Artikel

Pergola: Über die umstrittene Halle am Naschmarkt
Spectrum

Ein umstrittener Bau, dessen Spatenstich vor einer Woche erfolgte: Bei der Pressekonferenz wurde die geplante Nasch­markt-Halle von der Stadt nun als „Pergola“ vorgestellt. Was ändert das an der problematischen Situation?

11. Oktober 2024 - Harald A. Jahn
Es ist eine Lücke in der Stadt: ein Prachtboulevard, den man versäumt hat anzulegen, mit einer Abbruchkante in einen schroffen Canyon, der nur bei Hochwasser wahrgenommen wird. Hier, im Bereich Kettenbrückengasse, endet der Naschmarkt mit einem Freiraum, der nur am Wochenende wirklich genützt wird, samstäglich durch einen Bauernmarkt vor den Otto-Wagner-Häusern und den Flohmarkt auf dem Plateau neben der U-Bahnstation.

Während sich die Kulisse von höchster Qualität präsentiert – Otto-Wagner-Häuser, Stadtbahnstation, Marktamt, Biedermeierhäuser aufseiten des fünften Bezirks –, bleibt die Bühne ungestaltet, vollgeramscht mit den in Wien üblichen Requisiten wie Stromkästen, Verkehrsschilderwald, Werbesäulen. Das ist leider typisch für die Stadt und ihren nachlässigen Umgang mit öffentlichem Raum.

Das Flohmarkt­areal ist sechs Tage die Woche eine Leerfläche, auf dem Platz standen früher die Pavillons des Großmarkts, der Anfang der 1970er-Jahre nach Inzersdorf abgesiedelt wurde. Solche Flächen werden gern dem Autoverkehr überlassen, der wie ein Gas ist, das sich in jeden Winkel der Stadt ausdehnt, wenn man es lässt. Hier glüht der Asphalt ebenso wie das Blech der Fahrzeuge – und die Sommer werden stetig heißer.

Potenzial der Flohmarktfläche

Immer wieder weckte die breite Wientalschneise Begehrlichkeiten der Stadtplanung. Ende der 1960er-Jahre war eine Stadtautobahn ernsthaft im Gespräch, die überdimensionierten Verkehrsbänder auf dem Karlsplatz sind Spuren dieser Pläne. In den 1980er-Jahren beschäftigte sich die Gürtelkommission erneut mit dem Thema. Im Abschlussbericht wurde vorgeschlagen, das Wienfluss-Gerinne teilweise zu überplatten und die Autofahrbahnen in die Mitte zu verlegen.

2011 gab es wieder einen Anlauf zur Neudefinition, nun sprach der Expertenbericht zum „Zielgebiet Wiental“ bereits von einem gentrifizierten Stadtteil – heute glitzern Dachgeschoßausbauten auf Häusern, die früher noch Motive für Franz Zadrazils Gemälde des grauen Nachkriegswien waren. In diesem Bericht wurde zudem erstmals auf das Potenzial der Flohmarktfläche hingewiesen und die Idee einer Gestaltung mit höherer Aufenthaltsqualität formuliert – dann verschwand auch diese Arbeit in den Schubladen.

Wunsch der Anrainer: ein Park

In den folgenden Jahren passierte wenig, bis von den Anrainern der Wunsch kam, die Flohmarktfläche zum Park auszugestalten, was die Stadt Wien anscheinend überhaupt erst auf die Situation aufmerksam werden ließ. Zuerst kam die Ablehnung („Auf dem Wienflussgewölbe ist keine Bepflanzung möglich“, was durch den Bestand beispielsweise auf dem Karlsplatz widerlegt wird).

Stadträtin Ulli Sima preschte mit der wenig durchdachten Idee einer Markthalle vor und ließ übereilt Renderings anfertigen, die eine unmaßstäbliche Großstruktur zeigten – damit brannte sich das Bild eines Monsterbauwerks in die Köpfe der Anrainer. Sima nannte als Vorbild unter anderem die Münchner Schrannenhalle neben dem Viktualienmarkt, in der die italienische Handelskette Eataly logiert – damals war übrigens noch René Benkos Signa-Gruppe an Eataly beteiligt, eine Expansion nach Wien geplant.

Nach den Protesten gegen die Hallenpläne gab es einen Rückzieher und abschwächendes Wording. 2022 tauchte dann der Masterplan „Zwischen den Wienzeilen“ auf, der das Projektgebiet auf drei Filetstücke aufteilte: Begrünung im Westen, Flohmarktplatz in der Mitte bei der U-Bahn, „neues Naschmarkt-Entree“ ums Marktamt. Gleichzeitig rollte die „Particitainment“-Welle: Die Scheinbeteiligung hat in Wien System.

