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Auf den Spuren von Eileen Gray in Roquebrune Cap Martin
Auf den Spuren von Eileen Gray in Roquebrune Cap Martin, Foto: Martina Pfeifer Steiner
Auf den Spuren von Eileen Gray in Roquebrune Cap Martin, Foto: Martina Pfeifer Steiner
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Große Aufmerksamkeit erlangt Eileen Grays Villa am Meeresufer aktuell wieder mit dem Kinofilm. Auf Kultur Online in der Kolumne PS: Architektur erschienen, hier noch einmal die ausführlich recherchierte Geschichte zur Villa E 1027.

24. November 2024 - Martina Pfeifer Steiner
Vielleicht hatte sich Eileen Gray 1926 tatsächlich direkt in meiner Nachbarschaft – dort, wo ich mein beschauliches Apartment unter der Burg für zwei Wochen fand – eingemietet, als sie ihr „Haus am Meeresufer“ Realität werden ließ: die Villa E 1027, eine Ikone der Moderne. 1929 war das Werk der in Paris sehr erfolgreichen irischen Designerin vollendet und blieb ein Geschenk an den rumänischen Architekten Jean Badovici.

Inspiriert von Le Corbusiers fünf Elementen seiner neuen Architektur – Beton- oder Stahlpfeiler übernehmen die statische Funktion der Mauer, Dachterrasse bzw. Flachdach, lange Fensterbänder, freie Grundriss- sowie Fassadengestaltung – studierte sie die Pläne der für seine Eltern erbauten Villa Le Lac (siehe kultur online) sehr genau. Dennoch äußerte sie sich kritisch und selbstbewusst: „Ein Haus ist keine Maschine, es ist das Gehäuse, die Schale des Menschen, seine Erweiterung, seine Befreiung, seine spirituelle Ausstrahlung.“

E 1027 (eine codierte Liebeserklärung als Akronym der beiden Namen) ankert gleich einem Luxusliner im terrassierten Gelände (der Hein mit Zitronenbäumen war Bestand), nahe dem Wasser; das Hauptgeschoß (90 m²) teilweise auf Piloten gesetzt sowie auf den Gäste- und Dienstmädchenbereich (30 m²). Eine wohlgeformte Wendeltreppe sticht durch bis auf das Dach und findet mit einem Glaszylinder den Abschluss. Luft und Licht könnten hier strömen, doch nur wenn die vielen Türen, die diese Skulptur hermetisch abriegeln, offenstehen. Verspielt im Großen und bis ins kleinste Detail: die Reling entlang des Balkons aus Stahlrohren, bespannt mit blauem Segeltuch, wie auch die Markisen; weiße Stahltreppe auf das untere Deck, sprich Garten und Solarium (eine verflieste in den Rasen eingelassene Liegefläche); der Rettungsring und ein Dekorsegelmast … schon etwas zu viel der Zitate.

„Entrez lentement” steht auf der Wand, und der langsam Eintretende an dieser an. Zur Linken leitet die gerundete Fläche, auf der ein Postkästchen aus Leder angebracht ist, in die spartanisch eingerichtete, außenliegende Küche. Im überdeckten Nischenbereich gehen drei Türen weg: eine ins WC, eine zur Wendeltreppe, eine zum Bad des Master-Bedroom (oder Madames?). Auf der anderen Seite ist die Eingangstüre. Wieder steht man an, doch diffiziler: Ein Spiel mit gerundeten Wandscheiben, etwas versetzt, auch in der Höhe und farblich, ein Spalt, „Defense de rire” (Lachen verboten) steht unter der Lampe auf der Stirnseite, „Chapeaux“ bei der Hutablage, vertikale Spiegelstreifen verwirren. Und erst dann wird der Blick frei gegeben, in die lichte Großzügigkeit des Raumes.

Ein Manifest der Dinge. Eileen Gray hat jedem kleinsten Detail größte Aufmerksamkeit gewidmet. Sie entwarf elegante, funktionelle, äußerst raffinierte Möbel, Lampen, bis hin zu transparenten Lichtschaltern und Steckdosen, die Kabelführung über dem Fensterband als grafische Dekoration. Von den Polstersesseln wie „Bibendum“ oder „Nonconformist“, mit einseitiger Armlehne, dem Occasioal Table und dem höhenverstellbaren Glasbeistelltisch E 1027, den Teppichen … gar nicht anzufangen, wir bleiben bei der Architektur.

Über die gesamte Länge des Balkons falten sich metallgerahmte Glaslamellen, der hinausfließende Blick auf das Meer ist jedoch unten wie oben – zwar verschiebbar, je nach Sonneneinstrahlung – mit den blauen Stoffbahnen eingeschränkt. Diese neuentwickelten Fensterdetails dürfte wohl Badovici beigetragen haben, wie auch die konstruktive und bautechnische Ausführungsplanung. Dass der Entwurf ganzheitlich Eileen Gray zuzuschreiben ist, hat die heutige Forschung eindeutig klargestellt. Die räumliche Sequenz ist unkonventionell: einzig fixiertes Möbel ist eine große Liegefläche (Bett) in der hintersten Ecke; dort wieder eine gerundete Paravent-Wand in Türstockhöhe, dahinter verbirgt sich ein offenes Dusch-Badezimmer; gegenüber noch eine Schlafnische mit Divan; eine Schiebetüre führt ins Freie und die Stahltreppe hinunter in den Garten. Eingangsseitig befindet sich der Essplatz, dann geht es über eine sehr verspielte Barnische ins Schlafzimmer mit Arbeitsbereich, unendlich vielen Details bei Waschbecken und Ankleide, weiter in das Bad. Genauere Schilderungen würden sich lohnen, sprengen jedoch hier den Rahmen.

1932 trennten sich Eileen Gray und Jean Badovici, sie hat die Villa nie wieder betreten. Schon ein paar Jahre zuvor kaufte sie auf den Hügeln um Menton, in Castellar (also unmittelbare Nachbarschaft), ein Grundstück und baute für sich ihr zweites Haus: „Tempe a Pailla“. Nun kommt Le Corbusier ins Spiel: Badovici verehrte den großen Architekten ungemein, veröffentlichte eifrig Artikel über ihn in seiner Zeitschrift „L´Architecture Vivante“ und Le Corbusier war gerngesehener Gast in „seiner“ Villa E 1027. Auch wenn Le Corbusier immer postulierte, dass Wandmalereien in Wohnhäusern nichts zu suchen hätten, reizte ihn Grays Architektur offensichtlich: „Ich brenne darauf, die Wände schmutzig zu machen: Zehn Kompositionen sind fertig, genug, um alles zu beschmieren.“ Vier sind erhalten geblieben und restauriert: ein Nischenfüllendes beim Eingang, eines gegenüber dem Essplatz, das Wandbild im Gästezimmer. Das erste und grob störende an der Paravent-Wand beim Bett im Hauptraum wurde mit einer weißen Platte verdeckt – gut so!

Und doch sind es die unter Denkmalschutz gestellten Gemälde Le Corbusiers, die den Abbruch der Villa verhinderten. Nach dem frühen Tod Badovicis (1893–1956, Gray überlebte ihn um 20 Jahre, obwohl sie 15 Jahre älter war, 1878–1976) wurde die Villa von Marie-Louise Schelbert (eine in Zürich lebende, Le Corbusier bewundernde, reiche Amerikanerin) gekauft. Sie vermachte E 1027 ihrem Arzt, und bis die Erbstreitigkeiten mit ihren Nachkommen ausgefochten waren, verblieb das Haus in desolatem Zustand. Peter Kaegi hatte kein Geld (das Casino in Monte Carlo war auch verführerisch), er verkaufte sämtliche Möbel und wurde schlussendlich in der Villa ermordet! 1974 kam „die weiße Villa“ auf die Liste der Historischen Denkmäler und wurde in zwei Phasen bis 2017 aufwändigst renoviert. Heute ist sie am Cap Moderne mit Le Corbusiers „Le Cabanon“ und den „Unités de Camping“ zu besichtigen. Fortsetzung folgt.

[ Der Text erschien in der Kolumne von Martina Pfeifer Steiner auf kultur-online, 3. Oktober 2024, https://kultur-online.net/ps-architektur ]
Zur Recherche diente ein zweiwöchiger Aufenthalt in Roquebrune Cap Martin; zwei Führungen durch Cap Moderne und die Dokumentation von Tim Benton, Éditions du Patrimoine, Centre des Monuments Nationaux; zur Einstimmung der biografische Roman „Das Haus am Meeresufer“ von Joséfine Nicolas.

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