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Erst Grün, dann Grau
Der renommierte Schelling-Architekturpreis legt dieses Jahr erstmals den Fokus auf die Landschaftsarchitektur. Richtig so. Denn diese ist heute kein Lückenfüller für die Architektur mehr, sondern steht immer öfter an erster Stelle bei der Planung.
14. Dezember 2024 - Maik Novotny
Zaha Hadid, Peter Zumthor, Kazuyo Sejima, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, Wang Shu und Lu Wengyu, Diébédo Francis Kéré: Sie alle haben zwei Dinge gemeinsam. Das erste: Sie gewannen den Pritzker-Preis, der als Nobelpreis für Architektur gilt. Das zweite: Allen von ihnen wurde Jahre vorher auch der Schelling-Preis für Architektur verliehen, der somit nicht zu Unrecht als Indiz für spätere Pritzker-Stars gilt, die sich mit singulären Bauten in die Architekturgeschichte einschreiben.
Ende November lud die Schelling-Architekturstiftung wieder zur Preisverleihung nach Karlsruhe, doch dieses Mal war alles anders. Denn die Jury hatte entschieden, heuer einmal nicht das gebaute Objekt zu honorieren, sondern das komplexe Dazwischen. Das Motto „Deep Transformations — Erde, Landschaft, Architektur“ legte den Fokus auf Landschaft, Natur, Klima und vernetzte Zusammenhänge.
Diese Würdigung des „ecological turn“ in Zeiten des Klimanotstands kommt zur rechten Zeit und spiegelt auch die zunehmende Aufmerksamkeit für die Landschaftsarchitektinnen und Freiraumplaner. Viel zu lange schien ihre Aufgabe, zumindest aus der hochnäsigen Perspektive vieler Architekten, das hübsche Auffüllen der Lücken zwischen den Bauwerken zu sein, und außerdem könne man das Gestalten von Freiräumen ja „irgendwie eh auch selbst“. Damit kommt man heute nicht mehr durch. Im Gegenteil. Manche stellen die berechtigte Frage, ob sich die Verhältnisse nicht überhaupt komplett umdrehen sollten und sich das Gebaute in ein lebendiges Netzwerk aus Baum, Busch, Wasser, Luftströmen, Klimadaten und Topografie einzuordnen habe.
Pferdehufe und Sprinkler
Wie solche grünen Konzepte die graue Stadt beeinflussen können, beweisen die drei für den Schelling-Preis Nominierten. Die Landschaftsarchitektin und Agronomin Teresa Galí-Izard und ihr Büro Architectura Agronomia aus Barcelona forscht in den katalanischen Bergen über Dinge wie die Interaktion von Gräsern und Pferdehufen und überträgt dieses landwirtschaftliche Wissen in die Stadt. Die Bepflanzung des Parque de Los Cuentos in Málaga entwickelte Galí-Izard beispielsweise aus dem Radius von Sprinklern heraus, an der ETH Zürich leitet sie den fast esoterisch benannten „Chair of Being Alive“.
Das Bureau Bas Smets aus Brüssel zeigt, dass wir den Klimanotstand mit seinen Regenfluten und Hitzewellen nicht mehr ignorieren dürfen, aber produktiv damit umgehen können. So ist Bas Smets am Anfang jedes Projekts mit dem Thermometer unterwegs, um Hitzeinseln in städtischen Asphaltwüsten aufzuspüren. Solche detaillierten „heat maps“ bildeten auch die Grundlage für seine Planung des Umfelds der vor einer Woche wiedereröffneten Kathedrale Notre-Dame.
Im südfranzösischen Arles ließ Bas Smets einen Park auf einem ehemaligen Industrieareal entstehen, dessen Fläche großteils mit Betonplatten belegt war. Um dieses leblose, vom Mistral durchfegte Areal zu transformieren, wurde als Erstes die topfebene Fläche zu einer Topografie umgeformt, in der sich quasi von selbst verschiedene mikroklimatische Zonen entwickelten. Heute sind hier 37 Vogelarten heimisch geworden.
Die Dritten im grünen Bunde, Erik-Jan Pleijster, Cees van der Weken und Peter Veenstra, tauften ihr Büro in Rotterdam LOLA Landscape Architects, eine Abkürzung von „Lost Landscapes“. Sie deuten die Stadt als verlorene und wiederzugewinnende Landschaft, in die sich das Gebaute einzufügen hat. Ihre Projekte umfassen kleine Dachlandschaften und große Deichprojekte in den Niederlanden sowie riesige Parkanlagen in China, wie den 128 Hektar großen Shenzhen Bay Park, dessen wogendes Grün von einem viereinhalb Kilometer langen roten Steg überschwebt wird.
