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Jedes Dorf ein Labor
Das Symposium Interventa in Hallstatt präsentiert regionale Baukultur von China über Pakistan bis ins Salzkammergut. Dabei geht die Wiederentdeckung des Handwerks Hand in Hand mit Technologie und Kultur.
16. September 2024 - Maik Novotny
Mit der Tradition ist es so eine Sache. Was als urig und echt verkauft wird, ist es oft nicht, und das Dirndl ist bekanntlich eine städtische Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Fährt man durch Österreichs Dörfer, merkt man, dass hier auch architektonisch einiges missverstanden wird. „Im Salzkammergut tragen die Leute authentische Tracht und würden nie einen Gamsbart aus Kunststoff in den Hut stecken, aber zu Hause bauen sie sich Plastikfenster ein“, sagt Friedrich Idam aus Hallstatt. Er kämpft als Sprecher der Bürgerliste Hallstatt gegen die Auswüchse des Übertourismus und ist als Experte für Baukultur die erste Adresse, wenn es um tatsächlich authentische regionale Konstruktionsmethoden geht.
Er entwickelte gemeinsam mit Günther Kain die Vermittlungsplattform Simple Smart Buildings und führte Workshops im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl Salzkammergut durch, vom Lehmbau bis zum Holzbau. Zuletzt wurden gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt 150 Jahre alte Fenster in der Kaiservilla Bad Ischl befundet und erneuert. „Die waren noch in Top-Zustand, man musste nur die Oberflächen revitalisieren, ein Öl-Kasein-Anstrich bei den Fensterläden und eine Leinöl-Auffrischung bei den Fenstern“, erzählt Idam. Die Beteiligten waren vor allem Handwerker, die sich spezialisieren wollen, aber auch Leute aus der Verwaltung und Eigentümer von Privathäusern. Ein Indiz, dass sich der Markt vom Neubau in Richtung Sanierung bewegt.
Simple und Smart, das bedeutet, mit einfachen vor Ort verfügbaren Materialien zu bauen. „Smart ist ein Gebäude dann, wenn es ohne weiteres Zutun einfach lange und gut funktioniert“, so die Definition auf Idams Website. Fachwissen statt Sentimentalität, eine Abkehr von Industrieprodukten mit langen Transportwegen und schlechter CO₂-Bilanz und eine Zuwendung zum Handwerk, aber keine Flucht in eine vermeintlich heile Heimatfilm-Vergangenheit.
Zukunftstaugliche Lösungen
„In meiner Beschäftigung mit der Denkmalpflege ist mir früh bewusst geworden, welcher Wissensschatz in unserem baukulturellen Erbe steckt, der auch zukunftstaugliche Lösungen birgt“, sagt Idam. Dabei halten sich Wiederentdeckung und Forschung die Waage. „Es gibt Wissensdefizite in Richtung Vergangenheit, also Dinge, die wir nicht mehr wissen. Aber wenn man sich die komplexen bauphysikalischen Prozesse dieser Techniken anschaut, merkt man, dass es auch vieles gibt, das wir noch gar nicht wissen.“
Um ein Weiterdenken des Regionalen wird es auch kommende Woche beim viertägigen Symposium Interventa gehen, das im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms an der HTBLA Hallstatt stattfinden wird. Der oft verwendete und nie genau definierte Begriff Baukultur wird hier besonders weit gedehnt und in sechs Kapiteln zwischen den Punkten Architektur, Philosophie, Soziologie, Kunst und Gastronomie aufgespannt. „Baukultur umschreibt, wie sich in Architektur und Landschaft die Art manifestiert, in der wir leben und kommunizieren“, sagt die Kulturwissenschafterin Sabine Kienzer, eine der beiden Interventa-Kuratorinnen. „Es soll keine Fachveranstaltung für Raumplaner sein, sondern offen für alle, die sich mit der Zukunft des ländlichen Raums auseinandersetzen“, sagt Co-Kuratorin Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs, die als Architektin mit Ernst Fuchs in Wien das Büro the Next Enterprise führt.
Die Teilnehmerliste versammelt einige große Namen der internationalen Regionalität. Da wäre die chinesische Architektin Xu Tiantian, die in der Region Songyang mit vielen Akupunkturen wie einer kleinen Tofufabrik in den Bergen das Aussterben der Dörfer ausbremste und dem Dorfleben ebenso einen Energieschub verlieh wie dem Tourismus. Die 83-jährige Yasmeen Lari aus Pakistan, voriges Jahr mit einer großen Werkschau im Architekturzentrum Wien geehrt, gibt mit ihren einfachen Bausystemen aus Lehm und Bambus den Laien ein Werkzeug zum Selbermachen an die Hand.
