Rotterdam präsentiert das Thema Migration als kulturelles Kontinuum. Architektonisch bleibt es trotz seiner wilden silbernen Turmfrisur eher am Boden.

Wie ein verchromtes Nudelnest sitzt ein Knäuel aus silbernen Spiralen auf dem Dach des langgestreckten Betonbaus am Ufer des Rotterdamer Rijnhavens. Wie ein Museum sieht diese Kombination auf den ersten Blick nicht aus. Die ersten Assoziationen gehen eher in Richtung Aquapark-Fun-Oase. „Ich wurde schon mehrmals gefragt, ob das ein Schwimmbad sei“, sagt Ma Yansong. Der chinesische Architekt sitzt im weiten Inneren des Baues, hinter ihm wirbeln die verspiegelten Stiegen und Rampen bodenwärts. „Das ist es zwar nicht, aber ein gewisser Fun-Aspekt ist schon beabsichtigt.“

Dabei ist der sogenannte „Tornado“, der sich in das 300 Meter lange, 1923 von Architekt Cornelis Nicolaas van Goor errichtete Lagerhaus hineinschraubt, eine seriöse Angelegenheit: Ein Museum für Migration, genannt Fenix, das vor zwei Wochen unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit von Königin Maxima höchstpersönlich eröffnet wurde. Der Ort könnte nicht passender sein: Direkt gegenüber, an einer Landspitze mit Blick nach Westen, verließen im 19. und 20. Jahrhundert zahllose Schiffe mit Auswanderern am sogenannten Pier der Tränen Europa in Richtung der USA. Ein Ort von Hoffnung, Abschied und Neubeginn, von Brüchen in Biografien.

Dass es sich bei Migration nicht um einen problembelasteten Ausnahmefall, sondern um eine Konstante der Menschheitsgeschichte handelt, kann nicht oft genug gesagt werden, und es wurde bei der Eröffnung des Fenix auch mehrmals gesagt. „Jede Familie hat eine Migrationsgeschichte zu erzählen“, betont Museumsdirektorin Anne Kremers. „Migration ist zeitlos, universell und persönlich.“

Museen haben sich immer wieder des Themas angenommen (in Wien etwa das Wien-Museum und das Musmig-Museum für Migration). Rotterdam, der Hafen Europas, ist der ideale Ort, um diese Geschichten zu erzählen. Im Süden der Stadt, der direkt hinter dem Museum, im alten Hafenarbeiterviertel Katendrecht, beginnt, leben viele Bürger mit Migrationshintergrund und mit dem in Marokko geborenen Ahmed Aboutaleb, der von 2009 bis 2024 amtierte, hatte die Stadt als erste in Europa einen muslimischen Bürgermeister.

Kein historisches Museum

Das Fenix ist jedoch kein historisches Museum, sondern erzählt Geschichte mit den Mitteln der Kunst. Die Fotoausstellung The family of migrants schlägt den Bogen über Jahrzehnte und Kontinente, die Hauptausstellung All Directions zeigt einen Teil der Berliner Mauer, den Reisepass eines Staatenlosen und Werke zeitgenössischer Künstlerinnen, die sich mit Flucht- und Wanderbewegungen auseinandersetzen, manche freiwillig, andere nicht.

Sie alle bekommen in den hohen, weiten Räumen des mit großem Aufwand renovierten Lagerhauses viel Platz und viel Licht. Große Geste beschränkte Ma Yansong auf das spektakuläre Stiegenhaus, ansonsten konzentrierte sich der Architekt auf den Erhalt des Bestands. Dieser eignet sich mit seinen enormen Raumdimensionen zwar als Ausstellungsraum, doch bleibt zwischen den Objekten immer noch so viel Luft übrig, dass sie isoliert für sich stehen und der gemeinsame Kontext in der Leere der Zwischenräume etwas verloren geht.

So viel Leere an einer solchen Prime-Location muss man sich leisten können, und gespart werden musste hier nicht. Hinter dem Museumsprojekt steckt die philantropische Stiftung Droom en Daad („Traum und Tat“) der milliardenschweren Familie Van der Vorm, die ihr Geld mit der berühmten transatlantischen Schifffahrtslinie Holland Amerika Lijn verdiente. Seit einigen Jahren kauft sich Droom en Daad massiv in die Rotterdamer Kulturlandschaft ein, was vor Ort auch kritisch gesehen wird. Sie investierte 80 Millionen in die Sanierung des Rotterdamer Kulturflaggschiffs Museum Boijmans van Beuningen und rettete das darbende Fotografiemuseum, ein Tanz-Zentrum soll folgen. Man kann schlimmere Dinge mit Geld anstellen, aber ohne erwartete Gegenleistungen wird in den kaufmännisch gesinnten Niederlanden nicht gehandelt.

Ist ein Museum für Migration heute, da sich in den Niederlanden rechte Parteien im Aufschwung befinden, ein politisches Statement? Nein, das sei nicht das Ziel, winkt Wim Pijbes, früherer Leiter des Amsterdamer Rijksmuseums und jetzt Direktor von Droom en Daad, diplomatisch ab. Damit ist das Thema Politik für ihn abgehakt, viel mag er über das schöne Gebäude reden und über seine Idee, deren Weg zur Umsetzung so glatt verlief wie die verspiegelten Stiegen. „Im Februar 2017 stand ich vor diesem Gebäude und wusste: der perfekte Standort für das Museum.“ Fehlte nur noch der perfekte Architekt.

Migration ist Bewegung

Nun hat Rotterdam mit Rem Koolhaas, MVRDV und anderen eine überdurchschnittliche Dichte an exzellenten Architekturteams, doch die kamen nicht zum Zuge. Einen Architekturwettbewerb sparte sich die Privatstiftung. „Bei einem Symposium hörte ich einen Vortrag von Ma Yansong und wusste, er ist der Richtige,“ erinnert sich Pijbes. Also wurde der Architekt nach Rotterdam eingeladen, die Bausubstanz besichtigt. „Nach einer langen Pause sagte Yansong zu mir: Beim Thema Migration geht es vor allem um Bewegung. Ich war begeistert!“

Warum ein Architekt aus China eingeflogen werden muss, um diesen zwar korrekten, aber nicht außerordentlich originellen Satz zu äußern, weiß nur Pijbes selbst, aber die Wahl ist keine schlechte. Ma Yansong, der 2004 das Büro MAD Architects gründete, stieg schnell in die Liga der staatstragenden Museumsarchitekten auf, heute mit Standorten in Peking, Rom und Los Angeles. Sein Stiegentornado, in dem sich mehrere Wege von unten nach oben überschneiden und kreuzen, inszeniert die Metapher von Migration als Serie von Begegnungen mit angemessener Leichtigkeit.

Und doch bleibt am Schluss der Eindruck einer luftigen Leere, die nicht anecken, nicht provozieren will. Bis man das Fenix auf der Rückseite verlässt und mitten im vitalen Viertel Katendrecht steht und unvermittelt in eine marokkanische Hochzeitsgesellschaft gerät. Hupende Karossen mit aufheulenden Motoren, winkende Hände, applaudierende Passanten, ein Mädchen mit wehenden Haaren im offenen Schiebedach. Die Euphorie der Bewegung, ganz ohne geschmackvoll kuratierte Gebremstheit.

Compliance-Hinweis: Die Reise nach Rotterdam erfolgte auf Einladung von Rotterdam Partners.

17. Mai 2025 Der Standard

Wind und Sonne, Licht und Schatten

Der Neubau für einen Windkraftanlagen-Betreiber in Niederösterreich glänzt mit klimagerechter Architektur. Sein Erweiterungsbau auch. Dabei geraten zwei Vorstellungen des ökologischen Bauens in Kollision miteinander.

Zeichnet man die Geschichte der ökologischen Architektur nach, wird man eher nicht zum Lineal greifen, sondern eine schwungvolle Sinuskurve beschreiben. Das klimabewusste Bauen rückte immer wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit, um danach vergessen zu werden. In der fossil befeuerten Fortschrittseuphorie der Nachkriegsjahre war es, abgesehen von Buckminster Fullers futuristischen Biosphärenkuppeln, kaum existent.

Nach den Warnrufen des Club of Rome 1972 und der Ölkrise 1973 tauchte es wieder auf: in Form von Ökodörfern auf dem Land, vor dem Abrissbagger bewahrten Altstädten und technoider Solararchitektur. In der neoliberalen Ära der lustvollen Verschwendung um die Jahrtausendwende mit ihren computergenerierten, mit Beton und Stahl vollgestopften Formspielereien galt die Ökoarchitektur als so deplatziert wie ein Strickpulli auf einer Koksparty-Yacht.

In der Gegenwart mit ihren düsteren Klimaszenarien führt an ihr kein Weg vorbei. Routen in Richtung des rettenden Notausgangs gibt es viele, meistens verlaufen sie parallel, und manchmal kreuzen sie sich. Zum Beispiel auf einer Wiese im Weinviertel. Dort sind ein Bauherr und zwei Architekten in die richtige Richtung unterwegs, trotzdem gibt es Reibungen.

Der Bauherr, der Windkraftanlagenbetreiber Windkraft Simonsfeld, startete 1996 in einem Bauernhof im gleichnamigen Ort und legte bald den Turbogang ein. Als das provisorische Zuhause aus allen Nähten platzte, fand man im nahen Ernstbrunn ein Grundstück und lobte einen Wettbewerb für eine Firmenzentrale aus, den der Wiener Architekt Georg Reinberg gewann. Dieser hat sich seit Mitte der 1980er-Jahre mit linealhafter Geradlinigkeit der Nachhaltigkeit gewidmet, viele seiner Bauten kombinieren großen Verglasungen nach Süden mit massiver Speichermasse im Norden; technische Elemente wie Photovoltaik-Paneele sind integraler Bestandteil der Architektur. Auch sein Bau für Windkraft Simonsfeld, der 2014 fertiggestellt wurde, folgt diesem Prinzip.

Ökologisches Konzept

Nachdem der Bedarf an erneuerbaren Energien schnell anwuchs, war die für rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgelegte Firmenzentrale schon binnen Jahren zu klein. Heute zählt man 140 Mitarbeiter, davon rund 100 in Ernstbrunn. „Früher wurden wir von manchen als grüne Spinner belächelt, heute sind wir der größte Arbeitgeber in der Region“, sagt Alexander Hochauer, Finanzvorstand von Windkraft Simonsfeld. „Das ökologische Selbstverständnis prägt das Konzept für den Erweiterungsbau und den Umgang mit unseren Mitarbeitern.“ Diese wurden in den Ideenfindungsprozess für den Neubau einbezogen.

„Es musste dem höchsten ökologischen Standard der Zeit entsprechen. Das bedeutet auch ein anderes Erscheinungsbild als vorher. Damals sollte der technologische Fortschritt symbolisiert werden, heute wollen wir erdige und verortbare Materialien, die sich in die Landschaft integrieren. Daher konnte es für uns nur ein Holzbau sein.“ Das wurde es auch. Eine freundliche Arbeitswelt aus Fichte, Weißtanne und viel Tageslicht. Im Frühjahr wurde der Neubau mit großem Volksfest eröffnet.

Man könnte sagen: Der Bauherr geht mit der Zeit. Denn die Wegweiser zur klimagerechten Architektur deuten heute nicht in Richtung solar befeuerten technologischen Fortschritts, sondern in Richtung CO2 -Minimierung. Dementsprechend wurden 2022 zum Wettbewerb vier Teams geladen, die sich vor allem durch Holzbau-Expertise auszeichnen. Gewinner Juri Troy, geboren in Bregenz und heute mit Büro in Wien, hat ein umfangreiches, an Vorarlberger Qualitäts- und Entwurfsstandards geschultes Œuvre vorzuweisen und hält eine Stiftungsprofessur für Holzbau an der TU Wien inne.
Windrad Panorama

Sein zweigeschoßiger Zubau erfüllt substanziell alle Wünsche der Bauherren. Im Inneren zwei massive Kerne aus Stampflehm für Sanitär- und Serverräume, 590 Kubikmeter Holz, Tiefensonden, Photovoltaik. Der Terrazzoboden im Erdgeschoß wurde mit Material aus dem nahen Steinbruch bestückt: kurze Transportwege, regionale Wertschöpfung. Die konstruktive Holzbaulogik bestimmt auch den Rhythmus der Fassade des Zubaus, der südlich an den bestehenden Bau anschließt und mit diesem eine Art Vierkanthof mit begrüntem Inneren bildet.

Die neuen Büros blicken rundum in die Felder und auf die Windkraftanlagen der ersten Generation, die sich bis heute auf den Hügeln drehen. „Die Gegend ist in der Tat sehr windig, daher war es mir wichtig, einen geschützten Hof anzubieten“, sagt Troy.

Auch die Position mit dem besten Panoramablick – erster Stock, Südseite, Aussichtsbalkon – besetzt nicht das Vorstandsbüro, sondern ein großer Raum für die wichtigen informellen Begegnungen der Mitarbeiter. Eine Kantine ist ebenfalls im Programm, das Menü ist rein vegan, ein deutliches Statement im niederösterreichischen Wurstsemmel-Schweinsbraten-Umfeld.

Nachhaltigkeitskompetenz

Die Kompetenz in Sachen Nachhaltigkeit ist jetzt schon evident: Der Energieverbrauch wurde bis ins Jahr 2040 vorab simuliert, der Neubau weist bereits in der Errichtungsphase eine positive CO₂-Bilanz auf und wurde mit maximalen 1000 Punkten nach dem Klimaaktiv-Gold-Standard zertifiziert.

Alles bestens also? Nicht ganz, denn eine Person ist nicht zufrieden mit der Bilanz: Georg Reinberg, Architekt des ersten Baus von 2014. Er war weder als Teilnehmer noch als Juror zum Wettbewerb für den Zubau geladen, und dass jener sich ausgerechnet auf der verglasten Südseite andockt, ihn in eine Vierkanthof-Form hineinzwingt und damit dessen Grundidee der Ausrichtung nach dem Sonnenlauf konterkariert, schmerzt ihn.

DER STANDARD trifft ihn in seinem Wiener Büro, er hat es noch nicht übers Herz gebracht, sich den Neubau anzuschauen. „Man hat sich mit meinem Gebäude inhaltlich nicht auseinandergesetzt. Es ist, würde es gar nicht existieren.“ Er sieht hier eine Kollision zweier grundverschiedener Ansätze: „Die Vorarlberger verfolgen traditionelle Architektur und verstecken die Technik, ich gehe offensiv mit der Technik um und will mit ihr die Architektur weiterbringen.“

Das Weiterbauen des Bestehenden gehört heute zum Pflichtprogramm der Nachhaltigkeit. Dass zwischen Bestand und Weiterbauen gerade zehn Jahre liegen, ist dabei eine Ausnahme. Dass es dabei zu Reibungsverlusten kommt, ist nicht überraschend. Kollisionen können auch passieren, wenn sich alle in die richtige Richtung bewegen.

19. April 2025 Der Standard

Eine Werkstatt für die Stahlstadt

Das House of Schools von Querkraft Architekten ergänzt den Campus der Linzer Johannes-Kepler-Universität um ein freundliches Lern- und Forschungsgebäude mit viel Luft und Raum für freies Denken und Reden.

Die österreichischen Großstädte, bei denen es sich nicht um Wien handelt, sind nicht schwer zu unterscheiden. In Graz haben die Menschen dicke, drahtige Haare, schätzen gutes und reichliches Essen und reichern die Stadt mit einer enormen kulturellen Dichte an. In Innsbruck löst man Probleme, indem man sagt: Mir wurscht, ich geh jetzt auf den Berg, und praktischerweise ist die nötige Bergausrüstung auch immer in Greifweite. Die Altstadt von Salzburg ist der ideale Ort, wenn man das Gefühl erleben möchte, in einer katholischen Gruft eingesperrt zu sein.