LOLA wurde bei der Live-Jurierung in Karlsruhe der Preis verliehen, Bas Smets bekam den Publikumspreis, doch am preiswürdigsten war die Überzeugungskraft der Zeitenwende, die die Auswahl aller drei Planerteams symbolisierte. Einen Misston gab es dennoch zu vermelden. Für den Schelling-Architekturtheoriepreis, dessen Preisträger schon Monate vor der Zeremonie bestimmt wird, war James Bridle aus Großbritannien gewählt worden. Bridles Werk, insbesondere das Buch Ways of Being: Animals, Plants Machines – The Search for a Planetary Intelligence, verbindet Technologie, KI und Big Data mit der komplexen Intelligenz von Lebewesen. Über diese, so Bridle, wüssten wir noch viel zu wenig, und das sei durchaus ermutigend, weil es die Allmacht des Menschen über seine gebaute Umwelt infrage stelle.
Theorie und Praxis
Ein perfektes thematisches Ineinandergreifen von Theorie und Praxis also. Doch zwei Tage vor der Preisverleihung gab die Schelling-Stiftung bekannt, keinen Theoriepreis zu vergeben. Man war darauf aufmerksam gemacht worden, dass James Bridle unter den über 5500 Unterzeichnenden eines offenen Briefes war, der sich gegen die Zusammenarbeit mit israelischen Kultureinrichtungen aussprach, die sich „nicht gegen die Unterdrückung von Palästinensern positionieren“.
Man kann sich natürlich fragen, inwiefern ausgerechnet Kulturinstitutionen eines Landes verantwortlich sind für politisch-militärische Aktionen ihrer Regierung und wie die Position dieser Institutionen verifizierbar wäre. Die Entscheidung der Schelling-Stiftung und der Jury war zwar nachvollziehbar, aber auch Teil eines Klimas der quasi-rituellen und vorhersehbaren Distanzierungsperformances, die die deutsche Kulturlandschaft in den letzten Monaten geprägt haben. Das mündet nicht selten in eine sehr deutsche Beschäftigung mit sich selbst, die sich für die realen Geschehnisse in Palästina kaum zu interessieren scheint.
Die öffentlichen Reaktionen auf die Nichtvergabe des Preises an James Bridle waren so heftig wie erwartbar – auch Bridle selbst veröffentlichte ein Statement. Bas Smets und LOLA, nun auch in die undankbare Rolle gedrängt, sich zu positionieren, verlasen bei der Preisverleihung ein ausgewogen formuliertes gemeinsames Statement, in dem sie die Wichtigkeit des Dialogs betonten. Denn die Verantwortung für die gewachsene und gebaute Umwelt und das Überleben im Klimanotstand ist zu wichtig, um es aus den Augen zu verlieren.
Ende November lud die Schelling-Architekturstiftung wieder zur Preisverleihung nach Karlsruhe, doch dieses Mal war alles anders. Denn die Jury hatte entschieden, heuer einmal nicht das gebaute Objekt zu honorieren, sondern das komplexe Dazwischen. Das Motto „Deep Transformations — Erde, Landschaft, Architektur“ legte den Fokus auf Landschaft, Natur, Klima und vernetzte Zusammenhänge.
Diese Würdigung des „ecological turn“ in Zeiten des Klimanotstands kommt zur rechten Zeit und spiegelt auch die zunehmende Aufmerksamkeit für die Landschaftsarchitektinnen und Freiraumplaner. Viel zu lange schien ihre Aufgabe, zumindest aus der hochnäsigen Perspektive vieler Architekten, das hübsche Auffüllen der Lücken zwischen den Bauwerken zu sein, und außerdem könne man das Gestalten von Freiräumen ja „irgendwie eh auch selbst“. Damit kommt man heute nicht mehr durch. Im Gegenteil. Manche stellen die berechtigte Frage, ob sich die Verhältnisse nicht überhaupt komplett umdrehen sollten und sich das Gebaute in ein lebendiges Netzwerk aus Baum, Busch, Wasser, Luftströmen, Klimadaten und Topografie einzuordnen habe.
Pferdehufe und Sprinkler
Wie solche grünen Konzepte die graue Stadt beeinflussen können, beweisen die drei für den Schelling-Preis Nominierten. Die Landschaftsarchitektin und Agronomin Teresa Galí-Izard und ihr Büro Architectura Agronomia aus Barcelona forscht in den katalanischen Bergen über Dinge wie die Interaktion von Gräsern und Pferdehufen und überträgt dieses landwirtschaftliche Wissen in die Stadt. Die Bepflanzung des Parque de Los Cuentos in Málaga entwickelte Galí-Izard beispielsweise aus dem Radius von Sprinklern heraus, an der ETH Zürich leitet sie den fast esoterisch benannten „Chair of Being Alive“.