Ressourcenschonung
Anna Heringer wiederum brachte ihre eigenen Lehm- und Bambus-Erfahrungen aus Bangladesch in ihre Heimat Bayern zurück und fusionierte sie mit dortigen Baumethoden. In all diesen Fällen geht es mehr um Ressourcenschonung und Dauerhaftigkeit als um das Herstellen eines vertrauten Bildes. Gleichwohl können Häuser aus ortstypischen Materialien bei der Selbstfindung einer Region helfen. „Gerade in Tourismusregionen, die mit Abwanderungstendenzen zu kämpfen haben, ist es wichtig, dass die Menschen realisieren, dass sie die Zukunft selbst in der Hand haben“, sagt Harnoncourt-Fuchs.
Heidi Pretterhofer und Michael Rieper, die gemeinsam die 2023 eingerichtete Professur für Baukultur an der Kunstuniversität Linz innehaben, werden auch in Hallstatt auftreten. Sie beschäftigen sich mit dem von der Architekturwelt lange vernachlässigten Ländlichen. Regionale Baukultur als Hochschulthema: Eines von vielen Zeichen, dass der Bewusstseinswandel, den die Interventa anstoßen will, schon längst begonnen hat und nur noch einer Beschleunigung bedarf.
Dass das Symposium an der Hallstätter HTBLA stattfindet, ist kein Zufall, denn hier kommen Handwerk und Technologie zusammen. Das Ergebnis dieser Fusion, so Harnoncourt-Fuchs, schaue dann auch anders aus als das Gewohnte. „Ästhetik und Gestaltung sind wichtig im Hinblick auf das Bild der regionalen Identität. Hier gilt es, mutig zu sein.“
Countryside, The Future betitelte Rem Koolhaas 2020 seine Ausstellung im New Yorker MoMA, und in Österreich beweisen Akteure wie Landluft mit ihrem Baukultur-Gemeindepreis, dass Innovation nicht nur in städtischen Latte-Macchiato-Thinktanks passiert, sondern auch zwischen Berg, See und Almwiese: Dörfer nicht als Freilichtmuseum, sondern als Labore der Veränderung. „Der Begriff der Transformation ist für uns ganz zentral“, sagt Sabine Kienzer. „Auch Sprache und Kommunikation können diese Transformation vermitteln und befördern.“ Ganz konsequent, dass am Schluss der Interventa ein doppeltes Resümee stehen wird: eines von der Schriftstellerin Andrea Grill und ein zweites von einer KI.
Er entwickelte gemeinsam mit Günther Kain die Vermittlungsplattform Simple Smart Buildings und führte Workshops im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl Salzkammergut durch, vom Lehmbau bis zum Holzbau. Zuletzt wurden gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt 150 Jahre alte Fenster in der Kaiservilla Bad Ischl befundet und erneuert. „Die waren noch in Top-Zustand, man musste nur die Oberflächen revitalisieren, ein Öl-Kasein-Anstrich bei den Fensterläden und eine Leinöl-Auffrischung bei den Fenstern“, erzählt Idam. Die Beteiligten waren vor allem Handwerker, die sich spezialisieren wollen, aber auch Leute aus der Verwaltung und Eigentümer von Privathäusern. Ein Indiz, dass sich der Markt vom Neubau in Richtung Sanierung bewegt.
Simple und Smart, das bedeutet, mit einfachen vor Ort verfügbaren Materialien zu bauen. „Smart ist ein Gebäude dann, wenn es ohne weiteres Zutun einfach lange und gut funktioniert“, so die Definition auf Idams Website. Fachwissen statt Sentimentalität, eine Abkehr von Industrieprodukten mit langen Transportwegen und schlechter CO₂-Bilanz und eine Zuwendung zum Handwerk, aber keine Flucht in eine vermeintlich heile Heimatfilm-Vergangenheit.
