Artikel

Mit einer knallweißen Permanenz
Der Standard

17 Jahre lang war die Institution heimatlos, nun ist es endlich so weit: Heute, Freitag, 25. Oktober, wird das Museum moderner Kunst in Warschau eröffnet. Der Megabau präsentiert sich als nach außen gestülpte White Box.

25. Oktober 2024 - Wojciech Czaja
Alles ist weiß. Ein kaltes, distanziertes, fast schon abstoßend klinisches Weiß in den Augen. Weiße Säulen, weiße Wände, weiße Plafonds in den Arkadengängen. Hinzu kommen die Portale und Fluchttüren aus Edelstahl, die antibakterielle Ästhetik einer Kühlkammer, eines industriellen Schlachthofs ausstrahlend. Und schließlich die vielen LED-Linien im Foyer und auf den Galerien, wie gleißende Lichtschwerter den Raum durchschneidend. Einfach nichts an diesem Haus ist warm, sinnlich, einladend – und doch kann man nicht anders, als hinzugreifen und den samtigen, perfekt gegossenen Beton zu streicheln und nicht mehr loszulassen.

„Die Ambivalenz aus diesem Eiskalten und diesem doch irgendwie Wohlig-Warmen ist schon verblüffend, oder? Kommen Sie, ich zeige Ihnen meinen Lieblingsort!“ Wenige Schritte und Höhenmeter später steht Joanna Mytkowska, Direktorin des neuen Warschauer Museums moderner Kunst, im Stiegenhaus im zweiten Stock, auf der einen Seite eine expressionistische Treppenlandschaft offenbarend, wie mit dem Skalpell aus dem Beton herausgeschnitzt, auf der anderen Seite – durch ein 19 Meter breites und fünf Meter hohes Panoramafenster – der Blick auf den stalinistischen Kulturpalast, der in den 1950er-Jahren im sowjetischen Klassizismus errichtet wurde und seitdem 237 Meter hoch in den Himmel ragt.

Das Muzeum Sztuki Nowoczesnej (MSN) ist das nunmehr fünfte und letzte Museumsprojekt, das sich die polnische Regierung mit dem EU-Betritt 2004 als Hausübung selbst auferlegt hatte. Nach dem Museum der Geschichte der polnischen Juden, dem Museum des Warschauer Aufstands, dem Museum der polnischen Geschichte und dem Museum der polnischen Armee – die beiden letzteren wurden im Sommer 2023 eröffnet, wiewohl mangels Geldmittel und kuratorischen Ausstellungskonzepts bis heute nur teilweise in Betrieb – gilt die Aufmerksamkeit nach zwei Jahrzehnten EU-Mitgliedschaft nun der zeitgenössischen Kunst.

„Wir hatten einen sehr, sehr langen Atem“, sagt Mytkowska, die früher, bevor sie der Einladung nach Warschau gefolgt ist, als Kuratorin am Centre Pompidou in Paris tätig gewesen war. „Die Institution haben wir 2007 gegründet, doch bislang hatten wir nie ein eigenes Haus.“ Zu Beginn war das heimatlose Kunstmuseum in einer historischen Villa am Stadtrand eingemietet, danach für einige Jahre im luftig-leichten Nachkriegsmöbelhaus Emilia, ehe dieses an einen Privatinvestor verscherbelt und abgerissen wurde, zuletzt in der temporären Berliner Kunsthalle des Wiener Architekten Adolf Krischanitz, die nach dem Abbau an der Spree an die Weichsel übersiedelte.

„Doch damit war die Odyssee noch lange nicht zu Ende“, erinnert sich Mytkowska. „Es hat sage und schreibe drei Wettbewerbe gebraucht, bis wir endlich bauen konnten. Eine Blamage für uns!“ Der erste Wettbewerb verstieß gegen die EU-Vergabeordnung und musste noch in der Ausschreibungsphase abgeblasen werden. Der zweite Wettbewerb kürte den Schweizer Architekten Christian Kerez zum Sieger, dessen radikal minimalistisches Projekt jedoch an den hohen Baukosten, an den Hassprotesten der Bevölkerung sowie an den damals noch ungeklärten Eigentumsverhältnissen des Standorts scheiterte. Der dritte Wettbewerb 2014 schließlich führte zum langersehnten Erfolg – und damit zum Sieg des New Yorker Architekten Thomas Phifer. Heute, am 25. Oktober, wird das Ding nach fünfjähriger Bauzeit feierlich eröffnet.

100 Meter lang, 40 Meter breit, 23 Meter hoch: Wie eine überdimensionale iPhone-16-Verpackung aus weißem, matt cellophaniertem Karton mit harten, eckigen Kanten legt sich das Museum moderner Kunst vor die Skyline des Kulturpalasts, direkt an die dicht befahrene Ulica Marszałkowska. Hier wird gar nicht erst gekleckert, hier wird in gigantischen Maßstäben geklotzt. Ohne jegliche Verspieltheit im Kleinen, dafür in dutzend Meter langen Schnitten und morphologischen Volumensubtraktionen auf Makroebene. Der Architekt selbst spricht von „visueller Permanenz“ und einer neuen „Kunstmasse“ im Herzen der Stadt.

Allerhöchste Güte

Was aussieht wie weißer Putz oder wie eine weiß getünchte Oberfläche, ist in Wirklichkeit Sichtbeton aus Weißzement, weißen Zuschlagstoffen und fein gemahlenem Titan, angemischt und durchgerüttelt in allerhöchster Güte. Um eine möglichst hohe Präzision zu gewährleisten, wurde auf dem Grundstück nebenan eine temporäre Feldwerkstatt errichtet, sodass Tischler und Handwerkerinnen die Betonschalungselemente direkt vor Ort anfertigen und in Millimeterarbeit umbauen und adaptieren konnten. Die Baukosten belaufen sich auf 700 Millionen Złoty, rund 162 Millionen Euro.

„Das Prinzip der White Box, reduziert und entsättigt, ist nichts Neues“, sagt Architekt Thomas Phifer, mit einer glücklichen Ruhe durchs Haus schreitend. „Doch nicht nur das. Wir wollten darüber hinaus Fassade und Innenraum nicht als zwei getrennte Elemente auffassen, sondern vielmehr als eine holistische Megaskulptur. Also haben wir die White Box einfach nach außen gestülpt.“ Das Bild, so Phifer, sei durchaus passend, denn so könne sich die politische, wirtschaftliche und baukulturelle Renaissance Warschaus, die er gerade beobachte, vor dem Hintergrund einer White Box als künstlerischer Moment präsentieren.

„Die ersten 17 Jahre in meiner Rolle als Direktorin des Museums moderner Kunst war ich eine Obdachlose, auf der Suche nach einem eigenen Haus“, sagt Joanna Mytkowska. „Ich denke, die Arbeit hat sich ausgezahlt.“ Die Sammlung wurde seit 2007 kontinuierlich aufgebaut – zum Teil mit finanzieller Hilfe und kuratorischer Unterstützung der österreichischen Erste Stiftung – und umfasst heute an die 1000 Werke. Die erste große Ausstellung wird den Titel Impermanent tragen, verrät die Direktorin. „Eine Anspielung auf unser bis dato unbeständiges Nomadentum. Diese Zeiten sind endlich vorbei.“

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: