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Paradies im Pyrozän

Schon vor den verheerenden Bränden war Los Angeles eine Projektionsfläche für Bilder der Zerstörung. Auch Architektur und Stadtplanung haben sich immer wieder mit dem Gegensatz von Sonnenschein und Katastrophe auseinandergesetzt. Ein Szenario für das Zeitalter des Feuers.
8. Februar 2025 - Maik Novotny
Geoff Manaugh kennt Los Angeles und sein Territorium wie wenige andere. Als Autor beschäftigt er sich seit Jahren mit Stadt, Infrastruktur und Architektur. Doch die Katastrophe traf ihn unerwartet. „Ich wohne in einem Teil von L.A., von dem ich nie dachte, dass er Gefahrengebiet für Brände sei“, sagt er. „Zwischen unserem Viertel und den Bergen liegen mehrere Freeways und die Stadt Altadena.“ Und diese war in den Gefahrenkarten der Behörde Cal Fire weitgehend als gering gefährdet verzeichnet.
Doch nach dem Eaton Fire und dem Palisades Fire im Jänner 2025, den zweit- und drittschlimmsten Brandkatastrophen aller Zeiten in L.A., war Altadena verwüstet. Zwei feuchte Jahre mit viel Vegetation, gefolgt von einem Jahr Trockenheit und besonders intensiven Santa-Ana-Winden von Norden, hatten das Desaster begünstigt. Manaugh und seine Frau saßen schon auf gepackten Koffern – sie hatten Glück, ihr Haus blieb unversehrt.
„Das unglaubliche Ausmaß der Zerstörung zeigt, dass Waldbrände viel weiter in die Städte vordringen können als gedacht“, sagt Manaugh. „Wir müssen unsere Häuser in Zukunft anders planen, und wir müssen uns so verhalten, als seien wir permanent von Feuer bedroht – weil wir es ab jetzt sind.“ Stephen Pyne, emeritierter Professor an der Arizona State University, prägte einen eigenen Begriff für das neue Zeitalter des Feuers: das Pyrozän. Manche Orte, wie Los Angeles, erreichen diesen Punkt schneller als andere, schreibt er.
Pumas und Killerbienen
Paradies und Pyrozän, ewiger Sonnenschein und kohlschwarze Abgründe – die Schizophrenie von Los Angeles hat die Kultur schon immer fasziniert. David Lynchs Mulholland Drive lotete Licht und Schatten Hollywoods aus, Ridley Scotts Blade Runner transferierte den L.A. Noir in die Zukunft, und der Sänger Phil Ochs schrieb 1969, in jenem Jahr, in dem der kalifornische Hippie-Traum von der Manson Family blutig beerdigt wurde, den Song The World Began in Eden, and Ended in Los Angeles .
Auch Architektinnen und Stadtforscher teilten diese Faszination, und wohl keiner von ihnen hat sich intensiver mit der dunklen Seite von L.A. beschäftigt als Mike Davis in seinen Büchern City of Quartz (1990) und Ökologie der Angst (1998). Letzteres beschreibt Los Angeles, als „die Stadt, die wir gerne zerstören“ – in Filmen und Büchern gerne komplett, in der Realität zumindest teilweise. Durch Feuer, Erdbeben, Fluten, Tornados, und – laut Davis – sogar durch Pumas und Killerbienen.
„Los Angeles hat sein Image als Welthauptstadt des fröhlichen Leichtsinns immer mit einer Gewürzmischung aus diversen Katastrophenerwartungen abgeschmeckt“, sagt Wolfang Kölbl, Architekt und Forscher an der TU Wien, der 2021 in seinem Buch Los Angeles Endzeitmoderne die Polarität von Optimismus und Zerstörungslust aus architekturgeschichtlicher Sicht analysierte. Sprich: Ohne drohenden Untergang gäbe es nichts zu feiern.
