Artikel

Muss in Wien alles bleiben, wie es ist?
Spectrum

Bauen in historischer Umgebung bedeutet nicht immer Harmonie, sondern manchmal Zerstören
mit Verstand. Über eine verpasste Gelegenheit auf dem Wiener Minoritenplatz.

11. Dezember 2024 - Christian Kühn
Endlich ist es so weit. Die letzten Baugeräte haben sich zurückgezogen und die Bühne frei gemacht für das städtische Leben am runderneuerten Michaelerplatz. Reisende, die Wien öfter besuchen, werden kaum Veränderungen feststellen. Die Hofburg mit dem Durchgang zum Heldenplatz, die Michaelerkirche und das Loos-Haus bilden die Platzwände; eine große, in der Bodenpflasterung und durch Steinpoller markierte Kreisfläche deutet an, wo das geometrische Zentrum des Platzes liegen könnte. Quer über diese zentrale Fläche zieht sich nach wie vor der Hollein-Graben, dessen Sinn angesichts der mageren archäologischen Funde, die hier zu sehen sind, immer schon ein Rätsel war. Durch die neue Verkehrsführung ohne Kreisverkehr spült es den vom Kohlmarkt kommenden Touristenstrom jetzt ohne Unterbrechung an den Rand dieses Grabens.

Neu sind drei Bäume vor der Michaelerkirche, eine Baumreihe in der Schauflergasse, zahlreiche metallisch glänzende Poller und ein organisch gekurvtes und in Granit gefasstes Pflanzbecken mit drei Bäumen, das etwas verloren auf dem größeren der beiden Kreissegmente sitzt, die Holleins Einschnitt hinterlassen hat. Woher die Inspiration für diese Kurvatur kommt, ist mindestens so rätselhaft wie bei Holleins Graben. Dass sie hier völlig deplatziert ist, wird kaum jemand bestreiten.
Gemeinsames Vokabular der Stadtmöblierung

War die öffentliche Aufregung um das Projekt in den vergangenen Monaten also nur viel Lärm um nichts? Nein. Sie hat sich zumindest insofern gelohnt, als einige Teile des ursprünglichen Projekts gestrichen wurden, am prominentesten die geplanten Wasserspiele vor dem Loos-Haus und Blumentröge vor der Hofburg, die sich in niedrige Beete verwandelt haben. Wirklich glücklich ist mit dem Ergebnis niemand, weder das Stadtmarketing, das sich ein touristenfreundlicheres Ambiente gewünscht hätte, noch die konsequenten Bewahrer des Status quo, die am liebsten den Hollein-Graben zuschütten wollten, noch die kleinere Fraktion jener, die sich eine deutlichere Geste als ­Antwort auf die Klimakrise hätten vorstellen können, mit Bäumen als Material einer im Dialog mit den ­bestehenden Monumenten wachsenden Skulptur.

Die zuletzt genannten Positionen waren beide naiv, da sie von der Voraussetzung ausgingen, dass die Stadtverwaltung in ihrem Bemühen, Wien „klimafit“ zu machen, daran interessiert sein müsste, auf die Geschichte und das Potenzial jedes betroffenen Orts einzugehen. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Die zahlreichen in den jüngsten Jahren „klimafit“ gemachten Straßen und Plätze folgen einem einheitlichen Muster, das über die ganze Stadt ausgerollt wird. Gegen ein gemeinsames Vokabular der Stadtmöblierung ist nichts einzuwenden, es muss aber auch eine passende Grammatik geben, um unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden. Was in der Thaliastraße gut funktioniert, kann in der Argentinierstraße unpassend sein. Das betrifft unter anderem die vielen fest im Asphalt verschraubten Sitzgelegenheiten, deren Positionierung nicht immer erklärbar ist, und massive Rankgerüste von zweifelhafter Gestalt. Eine Evaluierung des „klimafitten“ Baukastens wäre hoch an der Zeit.