In Linz wiederum gehen Denken und Machen eine Einheit ein. Es ist keine Stadt, die gesellschaftliche Hürden aufstellt und Territorien markiert. Hier müssen Neuankömmlinge aus Inn-, Hausruck-, Mühl- und Traunviertel nicht zuerst das feine städtische Benehmen und seine geheimen Codes lernen, um aktiv zu werden. Im Gegenteil: Es ist eine Stadt, in der pragmatische Menschen aus ländlichen Regionen ohne Umschweife die Ärmel hochkrempeln und städtisch zupacken. Montieren, fertigen, realisieren. Allerdings fahren die meisten danach wieder zurück aufs Land. Was bedeutet, dass man in Linz kaum eine Ruhe vor dem permanent nervend präsenten Autoverkehr hat.

Eine Drive-in-Stadt für das Umland.

Das spürt man auch auf dem Gelände der Johannes-Kepler-Universität, dem mit 365.000 Quadratmetern größten Hochschulcampus Österreichs. Viele Studierende pendeln aus dem oberösterreichischen Umland, im neuen Parkhaus reihen sich die Autos mit den Kennzeichen FR, LL, PE und UU aneinander. Es ist, wenn so etwas möglich ist, ein schön anzuschauendes Parkhaus mit leuchtendrotem Stiegenhaus und begrünter Fassade. Es ist Teil der „Erweiterung Campus West“, wofür 2020 ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben wurde.

Das beständige Wachsen des Campus folgt einem dezidierten Plan, bei dem die Architektur eine Hauptrolle spielt. Mit der etwas an Mies van der Rohes Berliner Neue Nationalgalerie erinnernden kohlschwarzen Kepler Hall, dem rostroten Quader des LIT Open Innovation Center und der luftig-weißen Aufstockung der Bibliothek zum Learning Center wurden zwischen 2019 und 2021 mehrere neue Bausteine fertiggestellt, alle drei von Riepl Riepl Architekten mit Präzision und tektonischer Eleganz in die rechtwinklige Grammatik der bestehenden Bauten eingefügt.

In seiner Ausgewogenheit aus architektonischem Statement und seriöser Zurückhaltung ist der JKU-Campus überzeugender als der Wiener WU-Campus mit seinen lautstark um Aufmerksamkeit ringenden eitlen Einzelskulpturen. Die Linzer Universität ist ein Ort zum Lernen und Forschen, bei dem wie auf jedem guten Campus Innen- und Außenraum eine gleichwertige Rolle spielen, und kein Freilichtmuseum der vergangenen Starchitecture-Ära.

Ruhig und introvertiert

Den Wettbewerb für die westliche Erweiterung gewannen Querkraft Architekten, die nicht nur das Parkhaus realisierten, sondern vor allem ein „House of Schools“, das mit einer Reihe von drei Bauten den Rand des Areals markiert. Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen, die sich baulich eher breit machten, wurde der Baumbestand weitgehend erhalten und gemeinsam mit Landschaftsplaner Kieran Fraser ein grüner Übergang zum benachbarten Wald geschaffen. Das Budget für die Gesamterweiterung beträgt rund 90 Millionen Euro. Der erste dieser drei Bausteine ist bereits bezogen, die anderen folgen später.

Besucherinnen aus Wien dürften auf den ersten Blick von einem Querkraft-Déjà-vu durchflutet werden. Denn mit seinem schlanken weißen Stahlgerüst erinnert das House of Schools an den mit viel Aufmerksamkeit bedachten Innenstadt-Ikea am Westbahnhof, entworfen vom selben Team. „Das stimmt schon“, sagt Peter Sapp, einer der drei Querkraft-Gründungspartner. „Aber dort dient der weiße Rahmen vor allem der Begrünung der Fassade. Das House of Schools in Linz ist ruhiger und introvertierter. Es ist ein Gebäude, das zum Lernen und Arbeiten motivieren soll.“

Als Hauptmotivator soll hier der Raum dienen, der sich zwischen den Büros der Forschenden und Lehrenden aufspannt. Ein luftiges Atrium voller Tageslicht, in dem sich Stiegen, Galerien, Podeste und Stege übereinanderschichten, farblich dezent untermalt durch die in Chirurgenkittelgrün gehaltenen Innenwände der Büros. Während die zweischichtige Außenhülle aus weißem Stahl sich um Sonnenschutz und grüne Berankung kümmert, spannt im Inneren ein Stahlbetongerüst mit luftiger Zehn-Meter-Spannweite einen großen Raum auf, in dem man zwanglos an den hier angesiedelten Instituten vorbeiflanieren kann. Ein House für die Schools.

Im Foyer fläzt sich eine Gruppe Studierender entspannt debattierend auf gemütlichen Fauteuils, andere sind am Tisch in ernsthafte Gruppenarbeit vertieft. Aufgefächerte Konzeptpapiere, Fachdialoge in oberösterreichischem Dialekt. Weiter oben besiedeln ovale Besprechungsinseln die Plattformen, bei Benutzung zieht man einfach den Vorhang zu. Klettert man ein Geschoß weiter, kann man von oben hineinspähen. In der Lounge in der vierten Etage zeugt ein offenbar liebevoll gepflegtes Zitronenbäumchen schon von der Aneignung durch die Benutzer. Eine Mischung aus Werkstatt und Wohnzimmer, mit vielen Durchblicken in die Büros und von dort ins Freie.

Nicht wenige Türen zu diesen Büros stehen offen. „Das ist typisch für dieses Haus“, sagt eine Mitarbeiterin des Instituts für Organisation, die sich gerade einen Kaffee an der offenen Küche auf Ebene 2 holt. „Wir sind sehr begeistert von den Möglichkeiten der Kommunikation hier“, freut sie sich. „Früher waren die Kolleginnen und Kollegen unsichtbar in irgendwelchen Kammerln versteckt, hier ist der alltägliche Austausch ganz einfach.“ Und wer könnte den Erfolg der räumlichen Organisation besser beurteilen als das Institut für Organisation?

Die lichtdurchflutete Geborgenheit, das absichtliche Freilassen von Lücken (das Stahlbetongerüst ließe sich, wenn später nötig, noch mit weiteren Plattformen ausfüllen), das einladend Unvollendete, all das erzeugt eine Atmosphäre des freien Denkens und Redens. Das spendet Trost in Zeiten, da in den USA die Universitäten und die Bildung an sich von den Demokratiezerstörern und Faschisten zum Feind erklärt werden. Ein tragkräftiger und tatkräftiger Baustein für die Stahlstadt und ihre Bildungslandschaft.

5. April 2025 Der Standard

Lukrative Luft

Die Danube Flats, Österreichs höchstes Wohnhaus, sind fertig. Bewohner und Investoren freuen sich, aber was hat die Öffentlichkeit gewonnen? Wer gehört zur „Low-Rise-Class“, wer gehört zur „High-Rise-Class“? Wer muss draußen bleiben?

Windschutzwand Nord“ lautet der offizielle Name der wuchtigen Scheibe aus Glas und Stahl, die sich in den engen Raum zwischen Supermarkt und Reichsbrücke zwängt. Sie steht hier aus gutem Grund, denn die Donauplatte ist wohl einer der windigsten Orte Wiens. Das musste schon Dominique Perrault feststellen, dessen DC1-Tower nachträglich mit schweren Metallschirmen umringt wurde, damit man zum Eingang gelangen kann, ohne davonzufliegen.

Solche Unbill hat man bei den benachbarten Danube Flats vermieden, mit 180 Metern das höchste Wohnhaus Österreichs. Es wurde dem Hochhaus Neue Donau vor die Nase gesetzt, das Harry Seidler so elegant an den Brückenkopf der Reichsbrücke platziert hatte. Aber auch die von den Investoren S+B-Gruppe und Soravia entwickelten Danube Flats mit ihren gestapelten karibikweißen Balkonen sind mit ihrem schwungvollen Kurven nicht unelegant.

Viel geschrieben und viel gestritten wurde über dieses Projekt, das in diesen Tagen den letzten Schliff vor der Fertigstellung erhält. Es begann 2012 mit einem geladenen Wettbewerb, den das von Andreas Schmitzer und Maria Planegger geleitete Büro A01 Architekten gewann. Dass es sich bei Letzterer um die Zwillingsschwester von Erwin Soravia handelt, wurde damals mit Stirnrunzeln bedacht, aber bald wieder gnädig verschwiegen.

Die Bewohner des Seidler-Towers wiederum protestierten, dass man ihnen ihre Immobilie mit unverbaubarem Weitblick verkauft hatte, der nun blockiert ist. Dass für die Danube Flats ein Cineplexx aus der Ära der schnell gescheiterten Megakinos geopfert wurde, bedauerten wenige. Dass die im Flächenwidmungsplan zulässigen 26 Meter Höhe sich künftig versechsfachen würden, schon mehr. Als Ausgleich wurde erstmals ein städtebaulicher Vertrag zwischen Stadt und Investor geschlossen, in dem Letzterer sich zu Gegenleistungen verpflichtete.

Klassenfrage im Lift

Heute sind 481 von 509 Wohnungen bezogen, das Hotel in den unteren Geschoßen eröffnete diese Woche, hier und da wird noch letzte Hand angelegt. Matthias Stanek, Projektleiter bei der S+B-Gruppe, führt von unten nach oben durchs Haus. Es beginnt in einem für die Donauplatte typischen Gewirr von Rampen, wo sich die Zufahrten zur Donauuferautobahn A22 und jene zu den kombinierten Tiefgaragen von Seidler-Turm und Danube Flats verschlingen. Wer hier auf Anhieb zur Kiss+Ride-Zone auf Ebene –1 findet, hat keine kleine Navigationsleistung vollbracht.

Es ist nicht der größte unterirdische Aufwand, der hier betrieben wurde. „Die Reichsbrücke musste unterfangen werden, damit sie sich durch das Gewicht des Turms nicht zur Seite neigt“, erklärt Stanek. Zudem steht der Bau teilweise auf der Überplattung der A22, auf der nur vier Geschoße zulässig waren, das fünfte kragt als statischer „Rucksack“ vom Turm darüber aus. Die Fuge zwischen beiden Teilen verläuft mitten durch die etwas beengt wirkende Hotelrezeption und die Member’s Lounge, die sich Hotelgäste und Bewohner teilen dürfen, Pool und Sauna inklusive.

Zwei Aufzugsgruppen führen nach oben, und man realisiert, dass auch im Hochpreissegment nicht alle Menschen gleich sind: Die langsamen Lifte bedienen die „Low-Rise-Class“ bis Etage 27, die schnelleren mit 7,9 Meter pro Sekunde die „High-Rise-Class“ darüber. Im Gemeinschaftsraum „Cook+Chill“ in radikal neutralem Ambiente in der zwölften Etage dürfen die unteren Schichten kochen und feiern, die anderen haben exklusiven Zugang zur gediegenen Executive Lounge auf Ebene 32. Doch nicht nur vertikal, auch horizontal gibt es Klassenunterschiede. Der Stephansdom- und Schneebergblick auf der Donauseite ist deutlich teurer, wer es günstiger haben will, schaut nach Kagran. Quadratmeterpreise: rund 10.000 bis 16.000 Euro.

Wind auf Ebene 36

Etage 36, 250-Quadratmeter-Wohnung. Hier schwingt der Balkon südseitig weiter aus als alle anderen, und der Blick entlang der Donau bis Bratislava ist zweifellos sensationell. Luftig ist es allerdings auch. Ein kleiner Busch in seinem Pflanztrog wird heftig vom Wind geschüttelt. Die in den Renderings großzügig wuchernde Begrünung kann man sich nur schwer vorstellen. „Wir hatten hier schon 160 Stundenkilometer Wind“, berichtet Mathias Stanek. Bei 83 km/h fahren die Raffstores vor den Fenstern automatisch ein. Etage 46 bis 48, vier Penthouse-Wohnungen mit eigenem Lift. Hier ist auch vom Seidler-Turm nur noch ein rot-weiß gestreiftes dünnes Zumpferl zu sehen, wenn man leicht nach unten schaut.

Die Investoren haben nun also eine exklusive Waterfront-Property mit guter Renditeerwartung im Portfolio. Was hat Wien dafür bekommen? Im städtebaulichen Vertrag, inzwischen öffentlich einsehbar, verpflichteten sich die Investoren zur Finanzierung einer Volksschule und eines Kindergartens, zur Einhausung der A22-Rampen, zur Gestaltung des Donauufers – die durchaus hochwertig umgesetzt wurde – und zur Bereitstellung von 40 Smart-Wohnungen. Zehn davon wurden im niedrigen Bauteil zwei untergebracht, für die übrigen 30 sucht man gemeinsam mit der Einrichtung Neunerhaus noch einen geeigneten Ort. „Die Gespräche laufen derzeit noch“, heißt es seitens Neunerhaus auf STANDARD-Anfrage.

Zehn Millionen Euro umfassen diese Gegenleistungen an die Allgemeinheit. Gemessen an heutigen Kaufpreisen der Gegenwert von rund zwei Prozent der Nettonutzfläche. Ist das eine angemessene Abgeltung für eine Umwidmung von öffentlicher Luft in private Baumasse? Die kommunistischen Anwandlungen unverdächtige Schweiz verlangt Investoren mit dem 1980 eingeführten sogenannten Mehrwertausgleich deutlich mehr ab. Das Schweizer Bundesgesetz setzt ihn mit mindestens 20 Prozent des Mehrwerts fest, in vielen Kantonen ist es weit mehr. In Basel, das in den letzten Jahren einige neue Hochhäuser verzeichnete, sind es 50 Prozent, zu zahlen bei Baubeginn. Rechtsstreitigkeiten gibt es hier praktisch keine, das Instrument wird allgemein akzeptiert. In Wien gab es die erste Reihe fußfrei an der Donau als Schnäppchen. Ein Stück Himmel wurde gekauft, die Sichtachsen Richtung Schneeberg und Stephansdom wurden veredelt. Lukrative Luft ist zu Betongold geworden.

24. März 2025 Der Standard

Tintenburg in der Käseglocke

Die postmoderne Architektur der 1980er-Jahre gerät nicht nur in Österreich ins Visier des Denkmalschutzes. Doch was an dieser ausufernd bunten und schwer greifbaren Ära ist wirklich schützenswert?

Diesen Schmäh, „lieber Andi“, sagte der scheidende Vizekanzler Werner Kogler zu seinem Nachfolger Andreas Babler, könne er sich nicht verkneifen. Er übergebe ihm mit seinem Amtssitz das „schiachste Gebäude von Wien“. Nicht wenige dürften da beipflichtend genickt haben. Das 1986 eröffnete, von Architekt Peter Czernin entworfene Amtsgebäude an der Radetzkystraße mit seiner Kombination aus Klinkerfassade und dunkelgrünen Ornamenten und seinen verwinkelten Ganglabyrinthen galt bisher nicht als architektonisches Glanzstück, sondern mit Spitznamen wie „Tintenburg“ und „ägyptisches Parkhaus“ bestenfalls als Kuriosum.

Seit 2024 ist dieses Kuriosum denkmalgeschützt, was einige Zeitgenossen fassungslos zurückließ, die sich noch gut an die Entstehungsgeschichte des Baus erinnern, der damals harsche Kritik erntete. Der Architekturkritiker Otto Kapfinger schrieb seinerzeit vom „entfesselten Mittelmaß“ und dem „Chaos an Materialien und Formen“ und konstatierte einen Widerspruch zwischen der demokratischen Intention und der trutzburghaften Baumasse mit ihren schlupflochartigen Eingängen. Hier wurden nicht nur 100.000 Quadratmeter Büroflächen in einen aus drei Achtecken zusammengesetzten Grundriss gepresst, sondern auch eine riesige Tiefgarage mit 700 Stellplätzen, ein Turnsaal, eine Sauna und eine Kegelbahn.