Im Gefahrenranking standen Erdbeben immer auf Platz eins, gefolgt von Flutwellen, Hangrutschungen und Bränden. „Neu ist, dass mittlerweile auch Drogenepidemien oder der Zuzug von tausenden Obdachlosen in der Downtown wie Naturkatastrophen behandelt werden“, sagt Kölbl. „Man nimmt sie eher als schicksalhaft hin, als dass man sie als gesellschaftlichen Systemfehler repariert.“
Überlagert man den Stadtplan von L.A. mit diesem Gefährdungspotenzial, ergibt sich ein Kuriosum, das Kölbl den „Malibu-Effekt“ nennt: Gerade in den gefährdeten Lagen siedeln sich die Wohlhabenden an, während Problemviertel wie South Central relativ sicher sind. „Die soziale Geografie von Los Angeles folgt der Gefahrengeografie“, erklärt Kölbl. „Für die Arbeiter wurden die zentralen Lagen auf ebenem Feld entwickelt. Die Gefahrenlagen an den Hügeln oder am Meer hingegen muss man sich leisten können. Der Aufwand für Erschließung und Erhaltung ist wesentlich höher, oft ist kein Versicherungsschutz möglich. Die einzige Sicherheit, die man sich damit erkauft, ist eine solide Schutzdistanz zur Armut. Daraus folgt, dass für die Bewohner der Gefahrenlagen die Armut die schlimmste Katastrophe darstellt.“
Welches Zukunftsszenario sieht Kölbl nach den Bränden? „Nach dem Versagen von Katastrophen-Vorbereitung und -Einsatz droht Los Angeles eine Detroitisierung.“ Ähnlich wie in der Motorstadt könnten wohlhabende Stadtteile eigene Kommunen bilden, mit eigener Feuerwehr, die aus eigenen Steuern finanziert wird. Zurück bliebe eine verarmte Reststadt.
Soziale Probleme verschärft
Auf die sozialen Verwerfungen verweist auch die Wiener Architektin Christiane Feuerstein, die sich 2019 in ihrem Buch Turnaround Urbanism mit dem Wandel von Downtown L.A. beschäftigt hatte. „In Altadena verbrannten mehr als 7000 Häuser, von denen viele nicht oder unterversichert waren. Es war ein vielfältiges Viertel, in dem Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen lebten.“ Die Folgen des Feuers würden die sozialen Probleme von Los Angeles weiter verschärfen, sagt sie. „Leistbarer Wohnraum war bereits vorher ein rares Gut. Da nicht nur Wohnraum, sondern auch Arbeitsplätze zerstört wurden, werden jetzt noch mehr Personen auf der Suche sein.“
An den Folgen des Feuers, dessen Ausmaß auch auf die Folgen des Klimawandels wie fehlenden Regen zurückzuführen ist, zeige sich aber auch, dass Klimawandel und soziale Fragen in komplexer Weise miteinander verbunden seien. „Man kann das Eine nicht gegen das Andere ausspielen. Wir brauchen eine andere Haltung im Umgang mit der Welt.“ Das Überleben im Pyrozän braucht nicht nur neue Stadtplanung, sondern auch Empathie. Auch wenn die Zeichen dafür im Land der putschenden Tech-Bro-Milliardäre und der aggressiven Leugnung des Klimawandels derzeit nicht günstig stehen.
Doch nach dem Eaton Fire und dem Palisades Fire im Jänner 2025, den zweit- und drittschlimmsten Brandkatastrophen aller Zeiten in L.A., war Altadena verwüstet. Zwei feuchte Jahre mit viel Vegetation, gefolgt von einem Jahr Trockenheit und besonders intensiven Santa-Ana-Winden von Norden, hatten das Desaster begünstigt. Manaugh und seine Frau saßen schon auf gepackten Koffern – sie hatten Glück, ihr Haus blieb unversehrt.
„Das unglaubliche Ausmaß der Zerstörung zeigt, dass Waldbrände viel weiter in die Städte vordringen können als gedacht“, sagt Manaugh. „Wir müssen unsere Häuser in Zukunft anders planen, und wir müssen uns so verhalten, als seien wir permanent von Feuer bedroht – weil wir es ab jetzt sind.“ Stephen Pyne, emeritierter Professor an der Arizona State University, prägte einen eigenen Begriff für das neue Zeitalter des Feuers: das Pyrozän. Manche Orte, wie Los Angeles, erreichen diesen Punkt schneller als andere, schreibt er.
Pumas und Killerbienen
Paradies und Pyrozän, ewiger Sonnenschein und kohlschwarze Abgründe – die Schizophrenie von Los Angeles hat die Kultur schon immer fasziniert. David Lynchs Mulholland Drive lotete Licht und Schatten Hollywoods aus, Ridley Scotts Blade Runner transferierte den L.A. Noir in die Zukunft, und der Sänger Phil Ochs schrieb 1969, in jenem Jahr, in dem der kalifornische Hippie-Traum von der Manson Family blutig beerdigt wurde, den Song The World Began in Eden, and Ended in Los Angeles .
Auch Architektinnen und Stadtforscher teilten diese Faszination, und wohl keiner von ihnen hat sich intensiver mit der dunklen Seite von L.A. beschäftigt als Mike Davis in seinen Büchern City of Quartz (1990) und Ökologie der Angst (1998). Letzteres beschreibt Los Angeles, als „die Stadt, die wir gerne zerstören“ – in Filmen und Büchern gerne komplett, in der Realität zumindest teilweise. Durch Feuer, Erdbeben, Fluten, Tornados, und – laut Davis – sogar durch Pumas und Killerbienen.
„Los Angeles hat sein Image als Welthauptstadt des fröhlichen Leichtsinns immer mit einer Gewürzmischung aus diversen Katastrophenerwartungen abgeschmeckt“, sagt Wolfang Kölbl, Architekt und Forscher an der TU Wien, der 2021 in seinem Buch Los Angeles Endzeitmoderne die Polarität von Optimismus und Zerstörungslust aus architekturgeschichtlicher Sicht analysierte. Sprich: Ohne drohenden Untergang gäbe es nichts zu feiern.
Im Gefahrenranking standen Erdbeben immer auf Platz eins, gefolgt von Flutwellen, Hangrutschungen und Bränden. „Neu ist, dass mittlerweile auch Drogenepidemien oder der Zuzug von tausenden Obdachlosen in der Downtown wie Naturkatastrophen behandelt werden“, sagt Kölbl. „Man nimmt sie eher als schicksalhaft hin, als dass man sie als gesellschaftlichen Systemfehler repariert.“
Überlagert man den Stadtplan von L.A. mit diesem Gefährdungspotenzial, ergibt sich ein Kuriosum, das Kölbl den „Malibu-Effekt“ nennt: Gerade in den gefährdeten Lagen siedeln sich die Wohlhabenden an, während Problemviertel wie South Central relativ sicher sind. „Die soziale Geografie von Los Angeles folgt der Gefahrengeografie“, erklärt Kölbl. „Für die Arbeiter wurden die zentralen Lagen auf ebenem Feld entwickelt. Die Gefahrenlagen an den Hügeln oder am Meer hingegen muss man sich leisten können. Der Aufwand für Erschließung und Erhaltung ist wesentlich höher, oft ist kein Versicherungsschutz möglich. Die einzige Sicherheit, die man sich damit erkauft, ist eine solide Schutzdistanz zur Armut. Daraus folgt, dass für die Bewohner der Gefahrenlagen die Armut die schlimmste Katastrophe darstellt.“
Welches Zukunftsszenario sieht Kölbl nach den Bränden? „Nach dem Versagen von Katastrophen-Vorbereitung und -Einsatz droht Los Angeles eine Detroitisierung.“ Ähnlich wie in der Motorstadt könnten wohlhabende Stadtteile eigene Kommunen bilden, mit eigener Feuerwehr, die aus eigenen Steuern finanziert wird. Zurück bliebe eine verarmte Reststadt.
Soziale Probleme verschärft
Auf die sozialen Verwerfungen verweist auch die Wiener Architektin Christiane Feuerstein, die sich 2019 in ihrem Buch Turnaround Urbanism mit dem Wandel von Downtown L.A. beschäftigt hatte. „In Altadena verbrannten mehr als 7000 Häuser, von denen viele nicht oder unterversichert waren. Es war ein vielfältiges Viertel, in dem Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen lebten.“ Die Folgen des Feuers würden die sozialen Probleme von Los Angeles weiter verschärfen, sagt sie. „Leistbarer Wohnraum war bereits vorher ein rares Gut. Da nicht nur Wohnraum, sondern auch Arbeitsplätze zerstört wurden, werden jetzt noch mehr Personen auf der Suche sein.“
An den Folgen des Feuers, dessen Ausmaß auch auf die Folgen des Klimawandels wie fehlenden Regen zurückzuführen ist, zeige sich aber auch, dass Klimawandel und soziale Fragen in komplexer Weise miteinander verbunden seien. „Man kann das Eine nicht gegen das Andere ausspielen. Wir brauchen eine andere Haltung im Umgang mit der Welt.“ Das Überleben im Pyrozän braucht nicht nur neue Stadtplanung, sondern auch Empathie. Auch wenn die Zeichen dafür im Land der putschenden Tech-Bro-Milliardäre und der aggressiven Leugnung des Klimawandels derzeit nicht günstig stehen.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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