Öffentlicher Aufenthaltsraum

Niemand wird der Stadt das ernsthafte Bemühen absprechen, den öffentlichen Raum nicht mehr in erster Linie als Verkehrsträger, sondern auch als Aufenthaltsraum zu gestalten, der an den Hitzetagen der Zukunft benutzbar bleibt. Auch am strategischen Rahmen fehlt es nicht: Die neueste, 2022 im Gemeinderat beschlossene Version der Wiener Smart City Strategie versteht sich als zentrales Element der Wiener Klimapolitik und wurde entsprechend überarbeitet. Während die Stadt in vielen Bereichen offensiv an Probleme herangeht, agiert sie im Bereich der Gestaltung erstaunlich defensiv und folgt der Maxime, dass schon viel erreicht sei, wenn das Schlimmste verhindert wurde.

Ein aktuelles Beispiel dafür findet sich am Mi­noritenplatz, zwei Gehminuten vom Michaelerplatz entfernt. Hier nutzt das Innenministerium einen großen, achtgeschoßigen Verwaltungsbau aus dem Jahr 1986. Bis 1903 befand sich an diesem Ort das alte Ballhaus, dessen Abbruch eine Lücke hinterließ, zu deren Füllung es mehr als 80 Jahre brauchte.

Nach einem Versuch 1954 schrieb man 1974 einen internationalen Wettbewerb für ein repräsentatives Amtsgebäude aus, den die Architekten Marschalek/Ladstätter/Gantar mit einem Projekt gewannen, das den Putzfassaden der umliegenden Palais, zu denen auch das Bundeskanzleramt gehört, eine Stahl-und-Glas-Fassade gegenüberstellte. Die rund 160 Meter lange Glasfassade wurde in der Öffentlichkeit heftig bekämpft und bot einen Anlass, die Wiener Bauordnung im Paragrafen 85 dahin gehend zu modifizieren, dass Neubauten in Schutzzonen „an umgebende Häuserzeilen anzugleichen seien“. Damit war das Projekt tot, aber die Debatte um das neue Bauen im Bestand noch lange nicht beendet.

Der nächste Wettbewerb 1979 erbrachte ein Ergebnis, mit dem nicht einmal der verantwortliche Planer, Roland Moebius, zufrieden war: „Unser Projekt hat keinen eigenen Stil, aber es passt. Objektiv gesehen ist es sicher nicht optimal, aber das beste, wozu wir imstande waren.“ Die Kritik der Fachwelt war vernichtend. „Das Projekt“, äußerte sich Clemens Holzmeister, „zeigt auf, dass im Bewusstsein der öffentlichen Bauadministration ein absoluter Tiefstand erreicht ist.“

Zu Tode geschützte Stadt?

Auch die Politik verstand bald, dass der neue Paragraf 85 der Bauordnung herausragende Projekte wie das Juridicum von Ernst Hiesmayr verhindert hätte. Eine zu Tode geschützte Stadt kann sich nicht entwickeln. Ein weiteres umstrittenes Projekt, das Haas-Haus von Hans Hollein, war schließlich Anlass für eine Reform der Bauordnung, in der ab 1987 nicht mehr die „Angleichung“ an den Bestand gefordert ist, sondern dessen „Berücksich­tigung“.

Das Amtshaus auf dem Minoritenplatz entstand trotzdem nach den historisierenden Plänen von Machart, Moebius und Partner. Heute steht es vor einer Generalsanierung, bei der die Fassade vollständig und das Innenleben weitgehend erneuert wird – eine einzigartige Gelegenheit, dem Gebäude eine neue Hülle auf der Höhe der Zeit zu geben. Die Klimakrise verändert den Fassadenbau, von den verwendeten Werkstoffen über den Sonnenschutz bis zu den Anforderungen der Kreislaufwirtschaft und neuen hoch präzisen Vorfertigungstechniken.

„Fassade soll so aussehen wie bisher“

Die Chance, hier ein Leuchtturmprojekt zu realisieren, blieb leider ungenutzt: Obwohl vom Fachbeirat der Stadt Wien für Stadtplanung und Stadtgestaltung, dem das Projekt 2023 vorgelegt wurde, gefordert, kam kein Architekturwettbewerb zustande.

Für die Fassade fand die MA 19, die zuständige Magistratsabteilung für Architektur und Stadtplanung, deren konservativer Umgang mit dem Paragrafen 85 zunehmend zum Problem wird, eine pragmatische Lösung: Sie soll nach der Sanierung so aussehen wie bisher. Immerhin sei sie inzwischen selbst historisch. Man darf gespannt sein, wie das „wie bisher“ am Ende aussieht.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: