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Wo bleibt Diplomingenieur House?
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Der Oscar-nominierte Film „The Brutalist“ stellt einen Architekten in den Mittelpunkt, die Architektur selbst spielt jedoch eine Nebenrolle. Warum kommen Architekten in Film und Fernsehen so selten vor?
15. Februar 2025 - Maik Novotny
Spoiler-Alarm! Wer sich auf eine dreistündige Abhandlung über Sichtbeton freut, wird vom Film The Brutalist bitter enttäuscht. Noch ärger: Das Wort Brutalismus wird nicht ein einziges Mal erwähnt. Das führt dazu, dass die Architekturwelt auf den für zehn Oscars nominierten Film von Bradley Corbet etwas pikiert reagiert. Man fühlt sich nicht realitätsnah wiedergegeben.
In der Tat gibt es Aspekte, die etwas fragwürdig erscheinen: Das monumentale Bauwerk, das im Zentrum der Handlung steht, soll als Zentrum für eine Kleinstadt dienen, steht aber auf einem isolierten Hügel und verfügt über eine bauphysikalisch nicht ausreichend begründete riesige Zisterne im Keller. Auch die biografischen Details des von Adrien Brody verkörperten Architekten Laszlo Tóth werfen Fragen auf: Dass ein jüdischer Architekt in den 1930er-Jahren in Ungarn gleich mehrere große Bauten im Stil der klassischen Moderne errichtet habe, ist historisch schwer haltbar.
Nun könnte man einwenden, dass es in diesem Film im Grunde gar nicht um Architektur gehe, sondern um Emigration, Heimatlosigkeit, Machtverhältnisse, Antisemitismus und das Trauma der Shoah, mit der Architektur als narrativ-visuellem Anker – und das stimmt auch. Die Kritik der Fachwelt versteht man am besten als Reaktion auf ein Repräsentationsdefizit: Jetzt gibt es ausnahmsweise einmal einen Architektenfilm, dann wollen wir auch Akkuratesse!
In der Tat spielen Architekten in Film und Fernsehen erstaunlich selten die Hauptrolle – und Architektinnen schon gar nicht. Nicht nur was das Durchschnittseinkommen angeht, schaut man mit verstohlenem Neid hinüber zu den Ärzten. Auch bei der Darstellung der beiden Berufsgruppen in Film und Fernsehen strahlen die Halbgötter in Weiß heller als die Rollkragenpullis in Schwarz. Ärzte sind Helden mit komplexen Persönlichkeiten, jedes noch so kleine Detail ihres Berufs- und Privatlebens ist eine Story wert, von der Schwarzwaldklinik über Emergency Room bis Dr. House.
Turmbau = Potenz
Aber wo, bitte, ist der Dr. House der Architektur? Der Name wäre ja schon themenverwandt, man müsste ihn nur in „Diplomingenieur House“ ändern. Aber die Drehbuchautoren machen einen Bogen um die bauende Zunft, außer man benötigt dick aufgetragene Turmbausymbolik für männliche Potenz und schöpferische Vision. Bestes Beispiel dafür: The Fountainhead (King Vidor, 1949, herrlich hysterischer deutscher Titel: Ein Mann wie Sprengstoff ), die bombastische Verfilmung des gleichnamigen Kapitalismus-ist-meine-Religion-Kitschromans von Ayn Rand. Hier durfte Gary Cooper den von allen unverstandenen Architektur-Übermenschen geben, der zu keinem Kompromiss bereit ist.
Als Gegenstück dazu kann Die Architekten (Peter Kahane, 1990) gelten, in dem eine Gruppe von Architektinnen und Architekten in Büro und Wohnküche diskutiert, ob ihr neues soziokulturelles Zentrum am Ostberliner Stadtrand die Gesellschaft wirklich verbessert. Gedreht im Herbst 1989 in der zerbröselnden DDR, wurde der sehenswerte Film von der Geschichte überholt – das System, das er kritisierte, gab es bei der Premiere schon nicht mehr.
Deutlich mehr bedeutungsbeladenen Beton als The Brutalist und eine satte Dosis tatsächlichen Brutalismus bot der dystopische Film High Rise (Ben Wheatley, 2015) nach dem gleichnamigen Roman von J. G. Ballard (1975). Er beschreibt in einer lustvollen Retro-Ausstattungsorgie das Leben in einem brandneuen Londoner Wohnhochhaus, mit allen Annehmlichkeiten inklusive Pool, Spa und Supermarkt, dessen Bewohnerschaft sich aber im Laufe des Plots immer mehr abkapselt und ins Animalische degeneriert. Architekt Anthony Royal wohnt aus dramaturgischen Gründen selbst im Haus, selbstverständlich im Penthouse, und selbstverständlich ist er ein Ausbund an Arroganz.