Mittelmaß mit Edelglasur

Für viele stand das enorm teure Gebäude (allein die Edelstahlskulptur auf dem Dach kostete 3,4 Millionen Schilling) für eine Ära parteipolitischer Günstlingswirtschaft, in der Architekten zu Großaufträgen kamen, die sich weniger durch Brillanz als durch leistungsfähige Büroinfrastrukturen und eine Nähe zur Macht auszeichneten. Und die Macht, das lässt sich bis heute parteiübergreifend immer wieder beobachten, schätzt als Auftragnehmer in der Tat das Mittelmaß, das verlässlich abliefert, ohne aufzubegehren. Das Bundesamtsgebäude mit seinem etwas verklemmten Bling-Bling-Luxus ist Mittelmaß mit Edelglasur, ein Bürokratiekraftwerk mit Künstlergestus, Sozialpartnerschafts-„Camp“.

Mitten ins achteckige Herz dieser verchromten Neonfinsternis lud Anfang März das Bundesdenkmalamt zum Fachgespräch „Postmoderne und Pluralismus“ und öffnete die Türen in jene bunte, formal wie finanziell verschwenderische Ära des „Anything goes“, die nun ins Visier des Denkmalschutzes gerät. Einige Bauten in Österreich stehen bereits unter der schützenden Käseglocke: Günther Domenigs wilde Sparkasse in Wien-Favoriten, einige Ladenlokale sowie die Volksschule Köhlergasse und (schon seit 2012) das Haas-Haus von Hans Hollein oder Rob Kriers geometrieverliebte Wohnanlage in Wien-Liesing. Einige weitere werden derzeit geprüft.

„Die Akzeptanz jüngerer Architektur ist oft eine Generationenfrage, und so ist es notwendig, deren Denkmalwert und Bedeutung von Zeit zu Zeit neu auszuhandeln“, erklärt Paul Mahringer, Abteilungsleiter Denkmalforschung am Bundesdenkmalamt. „Gleichzeitig wird die Halbwertszeit jüngerer Architektur immer kürzer, und damit wird auch die Zeit, zu entscheiden, welche Objekte erhalten bleiben sollen, knapper.“

Doch wuchtige Prestigebauten, spielerische Ironie, Marmororgien und die Wiederentdeckung des erzählerischen Potenzials der Vormoderne sind nicht die ganze Geschichte. Auch die Ökologiebewegung der 1970er-Jahre entfachte diese neue Liebe zur Stadtsubstanz nach der Tabula rasa der Nachkriegszeit, und die Synthese beider Strömungen kulminierte in ökologischen Prestigebauten wie dem Hundertwasserhaus, bei denen die Ökologie in postmodernen Anführungszeichen stand.

Schützende Hand

Über die Frage, wann die Postmoderne nun wirklich begann und wann sie endete, ließe sich bis ans Ende der Zeiten diskutieren, auch darüber, ob die technoide Hightech-Architektur dazugehört oder nicht. Helmut Richter, Architekt der 1994 fertiggestellten Schule am Kinkplatz in Wien-Penzing mit ihrer aufs Minimum reduzierten Substanz aus Glas und Stahl, hätte sich vermutlich mit Händen und Füßen gegen das P-Wort gewehrt. Unter Denkmalschutz steht sie seit vorigem Jahr ebenfalls. Es war nicht der einzige Fall, in dem die Unterschutzstellung einer drohenden Zerstörung zuvorkam.

Österreich ist keineswegs das einzige Land, in dem eine schützende Hand um die Bauten der Postmoderne gelegt wird. Im März 2022 widmete sich eine Fachtagung in Weimar demselben Thema, die Ergebnisse füllen ein stattliches Buch. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten großer Bautätigkeit handele es sich hierbei um einen eher kleinen Bestand, so der Tenor, doch stünden Sanierung oder Abriss an, brauche es fachliche Gegenargumente. Man sollte sich also beeilen.

So wie die Hansestadt Hamburg, deren Denkmalschutzamt seit 2020 Objekte aus den Jahren zwischen 1975 bis 1995 systematisch inventarisiert, oder das Vereinigte Königreich, wo die zuständige Institution Historic England im Jahr 2018 gleich 17 postmoderne Bauten unter Schutz stellte, darunter mehrere Wohnbauten, den so augenzwinkernden wie präzise maßgeschneiderten Sainsbury Wing der National Gallery von Robert Venturi und Denise Scott-Brown oder die Judge Business School in Cambridge von John Outram, eine kunterbunte Kombination von Kathedrale und Kindergeburtstag.

Reichlich Material (und eine weiter Alternative zur Datierung von Anfang und Ende der Ära) lieferte vor einem Jahr die Ausstellung „Alles auf einmal: Die Postmoderne 1967 – 1992“ in der Bundeskunsthalle Bonn, die dieses widerspenstige und widersprüchliche Kapitel als gesamtkulturelles und gesellschaftliches Phänomen einzufassen versuchte: Design, Architektur, Kino, Pop, Philosophie, Kunst, Literatur.

Gesetzlicher Auftrag des Denkmalschutzes ist es, Objekte von „geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung“ zu bewahren. Die Postmoderne mit ihren seltenen, mit kulturellen Referenzen aufgeladenen und oft kontroversen Einzelstücken aus einer Zeitperiode des fast sorglosen Wohlstands erfüllt diese Kriterien spielend. Doch eines sollte dabei nicht ganz unter den Tisch fallen: die tatsächliche Qualität der Architektur. Wie schon die Denkmalschutzdiskussionen um den Beton-Brutalismus, den nicht minder kontroversen Vorgänger der Postmoderne, zeigen, erkennen jüngere Generationen diese Qualität manchmal deutlicher als ihre Vorgänger. Vielleicht auch schon Andreas Babler in seinem ministeriellen Arbeitsalltag.

15. Februar 2025 Der Standard

Wo bleibt Diplomingenieur House?

Der Oscar-nominierte Film „The Brutalist“ stellt einen Architekten in den Mittelpunkt, die Architektur selbst spielt jedoch eine Nebenrolle. Warum kommen Architekten in Film und Fernsehen so selten vor?

Spoiler-Alarm! Wer sich auf eine dreistündige Abhandlung über Sichtbeton freut, wird vom Film The Brutalist bitter enttäuscht. Noch ärger: Das Wort Brutalismus wird nicht ein einziges Mal erwähnt. Das führt dazu, dass die Architekturwelt auf den für zehn Oscars nominierten Film von Bradley Corbet etwas pikiert reagiert. Man fühlt sich nicht realitätsnah wiedergegeben.

In der Tat gibt es Aspekte, die etwas fragwürdig erscheinen: Das monumentale Bauwerk, das im Zentrum der Handlung steht, soll als Zentrum für eine Kleinstadt dienen, steht aber auf einem isolierten Hügel und verfügt über eine bauphysikalisch nicht ausreichend begründete riesige Zisterne im Keller. Auch die biografischen Details des von Adrien Brody verkörperten Architekten Laszlo Tóth werfen Fragen auf: Dass ein jüdischer Architekt in den 1930er-Jahren in Ungarn gleich mehrere große Bauten im Stil der klassischen Moderne errichtet habe, ist historisch schwer haltbar.

Nun könnte man einwenden, dass es in diesem Film im Grunde gar nicht um Architektur gehe, sondern um Emigration, Heimatlosigkeit, Machtverhältnisse, Antisemitismus und das Trauma der Shoah, mit der Architektur als narrativ-visuellem Anker – und das stimmt auch. Die Kritik der Fachwelt versteht man am besten als Reaktion auf ein Repräsentationsdefizit: Jetzt gibt es ausnahmsweise einmal einen Architektenfilm, dann wollen wir auch Akkuratesse!

In der Tat spielen Architekten in Film und Fernsehen erstaunlich selten die Hauptrolle – und Architektinnen schon gar nicht. Nicht nur was das Durchschnittseinkommen angeht, schaut man mit verstohlenem Neid hinüber zu den Ärzten. Auch bei der Darstellung der beiden Berufsgruppen in Film und Fernsehen strahlen die Halbgötter in Weiß heller als die Rollkragenpullis in Schwarz. Ärzte sind Helden mit komplexen Persönlichkeiten, jedes noch so kleine Detail ihres Berufs- und Privatlebens ist eine Story wert, von der Schwarzwaldklinik über Emergency Room bis Dr. House.

Turmbau = Potenz

Aber wo, bitte, ist der Dr. House der Architektur? Der Name wäre ja schon themenverwandt, man müsste ihn nur in „Diplomingenieur House“ ändern. Aber die Drehbuchautoren machen einen Bogen um die bauende Zunft, außer man benötigt dick aufgetragene Turmbausymbolik für männliche Potenz und schöpferische Vision. Bestes Beispiel dafür: The Fountainhead (King Vidor, 1949, herrlich hysterischer deutscher Titel: Ein Mann wie Sprengstoff ), die bombastische Verfilmung des gleichnamigen Kapitalismus-ist-meine-Religion-Kitschromans von Ayn Rand. Hier durfte Gary Cooper den von allen unverstandenen Architektur-Übermenschen geben, der zu keinem Kompromiss bereit ist.

Als Gegenstück dazu kann Die Architekten (Peter Kahane, 1990) gelten, in dem eine Gruppe von Architektinnen und Architekten in Büro und Wohnküche diskutiert, ob ihr neues soziokulturelles Zentrum am Ostberliner Stadtrand die Gesellschaft wirklich verbessert. Gedreht im Herbst 1989 in der zerbröselnden DDR, wurde der sehenswerte Film von der Geschichte überholt – das System, das er kritisierte, gab es bei der Premiere schon nicht mehr.

Deutlich mehr bedeutungsbeladenen Beton als The Brutalist und eine satte Dosis tatsächlichen Brutalismus bot der dystopische Film High Rise (Ben Wheatley, 2015) nach dem gleichnamigen Roman von J. G. Ballard (1975). Er beschreibt in einer lustvollen Retro-Ausstattungsorgie das Leben in einem brandneuen Londoner Wohnhochhaus, mit allen Annehmlichkeiten inklusive Pool, Spa und Supermarkt, dessen Bewohnerschaft sich aber im Laufe des Plots immer mehr abkapselt und ins Animalische degeneriert. Architekt Anthony Royal wohnt aus dramaturgischen Gründen selbst im Haus, selbstverständlich im Penthouse, und selbstverständlich ist er ein Ausbund an Arroganz.

Schauplatz Tatort

Ein ausgezeichneter Film, aber auch Wasser auf die Mühlen all jener, die Betonhochhäuser als „seelenlos“ und „menschenfeindlich“ verunglimpfen. Reichlich Fallbeispiele hierfür finden sich in der Tatort -Krimireihe. Wie die Süddeutsche Zeitung einst treffend schrieb, sitzt hier das Böse fast immer im Glashaus.

Auch im schönen Buchkompendium Schauplatz Tatort. Die Architektur, der Film und der Tod , das sich den Locations von Duisburg bis München widmet, analysiert Autor Guido Walter treffend die immergleiche Rolle, die den Architekten in den Folgen zugeschrieben wird: „Kalt, herzlos, hart. Wer so tickt, der wohnt und arbeitet bestimmt auch so. Interior-Design und Familienglück, das passt im Krimi nicht zusammen. Und so steht der Tatort -Architekt im Sakko hinter Glasfronten und denkt über seine Missetaten nach.“ Von Beton und Glas, so die Regel, führt die küchenpsychologische Abkürzung direkt in den seelischen Abgrund.

Dabei gäbe der tatsächliche Alltag der Architektur so viel Stoff für gute Plots her, man muss sich nur bedienen. Die dramatischen Nächte vor der Wettbewerbsabgabe, kettenrauchend und selbstzweifelnd. Die vielen Paare, die sich Büro und Bett teilen, die verschiedenen Machtspiele, die damit involviert sind, und Männlichkeits- und Weiblichkeitsklischees, die man erfüllt oder nicht. Die aufreibenden Gespräche mit Einfamilienhaus-Bauherren, die nach der 37. aufgezeichneten Entwurfsvariante anfangen, zu überlegen, ob sie nicht doch alles ganz anders haben wollen, während das Stundenhonorar des Architekten langsam in den Minusbereich rutscht. Die Architektinnen, im Studium noch in der Mehrheit, die im Berufsleben an den Rand gedrängt werden. Die hehren Ideale, die an Normenkatalogen zerschellen. Die Beziehungen und Affären.

Dramen, Tränen und Glücksmomente, die mit jeder Krankenhausserie mithalten können. Also: Drehbuchautorinnen, an die Arbeit! Vielleicht springt sogar ein Oscar heraus.

8. Februar 2025 Der Standard

Paradies im Pyrozän

Schon vor den verheerenden Bränden war Los Angeles eine Projektionsfläche für Bilder der Zerstörung. Auch Architektur und Stadtplanung haben sich immer wieder mit dem Gegensatz von Sonnenschein und Katastrophe auseinandergesetzt. Ein Szenario für das Zeitalter des Feuers.

Geoff Manaugh kennt Los Angeles und sein Territorium wie wenige andere. Als Autor beschäftigt er sich seit Jahren mit Stadt, Infrastruktur und Architektur. Doch die Katastrophe traf ihn unerwartet. „Ich wohne in einem Teil von L.A., von dem ich nie dachte, dass er Gefahrengebiet für Brände sei“, sagt er. „Zwischen unserem Viertel und den Bergen liegen mehrere Freeways und die Stadt Altadena.“ Und diese war in den Gefahrenkarten der Behörde Cal Fire weitgehend als gering gefährdet verzeichnet.

Doch nach dem Eaton Fire und dem Palisades Fire im Jänner 2025, den zweit- und drittschlimmsten Brandkatastrophen aller Zeiten in L.A., war Altadena verwüstet. Zwei feuchte Jahre mit viel Vegetation, gefolgt von einem Jahr Trockenheit und besonders intensiven Santa-Ana-Winden von Norden, hatten das Desaster begünstigt. Manaugh und seine Frau saßen schon auf gepackten Koffern – sie hatten Glück, ihr Haus blieb unversehrt.

„Das unglaubliche Ausmaß der Zerstörung zeigt, dass Waldbrände viel weiter in die Städte vordringen können als gedacht“, sagt Manaugh. „Wir müssen unsere Häuser in Zukunft anders planen, und wir müssen uns so verhalten, als seien wir permanent von Feuer bedroht – weil wir es ab jetzt sind.“ Stephen Pyne, emeritierter Professor an der Arizona State University, prägte einen eigenen Begriff für das neue Zeitalter des Feuers: das Pyrozän. Manche Orte, wie Los Angeles, erreichen diesen Punkt schneller als andere, schreibt er.

Pumas und Killerbienen

Paradies und Pyrozän, ewiger Sonnenschein und kohlschwarze Abgründe – die Schizophrenie von Los Angeles hat die Kultur schon immer fasziniert. David Lynchs Mulholland Drive lotete Licht und Schatten Hollywoods aus, Ridley Scotts Blade Runner transferierte den L.A. Noir in die Zukunft, und der Sänger Phil Ochs schrieb 1969, in jenem Jahr, in dem der kalifornische Hippie-Traum von der Manson Family blutig beerdigt wurde, den Song The World Began in Eden, and Ended in Los Angeles .

Auch Architektinnen und Stadtforscher teilten diese Faszination, und wohl keiner von ihnen hat sich intensiver mit der dunklen Seite von L.A. beschäftigt als Mike Davis in seinen Büchern City of Quartz (1990) und Ökologie der Angst (1998). Letzteres beschreibt Los Angeles, als „die Stadt, die wir gerne zerstören“ – in Filmen und Büchern gerne komplett, in der Realität zumindest teilweise. Durch Feuer, Erdbeben, Fluten, Tornados, und – laut Davis – sogar durch Pumas und Killerbienen.

