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Was bringen Pop-up-Stores? Der Kampf des Thonethofs in Graz gegen den Leerstand
Spectrum

Brachliegende Geschäftsflächen im Parterre bieten eine Chance für Neues: Zwischennutzungen, etwa durch Pop-up-Stores, können den Marktwert eines Standorts erhöhen.

22. März 2025 - Sigrid Verhovsek
Ende Jänner protestierte die WKO ­Steiermark mit einer polemischen Plakataktion in der Grazer Innenstadt gegen „Stillstand“ und beschwor einen drohenden ökonomischen Niedergang: Sozialarbeit und Verkehrsberuhigung seien für wirtschaftliche Missstände in der Innenstadt verantwortlich. Dass dafür als Basis ein ikonischer Spruch der Umweltbewegung „umgemünzt“ wurde – „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann“ –, spricht für sich.

Wieder einmal werden Lebens- und Wirtschaftsraum gegeneinander ausgespielt, nach wie vor lässt sich mit Leerstand gut Panik machen. Dieser wäre aber zunächst nicht als ökonomisches Ärgernis, sondern als räumliches Phänomen zu sehen: Außenwände und deren Fassaden bilden immer zugleich die Innenwände unseres gemeinsa­men öffentlichen Raums. Verlassene, staubi­ge Räumlichkeiten hinter schmutzigen, uneinsichtigen Schaufenstern mit alten, teilweise abgerissenen Plakaten kappen jede Kommunikation zwischen öffentlich und privat und verunsichern Passanten. Besonders ins Auge fällt dabei der Erdgeschoßleerstand urbaner Zentren, wo – schenkt man gewissen Plakaten Glau­ben – leere Schaufenster vom baldigen Untergang unserer Spezies zu künden scheinen.

Man beginnt zu wollen, was man nicht braucht

Dabei ist diese Vorstellung der glitzernden Auslagenwelt nur eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. 1884 beschreibt Émile Zola in „Das Paradies der Damen“ den Aufstieg großer Handelshäuser wie dem von Gustave Eiffel errichteten „Bon Marché“ in Paris, einer „Kathedrale des Handels für ein Volk aus Kunden“. Als erste Zeugen einer kommenden Konsumgesellschaft verdrängten sie ihrerseits ganze Straßenzüge älterer, multifunktionaler Häuser. Nach und nach verschwanden Kleingewerbe und Handwerker und mit ihnen die soziale Tatsache des „Ver-Handelns“: Die relative Sicherheit, Massenartikel in einer halb öffentlichen oder privaten Umgebung zu betrachten, wurde in Fixpreisen, bar und sofort bezahlt. Dafür wurde aber Lieferung frei Haus angeboten – erste zaghafte Keimzelle des Internethandels?

Wenngleich die gründerzeitliche Architek­tur sämtliche historistische Fassaden spielt, ist im Inneren die Industrialisierung tonangebend: Stahlskelett und Eisensäulen schaffen nicht nur Platz für weitläufige Geschäftsflächen, sondern auch für die ebenso neuen, industriell hergestellten Fensterflächen: Schaufenster sorgen dafür, dass man zu wollen beginnt, was man nicht braucht, und das am besten einen ganzen Häuserblock lang. Wenn heute infolge natürlicher Fluktuation, die immer für etwa drei Prozent Leerstand sorgt, ein derartiger Store wegfällt, reißt das nicht nur eine Lücke in das Stadtgefüge, sondern fehlt flugs eine ganze Zahnreihe. Besonders auffallend wird das, wenn man nicht mehr von bloßem Wechsel sprechen kann, weil der Umstand andauert und zum Zustand Langzeitleerstand mutiert.

Umbauten am Thonet-Hof

Ein in diesem Sinn leider beeindru­ckendes Beispiel findet sich in der Grazer Herrengasse, im „Alten Thonethof“. Nach Plänen von Fellner und Helmer errichtete die Bugholzmöbel-Dynastie hier ein Wohn- und Geschäftshaus, dessen gesamte Erdgeschoßfassade als Schaufenster mit einer Art Ladenvorbau dien­te. Ab den 1960er-Jahren kam es zu zahlreichen Umbauten – so lange, bis Erd- und erstes Obergeschoß mit dem ursprünglichen Fassadendekor mit Ziergiebeln, Eckerkern und Renaissance-Elementen nicht mehr viel gemein hatten.

Architekt Irmfried Windbichler löste 1990 das Erdgeschoßportal an der linken Hausecke endgültig in einer kompromisslosen, der Zeit angemessenen Geste in eine Art begehbares Schaufenster mit expressivem Vordach auf. In dieser Form überlebte der Name des ehemaligen Schuhhändlers Spitz noch lange nach seiner Übernahme durch Stiefelkönig. Nach dessen Konkurs 2018 stand die Geschäftsfläche jedoch leer. Besitzerin Generali suchte – auch mit dem Versprechen der Rekonstruktion der historischen Fassade – einen neuen Mieter und wurde mit einem Dessoushersteller (Spoiler?) handelseinig.

Da die postmoderne Architektur Windbichlers noch keinen schützenswerten Status erreicht hatte, wurden 2022 Erdgeschoß und Fassade vom Architekturbüro GRAZT tatsächlich makellos rückgeführt, die Fassadenfront geschlossen, die Einheit des Ensembles wiederhergestellt, sogar die funktionstüchtigen Markisen sind wieder vorhanden. Dennoch vermissen nun einige Grazer:innen den markanten Zeitzeugen der 1990er-Jahre, der sich hier trotz heftiger Kritik eingenistet und wie ein Tabasco-Tropfen Moderne dem alteingesessenen Ensemble erst die richtige Würze verliehen hatte. Vor allem aber ist traurig, dass die ganze Geschichte zu keinem Erfolg führte: Der Edelrohbau wartet nach dem zwischenzeitlich erfolgten Konkurs von Palmers nach sieben Jahren noch immer auf Mieter:innen. „Momentan werden Gespräche mit Interessent:innen geführt“, lautet der einzige Kommentar des Immobilieneigners Generali.

Klage über zu hohe Mietpreise

Bei gleichzeitigem Auszug anderer Großhändler wie Manner und H&M erregt dies natürlich die Gemüter der City. Zum einen bestätigt das aber Erkenntnisse aus der Corona-Zeit, in der sich kleine, vorwiegend inhaber:innengeführte Unternehmen als wesentlich resilienter erwiesen haben als Megastores global agierender Markenketten. Zum anderen kann hier anscheinend nicht einmal Adam Smith eine ausgleichende Hand zwischen Angebot und Nachfrage reichen: In der Leerstandsforschung trifft man immer wieder auf den Widerspruch, dass einerseits alteingesessene Händ­ler und Gastwirte keine Nachfolger:innen fin­den, andererseits unternehmungsbereite Interessent:innen über überhöhte Mieten und zu wenig verfügbare Objekte klagen. Pattsituationen benötigen transparente Kommunikation: Über die Innenstadt-Mieten wird jedoch meist der Mantel des Schweigens bereitet, ein aktuelles Inserat für ein Geschäftslokal in der Herrengasse spricht von etwa 120 Euro pro Quadratmeter Nettomiete. Vielleicht wäre dienlich, wenn sich Immobilien- und Einzelhandel an eine gemeinsame Lösung dieser Problematik wagen?

Ein anderer, viel zu selten genutzter Ansatz, um dem Leerstand den Horror vacui zu nehmen, wären Zwischennutzungen. Dafür gäbe es viele gute ökonomische Argumente: Pop-up-Stores erhöhen den Marktwerkt eines Standorts samt Umfeld. Nutzung und damit einhergehende Instandhaltung tragen wesentlich zum Erhalt der Gebäude bei. Auch für zukünftige langfristige Mieter ist ein gut und liebevoll gewarteter Laden wesentlich inspirierender als ein ungeliebter „Leerstand“, dem keiner Beachtung schenkt. Zahlreiche Eigentümer:innen scheu­en jedoch die Anstrengung, die eventuell notwendige Grundsanierung oder fürchten, dass sich Kurzzeitmieter auf Dauer „einnisten“ – hier bräuchte es ebenfalls wesentlich mehr Transparenz, ein engagiertes Leerstandsmanagement sowie Aufklärung in Bezug auf rechtliche Fragen und Fördermöglichkeiten. Bei einer etwas kreativeren Auslegung der Widmungsvorgaben wäre es sogar möglich, ein Experimentierfeld zu öffnen, das im Feldversuch aufzeigt, was in Zukunft möglich und sinnvoll wäre.

Auslagen spiegeln das Kaufverhalten

An der Zeit wäre es zudem zu akzeptieren, dass sich Kaufverhalten, Ansprüche und Bedürfnisse ständig ändern, und dass sich dies in und über Auslagen des innerstädtischen Warenhandels abbildet. Wesentlich beängstigender als in diesen gut frequentierten Lagen ist Leerstand dort, wo rurale Ortskerne gänzlich entschwinden, oder in den Durchzugszonen der toten Erdgeschoßzonen in monofunktionalen Wohngebieten: Warum sieht dort niemand hin?

In einer „großen“ kleinen Innenstadt wie der von Graz lässt sich Geschäftsleerstand im Erdgeschoß immer auch als ein Zeichen von Wandel, verlagerten Interessen und vielleicht sogar als Chance für Neues lesen. Gemeinsame Arbeit daran ließe vielleicht sogar wieder etwas wie öffentlichen Raum entstehen.

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