Schauplatz Tatort
Ein ausgezeichneter Film, aber auch Wasser auf die Mühlen all jener, die Betonhochhäuser als „seelenlos“ und „menschenfeindlich“ verunglimpfen. Reichlich Fallbeispiele hierfür finden sich in der Tatort -Krimireihe. Wie die Süddeutsche Zeitung einst treffend schrieb, sitzt hier das Böse fast immer im Glashaus.
Auch im schönen Buchkompendium Schauplatz Tatort. Die Architektur, der Film und der Tod , das sich den Locations von Duisburg bis München widmet, analysiert Autor Guido Walter treffend die immergleiche Rolle, die den Architekten in den Folgen zugeschrieben wird: „Kalt, herzlos, hart. Wer so tickt, der wohnt und arbeitet bestimmt auch so. Interior-Design und Familienglück, das passt im Krimi nicht zusammen. Und so steht der Tatort -Architekt im Sakko hinter Glasfronten und denkt über seine Missetaten nach.“ Von Beton und Glas, so die Regel, führt die küchenpsychologische Abkürzung direkt in den seelischen Abgrund.
Dabei gäbe der tatsächliche Alltag der Architektur so viel Stoff für gute Plots her, man muss sich nur bedienen. Die dramatischen Nächte vor der Wettbewerbsabgabe, kettenrauchend und selbstzweifelnd. Die vielen Paare, die sich Büro und Bett teilen, die verschiedenen Machtspiele, die damit involviert sind, und Männlichkeits- und Weiblichkeitsklischees, die man erfüllt oder nicht. Die aufreibenden Gespräche mit Einfamilienhaus-Bauherren, die nach der 37. aufgezeichneten Entwurfsvariante anfangen, zu überlegen, ob sie nicht doch alles ganz anders haben wollen, während das Stundenhonorar des Architekten langsam in den Minusbereich rutscht. Die Architektinnen, im Studium noch in der Mehrheit, die im Berufsleben an den Rand gedrängt werden. Die hehren Ideale, die an Normenkatalogen zerschellen. Die Beziehungen und Affären.
Dramen, Tränen und Glücksmomente, die mit jeder Krankenhausserie mithalten können. Also: Drehbuchautorinnen, an die Arbeit! Vielleicht springt sogar ein Oscar heraus.
In der Tat gibt es Aspekte, die etwas fragwürdig erscheinen: Das monumentale Bauwerk, das im Zentrum der Handlung steht, soll als Zentrum für eine Kleinstadt dienen, steht aber auf einem isolierten Hügel und verfügt über eine bauphysikalisch nicht ausreichend begründete riesige Zisterne im Keller. Auch die biografischen Details des von Adrien Brody verkörperten Architekten Laszlo Tóth werfen Fragen auf: Dass ein jüdischer Architekt in den 1930er-Jahren in Ungarn gleich mehrere große Bauten im Stil der klassischen Moderne errichtet habe, ist historisch schwer haltbar.
Nun könnte man einwenden, dass es in diesem Film im Grunde gar nicht um Architektur gehe, sondern um Emigration, Heimatlosigkeit, Machtverhältnisse, Antisemitismus und das Trauma der Shoah, mit der Architektur als narrativ-visuellem Anker – und das stimmt auch. Die Kritik der Fachwelt versteht man am besten als Reaktion auf ein Repräsentationsdefizit: Jetzt gibt es ausnahmsweise einmal einen Architektenfilm, dann wollen wir auch Akkuratesse!
In der Tat spielen Architekten in Film und Fernsehen erstaunlich selten die Hauptrolle – und Architektinnen schon gar nicht. Nicht nur was das Durchschnittseinkommen angeht, schaut man mit verstohlenem Neid hinüber zu den Ärzten. Auch bei der Darstellung der beiden Berufsgruppen in Film und Fernsehen strahlen die Halbgötter in Weiß heller als die Rollkragenpullis in Schwarz. Ärzte sind Helden mit komplexen Persönlichkeiten, jedes noch so kleine Detail ihres Berufs- und Privatlebens ist eine Story wert, von der Schwarzwaldklinik über Emergency Room bis Dr. House.