„Los Angeles hat sein Image als Welthauptstadt des fröhlichen Leichtsinns immer mit einer Gewürzmischung aus diversen Katastrophenerwartungen abgeschmeckt“, sagt Wolfang Kölbl, Architekt und Forscher an der TU Wien, der 2021 in seinem Buch Los Angeles Endzeitmoderne die Polarität von Optimismus und Zerstörungslust aus architekturgeschichtlicher Sicht analysierte. Sprich: Ohne drohenden Untergang gäbe es nichts zu feiern.

Im Gefahrenranking standen Erdbeben immer auf Platz eins, gefolgt von Flutwellen, Hangrutschungen und Bränden. „Neu ist, dass mittlerweile auch Drogenepidemien oder der Zuzug von tausenden Obdachlosen in der Downtown wie Naturkatastrophen behandelt werden“, sagt Kölbl. „Man nimmt sie eher als schicksalhaft hin, als dass man sie als gesellschaftlichen Systemfehler repariert.“

Überlagert man den Stadtplan von L.A. mit diesem Gefährdungspotenzial, ergibt sich ein Kuriosum, das Kölbl den „Malibu-Effekt“ nennt: Gerade in den gefährdeten Lagen siedeln sich die Wohlhabenden an, während Problemviertel wie South Central relativ sicher sind. „Die soziale Geografie von Los Angeles folgt der Gefahrengeografie“, erklärt Kölbl. „Für die Arbeiter wurden die zentralen Lagen auf ebenem Feld entwickelt. Die Gefahrenlagen an den Hügeln oder am Meer hingegen muss man sich leisten können. Der Aufwand für Erschließung und Erhaltung ist wesentlich höher, oft ist kein Versicherungsschutz möglich. Die einzige Sicherheit, die man sich damit erkauft, ist eine solide Schutzdistanz zur Armut. Daraus folgt, dass für die Bewohner der Gefahrenlagen die Armut die schlimmste Katastrophe darstellt.“

Welches Zukunftsszenario sieht Kölbl nach den Bränden? „Nach dem Versagen von Katastrophen-Vorbereitung und -Einsatz droht Los Angeles eine Detroitisierung.“ Ähnlich wie in der Motorstadt könnten wohlhabende Stadtteile eigene Kommunen bilden, mit eigener Feuerwehr, die aus eigenen Steuern finanziert wird. Zurück bliebe eine verarmte Reststadt.

Soziale Probleme verschärft

Auf die sozialen Verwerfungen verweist auch die Wiener Architektin Christiane Feuerstein, die sich 2019 in ihrem Buch Turnaround Urbanism mit dem Wandel von Downtown L.A. beschäftigt hatte. „In Altadena verbrannten mehr als 7000 Häuser, von denen viele nicht oder unterversichert waren. Es war ein vielfältiges Viertel, in dem Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen lebten.“ Die Folgen des Feuers würden die sozialen Probleme von Los Angeles weiter verschärfen, sagt sie. „Leistbarer Wohnraum war bereits vorher ein rares Gut. Da nicht nur Wohnraum, sondern auch Arbeitsplätze zerstört wurden, werden jetzt noch mehr Personen auf der Suche sein.“

An den Folgen des Feuers, dessen Ausmaß auch auf die Folgen des Klimawandels wie fehlenden Regen zurückzuführen ist, zeige sich aber auch, dass Klimawandel und soziale Fragen in komplexer Weise miteinander verbunden seien. „Man kann das Eine nicht gegen das Andere ausspielen. Wir brauchen eine andere Haltung im Umgang mit der Welt.“ Das Überleben im Pyrozän braucht nicht nur neue Stadtplanung, sondern auch Empathie. Auch wenn die Zeichen dafür im Land der putschenden Tech-Bro-Milliardäre und der aggressiven Leugnung des Klimawandels derzeit nicht günstig stehen.

11. Januar 2025 Der Standard

Bauen im Gandhi-Radius

Die Architekten von Wallmakers aus Indien bauen ausschließlich mit Materialien aus der unmittelbaren Umgebung. Dabei arbeiten sie wie Nomaden ohne festen Wohnsitz, eine Hand im Lehm und die andere in der digitalen Welt.

Dramatisch spitz läuft das Bündel aus Baumstämmen zu und ragt weit in die südindische Wildnis von Peeremedu. Wie Architektur sieht das auf den ersten Blick nicht aus, eher wie Forstwirtschaft. Doch hinter den Stämmen verbirgt sich ein Wohnhaus mit Panoramablick und dem schicken Namen „The Ledge“. Zum Einsatz kamen hier Casuarina-Bäume, die aufgrund ihres schnellen Wachstums sonst für Zäune und Gerüste verwendet werden, und die steinige Erde aus der Baugrube wurde zu Innenwänden.

Viele Hände waren an diesem Bau beteiligt, entworfen wurde er vom Architekturteam Wallmakers, gegründet vom Ehepaar Vinu Daniel und Ar Oshin Varughese. Wie alle ihre Bauten folgt The Ledge der Regel von Mahatma Gandhi, der sich, was weniger bekannt sein dürfte, auch mit Architektur auseinandergesetzt hat. Seinem Diktum zufolge soll sich ein Haus nur aus dem Material bedienen, das aus einem Umkreis von fünf Meilen stammt. Eine Regel, die heute, da CO₂-Bilanzen ein Bewertungskriterium für Architektur werden und man nicht mehr Stahl und Sand um den halben Globus transportieren kann, ohne sich rechtfertigen zu müssen, wieder relevant wird. „Dieser Radius ist für uns eine klare Regel“, sagt Vinu Daniel, der im Dezember auf Einladung von Hannes Stiefel, Professor an der Akademie der bildenden Künste, zu einem Vortrag in Wien gastierte.

Den Ort verstehen

Nimmt man die Gandhi-Regel ernst, entdeckt man in diesem Radius nicht nur natürliche Materialien wie Baumstämme, sondern auch Unnatürliches wie Autoreifen oder Schiffscontainer, die jeweils zu tragenden Elementen von Wallmakers-Bauten wurden. Beim jüngsten Projekt, einem Wohnhaus in Vatakara im Bundesstaat Kerala, wurde Kinderspielzeug zum Baustoff, kleine Plastikfiguren zieren wie Ornamente die geschwungene Fassade. Keine scherzhafte Fußnote, sondern ein ökologisches Statement. Denn weltweit bestehen 90 Prozent des Spielzeugs aus Plastik, davon landen 80 Prozent auf der Mülldeponie oder als Mikroplastik im Ozean.

Dabei steht die Entscheidung für das Baumaterial gar nicht am Anfang, sagt Vinu Daniel. „Wir gehen zuerst zum Bauplatz und versuchen, still zu sein, zuzuhören und den Ort zu verstehen. Dann beginnen wir zu entwerfen, und dann erst treffen wir die Entscheidung über das Material.“ Jetzt versteht man auch, warum die Häuser von Wallmakers nichts von einer zusammengeschusterten Bricolage-Ästhetik haben, sondern fast luxuriöse Eleganz ausstrahlen.

Eine Arte povera strebe man auch nicht an, betont Daniel energisch, und der derzeit überall wiederentdeckte Lehmbau sei kein Allheilmittel, sondern oft eine romantisierende Ursprünglichkeitssymbolik, für die es richtige und falsche Anwendungen gibt. „Wenn ich zum Beispiel in einem Slum baue, finde ich dort keinen Lehm, sondern altes Wellblech oder Aluminium. Lehm von irgendwo anders dorthin zu transportieren ergibt keinen Sinn.“ Da baut man eben lieber mit dem Wellblech. Dabei läuft die Kalkulation des CO₂-Fußabdrucks digital ständig mit.

Die Sprache der Arbeit

Das Ziel dabei: nicht brav traditionell zu bleiben, aber auch nicht gegen das Material zu arbeiten. Das bedeutet, die richtige Gesprächsebene mit den Handwerkern auf der Baustelle zu finden. Viele Architekten, sagt Daniel, hätten zu wenig Ahnung von der Realität und forderten entweder Dinge, die nicht funktionieren, oder ließen sich vom Baumeister mit einem „Wir machen das so wie immer schon“ einschüchtern. So kam es, dass Vinu Daniel auf eine Wallmakers-Baustelle in Gujarat anreiste, um selbst mit geübter Praxis zur Schöpfkelle zu greifen und sich so den Respekt des Baumeisters zu ermauern – danach ließ sich dieser leicht überzeugen, etwas Neues auszuprobieren. „Es gibt eine universelle Sprache der Arbeit, die man kennen muss“, sagt Daniel. „Dann kann man die Grenzen von Klasse, Kaste und Sprache überwinden, und so entstehen Innovationen.“

Innovativ ist das Bauen im Gandhi-Radius auch in puncto Klimagerechtigkeit, denn in den Bauten von Wallmakers dürfen die Wände atmen, kann Luft und Feuchtigkeit zirkulieren, ohne Hightech und Klimaanlage. Eine Erkenntnis, die aus der frohen Jugend von Vinu Daniel stammt, der mit seiner Familie in Dubai aufwuchs. „Die Wohnung, das Auto, die Schule, die Shoppingmall, alles sind klimatisierte Glasboxen. Als ich nach Indien kam, konnte ich mit den Gleichaltrigen nur 15 Minuten auf der Straße spielen, weil mir sofort heiß wurde. Heute jedoch wird Indien immer mehr wie Dubai, und das ist ein großes Problem. Unsere Körper entfremden sich von der Umwelt.“

Lehm und Laptop

Dies zu ändern war der Impuls für die Wahl des Architektenberufs, doch der Anfang war steinig. Eines der ersten Häuser baute Vinu Daniel aus Lehm für seine Mutter, die ihn prompt verstieß, weil alle Nachbarn ihr einredeten, dass es nach dem ersten Regen in sich zusammenfiele und sich ihre Ersparnisse in einer Schlammpfütze auflösen würden. Andere Projekte führten aus ähnlichen Gründen zu langwierigen Gerichtsverfahren. Sechs Jahre dauerte es, bis seine Mutter wieder mit ihm redete – heute, sagt er, liebt sie das Haus und will nirgendwo anders schlafen.

Eine geradezu biblische und möglicherweise auch erzählerisch etwas ausgeschmückte Geschichte von Exil und Versöhnung, Verzweiflung und Wiederauferstehung, die bis heute die Art des Arbeitens beeinflusst. Denn Wallmakers verstehen sich als nomadisches Team, das ganz ohne Büroräume auskommt. Die rund 15 Architektinnen und Architekten arbeiten einzeln auf der Baustelle oder in Co-Working-Spaces oder in Cafés, der Austausch erfolgt über Laptop und Smartphone. Eine Hand in der Erde, die andere auf dem Trackpad. Auch statische Berechnungen für die oft wagemutig gekurvten und gespannten Wände und Decken lassen sich auf dem Cafétisch erledigen: „Wir Inder tragen oft diese Halsketten namens Rudraksh, mit denen lassen sich ideale Bogenformen simulieren“, sagt Daniel. Ar Oshin Varughese hält organisatorisch alles zusammen. Seine Frau, sagt Daniel, sei verwurzelter und strukturierter als er. „Viele junge Architekten investieren viel Geld in Büroausstattung, um ihre Bauherren zu beeindrucken, dabei sollten sie lieber auf der Baustelle lernen, anstatt zu posieren“, sagt er.

Heute gibt es in Indien bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden insgesamt 14.000 Architekturbüros und 116.000 Architektinnen und Architekten, Tendenz stark steigend. Verstehen sich Wallmakers als Einzelfall? „Im Moment noch, ja“, sagt Daniel. „Aber es gibt immer mehr, die unserem Beispiel folgen und sich wieder an Gandhis Radius erinnern.“

3. Januar 2025 Wojciech Czaja
Der Standard

In zehn Schritten in die Zukunft

Wien arbeitet am Stadtentwicklungsplan STEP 2035. In die Öffentlichkeit dringt davon nur wenig. Daher haben wir bei Expertinnen und Experten nachgefragt, was sie sich davon erhoffen und was sie sich wünschen.

Stadtplanung

Ich wünsche mir vom Step 2035 eine Vision zur Transformation der Stadt, die den Bestand als Zukunftsressource betrachtet – mit grünen, attraktiven, gemischt genutzten Industrie- und Gewebearealen. Und mit Förderung lokaler Produktion, denn auch in der Innenstadt gibt es viele kleinere Betriebe, und die brauchen wir genau dort. Ich wünsche mir einen Gesamtplan für grün-blaue Infrastruktur, so wie in Hamburg und Rotterdam. Und ich wünsche mir eine Gesamtstrategie für Stadt und Region, denn das System Wien endet nicht an der Stadtgrenze.

Ute Schneider ist Professorin für Stadtplanung, TU Wien

Grünraum

In einem Dokument wie dem Stadtentwicklungsplan braucht es eine klare Strategie inklusive verbindlicher (und zu befolgender) Instrumente, die das urbane Grün mit anderen Freiraumfunktionen abstimmt und die eine gerechte Verteilung von Lebensqualität garantiert. Anzahl und Größe sind ausschlaggebend: Je größer und kompakter die Grünräume, desto wirksamer sind sie gegen Klimastress und Hitzeinseln. Und: Dort, wo vulnerable Bewohnerinnen und Bewohner darauf angewiesen sind, sind Neubau und Erhaltung von Grünräumen dringend voranzutreiben.

Lilli Lička ist Architektin, LL-L Landschaftsarchitektur

Stadtklima

Wien wird bald ein Mittelmeerklima haben, Extremereignisse werden sich häufen, und die Kapazitäten des Hochwasserschutzes bei Starkregen werden wahrscheinlich bald nicht mehr ausreichen. Je länger wir also zögern, desto radikaler werden die Maßnahmen sein müssen. Was ist zu tun? Schwammstadtbäume, Begrünung von Dächern, Berücksichtigung von Kaltluftströmen, Klimatisierung von Spitälern und Pflegeheimen etc. Wir müssen die Prozesse konkret definieren und befolgen – und nicht nur hie und da ein bisschen begrünen. Es geht nicht darum, was machbar ist, sondern darum, was nötig ist.

Matthias Ratheiser und Simon Tschannett sind Meteorologen und Geschäftsführer, Weatherpark Wien

Verkehr

Wien ist Vorzeigestadt in Sachen Öffis, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen. Dennoch verursacht der Kfz-Verkehr einen großen Anteil am CO₂-Ausstoß – und benötigt dafür zwei Drittel des gesamten Straßenraums. Will die Stadt ihre Ziele bis 2040 erreichen, muss Parken teurer werden, müssen Radwege konsequent vermehrt, müssen gute Lösungen für den Mischverkehr gefunden werden – so wie aktuell am Beispiel Argentinierstraße. Was Wien leider noch nicht gut kann: improvisieren, ausprobieren, experimentieren. Die Klimakrise verlangt schnelle Maßnahmen, die rasch wirken. Hier kann Wien noch mutiger werden.

Andrea Weninger ist Geschäftsführerin, Rosinak & Partner

Architektur

Was in Wien fehlt, ist die Weiterentwicklung der dreidimensionalen Gestalt der Stadt. Ein riesiges Spektrum an Möglichkeiten bleibt unausgeschöpft. Ich wünsche mir die Radikalität des Roten Wien zurück. Alternative Modelle für Dichte. Mehr Öffentlichkeit und Zugänglichkeit. Eine Transformation der Bestandsstadt und ihrer Straßen. Und die Produktion in die Stadt zurückholen. Wir brauchen erlebbare Beispiele der vielen Möglichkeiten in allen Maßstäben. Und bitte keine Panik vor Höhe im Zentrum! Mit den Worten Ursula von der Leyens: Wir müssen dem Systemwandel ein Gesicht verleihen!

Anna Popelka ist Architektin, PPAG Architects

Wohnbau

Damit Wien nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis eine klimafitte Stadt der Zukunft werden kann, brauchen wir sofort Maßnahmen in Flächenwidmung und Bauordnung. Aber nein, stattdessen werden Gebäude und Baukultur nach wie vor unter einen Glassturz gestellt. Ohne innovativen Wohnbau, ohne innerstädtische Nachverdichtung, ohne echte Begrünungskonzepte und ohne Balkone und Schattenplätze werden wir immer mehr grüne Wiese verbauen müssen. Es läuft total verkehrt. Wir müssen um jeden Preis unsere Umwelt und unsere Böden schützen – und nicht nur mittelmäßige Altbauten in der hintersten Vorstadt.

Hans Jörg Ulreich ist Geschäftsführer, Ulreich Bauträger

Energie

Das Prinzip „Energieeffizienz first“ ist simpel: erstens Bedarf vermeiden, reduzieren und optimieren – und zweitens den Rest aus erneuerbaren Energiequellen decken. Dieses Prinzip führt zu nachhaltigen, CO₂-freien Lösungen bei Neubauten und Sanierungen und ermöglicht langfristige Planbarkeit. Was so einfach klingt und im Wiener Neubau längst zum Standard gehört, ist im Altbau leider hochkomplex. Für die klimaneutrale Stadt braucht es daher ganzheitliche Lösungen. Eine vorausschauende, in die Stadtentwicklung integrierte Energieraumplanung ist dazu ein wesentlicher Baustein.

Inge Schrattenecker ist stv. Generalsekretärin, ÖGUT Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik

Kreislaufwirtschaft

Gute Stadtplanung ist sich ihrer Materialisierung bewusst. Sie entwickelt Strategien für die Ver- und Entsorgung in Bau, Betrieb und Bestand – von den Stoffströmen bis hin zum Regenwassermanagement. Als Teil der Stadtproduktion ist das Bauen ein wesentlicher Emittent, daher muss für die Entwicklung einer klimawirksamen Kreislaufwirtschaft die CO₂-Bilanz völlig neu betrachtet werden. Eine klimapositive Stadtplanung verbindet die Reduktion von Verkehr und Emissionen mit Strategien der CO₂-Speicherung – und zielt langfristig auf die Stadt als CO₂-Senke ab.

Thomas Romm ist Architekt, forschen planen bauen, und Initiator, Baukarussell

Soziales

Für das Gefüge in der Stadt ist soziale Kohäsion essenziell. Dazu braucht es institutionelle Möglichkeitsräume, die als multifunktionale Hubs fungieren – als Lernorte und Treffpunkte, mit Kulturangeboten und für Austausch und zur Förderung von Talenten. Solche Orte können soziale Ungleichheiten abfedern und schaffen Ausgleich für jene, die auf beengtem Raum wohnen und wenig Chancen und Möglichkeiten haben. Zudem bieten sie im Hochsommer Kühlung für all jene, die unter den Risiken der Stadthitze leiden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die klimaresiliente Umgestaltung des öffentlichen Raums als Wohnzimmer für alle.

Cornelia Dlabaja Stiftungsprofessur für nachhaltige Stadt- und Tourismusentwicklung, FH Wien, Sektionssprecherin Soziale Ungleichheit, ÖGS

Migration

Migration ist in Wien längst gelebte Realität. Über 50 Prozent der Jugendlichen haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Das ist die Mehrheitsgesellschaft von morgen. Gleichzeitig sind 34 Prozent der Menschen nicht wahlberechtigt – ein tiefgreifendes Demokratiedefizit, das noch zunehmen wird. Umso dringlicher ist es, eine solidarische, zukunftsfähige Gesellschaft zu gestalten, in der echte Teilhabe für alle möglich ist, und die Stadt so zu planen, dass sie Räume eröffnet, die ein gemeinsames Sprechen, Diskutieren und Streiten fördert.

Ivana Pilić ist Kuratorin und Kulturwissenschafterin, D-ARTS

14. Dezember 2024 Der Standard

Erst Grün, dann Grau

Der renommierte Schelling-Architekturpreis legt dieses Jahr erstmals den Fokus auf die Landschaftsarchitektur. Richtig so. Denn diese ist heute kein Lückenfüller für die Architektur mehr, sondern steht immer öfter an erster Stelle bei der Planung.

Zaha Hadid, Peter Zumthor, Kazuyo Sejima, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, Wang Shu und Lu Wengyu, Diébédo Francis Kéré: Sie alle haben zwei Dinge gemeinsam. Das erste: Sie gewannen den Pritzker-Preis, der als Nobelpreis für Architektur gilt. Das zweite: Allen von ihnen wurde Jahre vorher auch der Schelling-Preis für Architektur verliehen, der somit nicht zu Unrecht als Indiz für spätere Pritzker-Stars gilt, die sich mit singulären Bauten in die Architekturgeschichte einschreiben.

Ende November lud die Schelling-Architekturstiftung wieder zur Preisverleihung nach Karlsruhe, doch dieses Mal war alles anders. Denn die Jury hatte entschieden, heuer einmal nicht das gebaute Objekt zu honorieren, sondern das komplexe Dazwischen. Das Motto „Deep Transformations — Erde, Landschaft, Architektur“ legte den Fokus auf Landschaft, Natur, Klima und vernetzte Zusammenhänge.

Diese Würdigung des „ecological turn“ in Zeiten des Klimanotstands kommt zur rechten Zeit und spiegelt auch die zunehmende Aufmerksamkeit für die Landschaftsarchitektinnen und Freiraumplaner. Viel zu lange schien ihre Aufgabe, zumindest aus der hochnäsigen Perspektive vieler Architekten, das hübsche Auffüllen der Lücken zwischen den Bauwerken zu sein, und außerdem könne man das Gestalten von Freiräumen ja „irgendwie eh auch selbst“. Damit kommt man heute nicht mehr durch. Im Gegenteil. Manche stellen die berechtigte Frage, ob sich die Verhältnisse nicht überhaupt komplett umdrehen sollten und sich das Gebaute in ein lebendiges Netzwerk aus Baum, Busch, Wasser, Luftströmen, Klimadaten und Topografie einzuordnen habe.

Pferdehufe und Sprinkler

Wie solche grünen Konzepte die graue Stadt beeinflussen können, beweisen die drei für den Schelling-Preis Nominierten. Die Landschaftsarchitektin und Agronomin Teresa Galí-Izard und ihr Büro Architectura Agronomia aus Barcelona forscht in den katalanischen Bergen über Dinge wie die Interaktion von Gräsern und Pferdehufen und überträgt dieses landwirtschaftliche Wissen in die Stadt. Die Bepflanzung des Parque de Los Cuentos in Málaga entwickelte Galí-Izard beispielsweise aus dem Radius von Sprinklern heraus, an der ETH Zürich leitet sie den fast esoterisch benannten „Chair of Being Alive“.

Das Bureau Bas Smets aus Brüssel zeigt, dass wir den Klimanotstand mit seinen Regenfluten und Hitzewellen nicht mehr ignorieren dürfen, aber produktiv damit umgehen können. So ist Bas Smets am Anfang jedes Projekts mit dem Thermometer unterwegs, um Hitzeinseln in städtischen Asphaltwüsten aufzuspüren. Solche detaillierten „heat maps“ bildeten auch die Grundlage für seine Planung des Umfelds der vor einer Woche wiedereröffneten Kathedrale Notre-Dame.

Im südfranzösischen Arles ließ Bas Smets einen Park auf einem ehemaligen Industrieareal entstehen, dessen Fläche großteils mit Betonplatten belegt war. Um dieses leblose, vom Mistral durchfegte Areal zu transformieren, wurde als Erstes die topfebene Fläche zu einer Topografie umgeformt, in der sich quasi von selbst verschiedene mikroklimatische Zonen entwickelten. Heute sind hier 37 Vogelarten heimisch geworden.

Die Dritten im grünen Bunde, Erik-Jan Pleijster, Cees van der Weken und Peter Veenstra, tauften ihr Büro in Rotterdam LOLA Landscape Architects, eine Abkürzung von „Lost Landscapes“. Sie deuten die Stadt als verlorene und wiederzugewinnende Landschaft, in die sich das Gebaute einzufügen hat. Ihre Projekte umfassen kleine Dachlandschaften und große Deichprojekte in den Niederlanden sowie riesige Parkanlagen in China, wie den 128 Hektar großen Shenzhen Bay Park, dessen wogendes Grün von einem viereinhalb Kilometer langen roten Steg überschwebt wird.

LOLA wurde bei der Live-Jurierung in Karlsruhe der Preis verliehen, Bas Smets bekam den Publikumspreis, doch am preiswürdigsten war die Überzeugungskraft der Zeitenwende, die die Auswahl aller drei Planerteams symbolisierte. Einen Misston gab es dennoch zu vermelden. Für den Schelling-Architekturtheoriepreis, dessen Preisträger schon Monate vor der Zeremonie bestimmt wird, war James Bridle aus Großbritannien gewählt worden. Bridles Werk, insbesondere das Buch Ways of Being: Animals, Plants Machines – The Search for a Planetary Intelligence, verbindet Technologie, KI und Big Data mit der komplexen Intelligenz von Lebewesen. Über diese, so Bridle, wüssten wir noch viel zu wenig, und das sei durchaus ermutigend, weil es die Allmacht des Menschen über seine gebaute Umwelt infrage stelle.

Theorie und Praxis

Ein perfektes thematisches Ineinandergreifen von Theorie und Praxis also. Doch zwei Tage vor der Preisverleihung gab die Schelling-Stiftung bekannt, keinen Theoriepreis zu vergeben. Man war darauf aufmerksam gemacht worden, dass James Bridle unter den über 5500 Unterzeichnenden eines offenen Briefes war, der sich gegen die Zusammenarbeit mit israelischen Kultureinrichtungen aussprach, die sich „nicht gegen die Unterdrückung von Palästinensern positionieren“.

Man kann sich natürlich fragen, inwiefern ausgerechnet Kulturinstitutionen eines Landes verantwortlich sind für politisch-militärische Aktionen ihrer Regierung und wie die Position dieser Institutionen verifizierbar wäre. Die Entscheidung der Schelling-Stiftung und der Jury war zwar nachvollziehbar, aber auch Teil eines Klimas der quasi-rituellen und vorhersehbaren Distanzierungsperformances, die die deutsche Kulturlandschaft in den letzten Monaten geprägt haben. Das mündet nicht selten in eine sehr deutsche Beschäftigung mit sich selbst, die sich für die realen Geschehnisse in Palästina kaum zu interessieren scheint.

Die öffentlichen Reaktionen auf die Nichtvergabe des Preises an James Bridle waren so heftig wie erwartbar – auch Bridle selbst veröffentlichte ein Statement. Bas Smets und LOLA, nun auch in die undankbare Rolle gedrängt, sich zu positionieren, verlasen bei der Preisverleihung ein ausgewogen formuliertes gemeinsames Statement, in dem sie die Wichtigkeit des Dialogs betonten. Denn die Verantwortung für die gewachsene und gebaute Umwelt und das Überleben im Klimanotstand ist zu wichtig, um es aus den Augen zu verlieren.

9. November 2024 Der Standard

Der Elefant im Raum

Sie sind nicht schön. Sie sind überall. Niemand redet über sie: Gewerbegebiete. Auch Architektur und Städtebau haben sich bisher nicht für sie interessiert. Sollten sie aber. Denn hier gibt es viel zu tun.

Waren Sie schon mal spazieren im Industriezentrum Niederösterreich-Süd? Haben Sie schon mal einen Wochenendurlaub in der Klagenfurter Industrie- und Gewerbezone Ost gebucht oder einen schönen Restaurantabend im Gewerbepark Graz-Straßgang verbracht? Vermutlich nicht, und warum sollten Sie auch. In Gewerbegebiete geht man schließlich nicht, wenn man dort nichts Gewerbliches zu tun hat. Wir reden nicht über sie, und wenn wir an ihnen vorbeifahren, schauen wir nicht hin, und wenn wir hinschauen, denken wir uns nichts. Sie sind halt einfach da. Schön sind sie nicht, aber mein Gott, man braucht sie nun mal, zwengs der Wirtschaft warat’s. Und der Wirtschaft darf man nicht in die Quere kommen, deshalb lassen wir die Gewerbegebiete lieber in Ruhe.

Geringe Lebensdauer

Sie sind die großen Elefanten im Raum, unübersehbar und trotzdem ignoriert. Architektur und Städtebau beschäftigen sich praktisch nie mit ihnen. Aber warum eigentlich? Sie sind für Bodenversiegelung und Zersiedlung verantwortlich, sie kommen gerne im Doppelpack mit Umfahrungsstraßen und Kreisverkehren daher, die noch mehr Boden versiegeln, und die Lebensdauer ihrer Architektur ist gering. Viele Lagerhallen werden nach zehn Jahren schon wieder demoliert, weil der neue Eigentümer eben genau 6000 statt 5800 Quadratmeter Lagerfläche braucht.

Wie konnte es dazu kommen? Der Grund liegt im 20. Jahrhundert, in der 1933 von Le Corbusier und Co verabschiedeten Charta von Athen, die die strikte Funktionstrennung von Wohnung und Industrie vorsah. Nicht ohne Grund, damals war die Industrie tatsächlich schmutzig und ungesund. Heute ist sie das kaum noch, aber in der Raumordnung und den Baugesetzen lebt die Trennung fort.

Doch manche versuchen, hier neue Mischungen anzurühren. Die Stadt Wien beschloss 2017 das Fachkonzept Produktive Stadt, das mit dem Gewerblichen Mischgebiet eine neue Kategorie, die sogenannten rosa Zonen, einführte, in denen Wohnen und Arbeiten zusammenfinden sollen. International gelobt und allgemein als gute Idee begrüßt, wurde das Konzept seitdem jedoch kaum in konkreten Projekten umgesetzt. Vor allem, weil sich die Betriebssysteme Wohnbau und Gewerbe über Jahrzehnte auseinanderentwickelt haben und jede Mischung für die Bauträger ein finanzielles oder rechtliches Risiko darstellt.

Aber es gibt Stimmen in der Architektur, die sich Gedanken über neue Mischverhältnisse machen. Die Universität Darmstadt hatte 2019 in einer Studie erhoben, dass in Deutschland rund 400.000 zusätzliche Wohnungen allein auf innerstädtischen Flächen der zwanzig größten Lebensmittelmarkt- und Discounterketten entstehen könnten, ohne dabei Abstriche bei den Verkaufsflächen oder Parkmöglichkeiten zu machen.

Mistkübel der Nation

In Österreich beschäftigen sich Architekt Peter Lorenz und sein Büro Lorenz Ateliers seit Jahren mit der Frage, wie man den grauen Elefanten zivilisieren und wieder Teil der Stadt werden lassen kann. Denn der Status quo sei inakzeptabel, sagt er. „In Gewerbegebieten gibt es mit wenigen Ausnahmen keinen Städtebau, keine Architektur, keine Qualitäten, keine Planung, keine Effizienz, keine Arbeitsplatzqualität, kein Verkehrskonzept, keine Urbanität, keinen Klimaschutz, aber es gibt dafür Naturzerstörung, Verschwendung, Versiegelung, Kurzlebigkeit, Hässlichkeit, Beliebigkeit. Sie sind der Mistkübel der Nation.“

Neben dem Umdenken in der Klimakrise und dem Stopp der Bodenversiegelung gehe es hier auch um Schönheit, sagt Lorenz. „Wir müssen uns nicht einigen, was genau schön ist oder nicht, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Sonst gewinnt eben die Hässlichkeit. Nicht nur Tirol hat heute den hässlichsten Zustand seiner Geschichte erreicht.“ In der Tat: Warum eigentlich akzeptieren wir die tagtägliche Tristesse aus Asphaltflächen, Lagerhallen und irgendwo dazwischen geklemmten Würstlständen für die ungemütliche Mittagspause, als sei sie ein Naturgesetz?