Das Bureau Bas Smets aus Brüssel zeigt, dass wir den Klimanotstand mit seinen Regenfluten und Hitzewellen nicht mehr ignorieren dürfen, aber produktiv damit umgehen können. So ist Bas Smets am Anfang jedes Projekts mit dem Thermometer unterwegs, um Hitzeinseln in städtischen Asphaltwüsten aufzuspüren. Solche detaillierten „heat maps“ bildeten auch die Grundlage für seine Planung des Umfelds der vor einer Woche wiedereröffneten Kathedrale Notre-Dame.
Im südfranzösischen Arles ließ Bas Smets einen Park auf einem ehemaligen Industrieareal entstehen, dessen Fläche großteils mit Betonplatten belegt war. Um dieses leblose, vom Mistral durchfegte Areal zu transformieren, wurde als Erstes die topfebene Fläche zu einer Topografie umgeformt, in der sich quasi von selbst verschiedene mikroklimatische Zonen entwickelten. Heute sind hier 37 Vogelarten heimisch geworden.
Die Dritten im grünen Bunde, Erik-Jan Pleijster, Cees van der Weken und Peter Veenstra, tauften ihr Büro in Rotterdam LOLA Landscape Architects, eine Abkürzung von „Lost Landscapes“. Sie deuten die Stadt als verlorene und wiederzugewinnende Landschaft, in die sich das Gebaute einzufügen hat. Ihre Projekte umfassen kleine Dachlandschaften und große Deichprojekte in den Niederlanden sowie riesige Parkanlagen in China, wie den 128 Hektar großen Shenzhen Bay Park, dessen wogendes Grün von einem viereinhalb Kilometer langen roten Steg überschwebt wird.
LOLA wurde bei der Live-Jurierung in Karlsruhe der Preis verliehen, Bas Smets bekam den Publikumspreis, doch am preiswürdigsten war die Überzeugungskraft der Zeitenwende, die die Auswahl aller drei Planerteams symbolisierte. Einen Misston gab es dennoch zu vermelden. Für den Schelling-Architekturtheoriepreis, dessen Preisträger schon Monate vor der Zeremonie bestimmt wird, war James Bridle aus Großbritannien gewählt worden. Bridles Werk, insbesondere das Buch Ways of Being: Animals, Plants Machines – The Search for a Planetary Intelligence, verbindet Technologie, KI und Big Data mit der komplexen Intelligenz von Lebewesen. Über diese, so Bridle, wüssten wir noch viel zu wenig, und das sei durchaus ermutigend, weil es die Allmacht des Menschen über seine gebaute Umwelt infrage stelle.
Theorie und Praxis
Ein perfektes thematisches Ineinandergreifen von Theorie und Praxis also. Doch zwei Tage vor der Preisverleihung gab die Schelling-Stiftung bekannt, keinen Theoriepreis zu vergeben. Man war darauf aufmerksam gemacht worden, dass James Bridle unter den über 5500 Unterzeichnenden eines offenen Briefes war, der sich gegen die Zusammenarbeit mit israelischen Kultureinrichtungen aussprach, die sich „nicht gegen die Unterdrückung von Palästinensern positionieren“.
Man kann sich natürlich fragen, inwiefern ausgerechnet Kulturinstitutionen eines Landes verantwortlich sind für politisch-militärische Aktionen ihrer Regierung und wie die Position dieser Institutionen verifizierbar wäre. Die Entscheidung der Schelling-Stiftung und der Jury war zwar nachvollziehbar, aber auch Teil eines Klimas der quasi-rituellen und vorhersehbaren Distanzierungsperformances, die die deutsche Kulturlandschaft in den letzten Monaten geprägt haben. Das mündet nicht selten in eine sehr deutsche Beschäftigung mit sich selbst, die sich für die realen Geschehnisse in Palästina kaum zu interessieren scheint.
Die öffentlichen Reaktionen auf die Nichtvergabe des Preises an James Bridle waren so heftig wie erwartbar – auch Bridle selbst veröffentlichte ein Statement. Bas Smets und LOLA, nun auch in die undankbare Rolle gedrängt, sich zu positionieren, verlasen bei der Preisverleihung ein ausgewogen formuliertes gemeinsames Statement, in dem sie die Wichtigkeit des Dialogs betonten. Denn die Verantwortung für die gewachsene und gebaute Umwelt und das Überleben im Klimanotstand ist zu wichtig, um es aus den Augen zu verlieren.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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