Turmbau = Potenz
Aber wo, bitte, ist der Dr. House der Architektur? Der Name wäre ja schon themenverwandt, man müsste ihn nur in „Diplomingenieur House“ ändern. Aber die Drehbuchautoren machen einen Bogen um die bauende Zunft, außer man benötigt dick aufgetragene Turmbausymbolik für männliche Potenz und schöpferische Vision. Bestes Beispiel dafür: The Fountainhead (King Vidor, 1949, herrlich hysterischer deutscher Titel: Ein Mann wie Sprengstoff ), die bombastische Verfilmung des gleichnamigen Kapitalismus-ist-meine-Religion-Kitschromans von Ayn Rand. Hier durfte Gary Cooper den von allen unverstandenen Architektur-Übermenschen geben, der zu keinem Kompromiss bereit ist.
Als Gegenstück dazu kann Die Architekten (Peter Kahane, 1990) gelten, in dem eine Gruppe von Architektinnen und Architekten in Büro und Wohnküche diskutiert, ob ihr neues soziokulturelles Zentrum am Ostberliner Stadtrand die Gesellschaft wirklich verbessert. Gedreht im Herbst 1989 in der zerbröselnden DDR, wurde der sehenswerte Film von der Geschichte überholt – das System, das er kritisierte, gab es bei der Premiere schon nicht mehr.
Deutlich mehr bedeutungsbeladenen Beton als The Brutalist und eine satte Dosis tatsächlichen Brutalismus bot der dystopische Film High Rise (Ben Wheatley, 2015) nach dem gleichnamigen Roman von J. G. Ballard (1975). Er beschreibt in einer lustvollen Retro-Ausstattungsorgie das Leben in einem brandneuen Londoner Wohnhochhaus, mit allen Annehmlichkeiten inklusive Pool, Spa und Supermarkt, dessen Bewohnerschaft sich aber im Laufe des Plots immer mehr abkapselt und ins Animalische degeneriert. Architekt Anthony Royal wohnt aus dramaturgischen Gründen selbst im Haus, selbstverständlich im Penthouse, und selbstverständlich ist er ein Ausbund an Arroganz.
Schauplatz Tatort
Ein ausgezeichneter Film, aber auch Wasser auf die Mühlen all jener, die Betonhochhäuser als „seelenlos“ und „menschenfeindlich“ verunglimpfen. Reichlich Fallbeispiele hierfür finden sich in der Tatort -Krimireihe. Wie die Süddeutsche Zeitung einst treffend schrieb, sitzt hier das Böse fast immer im Glashaus.
Auch im schönen Buchkompendium Schauplatz Tatort. Die Architektur, der Film und der Tod , das sich den Locations von Duisburg bis München widmet, analysiert Autor Guido Walter treffend die immergleiche Rolle, die den Architekten in den Folgen zugeschrieben wird: „Kalt, herzlos, hart. Wer so tickt, der wohnt und arbeitet bestimmt auch so. Interior-Design und Familienglück, das passt im Krimi nicht zusammen. Und so steht der Tatort -Architekt im Sakko hinter Glasfronten und denkt über seine Missetaten nach.“ Von Beton und Glas, so die Regel, führt die küchenpsychologische Abkürzung direkt in den seelischen Abgrund.
Dabei gäbe der tatsächliche Alltag der Architektur so viel Stoff für gute Plots her, man muss sich nur bedienen. Die dramatischen Nächte vor der Wettbewerbsabgabe, kettenrauchend und selbstzweifelnd. Die vielen Paare, die sich Büro und Bett teilen, die verschiedenen Machtspiele, die damit involviert sind, und Männlichkeits- und Weiblichkeitsklischees, die man erfüllt oder nicht. Die aufreibenden Gespräche mit Einfamilienhaus-Bauherren, die nach der 37. aufgezeichneten Entwurfsvariante anfangen, zu überlegen, ob sie nicht doch alles ganz anders haben wollen, während das Stundenhonorar des Architekten langsam in den Minusbereich rutscht. Die Architektinnen, im Studium noch in der Mehrheit, die im Berufsleben an den Rand gedrängt werden. Die hehren Ideale, die an Normenkatalogen zerschellen. Die Beziehungen und Affären.
Dramen, Tränen und Glücksmomente, die mit jeder Krankenhausserie mithalten können. Also: Drehbuchautorinnen, an die Arbeit! Vielleicht springt sogar ein Oscar heraus.
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