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Abrissbirne kaputtmachen!

Sanierungen und Renovierungen sind für die Immobilienwirtschaft teuer, langwierig und viel zu kompliziert. Abbruch und Neubau stehen daher an der Tagesordnung. Die EU-Bürgerinitiative House Europe! will das ändern – und sammelt nun Unterschriften für ein Umdenken im EU-Parlament.
22. Februar 2025 - Wojciech Czaja
Das sind sensationelle Pilotprojekte“, sagt der Berliner Architekt Olaf Grawert, Partner bei B+ Architektur. „Aber der immobilienwirtschaftliche Alltag sieht leider anders aus. Sanierungen, Renovierungen und Weiterbauen im Bestand sind immer noch die Ausnahme, stattdessen ist die gesamte Branche auf Abbruch und Neubau fixiert – und das, obwohl wir längst wissen, was für katastrophale ökologische und klimatische Folgen das hat.“ 38 Prozent der globalen CO2 -Emissionen sind auf den Gebäudesektor zurückzuführen. Hinzu kommt, dass die Errichtung und Vernichtung von Bauwerken 36 Prozent des europäischen Mülls produzieren. Im Vergleich dazu: Der Haushaltsmüll macht lediglich acht Prozent der EU-Müllberge aus.
„Die Zahlen sind alarmierend, und wenn sich an der Gesetzeslage nichts ändert, dann wird auch die Immobilienwirtschaft nicht umdenken“, so Grawert. Denn: „Investoren, Projektentwicklerinnen und Finanzdienstleister denken nicht in Gebäuden, sondern einzig und allein in Grundstücken. Unser Ziel ist es, die kapitalistischen Rahmenbedingungen auf EU-Ebene neu zu programmieren und gesetzlich neu zu verankern. Wenn das bei Einwegplastik geht, dann sollte das auch bei Einweghäusern möglich sein!“
Die Welt verändern
Mit seinem Büro B+ und zahlreichen Kolleginnen, Unterstützern und Botschafterinnen aus allen EU-Ländern initiierte er unlängst die EU-Bürgerinitiative „House Europe!“. Innerhalb von zwölf Monaten – bis einschließlich 31. Jänner 2026 – will die Initiative eine Million Unterschriften sammeln und auf diese Weise erzwingen, dass der Themen- und Gesetzesvorschlag im EU-Parlament behandelt und entsprechend ausgearbeitet wird.
„In der Immobranche hat sogar die Sprache eine einseitige Tendenz“, sagt Verena Konrad, Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts (vai) und Österreich-Botschafterin für House Europe!. „Im Neubau werden Potenzialanalysen erstellt, im Altbau hingegen spricht man von Risikoanalysen. Dieses Narrativ ist in den Köpfen vieler Menschen fest einzementiert. Das müssen wir ändern. Wir wollen, dass die Politik und die Immobilienwirtschaft das Potenzial bereits errichteter Gebäude anerkennen.“ Zum Beispiel mit einer Steuerreduktion bei Sanierungen und Renovierungen, wie das fallweise schon in Brüssel praktiziert wird.
„Mit House Europe! können wir die Welt verändern“, sagt Botschafterin Saskia van Stein, Direktorin der International Architecture Biennale Rotterdam. „Wenn wir es schaffen, entsprechende Gesetze zu erlassen und der Immobilienwirtschaft Incentives anzubieten, damit die Sanierung und Renovierung von Altbauten auch wirtschaftlich attraktiver wird, dann wird der Markt dieser Einladung folgen.“ Wenn sich legistisch jedoch nichts ändert und wir so weitermachen wir bisher, prognostizieren Forscherinnen bis 2050 innerhalb der EU eine Bestandsvernichtung im Ausmaß von 1,5 Milliarden Quadratmetern. Das ist die vierfache Fläche von Wien.
