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Österreichs Ufer: Kein Zugang zu diesem See
Die Debatte um die Privatisierung der Seeufer wird um eine Facette reicher: Experten warnen, dass sich dieser Trend bereits negativ auf den ökologischen Zustand der Gewässer auswirkt.
15. November 2024 - Stephanie Drlik
In Österreich kursiert die weitverbreitete Meinung, heimische Seen seien im EU-Vergleich in einem überdurchschnittlich guten Zustand. Tatsächlich verfügen die meisten Badeseen über eine sehr hohe chemische Wassergüte in Bade- und Trinkwasserqualität, doch sagt die Güte nur bedingt etwas über den allgemeinen Gewässerzustand aus. Durch die massive Zunahme an immobilienwirtschaftlichen Grundstücksverwertungen zeigen Zustandsindikatoren wie das Maß der Landnutzung oder der Uferverbauung alarmierende Trends.
Das Problem entsteht, weil Seen heutzutage nicht länger nur an öffentlichen Uferpromenaden, Schiffsanlegestellen oder Strandbädern verbaut werden, sondern gerade auch an privat genutzten Ufern. Wer sich ein Seegrundstück leistet, möchte die Fläche maximal ausnützen und einen bequemen Wassereinstieg vorfinden.
Wir benötigen Flora und Fauna
Und so war es gängige Praxis, Ufer durch Aufschüttungen, Mauern oder Stegbauten zu erweitern und badetauglich zu machen. Denkbar ungünstig für Wasservögel, Fische und zahlreiche andere Wassertiere und -pflanzen, die unverbaute Schilf- und Naturzonen für ihr Überleben brauchen. Wir Menschen wiederum benötigen die Tiere und Pflanzen, denn ein hoher ökologischer Gewässerzustand ist für den gesunden Fortbestand der Seen entscheidend.
Immobilienentwicklungen in extremem Ausmaß haben an einigen Badeseen dazu geführt, dass nicht nur frei zugängliche öffentliche Bereiche immer rarer geworden sind, sondern auch wild bewachsene Ufer mit Schilfhabitaten, die, sich selbst überlassen, einen hohen ökologischen Wert entwickeln konnten. Diese Phänomene treffen auf ganz Österreich zu, doch im seenreichen Bundesland Kärnten ist die Situation besonders brisant. Das hat das Architektur Haus Kärnten zum Anlass genommen und sogenannte Seenkonferenzen etabliert, die nun seit einigen Jahren organisiert werden.
Extrembeispiel Wörthersee
Dabei können sich Expert:innen, Entscheidungsträger:innen, Verwaltungsmitarbeiter:innen und Vertreter:innen von Initiativen aus verschiedenen Seeregionen austauschen sowie Maßnahmen und Lösungen diskutieren. Die heurige Konferenz fand am Wörthersee statt, der als Extrembeispiel gilt. „Am Wörthersee befinden sich 82 Prozent der Uferlinie in Privatbesitz. Von den verbleibenden Bereichen sind nur noch neun Prozent öffentlich zugänglich. Zirka 58 Prozent der Ufer sind mit Betonmauern, Blockwurf oder Stegkonstruktionen verbaut und nur mehr 38 Prozent des Ufers unverbaut“, berichtet Judith Leitner, Kuratorin der diesjährigen Seenkonferenz.
Selbst unverbaute Abschnitte sind nicht unweigerlich in einem ökologisch wertvollen Zustand. An den wenigen verbliebenen öffentlichen Flächen ist der Nutzungsdruck mittlerweile derart groß, dass trotz zahlreicher Verbote das Renaturieren alles andere als einfach ist. Mehrere Kärntner Seegemeinden haben in den vergangenen Jahren neue Ortsentwicklungskonzepte erstellt oder sind gerade dabei, Pläne zu erarbeiten, in denen der zukünftige Umgang mit den Uferzonen behandelt und die Bauentwicklung durch klare Siedlungsgrenzen eingedämmt werden soll. Ökosysteme lassen sich nicht beliebig an vorhandenen Grundstücksgrenzen je nach Eigentumsverhältnissen ein- oder ausschalten, übergreifende Konzepte sind erforderlich. Um größere Ökologiezonen und öffentliche Seezugänge zu schaffen, werden strategisch wichtige Grundstücke angekauft.
Gesellschaftliche Interessen und Naturschutzinteressen sollen gleichermaßen berücksichtigt werden. „Entlang des Nordufers am Wörthersee, in der Gemeinde Techelsberg, haben die Bundesforste zwei schmale Uferbereiche angekauft. Doch solange die Bodenpreise von Seegrundstücken derart hoch und Geschäfte mit Immobilienentwickler:innen weiterhin lukrativ sind, werden Gemeinden wohl eher Grundstücke verkaufen, als Rückkäufe von Liegenschaften voranzutreiben, mit deren Pflege und Erhaltung sie dann in der Folge finanziell belastet sind“, analysiert Judith Leitner.