Für das 500.000 Quadratmeter große Gewerbegebiet Mühlau/Arzl in Innsbruck entwickelten Lorenz Ateliers ein detailliertes Konzept der Durchmischung, in dem bis zu 9000 Wohnungen Platz finden könnten. So ließen sich in Österreichs teuerster Stadt wieder leistbare Angebote schaffen. An Mischtechniken gibt es mehrere, eine davon haben Lorenz Ateliers bereits in Wien-Liesing umgesetzt, wo sie eine komplette Schule auf einen Supermarkt setzten. Nur ein Beispiel dafür, wie man die scheinbar unvereinbaren Puzzlestücke neu zusammensetzen kann.

Auch das Wiener Architekturbüro Smartvoll ist seit Jahren auf der Terra incognita der Gewerbeparks unterwegs. Mit der ehemaligen Panzerhalle und dem Handelszentrum 16 bei Salzburg haben sie alte Hallen an der Peripherie mit neuen Inhalten gefüllt, was erstaunlich gut funktioniert. „Gewerbegebiete sind sozusagen unterplante Orte, die einer Planung bedürfen“, sagt Smartvoll-Architekt Christian Kircher. „Die simplen Flächenwidmungen in Österreich stammen aus dem vorigen Jahrtausend, davon müssen wir wegkommen.“

Die Alternative: entweder eine Schichtenwidmung, bei der Gewerbe und Nichtgewerbe gestapelt werden, oder eine von Smartvoll vorgeschlagene „Zwiebelwidmung“, innen Gewerbe, außen Wohnen.

Ein genau solches Zwiebelprojekt erarbeiten Smartvoll derzeit für eine leerstehende 5000-Quadratmeter-Lagerhalle bei Salzburg, angrenzend an ein Einfamilienhausgebiet. Hier könnten mit relativ geringem Aufwand bis zu 40 Wohnungen entlang der Fassade eingefügt werden, die übrig bleibenden Quadratmeter in der Mitte werden für verschiedenste Nutzer portioniert, von der Tennishalle bis zum Handwerksbetrieb.

„Leerstehende Gewerbehallen finden selten jemanden, der exakt dieses Objekt mit exakt dieser Fläche braucht“, sagt Kircher. „Wenn man die Fläche jedoch filetiert, hat man sehr gute Chancen am Markt.“ Die Herstellungskosten seien etwa halb so teuer wie ein Neubau, auf den großen Dächern könnten Photovoltaik und Urban Gardening Platz finden, und die großen Asphaltflächen um die Halle können entsiegelt und begrünt werden.

Eine Lösung, die sich, so Kircher, vor allem für mittelgroße und große Städte eignet, in denen Wohn- und Gewerbegebiete ohnehin schon zusammengewachsen sind. Eine klimaschonende und wirtschaftlich vernünftige Beautyfarm für die Elefanten, und eine Zivilisierung der Terra incognita.

2. November 2024 Der Standard

Was, wenn was passiert!

Die Angst vor dem Worst Case beeinflusst immer mehr die Planung von Architektur und Stadt. Doch dieses „form follows fear“ und seine Haftungsfragen-Ästhetik sind nicht nur hässlich, sondern auch nutzlos gegen den größten Worst Case der Gegenwart.

Am Anfang der Mariahilfer Straße, acht Uhr früh. Eine Kolonne weißer Lieferwagen versucht sich im Aufwärts-Riesenslalom, wie jeden Morgen. Eine Kolonne von Rad- und Scooterfahrern schlängelt sich in Gegenrichtung an ihnen vorbei. Fußgängerinnen und Fußgänger quetschen sich an den Straßenrand oder kreuzen mutig das Gewühl. Sollte der Rohbau des Kaufhauses Lamarr wieder zum Leben erwachen, wird auch der Schwerlastverkehr in diesem Verkehrsballett auf engstem Raum mitmachen, das Tag für Tag mit haarscharfen Fast-Kollisionen aufwartet.

Dabei war das alles ganz anders geplant, nämlich ohne das, was den Riesenslalom verursacht: vier stählerne Poller, mit rot-weiß-rot reflektierender Markierung als österreichische Poller ausgewiesen, und in die Begegnungszonenfahrbahn hineingerückte Betonpflanztröge. Am anderen Ende der Begegnungszone, beim Westbahnhof, dasselbe Bild, derselbe Slalom. Schön sieht das nicht aus.

Tröge und Poller

Die Tröge und Poller stehen hier aus einem Grund: Angst. Sie wurden installiert, weil jemand die Wahrscheinlichkeit einer Terrorattacke mit Lastwagen kalkulierte. Nach den Anschlägen in Paris, Nizza, Barcelona, London, Manchester und Stockholm publizierte die EU 2017 einen Aktionsplan zum Schutz öffentlicher Räume. In Wien bildete sich eine Arbeitsgruppe aus Stadtbaudirektion und Landespolizeidirektion, die Rammangriffe per Lkw als „wesentliches Bedrohungselement“ identifizierte. Rathausplatz, Kärntner Straße und Mariahilfer Straße wurden verpollert, das Bundeskanzleramt am Ballhausplatz ebenso. Danach bestand dort offensichtlich immer noch Restgefahr, denn heute sind auch die Zwischenräume zwischen den Pollern mit mobilen Metallzäunen versperrt.

Auch private Initiativen mischen mit: In der Bognergasse im ersten Bezirk wuchert seit diesem Jahr diverses Kraut aus drei ovalen Betontrögen. Es wuchert wegen der Angst, denn die Tröge wurden installiert, damit sich die Gäste des Schwarzen Kameels und des Park Hyatt sicherer fühlen und wurden von deren Eigentümern finanziert. Die Stadt hatte keinen Einwand gegen die Installierung von Betonovalen im historischen Zentrum und keine Änderungswünsche bezüglich deren Gestaltung. Laut Magistratsabteilung 28 (Straßenverwaltung und Straßenbau) sind sie „Teil eines übergeordneten Sicherheitskonzepts für die Innere Stadt, das in Zusammenarbeit von Polizei, Stadt, privaten Unternehmen und auf Empfehlung des Rechnungshofs erstellt wurde“. So sehen sie auch aus.

Diese Ästhetik der Angst, entstanden aus einem Denken in Worst-Case-Szenarien, beeinflusst unsere gebaute Umwelt immer mehr, und mit den gebauten Ergebnissen und ihrer traurigen Botschaft muss die Bevölkerung Tag für Tag leben. Oft erscheinen sie in der Praxis hinderlicher und riskanter als die theoretische Gefahr, der sie ihre Existenz verdanken. Würde ein Terrorist, der in entschlossenem Furor einen Rammangriff plant, angesichts von vier Pollern wirklich enttäuscht umkehren und den Lkw wieder in die Garage stellen?

Verteidigung und Abwehr als Grundprinzipien der Stadtgestaltung sind nicht neu, schließlich verdankte auch das Wiener Glacis seine Existenz und seine räumliche Dimension dem kalkulierten Worst Case „Beschuss mit Kanone“. Heute ist es der Terror, der die Städte zum Hindernisparcours werden lässt, aber auch gegen die Vulnerablen der Gesellschaft werden Verteidigungsgeschütze einer „Hostile Architecture“ aufgefahren. Abschnittsweise portionierte Sitzbänke und dornenübersäte Oberflächen, deren wesentliches Designprinzip ist, das Darauf-Schlafen zu verhindern. Dass das schön ist, behaupten wohl nicht einmal jene, die das planen und genehmigen.

Im Jahr 2017 zeigte die Ausstellung Form folgt Paragraf im Architekturzentrum Wien die unsichtbaren Regelwerke hinter dem Aussehen der gebauten Umwelt, dabei spielte die Vollkaskomentalität eines Haftungsfragendesigns, das sich gegen Schadenersatzklagen absichern will und muss, eine zentrale Rolle. Die Ausstellung erfuhr zu Recht große Aufmerksamkeit, aber eine Trendumkehr ist seither nicht festzustellen, im Gegenteil. Neben „form follows law“ scheint auch „form follows fear“ heute fest im Alltag verankert zu sein.

Das bestätigt auch eine Rundfrage bei Architektinnen und Architekten im In- und Ausland. Eine unvollständige Liste im Schnelldurchlauf: Schallschutzverglasungen, die aus Schallschutzgründen nicht geöffnet werden dürfen und dadurch auch nicht lüften können. Einklemmschutzwülste an Türen in Kindergärten. Die aufwendigen Wartungsstege und -geländer auf Dächern. Die gefürchtete Objektsicherheitsprüfung bei Wohnbauten. Die Erdbebensicherheit. Unterschiedliche Behörden, die unterschiedliche Stiegenbreiten vorschreiben. Die Vorschrift, dass alle Wohnungen barrierefrei sein müssen, auch bei Umbauten. Straßenbäume in Neubaugebieten, deren Anzahl gegenüber der anfänglichen Planung halbiert wird, damit die Feuerwehr ihre Leitern aufstellen kann.

Für sich betrachtet hat jede dieser Aktionen ihre Logik, doch oft kollidieren dabei gute Absichten miteinander: Begrünung und Brandschutz, CO₂-sparender Erhalt von Bausubstanz und Barrierefreiheit. Und natürlich treibt all das die Kosten so in die Höhe, dass sie woanders eingespart werden müssen. Analog zum Sprichwort „Wenn Krieg ist, leiden die Kinder am meisten“ ließe sich hier sagen: „Wenn Sparzwang ist, leiden die Fassaden am meisten.“ Wer das nachprüfen will, dem sei ein Spaziergang durch das neueste Wiener Stadtentwicklungsgebiet in der Berresgasse mit seinen schmucklosen Vollwärmeschutzklumpen empfohlen. Dass diese Gesetze keine Naturgesetze sind, sondern aus der jeweils lokalen Planungskultur-Melange entstehen, sieht man im internationalen Vergleich, etwa bei den Wohnbauten in der Schweiz, die inklusive Balkon unmittelbar neben Bahngleisen stehen dürfen, ohne dass jemand bei einer Kesselexplosion stirbt.

Diese Abschottung gegen Gefahren erzeugt ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, während wir an den Verteidigungslinien, an denen der schlimmste Worst Case der Menschheitsgeschichte bevorsteht, nämlich in der Klimakatastrophe, weitgehend ungerüstet und schutzlos sind. Gegen sommerliche Überhitzung, Hochwasser, Dürre, Ernteausfälle, steigende Meeresspiegel und globale Kipppunkte helfen keine Poller, keine Tröge und keine Zäune.

5. Oktober 2024 Der Standard

Die unsichtbare Revolution

Dekarbonisierung, weg vom Erdgas: Die Energiewende wird unsere Städte verändern. Aber wie? Das Wiener Festival Urbanize widmet sich in der kommenden Woche der Frage, wie Energie, Gerechtigkeit und Stadtplanung zusammengedacht werden können.

Das Erlebnis eines Spaziergangs durch eine europäische Großstadt am Ende des 19. Jahrhunderts werden wir wohl auch mit Künstlicher Intelligenz nie ganz simulieren können, doch die historischen Quellen belegen zuverlässig: Die industrielle Revolution war unübersehbar, unüberspürbar und unüberriechbar. Die Städte verrußten und verdieselten, nachdem die Menschheit herausgefunden hatte, dass man fossile Pflanzenreste aus der Erde holen und verbrennen konnte. Die Folgen dieser Energiewende bringen, wie wir heute wissen, Klima und Zivilisation an den Rand des Kollapses.

Mammutaufgabe

Die nächste, postfossile Energiewende dagegen ist eine weitgehend unsichtbare Revolution. Zwar mag man hier und da ein kleines Balkonkraftwerk erspähen, aber die Photovoltaik auf den Dächern und die Erdsonden unter dem Asphalt und die Rohre der Bauteilaktivierung in den Betondecken bleiben meist verborgen. Über die Mammutaufgabe der Dekarbonisierung bis zum Schlüsseljahr 2040 wird zwar gesprochen, sie zu begreifen ist weniger einfach.

Über die Energiewende reden, sie erleben und durch sie spazieren kann man kommende Woche in Wien beim Festival Urbanize. Als passende Festivalzentrale fungiert das „Village im Dritten“ in Wien-Landstraße, ein von der ARE Austrian Real Estate entwickelter Stadtteil mit 500 Erdwärmesonden, mit Photovoltaikanlagen und mit Anergienetzen.

Seit 2010 findet das von Elke Rauth und Christoph Laimer geleitete „Festival für urbane Erkundungen“ statt, den Machern der diskursfreudigen und nicht unbedingt unsperrigen Urbanismuszeitschrift Dérive, zeitgleich mit dem Festival erscheint eine Ausgabe zum Thema Energie. Festival und Zeitschrift fokussierten bisher auf Städtebau, Architektur, Soziologie und Politik, zu den bisherigen Titeln zählen Pandemie, Protest, Demokratische Räume und immer wieder die Wohnungsfrage. Haustechnik, Heizungsinstallationen und Wärmepumpen kamen bislang eher wenig vor. Warum jetzt?

Wärme und Strom seien öffentliche Infrastrukturen, die es zu sichern gelte, um allen ein gutes, menschenwürdiges Leben zu garantieren, heißt es im Heft. „Uns hat bei der Recherche überrascht, wie viele Lösungen für die Dekarbonisierung es schon gibt“, sagt Elke Rauth. „Man weiß eigentlich, wie es geht, aber die Frage ist, wie wir in die Gänge kommen.“ Sichtbar in die Gänge gekommen ist beispielsweise der „Superklimablock“ in der Simon-Denk-Gasse in Wien-Alsergrund. Hier wird seit April unter Federführung der Sozialbau AG ein grundstücksübergreifendes Nahwärmenetz realisiert, bei der Gelegenheit werden auch gleich Platz und Straße fußgängerfreundlich umgebaut.

Dass man in der dichtbebauten Gründerzeitstadt auf den Gehweg ausweichen muss, wenn es daran geht, Tiefenbohrungen für Erdsonden vorzunehmen, ist absehbar, und auch die Magistratsabteilungen sind darauf vorbereitet. „Das eröffnet aber auch Fragen nach der privaten Nutzung des öffentlichen Raums“, sagt Elke Rauth – und ist somit ein klassisches Urbanize-Thema.

Neue Nachbarschaften

Ebenfalls im Programm ist der Smart Block Geblergasse im 15. Gemeindebezirk, der Altbauten aus dem 19. Jahrhundert energetisch mittels eines Anergienetzes entfossilisierte und bereits mehrfach preisgekrönt wurde. Für Architekt Johannes Zeininger nicht nur eine technische Aufgabe, sondern auch der Weg zu einer neuen Art von Nachbarschaft. „Beim Erwerb einer Eigentumswohnung ist es oft ein schmerzlicher Prozess, die anderen Eigentümerinnen als Nachbarinnen zu begreifen, mit denen man nur gemeinsam das Haus weiterentwickeln kann. Das ist besonders spürbar beim Umstieg auf nachhaltige Energiequellen. Nach einer neoliberalen Phase des uneingeschränkten Egos müssen wir angesichts der Herausforderungen die Techniken praktikabler Nachbarschaft neu lernen.“

So kann die Tiefenbohrung zur Keimzelle der Solidarität werden, um die sich die Stadtbewohner scharen wie um ein wärmendes Lagerfeuer – nur eben ganz ohne CO₂. Über die Kopplung von Energieversorgung und Gerechtigkeit haben sich einige schon die Köpfe zerbrochen, etwa die erste regionale Wiener Energiegemeinschaft „Grätzl Energie“, die mit Photovoltaikanlagen Quartiere unabhängig von den Preisschwankungen am Strommarkt versorgen wollen.

Dabei kommen etablierte Rollen und Zuständigkeiten in Bewegung: Bauträger und Bürger werden Energieversorger, Investoren und Produzenten. „Sehr interessant sind Konzepte wie die von der Bewegung Attac entwickelte Energiedemokratie, die davon ausgeht, dass Strom und Wärme zur Grundversorgung gehören, und deren Modell eine sehr günstige Basisenergie mit höheren Preisen für hohe Verbräuche kombiniert“, sagt Elke Rauth.

Astrid Aretz, Gesellschafterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IöW) in Berlin, die beim Festival zum Thema „Energie? Demokratie!“ mitdiskutieren wird, forscht darüber, welche Möglichkeiten des Mitentscheidens neue Energiemodelle eröffnen – und wer dabei außen vor bleibt. „Der Wandel der Energieversorgung vollzieht sich schon seit vielen Jahren“, sagt sie. „Damit wurde zunächst eine vor allem finanzielle Teilhabe möglich, allerdings überwiegend für Eigenheimbesitzer. In Deutschland sind wir an dieser Stelle stehengeblieben, Österreich ist durch Modelle wie Energy-Sharing hier viel weiter.“

Die Lösung? „Ich würde mir eine Vielfalt an Beteiligungsmöglichkeiten wünschen mit besonderem Augenmerk auf die Mieterinnen. Mieterstrommodelle sind in Deutschland sehr kompliziert und wirtschaftlich unattraktiv, und die Mieterinnen haben auch keinen Anspruch darauf. Zudem können selbst geringe Anfangsinvestitionen für Menschen mit geringen Einkommen eine unüberwindbare Hürde darstellen.“

So abstrakt manche Aspekte der Energiewende sein mögen, bringt sie das Thema Klima doch schrittweise in den Wohnalltag und wird dadurch greifbar. „Die Frage des Energieverbrauchs hat das Potenzial, die Menschen näher zusammenrücken zu lassen, wirklich etwas zu bewegen, was das Klima und den Umgang mit Ressourcen betrifft“, so Elke Rauth. Und am besten beginnt man mit der gemeinsamen Bewegung durch die Stadt.

16. September 2024 Der Standard

Jedes Dorf ein Labor

Das Symposium Interventa in Hallstatt präsentiert regionale Baukultur von China über Pakistan bis ins Salzkammergut. Dabei geht die Wiederentdeckung des Handwerks Hand in Hand mit Technologie und Kultur.

Mit der Tradition ist es so eine Sache. Was als urig und echt verkauft wird, ist es oft nicht, und das Dirndl ist bekanntlich eine städtische Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Fährt man durch Österreichs Dörfer, merkt man, dass hier auch architektonisch einiges missverstanden wird. „Im Salzkammergut tragen die Leute authentische Tracht und würden nie einen Gamsbart aus Kunststoff in den Hut stecken, aber zu Hause bauen sie sich Plastikfenster ein“, sagt Friedrich Idam aus Hallstatt. Er kämpft als Sprecher der Bürgerliste Hallstatt gegen die Auswüchse des Übertourismus und ist als Experte für Baukultur die erste Adresse, wenn es um tatsächlich authentische regionale Konstruktionsmethoden geht.

Er entwickelte gemeinsam mit Günther Kain die Vermittlungsplattform Simple Smart Buildings und führte Workshops im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl Salzkammergut durch, vom Lehmbau bis zum Holzbau. Zuletzt wurden gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt 150 Jahre alte Fenster in der Kaiservilla Bad Ischl befundet und erneuert. „Die waren noch in Top-Zustand, man musste nur die Oberflächen revitalisieren, ein Öl-Kasein-Anstrich bei den Fensterläden und eine Leinöl-Auffrischung bei den Fenstern“, erzählt Idam. Die Beteiligten waren vor allem Handwerker, die sich spezialisieren wollen, aber auch Leute aus der Verwaltung und Eigentümer von Privathäusern. Ein Indiz, dass sich der Markt vom Neubau in Richtung Sanierung bewegt.

Simple und Smart, das bedeutet, mit einfachen vor Ort verfügbaren Materialien zu bauen. „Smart ist ein Gebäude dann, wenn es ohne weiteres Zutun einfach lange und gut funktioniert“, so die Definition auf Idams Website. Fachwissen statt Sentimentalität, eine Abkehr von Industrieprodukten mit langen Transportwegen und schlechter CO₂-Bilanz und eine Zuwendung zum Handwerk, aber keine Flucht in eine vermeintlich heile Heimatfilm-Vergangenheit.

Zukunftstaugliche Lösungen

„In meiner Beschäftigung mit der Denkmalpflege ist mir früh bewusst geworden, welcher Wissensschatz in unserem baukulturellen Erbe steckt, der auch zukunftstaugliche Lösungen birgt“, sagt Idam. Dabei halten sich Wiederentdeckung und Forschung die Waage. „Es gibt Wissensdefizite in Richtung Vergangenheit, also Dinge, die wir nicht mehr wissen. Aber wenn man sich die komplexen bauphysikalischen Prozesse dieser Techniken anschaut, merkt man, dass es auch vieles gibt, das wir noch gar nicht wissen.“

Um ein Weiterdenken des Regionalen wird es auch kommende Woche beim viertägigen Symposium Interventa gehen, das im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms an der HTBLA Hallstatt stattfinden wird. Der oft verwendete und nie genau definierte Begriff Baukultur wird hier besonders weit gedehnt und in sechs Kapiteln zwischen den Punkten Architektur, Philosophie, Soziologie, Kunst und Gastronomie aufgespannt. „Baukultur umschreibt, wie sich in Architektur und Landschaft die Art manifestiert, in der wir leben und kommunizieren“, sagt die Kulturwissenschafterin Sabine Kienzer, eine der beiden Interventa-Kuratorinnen. „Es soll keine Fachveranstaltung für Raumplaner sein, sondern offen für alle, die sich mit der Zukunft des ländlichen Raums auseinandersetzen“, sagt Co-Kuratorin Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs, die als Architektin mit Ernst Fuchs in Wien das Büro the Next Enterprise führt.

Die Teilnehmerliste versammelt einige große Namen der internationalen Regionalität. Da wäre die chinesische Architektin Xu Tiantian, die in der Region Songyang mit vielen Akupunkturen wie einer kleinen Tofufabrik in den Bergen das Aussterben der Dörfer ausbremste und dem Dorfleben ebenso einen Energieschub verlieh wie dem Tourismus. Die 83-jährige Yasmeen Lari aus Pakistan, voriges Jahr mit einer großen Werkschau im Architekturzentrum Wien geehrt, gibt mit ihren einfachen Bausystemen aus Lehm und Bambus den Laien ein Werkzeug zum Selbermachen an die Hand.

Ressourcenschonung

Anna Heringer wiederum brachte ihre eigenen Lehm- und Bambus-Erfahrungen aus Bangladesch in ihre Heimat Bayern zurück und fusionierte sie mit dortigen Baumethoden. In all diesen Fällen geht es mehr um Ressourcenschonung und Dauerhaftigkeit als um das Herstellen eines vertrauten Bildes. Gleichwohl können Häuser aus ortstypischen Materialien bei der Selbstfindung einer Region helfen. „Gerade in Tourismusregionen, die mit Abwanderungstendenzen zu kämpfen haben, ist es wichtig, dass die Menschen realisieren, dass sie die Zukunft selbst in der Hand haben“, sagt Harnoncourt-Fuchs.

Heidi Pretterhofer und Michael Rieper, die gemeinsam die 2023 eingerichtete Professur für Baukultur an der Kunstuniversität Linz innehaben, werden auch in Hallstatt auftreten. Sie beschäftigen sich mit dem von der Architekturwelt lange vernachlässigten Ländlichen. Regionale Baukultur als Hochschulthema: Eines von vielen Zeichen, dass der Bewusstseinswandel, den die Interventa anstoßen will, schon längst begonnen hat und nur noch einer Beschleunigung bedarf.

Dass das Symposium an der Hallstätter HTBLA stattfindet, ist kein Zufall, denn hier kommen Handwerk und Technologie zusammen. Das Ergebnis dieser Fusion, so Harnoncourt-Fuchs, schaue dann auch anders aus als das Gewohnte. „Ästhetik und Gestaltung sind wichtig im Hinblick auf das Bild der regionalen Identität. Hier gilt es, mutig zu sein.“

Countryside, The Future betitelte Rem Koolhaas 2020 seine Ausstellung im New Yorker MoMA, und in Österreich beweisen Akteure wie Landluft mit ihrem Baukultur-Gemeindepreis, dass Innovation nicht nur in städtischen Latte-Macchiato-Thinktanks passiert, sondern auch zwischen Berg, See und Almwiese: Dörfer nicht als Freilichtmuseum, sondern als Labore der Veränderung. „Der Begriff der Transformation ist für uns ganz zentral“, sagt Sabine Kienzer. „Auch Sprache und Kommunikation können diese Transformation vermitteln und befördern.“ Ganz konsequent, dass am Schluss der Interventa ein doppeltes Resümee stehen wird: eines von der Schriftstellerin Andrea Grill und ein zweites von einer KI.

26. August 2024 Der Standard

Punks mit Gipskarton

Berner Metamorphosen: Ein Lagerhaus und ein Bürohaus verwandelten sich in ungewöhnliche Wohnbauten. Zwei Beispiele dafür, wie eine Kultur des Erhaltens und Umbauens zu ganz neuen Ideen führt und Räume mit eigener Ästhetik erzeugt. Ein Besuch bei BHSF Architekten in der Schweiz.

Die Stahlbetonstütze ist von Aufklebern übersät: Eat the Rich, Klimademo Bern, Alpakas gegen Nazis. An der Wand daneben ein Wegweiser durch das Haus: im Erdgeschoss die Politische Bibliothek und ein Restaurant ohne Konsumzwang. Hohe Hallen mit bunten Hängelampen, freundlich grüßende junge Menschen, auf der Restaurantterrasse klappern Laptoptastaturen und Kaffeetassen, Kinder wuseln umeinander. Mit dem Lift nach oben auf die Dachterrasse: Über die liebevoll gepflegten Wildkräuter hinweg geht der Blick auf die Gipfel des Berner Oberlands.

In 350 Wohnungen auf zwölf Geschossen lebt hier am westlichen Stadtrand der Schweizer Bundeshauptstadt die Genossenschaft Warmbächli, und vor lauter Idylle kann man sich kaum vorstellen, dass sich hier noch vor wenigen Jahren eine Müllverbrennungsanlage und das Kakaobohnenlager eines Schokoladenherstellers befand, der wohl unwohnlichste Ort der Stadt. Und doch stecken 80 Prozent von dessen industrieller Stahlbetonsubstanz im Wohnbau, der in etwa dasselbe Volumen einnimmt. Das ergibt nicht nur Mehrwert im Charakter, sondern auch in Form von 4,50 Meter hohen Räumen und Sieben-Zimmer-Wohnungen, die man sich in einem Neubau nie ausdenken könnte. Zusammen mit den benachbarten, etwas weniger wilden Wohnbauten ergibt das ein Stadtquartier, das sicher weniger vital wäre, wenn man hier Tabula rasa gemacht hätte.

„Unser Haus ist in diesem Ensemble so etwas wie der Punk, der für die Atmosphäre sorgt“, sagt Axel Humpert von BHSF Architekten aus Zürich, die nicht nur für den Umbau des „Warmbächli“ verantwortlich waren, sondern auch für den Masterplan, der den größtmöglichen Erhalt des Bestandes vorsah. Die sozial engagierte Genossenschaft mit Wurzeln in der linken Berner Szene erwies sich als erwartbar experimentierfreudiger Bauherr.

Keine Hochglanzarchitektur

Das Ziel „Umbauen statt neu bauen“ ist aus Klimaschutzgründen heute ins Zentrum der Architektur gerückt, und die Schweiz gilt als Vorreiter dieser Wiederverwertungskultur. BHSF verlegten sich bereits nach der Bürogründung 2007 auf kleine Sanierungen alltäglicher Häuser – das, was sonst niemand machen wollte, sagt Humpert. „Wir haben dabei gelernt, unter welchem Druck die Bauindustrie steht, und soziologisches Wissen durch den Kontakt mit den Bewohnern gesammelt, deren Wohnungen wir sanierten.“ Akzeptiert man den Umbau als Normalität, führt das naturgemäß zu einer völlig anderen Ästhetik, einer Art Baustellen-Bricolage von Alt und Neu.

Die jüngste dieser Metamorphosen vom Unwohnlichen ins Wohnliche wurde Anfang 2024 in Köniz bei Bern bezogen, und ihre Bauherrenschaft könnte nicht weiter entfernt von der progressiven Wildheit des Warmbächli sein. Die AXA Investment Managers Schweiz AG, Teil der AXA Group, verfügte hier über zwei solide Bürohäuser, die erst 2006 fertiggestellt wurden, aber nach wenig mehr als zehn Jahren schon wieder leerstanden. Der Abriss eines kaum volljährigen Gebäudes wäre hier nicht vertretbar gewesen.

Von außen ist die Metamorphose scheinbar oberflächlich: statt nüchtern-einheitlicher Farblosigkeit zwei Häuser in Rosa und Grün, auf dem Dach in lieblicher Schreibschrift die Namen Lise und Lotte. Geschwungene Balkone wurden an die Fassaden geschraubt, die Fenster bekamen kecke kleine Pflanzkästen. So lässt sich auch ein ungewöhnliches Haus an eine Zielgruppe vermarkten, die sich auch für die „Business Hubs“ im Erdgeschoss interessiert.

Aufregende Nahtstellen

Im Inneren werden die Nahtstellen der Metamorphose aufregender und überraschender. „Die für den Bürobau typischen durchgehenden Fensterbänder verleihen den Wohnräumen eine helle Horizontalität“, sagt Axel Humpert. Das selbstgestellte Ziel, so viel wie möglich zu erhalten, ging bis in die Sanitärkeramik. Die WC-Schüsseln wurden gesichert, gereinigt, sauber aufgereiht. In einem Drittel der 80 Wohnungen fand die Weißware ein neu-altes Zuhause. „Es hat für uns mit ganz normalem Menschenverstand zu tun, dass man etwas, das nicht kaputt ist, nicht wegwirft“, sagt der Architekt.

Die neuen Gipskartonplatten für die Trennwände, um die man aus Kostengründen nicht herumkam, ließen die Architekten unverputzt; ein veredelnder Streifen Farbe im unteren Bereich verhinderte, dass die Bauherren nervös um den Wiederverkaufswert ihrer Immobilie bangen mussten. Eine schweizerische Art von Unfertigkeit, bei der auch das Unsaubere sauber aussieht. Mehr noch: Die Briefkästen wurden von BHSF als Gebrauchtware aus verschiedenen Quellen online ersteigert und schmücken nun die Fassade wie eine pragmatische Kunstinstallation – mit der rechtlichen Konsequenz, dass die Architekten die Gewährleistung übernehmen mussten.

So unterschiedlich die beiden Berner Metamorphosen sind, sprechen sie doch von derselben Haltung: einer, die das Bestehende per se als interessant und wertvoll ansieht, auch wenn es nicht den Sanktus des Denkmalschutzes hat. Einer, die in diesem Bestand eine Fülle von Möglichkeiten sieht. Und gewohnt werden kann plötzlich fast überall.

„Der Umbau ist für uns ein Innovationskatalysator“, sagt Humpert. „Er zwingt dazu, eingeübte Konventionen zu hinterfragen, auch unsere eigenen als Architekten.“ Und man müsse das (um)gebaute Ergebnis anders bewerten, nämlich immer in Bezug auf die Rahmenbedingungen und das, was man mit ihnen erreichen könne. Das heißt auch, dass viele Qualitäten nicht fotogen auf den ersten Blick sichtbar sind, sondern gespeichert in sich überlagernden Schichten, die ihre Geschichten erzählen.