Eine Fläche von 1040 Quadratmetern

Auf den Masterplan folgte ein Wettbewerb, gewünscht war eine Halle bis 1000 Quadratmeter, maximal acht Meter hoch – trotz sämtlicher Anrainerproteste. Die Ergebnisse wurden weitgehend unter Verschluss gehalten und nur wenige Tage in der Planungswerkstatt präsentiert, im Internet gar nicht. Platz eins punktete natürlich mit der Halle, Platz zwei und drei erlagen aber nicht der ­Verlockung, 1000 Quadratmeter bebauen zu dürfen.

Anfang 2024 gab es eine Veranstaltung der Bürgerinitiative, bei der unter Anwesenheit von zwei Juroren der Wettbewerb besprochen und die ersten drei Plätze gezeigt wurden. Die Halle des Siegerprojekts hat 1040 Quadratmeter, dazu wird ein fehlender Naschmarkt-Pavillon ergänzt. Das Dach ist begehbar, in der Halle gibt es einige Stände, wobei man der ­Beschreibung („Schauküche“, „große Tafel“) durchaus Gastronomienutzung entnehmen kann. Der Bauernmarkt soll künftig auf den Restflächen seitlich der Halle stattfinden.

Kein urbanistisches Gesamtkonzept

Strukturell ist die Halle ein Fremdkörper, eher Korken als Entree, sie steht den Naschmakt-Flaneuren ebenso im Weg wie den vom Wienerwald kommenden Kaltluftströmen. Platz zwei und drei wirken plausibler, sie ziehen die bestehenden Stände im Prinzip weiter, die Anordnung der Elemente im Bereich Flohmarkt/Park nimmt die Zeilenstruktur und die Richtung des Flusses auf.

Zu kritisieren ist neben dem Beharren auf einer Halle vor allem, dass kein urbanistisches Gesamtkonzept vorliegt. Laut Jury gibt es eine Menge Auflagen zur Änderung bei Platz eins, einige Wettbewerbsteilnehmer kritisierten, dass es vereinfacht nur darum ging, „ein paar Bauernmarktstandln“ zu entwerfen, und dass jede übergeordnete Idee seitens der Stadt fehlt. Erwähnt wurde außerdem, dass der erste Bezirk touristisch überlastet sei, das Zentrum daher „größer werden muss“ – dieselbe Idee steckt übrigens auch hinter dem Bau der U-Bahn U2/5, die den Ring um die Stadt in Richtung Westen verschiebt. Alles deutet also darauf hin, dass es sich um ein touristisches Projekt handelt und der Naschmarkt noch weiter kommerzialisiert werden soll.

Ein großes Manko der aktuellen Stadtplanung ist der derzeit übliche Aktionismus – in größeren städtebaulichen oder architektonischen Zusammenhängen wird nicht gedacht. Und zur Transparenz der Vorgänge? Fast alle Gerichtsverhandlungen sind öffentlich – städtebauliche Wettbewerbe nicht, die Jury tagt geheim. Das Siegerbüro Mostlikely Architecture (gemein­sam mit DD Landschaftsplanung und Buero de Martin) hat von der Stadt Sprechverbot erhalten, die beiden nachgereihten Büros halten sich bedeckt, „um den Prozess nicht zu stören“.

„Konzeptsuche für die Innenräume läuft noch“

Nicht geheim halten ließ sich allerdings, dass die Stadtregierung die Halle im Juni beschlossen und nun im Vergabeportal ausgeschrieben hat, was in den sozialen Medien und bei den Anrainern Aufregung ausgelöst hat. Die Stadt reagierte vorige Woche mit einer Pressekonferenz vor Ort – und abermals mit einer neu­en Bezeichnung für die umstrittene Halle: Nun ist es eine „zarte Pergola“. An den Planungen wurde dagegen nichts geändert, obwohl laut Stadträtin Ulli Sima „die Konzeptsuche für die Innenräume noch läuft“.

Umso dringender scheint der Stadt die Realisierung – auf die eigentlich gewünschte Umgestaltung des „Hitzepols Flohmarktparkplatz“ muss man dagegen noch bis mindestens 2026 warten, genaue Pläne des Gesamtprojekts wurden bis heute nicht veröffentlicht.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: