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Die unsichtbare Revolution
Dekarbonisierung, weg vom Erdgas: Die Energiewende wird unsere Städte verändern. Aber wie? Das Wiener Festival Urbanize widmet sich in der kommenden Woche der Frage, wie Energie, Gerechtigkeit und Stadtplanung zusammengedacht werden können.
5. Oktober 2024 - Maik Novotny
Das Erlebnis eines Spaziergangs durch eine europäische Großstadt am Ende des 19. Jahrhunderts werden wir wohl auch mit Künstlicher Intelligenz nie ganz simulieren können, doch die historischen Quellen belegen zuverlässig: Die industrielle Revolution war unübersehbar, unüberspürbar und unüberriechbar. Die Städte verrußten und verdieselten, nachdem die Menschheit herausgefunden hatte, dass man fossile Pflanzenreste aus der Erde holen und verbrennen konnte. Die Folgen dieser Energiewende bringen, wie wir heute wissen, Klima und Zivilisation an den Rand des Kollapses.
Mammutaufgabe
Die nächste, postfossile Energiewende dagegen ist eine weitgehend unsichtbare Revolution. Zwar mag man hier und da ein kleines Balkonkraftwerk erspähen, aber die Photovoltaik auf den Dächern und die Erdsonden unter dem Asphalt und die Rohre der Bauteilaktivierung in den Betondecken bleiben meist verborgen. Über die Mammutaufgabe der Dekarbonisierung bis zum Schlüsseljahr 2040 wird zwar gesprochen, sie zu begreifen ist weniger einfach.
Über die Energiewende reden, sie erleben und durch sie spazieren kann man kommende Woche in Wien beim Festival Urbanize. Als passende Festivalzentrale fungiert das „Village im Dritten“ in Wien-Landstraße, ein von der ARE Austrian Real Estate entwickelter Stadtteil mit 500 Erdwärmesonden, mit Photovoltaikanlagen und mit Anergienetzen.
Seit 2010 findet das von Elke Rauth und Christoph Laimer geleitete „Festival für urbane Erkundungen“ statt, den Machern der diskursfreudigen und nicht unbedingt unsperrigen Urbanismuszeitschrift Dérive, zeitgleich mit dem Festival erscheint eine Ausgabe zum Thema Energie. Festival und Zeitschrift fokussierten bisher auf Städtebau, Architektur, Soziologie und Politik, zu den bisherigen Titeln zählen Pandemie, Protest, Demokratische Räume und immer wieder die Wohnungsfrage. Haustechnik, Heizungsinstallationen und Wärmepumpen kamen bislang eher wenig vor. Warum jetzt?
Wärme und Strom seien öffentliche Infrastrukturen, die es zu sichern gelte, um allen ein gutes, menschenwürdiges Leben zu garantieren, heißt es im Heft. „Uns hat bei der Recherche überrascht, wie viele Lösungen für die Dekarbonisierung es schon gibt“, sagt Elke Rauth. „Man weiß eigentlich, wie es geht, aber die Frage ist, wie wir in die Gänge kommen.“ Sichtbar in die Gänge gekommen ist beispielsweise der „Superklimablock“ in der Simon-Denk-Gasse in Wien-Alsergrund. Hier wird seit April unter Federführung der Sozialbau AG ein grundstücksübergreifendes Nahwärmenetz realisiert, bei der Gelegenheit werden auch gleich Platz und Straße fußgängerfreundlich umgebaut.
Dass man in der dichtbebauten Gründerzeitstadt auf den Gehweg ausweichen muss, wenn es daran geht, Tiefenbohrungen für Erdsonden vorzunehmen, ist absehbar, und auch die Magistratsabteilungen sind darauf vorbereitet. „Das eröffnet aber auch Fragen nach der privaten Nutzung des öffentlichen Raums“, sagt Elke Rauth – und ist somit ein klassisches Urbanize-Thema.
Neue Nachbarschaften
Ebenfalls im Programm ist der Smart Block Geblergasse im 15. Gemeindebezirk, der Altbauten aus dem 19. Jahrhundert energetisch mittels eines Anergienetzes entfossilisierte und bereits mehrfach preisgekrönt wurde. Für Architekt Johannes Zeininger nicht nur eine technische Aufgabe, sondern auch der Weg zu einer neuen Art von Nachbarschaft. „Beim Erwerb einer Eigentumswohnung ist es oft ein schmerzlicher Prozess, die anderen Eigentümerinnen als Nachbarinnen zu begreifen, mit denen man nur gemeinsam das Haus weiterentwickeln kann. Das ist besonders spürbar beim Umstieg auf nachhaltige Energiequellen. Nach einer neoliberalen Phase des uneingeschränkten Egos müssen wir angesichts der Herausforderungen die Techniken praktikabler Nachbarschaft neu lernen.“
So kann die Tiefenbohrung zur Keimzelle der Solidarität werden, um die sich die Stadtbewohner scharen wie um ein wärmendes Lagerfeuer – nur eben ganz ohne CO₂. Über die Kopplung von Energieversorgung und Gerechtigkeit haben sich einige schon die Köpfe zerbrochen, etwa die erste regionale Wiener Energiegemeinschaft „Grätzl Energie“, die mit Photovoltaikanlagen Quartiere unabhängig von den Preisschwankungen am Strommarkt versorgen wollen.
Dabei kommen etablierte Rollen und Zuständigkeiten in Bewegung: Bauträger und Bürger werden Energieversorger, Investoren und Produzenten. „Sehr interessant sind Konzepte wie die von der Bewegung Attac entwickelte Energiedemokratie, die davon ausgeht, dass Strom und Wärme zur Grundversorgung gehören, und deren Modell eine sehr günstige Basisenergie mit höheren Preisen für hohe Verbräuche kombiniert“, sagt Elke Rauth.
Astrid Aretz, Gesellschafterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IöW) in Berlin, die beim Festival zum Thema „Energie? Demokratie!“ mitdiskutieren wird, forscht darüber, welche Möglichkeiten des Mitentscheidens neue Energiemodelle eröffnen – und wer dabei außen vor bleibt. „Der Wandel der Energieversorgung vollzieht sich schon seit vielen Jahren“, sagt sie. „Damit wurde zunächst eine vor allem finanzielle Teilhabe möglich, allerdings überwiegend für Eigenheimbesitzer. In Deutschland sind wir an dieser Stelle stehengeblieben, Österreich ist durch Modelle wie Energy-Sharing hier viel weiter.“
Die Lösung? „Ich würde mir eine Vielfalt an Beteiligungsmöglichkeiten wünschen mit besonderem Augenmerk auf die Mieterinnen. Mieterstrommodelle sind in Deutschland sehr kompliziert und wirtschaftlich unattraktiv, und die Mieterinnen haben auch keinen Anspruch darauf. Zudem können selbst geringe Anfangsinvestitionen für Menschen mit geringen Einkommen eine unüberwindbare Hürde darstellen.“
So abstrakt manche Aspekte der Energiewende sein mögen, bringt sie das Thema Klima doch schrittweise in den Wohnalltag und wird dadurch greifbar. „Die Frage des Energieverbrauchs hat das Potenzial, die Menschen näher zusammenrücken zu lassen, wirklich etwas zu bewegen, was das Klima und den Umgang mit Ressourcen betrifft“, so Elke Rauth. Und am besten beginnt man mit der gemeinsamen Bewegung durch die Stadt.
Mammutaufgabe
Die nächste, postfossile Energiewende dagegen ist eine weitgehend unsichtbare Revolution. Zwar mag man hier und da ein kleines Balkonkraftwerk erspähen, aber die Photovoltaik auf den Dächern und die Erdsonden unter dem Asphalt und die Rohre der Bauteilaktivierung in den Betondecken bleiben meist verborgen. Über die Mammutaufgabe der Dekarbonisierung bis zum Schlüsseljahr 2040 wird zwar gesprochen, sie zu begreifen ist weniger einfach.
Über die Energiewende reden, sie erleben und durch sie spazieren kann man kommende Woche in Wien beim Festival Urbanize. Als passende Festivalzentrale fungiert das „Village im Dritten“ in Wien-Landstraße, ein von der ARE Austrian Real Estate entwickelter Stadtteil mit 500 Erdwärmesonden, mit Photovoltaikanlagen und mit Anergienetzen.
Seit 2010 findet das von Elke Rauth und Christoph Laimer geleitete „Festival für urbane Erkundungen“ statt, den Machern der diskursfreudigen und nicht unbedingt unsperrigen Urbanismuszeitschrift Dérive, zeitgleich mit dem Festival erscheint eine Ausgabe zum Thema Energie. Festival und Zeitschrift fokussierten bisher auf Städtebau, Architektur, Soziologie und Politik, zu den bisherigen Titeln zählen Pandemie, Protest, Demokratische Räume und immer wieder die Wohnungsfrage. Haustechnik, Heizungsinstallationen und Wärmepumpen kamen bislang eher wenig vor. Warum jetzt?
Wärme und Strom seien öffentliche Infrastrukturen, die es zu sichern gelte, um allen ein gutes, menschenwürdiges Leben zu garantieren, heißt es im Heft. „Uns hat bei der Recherche überrascht, wie viele Lösungen für die Dekarbonisierung es schon gibt“, sagt Elke Rauth. „Man weiß eigentlich, wie es geht, aber die Frage ist, wie wir in die Gänge kommen.“ Sichtbar in die Gänge gekommen ist beispielsweise der „Superklimablock“ in der Simon-Denk-Gasse in Wien-Alsergrund. Hier wird seit April unter Federführung der Sozialbau AG ein grundstücksübergreifendes Nahwärmenetz realisiert, bei der Gelegenheit werden auch gleich Platz und Straße fußgängerfreundlich umgebaut.
Dass man in der dichtbebauten Gründerzeitstadt auf den Gehweg ausweichen muss, wenn es daran geht, Tiefenbohrungen für Erdsonden vorzunehmen, ist absehbar, und auch die Magistratsabteilungen sind darauf vorbereitet. „Das eröffnet aber auch Fragen nach der privaten Nutzung des öffentlichen Raums“, sagt Elke Rauth – und ist somit ein klassisches Urbanize-Thema.
Neue Nachbarschaften
Ebenfalls im Programm ist der Smart Block Geblergasse im 15. Gemeindebezirk, der Altbauten aus dem 19. Jahrhundert energetisch mittels eines Anergienetzes entfossilisierte und bereits mehrfach preisgekrönt wurde. Für Architekt Johannes Zeininger nicht nur eine technische Aufgabe, sondern auch der Weg zu einer neuen Art von Nachbarschaft. „Beim Erwerb einer Eigentumswohnung ist es oft ein schmerzlicher Prozess, die anderen Eigentümerinnen als Nachbarinnen zu begreifen, mit denen man nur gemeinsam das Haus weiterentwickeln kann. Das ist besonders spürbar beim Umstieg auf nachhaltige Energiequellen. Nach einer neoliberalen Phase des uneingeschränkten Egos müssen wir angesichts der Herausforderungen die Techniken praktikabler Nachbarschaft neu lernen.“
So kann die Tiefenbohrung zur Keimzelle der Solidarität werden, um die sich die Stadtbewohner scharen wie um ein wärmendes Lagerfeuer – nur eben ganz ohne CO₂. Über die Kopplung von Energieversorgung und Gerechtigkeit haben sich einige schon die Köpfe zerbrochen, etwa die erste regionale Wiener Energiegemeinschaft „Grätzl Energie“, die mit Photovoltaikanlagen Quartiere unabhängig von den Preisschwankungen am Strommarkt versorgen wollen.
Dabei kommen etablierte Rollen und Zuständigkeiten in Bewegung: Bauträger und Bürger werden Energieversorger, Investoren und Produzenten. „Sehr interessant sind Konzepte wie die von der Bewegung Attac entwickelte Energiedemokratie, die davon ausgeht, dass Strom und Wärme zur Grundversorgung gehören, und deren Modell eine sehr günstige Basisenergie mit höheren Preisen für hohe Verbräuche kombiniert“, sagt Elke Rauth.
Astrid Aretz, Gesellschafterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IöW) in Berlin, die beim Festival zum Thema „Energie? Demokratie!“ mitdiskutieren wird, forscht darüber, welche Möglichkeiten des Mitentscheidens neue Energiemodelle eröffnen – und wer dabei außen vor bleibt. „Der Wandel der Energieversorgung vollzieht sich schon seit vielen Jahren“, sagt sie. „Damit wurde zunächst eine vor allem finanzielle Teilhabe möglich, allerdings überwiegend für Eigenheimbesitzer. In Deutschland sind wir an dieser Stelle stehengeblieben, Österreich ist durch Modelle wie Energy-Sharing hier viel weiter.“
Die Lösung? „Ich würde mir eine Vielfalt an Beteiligungsmöglichkeiten wünschen mit besonderem Augenmerk auf die Mieterinnen. Mieterstrommodelle sind in Deutschland sehr kompliziert und wirtschaftlich unattraktiv, und die Mieterinnen haben auch keinen Anspruch darauf. Zudem können selbst geringe Anfangsinvestitionen für Menschen mit geringen Einkommen eine unüberwindbare Hürde darstellen.“
So abstrakt manche Aspekte der Energiewende sein mögen, bringt sie das Thema Klima doch schrittweise in den Wohnalltag und wird dadurch greifbar. „Die Frage des Energieverbrauchs hat das Potenzial, die Menschen näher zusammenrücken zu lassen, wirklich etwas zu bewegen, was das Klima und den Umgang mit Ressourcen betrifft“, so Elke Rauth. Und am besten beginnt man mit der gemeinsamen Bewegung durch die Stadt.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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