10. August 2024 Der Standard

Match um die Halle

Die Neue Mittelschule Weiz von Architekt Viktor Hufnagl gehört zu den wichtigsten Schulbauten Österreichs und steht unter Denkmalschutz. Nach 56 Jahren steht die dringende Sanierung an. Die Gemeinde will die Schule durch einen Neubau ersetzen. Die Fachwelt protestiert.

Es handle sich hier um „ein Schulgebäude, welches in der Art seiner Ausführung zunächst ungewöhnlich scheinen mag“, räumte Willibald Krenn ein, Bürgermeister von Weiz. Doch sei der Bau „vorausschauend mit allen baulichen Voraussetzungen für den zukünftigen Unterricht ausgestattet“. Es war eine kleine Revolution des Schulbaus, die sich 1968 in der steirischen Kleinstadt zutrug. Die neue Mittelschule war eine Absage an den autoritären „Kasernentyp“ der Gangschule des 19. Jahrhunderts, stattdessen eine dreigeschoßige Halle mit großen Oberlichten, um die sich die Klassenräume im Quadrat gruppierten.

Ein Bau voller Kontraste: schwerer Sichtbeton und luftiges Inneres, strenges Quadratraster und eine barock anmutende Prunkstiege. Dazu eine gute Dosis Wagemut in der Statik, mit wenigen Stützen und breiten Auskragungen. Den progressiven pädagogischen Geist der Sechziger, von Architekt Viktor Hufnagl in räumliche Form gegossen.

Große Wertschätzung

Es folgte reichlich Wertschätzung für die radikale Schule: Schon im Eröffnungsjahr bekamen der Bürgermeister den Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten und der Schulwart den Preis für den besten Blumenschmuck des Landes Steiermark. Friedrich Achleitner lobte den Bau, 2020 folgte die GerambRose in der Kategorie „Klassiker“, 2022 war die Schule wichtiger Bestandteil der Ausstellung Geometrien des Lebens im fjk3 in Wien und im aut in Innsbruck. „In seinem Entwurf für die Weiz brachte Hufnagl seine tiefgehenden Kenntnisse der internationalen Bestrebungen im Schulbau, die Aufenthaltsqualitäten von Erschließungsräumen, Versammlungsräumen und Unterrichtsräumen zu verbessern“, so Elise Feiersinger, die mit Gabriele Kaiser die Ausstellung kuratierte. „Es ist ein Schlüsselwerk des österreichischen Schulbaus.“

Eines, das heute unter Denkmalschutz steht. Aber auch eines, das – für ein 56 Jahre altes Gebäude nicht unüblich – einer dringenden Renovierung bedarf. Dach und Fenster sind undicht, die heutigen Anforderungen an Wärme-, Schall- und Brandschutz verlangen nach Lösungen. Wie damit umzugehen ist, wird in Weiz seit Jahren diskutiert. Jetzt hat sich die Lage verschärft, denn im Juni beschloss der Gemeinderat einen Antrag auf Aufhebung des Denkmalschutzes. Die Schule soll weg und durch einen Neubau direkt daneben ersetzt werden. In einem offenen Brief plädierten die Architekturinstitutionen docomomo Austria, Bauten in Not und ÖGFA für den Erhalt, im Juli folgte ein ebensolcher Brief der gesammelten Professorenschaft der TU Graz.

Ingo Reisinger (SPÖ), seit Mai Bürgermeister von Weiz, verstehe die Sicht der Architektenschaft, sagt er zum ΔTANDARD. „Aber die Lebensrealität zeigt, dass das Gebäude nicht mehr die Anforderungen einer zeitgemäßen Schule erfüllt. Als Bürgermeister kann ich nicht emotional agieren, sondern muss die bestmögliche Ausbildungsstätte für Schüler und Lehrpersonal garantieren. Ich verwalte öffentliches Geld und agiere dabei nach den Prinzipien Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Wenn also das Gutachten eines profunden Sachverständigen besagt, dass eine Sanierung deutlich teurer ist als ein Neubau, habe ich mich dementsprechend zu entscheiden.“

Zweites Gutachten

Besagtes Gutachten des Büros Seiser + Seiser aus Graz kommt zum Ergebnis, dass eine Sanierung rund 50 bis 60 Millionen Euro, ein Neubau dagegen rund 30 Millionen Euro kosten würde. Klingt deutlich, allerdings gibt es eine zweite Studie, die Gangoly & Kristiner Architekten 2022 für die Stadt Weiz in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt und der Bildungsdirektion Steiermark erstellten, die zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Statik und Brandschutz wären lösbar, für die Sanierung von Sichtbeton gebe es heute reichlich Expertise, die dünnen Fenster ließen sich aufdoppeln.

„Die Schule wäre nach der Sanierung auf einem zeitgemäßen technischen Standard und entspricht den pädagogischen Anforderungen“, sagt Hans Gangoly, Professor an der TU Graz. Zwar sei die Sanierung laut der von seinem Büro erstellten Studie etwa elf Prozent teurer als ein Neubau. Allerdings seien bei den Neubaukosten jene für Grundstück, Aufschließung und Abbruch nicht berücksichtigt.

Die Frage, wie man mit der Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre, die jetzt ins renovierungsbedürftige Alter kommt, umgeht, wird nicht nur in Weiz diskutiert. Besonders, wenn eine Sichtbetonoptik dazukommt, wird gerne mit wuchtigen Worten wie „Schandfleck“ argumentiert. So wehrte sich die Gemeinde Neusiedl am See mit Händen und Füßen gegen die Unterschutzstellung des dortigen Hallenbads von 1977, einem bestens erhaltenen Beispiel des Burgenland-Brutalismus. Auf der anderen Seite stehen beispielhafte Sanierungen wie jene der Pädagogischen Hochschule Salzburg von riccione Architekten, die deren betonierte Sachlichkeit liebevoll in die Gegenwart transferierte und mehrfach preisgekrönt wurde. Nicht zuletzt wurde eine andere Hallenschule von Viktor Hufnagl, die 1973 eröffnete Modellschule in Wörgl, bereits 2003 saniert. Es geht also – wenn man will.

Vielleicht hilft auch der Blick auf den Zwillingsbau der Weizer Mittelschule, das bereits sanierte Gymnasium, suggeriert Eva Kuß, Architektin in Graz und Expertin für Nachkriegsarchitektur. „Hier hat sich die große Halle bis heute als Treffpunkt und Ort für Schulaktivitäten bewährt. Räume von solcher Großzügigkeit würde man heute in einem Neubau wohl kaum realisiert bekommen.“

Der Spielball im Match zwischen Erhalt und Abriss liegt derzeit beim Bundesdenkmalamt. Eine Aufhebung des Denkmalschutzes und ein Abriss dieses Architekturmeilensteins wäre ein fatales Ergebnis. Ein besseres, das sich an die Wertschätzung der Anfangsjahre erinnert, wäre in solchen Fällen zweifellos möglich – wenn man die Gemeinden mit der Sanierung und den Kosten nicht alleinlässt. Denn Schulbau und Bildung sind eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, die von der Baukultur nicht zu trennen ist.

27. Juli 2024 Wojciech Czaja
Der Standard

Anatomie des Schnackselns

Am 28. Juli ist Internationaler Sex-Tag. Wir haben sechs Leute aus unterschiedlichen Berufen und Lebensbereichen gefragt: Was macht einen sinnlichen, erotischen, sexuellen Raum aus?

Stephan Ferenczy
Architekt, BEHF

Wo und wie Sex innerhalb der Architektur Platz findet, entzieht sich unserer Kontrolle. Dass er innerhalb von geplanten und gebauten Räumen geschieht, ist allen Betroffenen bewusst. Und Sex findet überall statt, sofern unsere Scham und unsere Gesetze es zulassen. Küchentische, Besenkammern und Flugzeugtoiletten wissen das. Was präzisiert der Neufert oder die kleine ergonomische Datensammlung des TÜV dazu? Leider nichts. Wenn Sex Gegenstand einer Bauaufgabe ist, was äußerst selten ausgedrückt wird, sollte er mit einem gewissen Ernst thematisiert werden. BEHF hat die Boutique Bizarre auf der Reeperbahn in Hamburg und den Fetisch-Shop Tiberius in Wien realisiert – appetitliche, erfolgreich funktionierende Sex-Retailer. Die Frage ist: Haben wir Architektinnen und Architekten unsere Projekte anders betreut und gelöst, weil wir (ständig) an Sex gedacht haben? Sicher jedenfalls ist, dass die neuen ÖBB-Schlafwagen von Robotern entworfen wurden.

Sabine Pollak
Architektin, Autorin, Professorin an der Kunstuniversität Linz

Der Wohnbau ist die am stärksten reglementierte Architekturtypologie nach dem Gefängnis. Körperliches Begehren kommt dabei nicht vor, denn die Moderne hat alles wegrationalisiert. Le Corbusier schrieb das Emotionale den Frauen zu, das Rationale den Männern. Alle Körperlichkeit wurde dadurch aus dem modernen Wohnbau ausgegrenzt. Das Bett im Corbusier-Haus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung ist das wohl unsexyste Bett der Architekturgeschichte: hart, spröde und schmal. Auch der heutige Wohnbau ist komplett durchreguliert. Es gibt nichts Schlimmeres als das Normschlafzimmer: Doppelbett, Schrankwand, zwei Nachtkastln. Hinzu kommt noch die Selbstüberwachung mit Smart Watches, die unsere Körperfunktionen bewerten. Mit Freiheit hat das nichts zu tun, sondern mit Ängsten und Maßregelungen, die uns in unseren Wohnungen gefangen halten. Ich hoffe, dass sich die jüngeren Generationen davon befreien und eine andere Haltung zum Thema entwickeln.

Lukas de Berlin
Veranstalter von queeren und transfreundlichen Sexpartys in Berlin, BEHF

Was braucht es, damit ein Sex-Space funktioniert? Es braucht schlicht die Erlaubnis zu begehren. Außerdem braucht es Komfort, Hygiene, die richtige Temperatur, das richtige Licht (oder auch gar kein Licht) und die Möglichkeit, sich an einem Getränk anzuhalten. Auch ich als queerer, transmaskuliner Veranstalter bin jedes Mal neu aufgeregt, frage mich, was ich gerne ausprobieren würde, und dann füllen wir den großen Darkroom und die verwinkelten, mit Vorhängen verhüllten Separees mit lautem Stöhnen und machen unsere Laken feucht und dreckig. Vor allem die Trans-Community, für die es – im Gegensatz zu schwulem Sex und phallozentrischen, patriarchal dominierten Narrativen – meist keine öffentlichen Sexräume in der Stadt gibt, ist herausgefordert, ihre ganz eigenen sexuellen Wege zu suchen und zu finden. Das steht auch nicht in der Bravo. Mein Ziel? Spielen, experimentieren und Dummheiten machen. Denn: Es menschelt beim Schnackseln!

Tanja Wehsely
Geschäftsführerin Volkshilfe Wien

Sexualität und Intimität gehören zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Auch die WHO erkennt das Recht auf sexuelle Gesundheit an. Dabei geht es um mehr als bloß um den „Akt“, es geht um Nähe und Zusammensein. Als armutsgefährdete, wohnungslose oder pflegebedürftige Frau jedoch wird einem dieses Recht oft nicht zugestanden. Auch alleinerziehende Frauen werden von vielen nur als Mutter gesehen, obwohl auch sie Bedürfnisse haben. Da heißt es: Man soll doch dankbar für das Dach über den Kopf sein, mehr hat man nicht zu wollen. Unsere Gesellschaft ist zwar übersexualisiert, aber wenn es um alte, pflegebedürftige, marginalisierte Gruppen geht, schaut man lieber weg. Wir als Volkshilfe Wien wollen Menschen nicht nur versorgen, sondern empowern. Im Frauenwohnprojekt Hafen*, im Notquartier Nordlicht und in den Häusern für ehemals Wohnungslose sind individuelle Rückzugsräume ganz elementar, und unsere Beratungsstelle „Sophie“ bietet Fortbildung bei Sexualbegleitung an.

Bart Lootsma
Architekturtheoretiker

Begehren ist eines der schönsten Gefühle, aber es verunsichert uns auch, weil wir uns anfangs nie sicher sind, ob die andere Person das Gleiche empfindet. Die Architektur bildet dafür den Hintergrund, den Rahmen fürs Sehen und Gesehenwerden. Einige der interessantesten Studien über Räume des Begehrens stammen aus der Forschung zu Queer Spaces. Jan Kapsenberg schrieb in Erotische Manöver über den Spartacus Gay Guide, der mit Piktogrammen zeigt, wo Schwule ihre Interessen ausleben können. Meistens sind diese Orte architektonisch unauffällig versteckt im ausgedehnten urbanen Gewebe. Kapsenberg entwickelte aus den Piktogrammen eine Entwurfsmethode, die aus einem neutralen Raum einen Raum für Schwule macht. Blicklinien für den Augenkontakt, kleine Tische, damit die Knie sich berühren können, Duschen mit Bänken, von denen man den anderen zuschauen kann, im hinteren Teil dunklere Rückzugsräume und ganz hinten die finsteren Darkrooms. Eine Gay-Software.

Elke Silvia Krystufek
Künstlerin

Man kann Räume mit Farbe berühren. Sexualität behandelt immer auch Grenzen und deren Überschreiten. Auf der Biennale 2009 in Venedig bin ich mit der Farbe über die Tafelbilder bewusst hinausgefahren, direkt auf die Pavillonwände. Außen am Pavillon habe ich die Länderbezeichnung „Austria“ durch das Wort „Tabu“ in blauer Schrift ersetzt. Im Kunstraum Innsbruck habe ich 2004 als Eröffnungsperformance eine Penisform aus einem eigens angefertigten Pantonsessel herausgesägt, und für das Mak habe ich 2006 einen Penis-Stahlrohrtisch entworfen. In meinen sexuellen Kunstinstallationen mag ich unaufgeräumte Räume, oft mit Schaufensterpuppen, Gebrauchsspuren, tropfenden Farben, flüssigkeitsdurchtränkten Stoffen und ausdrucksstarken Mündern und Augen. Nachts träume ich vom Stadtraum, nackt bei der Donauinsel schwimmend, ohne Kontaktlinsen, auf die glitzernde Skyline von Wien blickend, während die Lichter durch die Unschärfe wie Blumen aussehen.

Publikationen

2017

Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter?

Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter? Die Ausstellung ist ein Plädoyer für den Fortschritt in Architektur, Wohnungsbau und Städtebau. Wie wir wohnen ist nicht unseren Genen geschuldet, wie wir wohnen ist ein über Generationen an gelerntes Verhalten, dessen Weiterentwicklung von der Dauerhaftigkeit
Hrsg: Kristin Feireiss, Hans-Jürgen Commerell
Autor: Maik Novotny, Kristin Feireiss, Kaye Geipel, Anna Popelka, Georg Poduschka
Verlag: PPAG, Aedes Architekturforum

2014

PPAG: Speaking Architecture
Phenomenology / Phänomenologie

Ein Elefantenhaus, ein Wohnberg, ein Dorf am Dach. Eine offene Schullandschaft, ein barockes Parkhaus, ein silbern schimmernder Windkanal. Das Wiener Büro PPAG architects, 1995 von Anna Popelka und Georg Poduschka gegründet, denkt Architektur mit Scharfsinn, Lust und Erfindergeist immer wieder neu. Ihr
Hrsg: Maik Novotny
Autor: Anna Popelka, Georg Poduschka, PPAG
Verlag: Ambra Verlag

2007

Eastmodern
Architecture and Design of the 1960s and 1970s in Slovakia

Eastern modernist architecture of the 60’s and 70’s is moving away from the specialized focus of international architecture debates and becoming a subject of discussion within the broader context of general interest. The excellent photos in the book convey the flair of an era in which planning was obviously
Autor: Maik Novotny, Hertha Hurnaus, Benjamin Konrad
Verlag: SpringerWienNewYork