Zukunftstaugliche Lösungen
„In meiner Beschäftigung mit der Denkmalpflege ist mir früh bewusst geworden, welcher Wissensschatz in unserem baukulturellen Erbe steckt, der auch zukunftstaugliche Lösungen birgt“, sagt Idam. Dabei halten sich Wiederentdeckung und Forschung die Waage. „Es gibt Wissensdefizite in Richtung Vergangenheit, also Dinge, die wir nicht mehr wissen. Aber wenn man sich die komplexen bauphysikalischen Prozesse dieser Techniken anschaut, merkt man, dass es auch vieles gibt, das wir noch gar nicht wissen.“
Um ein Weiterdenken des Regionalen wird es auch kommende Woche beim viertägigen Symposium Interventa gehen, das im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms an der HTBLA Hallstatt stattfinden wird. Der oft verwendete und nie genau definierte Begriff Baukultur wird hier besonders weit gedehnt und in sechs Kapiteln zwischen den Punkten Architektur, Philosophie, Soziologie, Kunst und Gastronomie aufgespannt. „Baukultur umschreibt, wie sich in Architektur und Landschaft die Art manifestiert, in der wir leben und kommunizieren“, sagt die Kulturwissenschafterin Sabine Kienzer, eine der beiden Interventa-Kuratorinnen. „Es soll keine Fachveranstaltung für Raumplaner sein, sondern offen für alle, die sich mit der Zukunft des ländlichen Raums auseinandersetzen“, sagt Co-Kuratorin Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs, die als Architektin mit Ernst Fuchs in Wien das Büro the Next Enterprise führt.
Die Teilnehmerliste versammelt einige große Namen der internationalen Regionalität. Da wäre die chinesische Architektin Xu Tiantian, die in der Region Songyang mit vielen Akupunkturen wie einer kleinen Tofufabrik in den Bergen das Aussterben der Dörfer ausbremste und dem Dorfleben ebenso einen Energieschub verlieh wie dem Tourismus. Die 83-jährige Yasmeen Lari aus Pakistan, voriges Jahr mit einer großen Werkschau im Architekturzentrum Wien geehrt, gibt mit ihren einfachen Bausystemen aus Lehm und Bambus den Laien ein Werkzeug zum Selbermachen an die Hand.
Ressourcenschonung
Anna Heringer wiederum brachte ihre eigenen Lehm- und Bambus-Erfahrungen aus Bangladesch in ihre Heimat Bayern zurück und fusionierte sie mit dortigen Baumethoden. In all diesen Fällen geht es mehr um Ressourcenschonung und Dauerhaftigkeit als um das Herstellen eines vertrauten Bildes. Gleichwohl können Häuser aus ortstypischen Materialien bei der Selbstfindung einer Region helfen. „Gerade in Tourismusregionen, die mit Abwanderungstendenzen zu kämpfen haben, ist es wichtig, dass die Menschen realisieren, dass sie die Zukunft selbst in der Hand haben“, sagt Harnoncourt-Fuchs.
Heidi Pretterhofer und Michael Rieper, die gemeinsam die 2023 eingerichtete Professur für Baukultur an der Kunstuniversität Linz innehaben, werden auch in Hallstatt auftreten. Sie beschäftigen sich mit dem von der Architekturwelt lange vernachlässigten Ländlichen. Regionale Baukultur als Hochschulthema: Eines von vielen Zeichen, dass der Bewusstseinswandel, den die Interventa anstoßen will, schon längst begonnen hat und nur noch einer Beschleunigung bedarf.
Dass das Symposium an der Hallstätter HTBLA stattfindet, ist kein Zufall, denn hier kommen Handwerk und Technologie zusammen. Das Ergebnis dieser Fusion, so Harnoncourt-Fuchs, schaue dann auch anders aus als das Gewohnte. „Ästhetik und Gestaltung sind wichtig im Hinblick auf das Bild der regionalen Identität. Hier gilt es, mutig zu sein.“
Countryside, The Future betitelte Rem Koolhaas 2020 seine Ausstellung im New Yorker MoMA, und in Österreich beweisen Akteure wie Landluft mit ihrem Baukultur-Gemeindepreis, dass Innovation nicht nur in städtischen Latte-Macchiato-Thinktanks passiert, sondern auch zwischen Berg, See und Almwiese: Dörfer nicht als Freilichtmuseum, sondern als Labore der Veränderung. „Der Begriff der Transformation ist für uns ganz zentral“, sagt Sabine Kienzer. „Auch Sprache und Kommunikation können diese Transformation vermitteln und befördern.“ Ganz konsequent, dass am Schluss der Interventa ein doppeltes Resümee stehen wird: eines von der Schriftstellerin Andrea Grill und ein zweites von einer KI.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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