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Visitenkarte mit Meerblick: Die neue Zentrale der Bjarke Ingels Group in Kopenhagen
Spectrum

Eine Innenerschließung als begehbare Raumskulptur, eine Feuertreppe als begrünter Erholungsraum. Von der Freiheit über den Architektenköpfen: die neue Zentrale der Bjarke Ingels Group im Nordhafen von Kopenhagen.

2. April 2025 - Wolfgang Freitag
„Stay“, rät das kleine Café Ecke Helsinkigade/Murmanskgade an seinen Fensterscheiben. Also warum nicht ein paar Minuten innehalten im Rundgang durch das Stadtquartier, das sich in den vergangenen Jahren im ehemaligen Nordhafen von Kopenhagen entwickelt hat? Hier lebe es sich recht gut, erzählt die Café-Betreiberin. Und was sie von dem architektonischen Neuzugang an der Spitze des Piers gegenüber halte? Der wirke aufs Erste ein wenig fremd, aber die Menschen, die dort arbeiten, erzählten nur das Beste.

Wenig später befinde ich mich selbst an besagtem Ort, und Frederik Lyng, Chefdesigner des Objekts, empfängt mich zu einem Rundgang: zu einem Rundgang durch die neue Kopenhagener Heimstatt der Bjarke Ingels Group. Die hat sich, 2006 vom dänischen Architekten Bjarke Ingels gegründet, erst in der engeren Heimat, mittlerweile mit Dependancen rund um den Globus durch teils spektakuläre Projekte einen Namen gemacht. Und allein was sich davon in Kopenhagen und Umgebung findet, lohnt einen Blick in jenes Land, in dem der hohe Norden Europas am flachsten ist.

Da wäre etwa das Schifffahrtsmuseum in Helsingør, rund um ein ausrangiertes Trockendock in den Boden gegraben; oder das „8 Haus“ im Kopenhagener Vorort Ørestad, unterschiedlichste Wohn-, Büro- und Einzelhandelsflächen bis zu zehngeschoßig übereinandergestapelt und auf einer außen liegenden Rampe bis zu den höchsten Höhen zu begehen; nicht zu vergessen „CopenHill“, die Kopenhagener Müllverbrennungsanlage mit ihrer auf dem Dach platzierten Ganzjahresskipiste samt Lift und Skihüttenzauber unter dem Schlot.

Fun follows function

Nein, es sind nicht die leisen Architekturtöne, für die Bjarke Ingels und sein Team stehen. Aber es ist auch nicht der pure formale Übermut, der aus ihren Arbeiten spricht. Die Anordnung des Schifffahrtsmuseums rund um das Trockendock a. D. macht das Trockendock selbst zum eindrucksvollsten Schaustück des Museums. Die begehbare Rampe verschafft dem „8 Haus“ und seinen Nutzern Verbindungswege, wo sonst keine sind, Fernsicht inklusive. Und die Skimatten auf dem Dach von „CopenHill“ verwandeln einen Unort in eine Freizeitattraktion – nicht zuletzt für die Mitarbeiter der Müllverbrennungsanlage. Kurz: Mag manches noch so spielerisch scheinen, es ist nie ohne Zweck. Fun follows function, sozusagen.

Erdacht wurde so viel Neues allerdings bis vor Kurzem durchweg in alten Mauern. „Wir haben bisher ausschließlich in adaptierter Altsubstanz gearbeitet“, erzählt Frederik Lyng. Freilich, eine beständig steigende Mitarbeiterzahl, derzeit 300 und mehr je nach Auftragslage, war in umgenutzten Kubaturen schließlich nicht mehr unterzubringen.

„Bürogebäude sehen oft aus wie Doughnuts“

Die entsprechende Liegenschaft für einen Neubau war bald gefunden: an der Spitze eines Piers im Nordhafen, ehedem Heimstatt eines Zelluloidfilmlagers, nach dessen Abriss zum Parkplatz degradiert. Doch wie die bisher gehabte Durchlässigkeit der Arbeit auf einer Ebene, die Selbstverständlichkeit interner Kommunikationsabläufe in einen Mehrgeschoßer transferieren?

„Bürogebäude nehmen oft die Gestalt eines Doughnuts an“, meint Frederik Lyng. Will sagen: außen, an den Fenstern, die Arbeitsplätze, innen Besprechungszimmer, Nebenräume und die Erschließung. Die Folge: Segregation allenthalben. Frederik Lyng: „Die Gestaltung hier war maßgeblich vom Bemühen geprägt, alle und alles miteinander zu verbinden, und das über alle Stockwerke hinweg.“

Ergebnis ist ein Gebäude, das sich gleich hinter dem Eingang über alle sieben Ebenen öffnet, von Kantine und Empfang im Erdgeschoß bis zu Dachterrasse und großem Gemeinschaftsraum im letzten Stock, eine Halle formend, in die die Zwischenebenen wie schwebend einmünden. Die nämlich reichen nur bis etwa zur Hälfte der Kubatur, sind zudem nicht gleich auf gleich übereinander angeordnet, sondern gegeneinander wechselnd verdreht.

Die Fensterflächen wiederum sind, zu langen Bändern zusammengeschoben, je Geschoß an jeweils anderen Seiten des Gebäudes angeordnet. Die Zentrale der Bjarke Ingels Group in Kopenhagen: ein lichtdurchflutetes Großraumbüro über sieben Geschoße voll wechselnder Ein-, Aus- und Durchblicke, erschlossen über eine offene Treppe in der Mitte, die impressiv quasi im Zickzack nach oben geführt ist. „Piranesisch“ nennt solches die Marketing-Prosa des Hauses, doch auch ohne architekturhistorische Beschwörungsformel fällt es schwer, sich der Wirkung dieses Raums und seiner Dynamik zu entziehen.

Einziges tragendes Element in der Gebäudemitte: eine Säule, gefügt aus sechs je geschoßhohen Einzelstücken unterschiedlichen Gesteins von dichtestgefügtem Granit zu ebener Erd’ bis zu Marmor an der Spitze. „Die haben wir aus den Steinbrüchen übernommen, wie sie waren“, erzählt Frederik Lyng. Abfallprodukte gewissermaßen wie auch die Holzplatten jener Wand, hinter der sich nordseitig Liftanlagen, Nassräume, kleine Besprechungszimmer für jede Etage verbergen: „Die stammen von einem Parketthersteller, Reststücke mit vielen Astansätzen, die für die Verlegung als Boden nicht geeignet waren.“

Witz und Charme am Hafenrand

Selbstredend ist auch der Stahl der Erschließungstreppe Recyclingmaterial, die Klimatisierung erfolgt über ein Zusammenspiel aus Geothermie und natürlicher Ventilation. Und dass man gemeinsam mit der Errichterfirma einen speziellen, CO₂-arm zu produzierenden Beton für den Bau entwickelt hat, versteht sich da schon fast von selbst.

Nicht ganz so selbstverständlich: die äußere Erscheinung des Objekts. Die vorgeschriebene Feuertreppe nämlich hat man zum Gestaltungselement der Fassade umgedeutet. In einer Abfolge aus Terrassen und Stiegen ist sie vom Dach weg spiralig rund um das Gebäude bis ins Erdgeschoß gewunden, versorgt zugleich jede Ebene mit einer eigenen begrünten Freifläche, gestaltet von den hauseigenen Landschaftsplanern. „Wir haben daraus einen Erholungsraum für die Mitarbeiter gemacht“, erklärt Lyng. Erholungsraum wie der kleine, dem Gebäude vorgelagerte Park, der auch der Allgemeinheit zur Verfügung steht.

Ob Ingenieurbau, Architektur, Produktdesign oder eben Landschaftsplanung: Sämtliche Abteilungen des Hauses sollten, so die Idee, in der neuen Heimstatt der Bjarke Ingels Group in eins zusammenfinden. Ergebnis: eine gebaute Visitenkarte, mit Witz, Charme und viel Kreativität an den Kopenhagener Hafenrand platziert. Visitenkarte mit Meerblick gewissermaßen. Was könnte schöner sein?

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