Jede Stimme zählt: houseeurope.eu
Haus Schreber, Aachen Eine Arbeitersiedlung im Norden der Stadt, eingebettet in eine Landschaft aus Backstein, Satteldächern und glücklich gemähten Rasenflächen. Allein, den Käufern – Familie Winkel mit drei Kindern – war das Siedlungshäuschen aus den 1920er-Jahren zu klein, und so kontaktierte man das Aachener Architekturbüro Amunt mit der Bitte um 50 Quadratmeter Erweiterung. „Warum ein abgenutztes, unpraktisches Bauwerk mit viel Aufwand abreißen?“, fragte sich Architekt Björn Martenson. „Es ist doch viel besser, das Haus umzunutzen, anders zu organisieren und für eine neue Zeit fit zu machen.“ Und so kam es dann auch. Das Weiterbauen wurde mit großformatigen, unverputzten Bimssteinen bewusst zur Schau gestellt. Das Haus wurde mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet.
San Gimignano Lichtenberg, Berlin Mitten im Gewerbegebiet Lichtenberg wurde 1987 – bloß zwei Jahre vor der Wende – eine Fabrik für die VEB Elektrokohle errichtet. Bis zur Weltfinanzkrise 2008 stand die Fabrikhalle leer, doch mit dem Zusammenbruch der Bauwirtschaft entpuppte sie sich als wertvolles Rohstofflager: Die Stahlkonstruktion wurde abgetragen und weiterverwertet, die beiden Treppen- und Silotürme jedoch – 42 Meter hoch, 199 Stufen bis ganz nach oben – wären im Abbruch zu kostspielig gewesen und blieben als betonierte Zeitzeugen erhalten. 2021 nahm sich das Architekturbüro B+ der geheimnisvollen DDR-Ruine an und baute sie zu einem Kreativcluster mit Studios und Werkstätten um. Very rough! In der Namensgebung orientierte man sich an den mittelalterlichen Geschlechtertürmen in der Toscana.
De Flat Kleiburg, Amsterdam „Wir haben nach günstigem Eigentum gesucht“, erzählt Dick in einer coolen Wohnung im neunten Stock – mit grünem Samtsofa und ziemlich viel Kunst an der Wand. „Und dann sind wir in der Zeitung auf diese Anzeige gestoßen.“ Der Bauträger Kondor Wessels Vastgoed erwarb – entgegen allen Empfehlungen seitens der Stadt und der Immobilienbranche – den 400 Meter langen Betonbau aus den 1960er-Jahren und sanierte in Zusammenarbeit mit NL Architects und XVW Architectuur lediglich Fassade, Haustechnik und Allgemeinbereiche. Die 498 Wohnungen selbst blieben unberührt und wurden als Edelrohbau und Do-it-yourself-Bastlerhit verkauft – um 1200 Euro pro Quadratmeter. „Und hinter der Wohnungstür“, sagt Jacqueline, zweiter Stock, „konntest du dich austoben und machen, was du willst.“
„Die Zahlen sind alarmierend, und wenn sich an der Gesetzeslage nichts ändert, dann wird auch die Immobilienwirtschaft nicht umdenken“, so Grawert. Denn: „Investoren, Projektentwicklerinnen und Finanzdienstleister denken nicht in Gebäuden, sondern einzig und allein in Grundstücken. Unser Ziel ist es, die kapitalistischen Rahmenbedingungen auf EU-Ebene neu zu programmieren und gesetzlich neu zu verankern. Wenn das bei Einwegplastik geht, dann sollte das auch bei Einweghäusern möglich sein!“
Die Welt verändern
Mit seinem Büro B+ und zahlreichen Kolleginnen, Unterstützern und Botschafterinnen aus allen EU-Ländern initiierte er unlängst die EU-Bürgerinitiative „House Europe!“. Innerhalb von zwölf Monaten – bis einschließlich 31. Jänner 2026 – will die Initiative eine Million Unterschriften sammeln und auf diese Weise erzwingen, dass der Themen- und Gesetzesvorschlag im EU-Parlament behandelt und entsprechend ausgearbeitet wird.
„In der Immobranche hat sogar die Sprache eine einseitige Tendenz“, sagt Verena Konrad, Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts (vai) und Österreich-Botschafterin für House Europe!. „Im Neubau werden Potenzialanalysen erstellt, im Altbau hingegen spricht man von Risikoanalysen. Dieses Narrativ ist in den Köpfen vieler Menschen fest einzementiert. Das müssen wir ändern. Wir wollen, dass die Politik und die Immobilienwirtschaft das Potenzial bereits errichteter Gebäude anerkennen.“ Zum Beispiel mit einer Steuerreduktion bei Sanierungen und Renovierungen, wie das fallweise schon in Brüssel praktiziert wird.
„Mit House Europe! können wir die Welt verändern“, sagt Botschafterin Saskia van Stein, Direktorin der International Architecture Biennale Rotterdam. „Wenn wir es schaffen, entsprechende Gesetze zu erlassen und der Immobilienwirtschaft Incentives anzubieten, damit die Sanierung und Renovierung von Altbauten auch wirtschaftlich attraktiver wird, dann wird der Markt dieser Einladung folgen.“ Wenn sich legistisch jedoch nichts ändert und wir so weitermachen wir bisher, prognostizieren Forscherinnen bis 2050 innerhalb der EU eine Bestandsvernichtung im Ausmaß von 1,5 Milliarden Quadratmetern. Das ist die vierfache Fläche von Wien.
Jede Stimme zählt: houseeurope.eu
Haus Schreber, Aachen Eine Arbeitersiedlung im Norden der Stadt, eingebettet in eine Landschaft aus Backstein, Satteldächern und glücklich gemähten Rasenflächen. Allein, den Käufern – Familie Winkel mit drei Kindern – war das Siedlungshäuschen aus den 1920er-Jahren zu klein, und so kontaktierte man das Aachener Architekturbüro Amunt mit der Bitte um 50 Quadratmeter Erweiterung. „Warum ein abgenutztes, unpraktisches Bauwerk mit viel Aufwand abreißen?“, fragte sich Architekt Björn Martenson. „Es ist doch viel besser, das Haus umzunutzen, anders zu organisieren und für eine neue Zeit fit zu machen.“ Und so kam es dann auch. Das Weiterbauen wurde mit großformatigen, unverputzten Bimssteinen bewusst zur Schau gestellt. Das Haus wurde mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet.
San Gimignano Lichtenberg, Berlin Mitten im Gewerbegebiet Lichtenberg wurde 1987 – bloß zwei Jahre vor der Wende – eine Fabrik für die VEB Elektrokohle errichtet. Bis zur Weltfinanzkrise 2008 stand die Fabrikhalle leer, doch mit dem Zusammenbruch der Bauwirtschaft entpuppte sie sich als wertvolles Rohstofflager: Die Stahlkonstruktion wurde abgetragen und weiterverwertet, die beiden Treppen- und Silotürme jedoch – 42 Meter hoch, 199 Stufen bis ganz nach oben – wären im Abbruch zu kostspielig gewesen und blieben als betonierte Zeitzeugen erhalten. 2021 nahm sich das Architekturbüro B+ der geheimnisvollen DDR-Ruine an und baute sie zu einem Kreativcluster mit Studios und Werkstätten um. Very rough! In der Namensgebung orientierte man sich an den mittelalterlichen Geschlechtertürmen in der Toscana.
De Flat Kleiburg, Amsterdam „Wir haben nach günstigem Eigentum gesucht“, erzählt Dick in einer coolen Wohnung im neunten Stock – mit grünem Samtsofa und ziemlich viel Kunst an der Wand. „Und dann sind wir in der Zeitung auf diese Anzeige gestoßen.“ Der Bauträger Kondor Wessels Vastgoed erwarb – entgegen allen Empfehlungen seitens der Stadt und der Immobilienbranche – den 400 Meter langen Betonbau aus den 1960er-Jahren und sanierte in Zusammenarbeit mit NL Architects und XVW Architectuur lediglich Fassade, Haustechnik und Allgemeinbereiche. Die 498 Wohnungen selbst blieben unberührt und wurden als Edelrohbau und Do-it-yourself-Bastlerhit verkauft – um 1200 Euro pro Quadratmeter. „Und hinter der Wohnungstür“, sagt Jacqueline, zweiter Stock, „konntest du dich austoben und machen, was du willst.“
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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