Auch wenn Investitionen in den Naturschutz in Relation zu anderen Infrastrukturmaßnahmen wie etwa im Straßenbau gering ausfallen, erfordern Ankäufe und Natur- sowie Schilfschutzmaßnahmen wie jene in Techelsberg dennoch Investitionen in Höhe mehrerer Hunderttausend Euro.
Am Wörthersee hat das Land Kärnten, gemeinsam mit dem Seeeigentümer, den Österreichischen Bundesforsten, ökologische Schutzzonen ausgewiesen, auf denen eine weitere Verbauung untersagt ist. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Herangehensweise, doch leider gilt die Vereinbarung nur für Grundstücke, die sich im Eigentum der Republik befinden und durch die Bundesforste bewirtschaftet werden.
Verschlechterung zu verzeichnen
Der Zugriff auf private Flächen ist erwartungsgemäß schwieriger, doch genau dort gilt es anzusetzen, um den Zustand eines stark privatisierten Gewässers zu verbessern. „Es könnten etwa gezielte finanzielle Förderungen für bauliche Rückbau-, Renaturierungs- oder Schilfschutzmaßnahmen eingerichtet werden. Hilfreich waren bisher auch bindende Verordnungen, die weitere Aufschüttungen und Seeeinbauten wie Stege, Bootshäuser, Bojen oder Ufermauern verbieten“, fasst Leitner die Ergebnisse der Konferenz zusammen.
Solche Vorschriften konnten einigermaßen einfach umgesetzt und rasch wirksam werden, sofern sie kontrolliert und Verstöße geahndet werden. Naturnahe Ufergestaltungen und Renaturierungsprojekte sind wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen.
Jedenfalls muss endlich gehandelt werden – Naturschutzinitiativen schlagen für ganz Österreich Alarm. Schließlich kommt bei Seen die EU-Wasserrahmenrichtlinie zu tragen, die vorgibt, Gewässer bis spätestens 2027 einem guten Zustand zuzuführen. Dieser wird anhand bestimmter Qualitätselemente überprüft, wie etwa der Zusammensetzung der Tier- und Pflanzengemeinschaften, des Wasserhaushalts, der Beschaffenheit der Uferbereiche oder des Verbauungsgrads. Und diesbezüglich weisen einige größere österreichische Seen deutliche Defizite auf.
Renaturierung als Chance
Anstatt eine Aufwertung nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu erzielen, ist an einigen Seen eher eine Verschlechterung der Gewässerzustände zu verzeichnen, die sich etwa durch neue Phänomene wie die klimawandelbedingte Erwärmung, das Eindringen invasiver Arten oder Mikroplastikeinträge erklärt.
Spannend werden in diesem Zusammenhang die Auslegung und mögliche Anwendung des neuen EU-Renaturierungsgesetzes, das unter anderem die naturräumliche Wiederherstellung von Gewässern einfordert. Ob der auszuarbeitende nationale Renaturierungsplan den Handlungsbedarf an den Seeufern aufgreifen wird, ist noch unklar. Angesichts der Tragweite des Privatisierungsproblems wäre die Renaturierungsverordnung zumindest eine Chance, endlich neue Wege einzuschlagen.
Das Problem entsteht, weil Seen heutzutage nicht länger nur an öffentlichen Uferpromenaden, Schiffsanlegestellen oder Strandbädern verbaut werden, sondern gerade auch an privat genutzten Ufern. Wer sich ein Seegrundstück leistet, möchte die Fläche maximal ausnützen und einen bequemen Wassereinstieg vorfinden.
Wir benötigen Flora und Fauna
Und so war es gängige Praxis, Ufer durch Aufschüttungen, Mauern oder Stegbauten zu erweitern und badetauglich zu machen. Denkbar ungünstig für Wasservögel, Fische und zahlreiche andere Wassertiere und -pflanzen, die unverbaute Schilf- und Naturzonen für ihr Überleben brauchen. Wir Menschen wiederum benötigen die Tiere und Pflanzen, denn ein hoher ökologischer Gewässerzustand ist für den gesunden Fortbestand der Seen entscheidend.
Immobilienentwicklungen in extremem Ausmaß haben an einigen Badeseen dazu geführt, dass nicht nur frei zugängliche öffentliche Bereiche immer rarer geworden sind, sondern auch wild bewachsene Ufer mit Schilfhabitaten, die, sich selbst überlassen, einen hohen ökologischen Wert entwickeln konnten. Diese Phänomene treffen auf ganz Österreich zu, doch im seenreichen Bundesland Kärnten ist die Situation besonders brisant. Das hat das Architektur Haus Kärnten zum Anlass genommen und sogenannte Seenkonferenzen etabliert, die nun seit einigen Jahren organisiert werden.
Extrembeispiel Wörthersee
Dabei können sich Expert:innen, Entscheidungsträger:innen, Verwaltungsmitarbeiter:innen und Vertreter:innen von Initiativen aus verschiedenen Seeregionen austauschen sowie Maßnahmen und Lösungen diskutieren. Die heurige Konferenz fand am Wörthersee statt, der als Extrembeispiel gilt. „Am Wörthersee befinden sich 82 Prozent der Uferlinie in Privatbesitz. Von den verbleibenden Bereichen sind nur noch neun Prozent öffentlich zugänglich. Zirka 58 Prozent der Ufer sind mit Betonmauern, Blockwurf oder Stegkonstruktionen verbaut und nur mehr 38 Prozent des Ufers unverbaut“, berichtet Judith Leitner, Kuratorin der diesjährigen Seenkonferenz.
Selbst unverbaute Abschnitte sind nicht unweigerlich in einem ökologisch wertvollen Zustand. An den wenigen verbliebenen öffentlichen Flächen ist der Nutzungsdruck mittlerweile derart groß, dass trotz zahlreicher Verbote das Renaturieren alles andere als einfach ist. Mehrere Kärntner Seegemeinden haben in den vergangenen Jahren neue Ortsentwicklungskonzepte erstellt oder sind gerade dabei, Pläne zu erarbeiten, in denen der zukünftige Umgang mit den Uferzonen behandelt und die Bauentwicklung durch klare Siedlungsgrenzen eingedämmt werden soll. Ökosysteme lassen sich nicht beliebig an vorhandenen Grundstücksgrenzen je nach Eigentumsverhältnissen ein- oder ausschalten, übergreifende Konzepte sind erforderlich. Um größere Ökologiezonen und öffentliche Seezugänge zu schaffen, werden strategisch wichtige Grundstücke angekauft.
Gesellschaftliche Interessen und Naturschutzinteressen sollen gleichermaßen berücksichtigt werden. „Entlang des Nordufers am Wörthersee, in der Gemeinde Techelsberg, haben die Bundesforste zwei schmale Uferbereiche angekauft. Doch solange die Bodenpreise von Seegrundstücken derart hoch und Geschäfte mit Immobilienentwickler:innen weiterhin lukrativ sind, werden Gemeinden wohl eher Grundstücke verkaufen, als Rückkäufe von Liegenschaften voranzutreiben, mit deren Pflege und Erhaltung sie dann in der Folge finanziell belastet sind“, analysiert Judith Leitner.
Auch wenn Investitionen in den Naturschutz in Relation zu anderen Infrastrukturmaßnahmen wie etwa im Straßenbau gering ausfallen, erfordern Ankäufe und Natur- sowie Schilfschutzmaßnahmen wie jene in Techelsberg dennoch Investitionen in Höhe mehrerer Hunderttausend Euro.
Am Wörthersee hat das Land Kärnten, gemeinsam mit dem Seeeigentümer, den Österreichischen Bundesforsten, ökologische Schutzzonen ausgewiesen, auf denen eine weitere Verbauung untersagt ist. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Herangehensweise, doch leider gilt die Vereinbarung nur für Grundstücke, die sich im Eigentum der Republik befinden und durch die Bundesforste bewirtschaftet werden.
Verschlechterung zu verzeichnen
Der Zugriff auf private Flächen ist erwartungsgemäß schwieriger, doch genau dort gilt es anzusetzen, um den Zustand eines stark privatisierten Gewässers zu verbessern. „Es könnten etwa gezielte finanzielle Förderungen für bauliche Rückbau-, Renaturierungs- oder Schilfschutzmaßnahmen eingerichtet werden. Hilfreich waren bisher auch bindende Verordnungen, die weitere Aufschüttungen und Seeeinbauten wie Stege, Bootshäuser, Bojen oder Ufermauern verbieten“, fasst Leitner die Ergebnisse der Konferenz zusammen.
Solche Vorschriften konnten einigermaßen einfach umgesetzt und rasch wirksam werden, sofern sie kontrolliert und Verstöße geahndet werden. Naturnahe Ufergestaltungen und Renaturierungsprojekte sind wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen.
Jedenfalls muss endlich gehandelt werden – Naturschutzinitiativen schlagen für ganz Österreich Alarm. Schließlich kommt bei Seen die EU-Wasserrahmenrichtlinie zu tragen, die vorgibt, Gewässer bis spätestens 2027 einem guten Zustand zuzuführen. Dieser wird anhand bestimmter Qualitätselemente überprüft, wie etwa der Zusammensetzung der Tier- und Pflanzengemeinschaften, des Wasserhaushalts, der Beschaffenheit der Uferbereiche oder des Verbauungsgrads. Und diesbezüglich weisen einige größere österreichische Seen deutliche Defizite auf.
Renaturierung als Chance
Anstatt eine Aufwertung nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu erzielen, ist an einigen Seen eher eine Verschlechterung der Gewässerzustände zu verzeichnen, die sich etwa durch neue Phänomene wie die klimawandelbedingte Erwärmung, das Eindringen invasiver Arten oder Mikroplastikeinträge erklärt.
Spannend werden in diesem Zusammenhang die Auslegung und mögliche Anwendung des neuen EU-Renaturierungsgesetzes, das unter anderem die naturräumliche Wiederherstellung von Gewässern einfordert. Ob der auszuarbeitende nationale Renaturierungsplan den Handlungsbedarf an den Seeufern aufgreifen wird, ist noch unklar. Angesichts der Tragweite des Privatisierungsproblems wäre die Renaturierungsverordnung zumindest eine Chance, endlich neue Wege einzuschlagen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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